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| Ich entscheide, nicht das Heim | |
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim Fr 27 Apr 2018, 04:57 © Aggi | |
| Liebe Eva, - Amelu schrieb:
- Carpe diem - Carpe horam!
Das ist das Vermächtnis meiner Mutter an alle hier und meinen Gefühl nach besonders an Euch Beide! Das bedeutet mir viel! Und ich gebe es an Mutti weiter. Fühle Dich von mir umarmt! Alles Liebe, Deine Aggi
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim Fr 27 Apr 2018, 10:30 © Aggi | |
| 20180427 Freitagmorgen: Als ich morgens bei blauem Himmel und Sonnenschein am Heim ankomme, sitzt im Eingangsbereich schon die alte Dame, der ich neulich mit der Perlenkette geholfen hab. Für draußen ist ihr noch zu frisch, aber sie freut sich über das gute Wetter. „Gestern war’s ja scheußlich kalt!“ strahlt sie mich an. Im Flur zu Mutti treffe ich meine gute Seele Elisabeth und frag, wie es Frau H. geht. Was Neues weiß Elisabeth auch noch nicht. Aber Frau H. ist gestern ins Krankenhaus gebracht worden. Jetzt hoffen wir, dass es nichts Schlimmes ist… Bei Mutti seh ich beim Eintreten auf ihrem Wohnzimmertisch schon das Präsent der lieben Nachbarin aus dem Heimatort. Mutti kommt kurz durcheinander, ob gestern Besuch da war. Dann erinnert sie sich wieder und lächelt. Ja, das war schön! Ich hole das Präsent zu ihr ans Bett und zeige nochmal, mit wieviel Liebe das eingepackt ist. „Guck mal, der gute Saft von Rabenhorst!“ Und erinnere Mutti daran, wie sie als Krankenschwester in ihrer Lehrzeit vom Lohn immer gleich zu dem Tabakladen ging, sich eine Tafel Schokolade gönnte. Mutti strahlt. Sie erinnert sich. Das war etwas ganz Kostbares. Und jetzt neben der Flasche Rabenhorst (mit Kalium und Magnesium für ein gesundes Herz) ist noch eine teure Tafel Schokolade. „Mutti, nimm mal in die Hand, die ist sogar im Karton!“ Ganz was Edles, was ich mir niemals selber kaufen täte. „Mutti, da muss man ja schon Sonntagssachen anziehen, wenn man die hier essen will. ^^“ Auch die Karte gebe ich Mutti in die Hand. Die lieben Nachbarn haben extra-groß geschrieben, den Gruß kann Mutti selber lesen. Und erinnert sich an die typische Handschrift dieser Nachbarn. Unverkennbar! Auch dass Sr. A. gestern noch bei ihr war und sich für die Topfrosen bedankt hat, erinnert Mutti und lächelt. Das hat ihr auch gefallen. Die Schwester hätte sich so lieb bei ihr bedankt! Zum Frühstück holen ist Mutti dann wieder im Glauben „Da war doch schon wer da?!“, aber lässt mich problemlos „mal nachschauen“ gehen. Ich soll nur auf den richtigen Namen achten! „Natürlich, Mutti! Ich hab doch Angst, sonst hauen mich die andern noch mit ihren Gehstöcken!“ und markiere, wie ich vor Angst den Kopf einziehe. Das bringt Mutti auch zum Lachen. Sie weiß ja, dass ich keine Haue riskiere. Im Dienstzimmer kommt dann ein Techniker dazu, „Moin!“. Ich „Moin“ zurück und werde gefragt, ob ich von der Beschäftigung bin. „Ich bin nur eine Tochter.“ muss ich grinsen. Der Techniker grinst zurück: „Nur eine Tochter ist auch gut! Dann suche ich mal weiter.“ Zurück zu Mutti, die heute „nur“ die anderthalb Scheiben Brot und den Kaffee auf dem Tablett hat. Das ist auch reichlich für sie, jetzt freu ich mich jeden Tag, wenn sie diese Menge schafft. Bei dem Tablettenbecher ist sie jetzt fast jeden Morgen verwundert, dass sie Tabletten hat. Aber ich sag halt ganz ruhig immer etwas wie „Die bekommst Du ja immer schon jeden Morgen.“ Oder so. Und dann nimmt sie sie problemlos. Das Gute – dazu gehört ja auch immer der Schluck Kaffee, so dass nach und nach auch immer der Kaffeebecher leergetrunken wird. Viertel vor neun kommt eine Schwester, die ich auch noch nicht gesehen hab, ob Mutti schon mit dem Essen fertig ist. Strahlt Mutti und mich an: „Ach wie schön, Sie haben ja Besuch!“ Stellt fest, dass Mutti noch nicht fertig ist und kommt halt später wieder. Alles ziemlich laut, aber herzlich. Ich weiß nicht, wieviele Bewohner wie Mutti sehbehindert sind, aber irgendwo wäre es oft besser, manche Schwestern (oder wie die Bereichskräfte heißen) würden, statt vom Fußende her zu „rufen“ doch die eine Sekunde näher kommen, damit der oder die Betroffene auch SEHEN kann, wer da ist. Manchmal denke ich, ist das wie bei den Autofahrern, die nicht blinken: „Wieso auch, ich weiß doch, wo ich hinwill?!“ … Während ich Mutti die letzten fünf Stücken Brot fütter, da sie irgendwie nicht mehr weiß, wo ihre Hände sind, erzähle ich ihr von dem liebenswerten Gruß von Eva. Immer so mit ausgeholt, Du weißt doch von meiner Internetgruppe, wo ich so viele liebe Frauen kennengelernt habe? ( Sorry an die mitlesenden Herren der Schöpfung – aus ich-hab-keine-Ahnung-Gründen unterschlage ich Euch bei Mutti, merke ich grad beim Tippen, ich geh gleich mal in die Ecke und schäme mich dafür auch…). Mutti freut sich total. Carpe diem kennt sie. Ich glaub, Carpe horam ist ihr neu oder entfallen, aber ich erzähle so ausführlich, dass sie gleich anfängt zu lächeln. Und dann hab ich noch Grüße von ihrer Enkeltochter samt Urenkelkind, die mich gestern noch anrief. Aus ihrem Besuch Ostern bei der Oma war ja leider nichts geworden, aber ich kann Mutti ausrichten, nein, vormachen, welche süßen Quietsch-Juchzer ihr zweiter Urenkel jetzt macht. Hat was von exotischen Vögeln im Zoo … so süß!!! Und Mutti freut sich, auch so von ihnen zu hören. Dass die junge Mutter selbst genug um die Ohren hat, weiß Mutti und hat vollstes Verständnis dafür, wenn sie nicht so „mal eben“ vorbeikommen kann. Und dann beim Gehen zu Sehen, wie Mutti lächelt und mir zu winkt ... lächelnd aus dem Heim gehen. Hab lange gebraucht das zu Lernen, aber "Heim" kommt doch von "daheim" ... "zuhause" ... und ist gar nicht schlimm.
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim Sa 28 Apr 2018, 06:52 © Aggi | |
| Gestern rief mich dann noch mein Kl.Bruder freudestrahlend an. Nachdem er seine Mittelohrentzündung überstanden hat, war er gestern wieder bei Mutti zu Besuch und ich konnte sein Strahlen durch den Telefonhörer fühlen, riechen, schmecken! Er beschrieb, dass Mutti am Schlafen war, als er eintrat. "So mit offenem Mund, die Wangen so eingefallen, sah fast aus, als ob..." - Ja, das habe ich auch schon manchmal eine Schrecksekunde lang gedacht. Aber er sah gleich, wie sich die Bettdecke beim Atmen bewegte... So süß: Als er Mutti dann zärtlich weckte - und da kann man die Uhr nach stellen - kam auch prompt wieder ihr: "Ich hab nicht geschlafen!" Kl.Bruder beschrieb mir dann wieder so ausführlich, wie "schmusig" Mutti inzwischen ist, wie sie sich bei der Umarmung in seine Halsbeuge kuschelt und die Hand nicht loslässt, den Körperkontakt sucht. Erst sei sie ihm noch ziemlich weit-weg vorgekommen, aber auch er kennt das ja, wenn sie grade aus dem Schlaf kommt. Nachher wurde sie umso klarer und nach einer schönen gemeinsamen Zeit, als er sich verabschiedete, merkte er noch mal sein Bedauern an, dass er heute nicht länger bleiben kann. "Du weißt ja, Mutti, Freitags haben wir immer Großkampftag mit Einkaufen und allem..." Mutti nicht doof, schlagfertig wie wir sie lieben: "Dann komm doch auf einem Mittwoch!" Chakka! Das ist unsere Mutti!
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim Sa 28 Apr 2018, 13:14 © Aggi | |
| 20180428 Samstagmorgen: Kurz vor acht im Heim ist bei Mutti die Wäsche schon durch. Mutti liegt gemütlich eingekuschelt auf der Seite, das Bett in schwindelerregender Höhe. Spontan muss ich grinsen, weil mein Kl.Bruder mir gestern bei seinem Anruf noch erzählte, wie mühsam es für ihn (mit seinen unzähligen Bandscheibenvorfällen) ist, sich zu Mutti herunterzubeugen, wenn das Bett sonst ganz tief unten steht. Aber er weiß ja, wozu das gut ist. Mutti möchte wissen, ob ich gut geschlafen hab. Ich werde den Eindruck nicht los, sie driftet Tag um Tag immer weiter weg. Von alleine erinnert sie nicht den Besuch von Kl.Bruder. Fragt mich, ob da (tastet am heruntergelassenen Bettgitter) noch was steht oder liegt, was die Raumausstatter … sucht nach Worten … ob jemand da gesessen hat … kauderwelscht … ich wünsche mir innerlich, es geht um die Erinnerung an den Besuch von Kl.Bruder, werde diesmal aber selbst auch nicht schlau aus dem, was sie zu sagen versucht. Aber wir bekommen lächelnd die Kurve – hauptsache! Erzähl ich halt von dem Anruf, wie sehr er sich gefreut hat und bringe Mutti so die Erinnerung. Sie strahlt – ja, das war schön! „Mutti, seien wir ehrlich, es lässt sich nicht leugnen, er liebt Dich!“ Wie sie da wieder wie ein kleines Mädchen ihr Gesicht grinsend im Kissen verbirgt, so süß! Dann klopft meine gute Seele Elisabeth an, Mutti strahlt, Elisabeth bittet mich dann kurz um Hilfe, sie ist am Nachthemden aussortieren, ob da noch welche für Mutti oder mich infrage kommen. Morgen fährt sie noch einmal in ihr Haus, ausmisten und ich hab versprochen, ihr ein paar Sachen für Mutti abzunehmen. Es fällt Elisabeth alles doch so schwer, das mit dem Haus. Wenn ich ihr das Gefühl gebe, einige der Sachen, die sie nicht mehr braucht, haben dann noch einen Nutzen, helfe ich doch gerne. Außerdem hat sie dann das Gefühl, sich bei mir für meine Einkaufsfahrten und andere Erledigungen bedanken zu können. Das ist ihr wichtig. Also google ich gleich mal, wie ich so einen Wäscheaufkleber vom Heim vom ersten Nachthemd abbekomme, damit das Heim dann einen mit Muttis Namen draufpatchen kann.* Das ganze dauert nicht lange, aber Elisabeth ist danach erleichtert und ich hole erstmal Frühstück für Mutti, die sich wieder wundert und meint, da war doch schon was? – Ich geh mal gucken! – O.k. Heute wieder mit Wackelpudding, ich wette mit mir selbst, das Mutti den nicht mag und gewinne … mache aber wirklich nichts, um Mutti zu manipulieren, ich biete ihr immer alles gleich freundlich und neutral an. Nach dem Frühstück kämme ich Mutti erst noch wieder, was heute Morgen ziemlich dauert. Mutti liegt ja dabei, kann auch nicht mehr so lange den Kopf anheben und hat heute Vogelnester im Haar, als hätte sie sich gestern mit Honigfingern frisiert. Und dazu höre ich heute den ganzen Morgen Muttis rasselnden Atem und diesen rasselnden Husten. Gefällt mir nicht, aber sie mag auch nichts dagegen haben, heute auch keine Lakritzscheibe, also mach ich ihr noch die Fingernägel sauber. Ja … und dann schneide ich ihr noch die Fingernägel der linken Hand, mit der greift sie ja hauptsächlich nach dem Brot … und dann passiert, was ich nicht will, ich schneide Mutti beim letzten Schnitt in den kleinen Finger … man man man … ich komm nicht in den Himmel!!! Diese blöden kleinen Wunden bluten dann ja auch gleich wie abgestochen und mir ist zum Heulen, obwohl es ja gar nicht so schlimm ist, aber mei, wie oft hab ich Mutti schon die Fingernägel geschnitten und jetzt so ein Scheiß! Erstmal ein Tempo drum und ein Pflaster organisieren, bevor die nächste Schwester, die kommt, einen Schreck kriegt, weil überall Blutkleckse sind … ich komm nicht in den Himmel, oh nein, oh nein! Mutti lacht dazu die ganze Sache: „Ist doch gar nicht schlimm!“ … hmmm, ich ärger mich trotzdem über mich selbst, ist doch reine Nachlässigkeit, grad wenn’s beim letzten Schnitt passiert. Ich Troll! Aber Mutti liebt mich immer noch. Jedenfalls sagt sie das, als ich mich reumütig am Ende verabschiede und ihr sage, dass ich sie liebe. „Ich Dich doch auch!“ Und lächelt. So, und ich geh jetzt in die Ecke und schäme mich trotzdem noch ne Runde lang… * So, Onkel Google hat meiner Vermutung zugestimmt, das aufgebügelte Namensetikett so heiss wie geht bügeln, damit der Kleber weich wird und dann erstmal die Finger verbrennen, weil die Sache erstaunlicherweise heiß ist ... gosh, heut ist nicht mein Tag ... mit einer Pinzette konnte ich dann nach einer Weile das superhartnäckige Etikett langsam abziehen. Zum Glück blieben noch genug Klebereste, die mich dann noch weiter beschäftigten. Lt. Onkel Google sollte ich jetzt Waschbenzin nehmen, was ich seit ein paar Jahren nicht mehr im Haus hab. Also Terpentin. Stinkt prima und damit ging dann nach gefühlten acht Jahren auch wie bei einer mikrochirugischen OP millimeterweise der olle Kleber ab. Gutes Nachthemd, der Stoff ist heil geblieben, aber meine geliebte Pinzette kann ich jetzt wegwerfen. Also ein Tag wie jeder andere. Mutti, wann werde ich eigentlich erwachsen?
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim Sa 28 Apr 2018, 14:23 © gisela | |
| - Zitat :
- So, Onkel Google hat meiner Vermutung zugestimmt, das aufgebügelte Namensetikett so heiss wie geht bügeln, damit der Kleber weich wird und dann erstmal die Finger verbrennen, weil die Sache erstaunlicherweise heiß ist ... gosh, heut ist nicht mein Tag ... mit einer Pinzette konnte ich dann nach einer Weile das superhartnäckige Etikett langsam abziehen. Zum Glück blieben noch genug Klebereste, die mich dann noch weiter beschäftigten. Lt. Onkel Google sollte ich jetzt Waschbenzin nehmen, was ich seit ein paar Jahren nicht mehr im Haus hab. Also Terpentin. Stinkt prima und damit ging dann nach gefühlten acht Jahren auch wie bei einer mikrochirugischen OP millimeterweise der olle Kleber ab. Gutes Nachthemd, der Stoff ist heil geblieben, aber meine geliebte Pinzette kann ich jetzt wegwerfen. Also ein Tag wie jeder andere. Mutti, wann werde ich eigentlich erwachsen?
liebe aggi kleiner tipp der patcher muss nicht zwingend entfernt werden, der neue patcher kann auch auf dem alten angebracht werden
lieben gruß gisela mein Vorbild ?....der Löwenzahn...wenn er es schafft durch Asphalt zu wachsen...kann auch ich scheinbar unmögliches schaffen |
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim Sa 28 Apr 2018, 15:49 © Aggi | |
| - gisela schrieb:
- liebe aggi
kleiner tipp der patcher muss nicht zwingend entfernt werden, der neue patcher kann auch auf dem alten angebracht werden ... es ist nicht mein Tag! ... man man man, liebe Gisela, DARAUF bin ich überhaupt nicht gekommen! ... es gibt Menschen, die nennen mich "kompliziert", hmmm ...
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim So 29 Apr 2018, 10:15 © Aggi | |
| 20180429 Sonntagmorgen: Kurz vor acht im Heim ist bei Mutti die Wäsche schon durch. Mutti schaut ziemlich verschlafen aus, freut sich aber, mich zu sehen. Inzwischen freue ich mich, wenn sie von sich aus meinen Namen noch weiß. Sie meint, sie hat gut geschlafen, weiß aber nicht, wie lange. Wirkt friedlich, aber ganz schön matt. Ich munter sie ein bißchen damit auf, wie ich gestern die ganze Fensterfront zur Straßenseite geputzt hab und in den anderthalb Stunden „wie Heinzelmännchen aus dem Boden gewachsen“ die Dorfknirpse beobachtet hab, die beim Nachbarjungen farbige Umschläge abgaben. Ich tippe auf Geburtstagseinladungszusagekarten. Erinner Mutti an die Kindergeburtstage: „Wir Kinder hatten doch keine Ahnung, dass das auch mit Arbeit verbunden ist.“ Mutti schmunzelt. Aber noch mal einen Kindergeburtstag ausrichten würde Mutti wohl nicht mehr. Seh ich an der Art, wie sie auf die Frage ein langgezogenes „Ööööffh!“ murmelt. Dann geh ich erstmal das Frühstück holen. Anderthalb Scheiben Brot. Mutti schafft heute kaum eine halbe Scheibe. Nickt zwischen den Stücken immer wieder schier ein. Zwischendurch reißt sie die Augen weit auf, als käme sie von ganz weit weg. Ihr Husten ist nicht besser geworden. Ihr Atem rasselt und ich frag nochmal, ob ich die Schwestern nicht doch mal nach einem Hustenmittel fragen soll? – Sinngemäß kommt ihr typisches „Bloß nicht.“ Dabei lasse ich es erstmal. Versuche noch eine ganze Weile, ob ich wenigstens fütternderweise noch Brotstücken anreichen kann, aber Mutti mag schon bald nicht mehr. Ich halte ihr noch eine von den winzigen Tafeln Schokolade vor die Nase, da muss sie immerhin grinsen und stimmt zu, dass ich eins für sie auspacke. Nimmt es auch in die Hand und scheint es da zu vergessen. Auch auf zärtliche Aufforderung sagt sie zwar, ja, aber macht nichts, als wäre die Verbindung vom Kopf zur Hand nicht mehr da. Also biete ich an, ob sie vielleicht ein halbes Stück davon möchte, brech es durch, berühre mit dem halben Stück sanft ihre Lippen und das möchte Mutti dann noch essen. Danach ist gut. Auch Kaffee trinken nur mühsam, aber immerhin fast der ganze Becher. Alles wie in Zeitlupe. Am Ende erzähle ich von unseren ACC akut. Ob das eine Option ist und erstaunlicherweise stimmt Mutti zu. Also will ich kurz nachhause fahren, welche holen, das geht rascher, als vor neun Uhr im Heim zu warten, bis ich eine Pflegefachkraft finde, ob die dergl vorrätig haben. Beim Rausgehen steht meine gute Seele Elisabeth draußen und bremst mich sofort aus: „Nix da, die kriegst Du von mir, hab ich im Schrank!“ Da Elisabeth grad eine Zigarette angefangen hat, dreh ich mir auch noch eine und rauch mit. Und Elisabeth erzählt von der Fahrt heute ins Haus … sie hat Bammel, wohl ist ihr nicht beim Gedanken ans Ausmisten. Dann bekomme ich von ihr zwei ACC und kann damit zu Mutti (natürlich bekommt Elisabeth die morgen von mir ersetzt!). Für Mutti mach ich das Wasserglas extra nicht so voll, damit sie nicht so viel trinken muss. Probier selbst erstmal, ob es auch nicht zu konzentriert ist, geht aber. Und dann schafft Mutti es tatsächlich langsam, Zentimeter für Zentimeter das Glas leerzutrinken. Vergisst zwischendurch das Glas in der Hand. Aber mit Worten und zarten Berührungen meinerseits kann ich sie sanft lenken, das Glas auch leer zu trinken – ohne Druck. Zum Schluss glaubt sie nicht mal, das Glas geschafft zu haben. Also dreh ich es dicht vor ihren Augen über meiner Hand um, vier Tropfen batschen noch in meine Hand, die ich zu ihrem Vergnügen gleich ablecke und „enttäuscht“ feststelle: „Du hast mir ja gaaaaaa nix übergelassen!“ Mutti zum Lachen bringen halt. Die angerissene Tablettenpackung lass ich offen auf dem Nachttisch liegen. Können die Schwestern nicht übersehen, dann wissen die schon Bescheid. Draußen seh ich nochmal Elisabeth und geh nochmal zu ihr, weil sie wohl bald von ihrem Sohn abgeholt und bestimmt immer nervöser wird. Sie zählt viele Dinge auf, die sie dort mal für teuer Geld angeschafft hat. „Dafür hat man ein Leben lang gearbeitet.“ Ihre Kinder scheinen auch nicht viel Bedarf für die Sachen, die jetzt wegkommen zu haben. Ich versuche, sie zu trösten und sag, ich finde manchmal Trost, wenn ich diese Berichte von Flutopfern sehe, wo Menschen auf einen Schlag alles verlieren und mit Tränen in den Augen in die Kamera sagen: „Aber wir sind am Leben. Das andere kann man ja ersetzen.“ Elisabeth beginnt zu Nicken. – Wir verabschieden uns lächelnd, obwohl sie sich Sorgen macht wegen der Fahrt nach Hause und ich wegen Muttis Husten.
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim So 29 Apr 2018, 17:17 © Aggi | |
| 20180429 Sonntagnachmittag: Ca. halb zwei klingelt mein Handy. Sr. D. am Apparat. Mutti sei sehr schwach, hätte keinen Appetit und würde so stark husten, wohl schon seit gestern Mittag. Sag ich, das hat schon gestern Morgen angefangen, was sie vorschlägt? Sie wollte wohl den Bereitschaftsarzt anrufen, auch wg. der Gefahr einer Lungenentzündung. Ich stimme sofort zu und frag, ob ich dazu kommen kann. Sehr gerne, weil ich ja am besten wisse, was Mutti verträgt und was nicht. Wir vereinbaren, sie ruft mich nochmal an, wenn sie weiß, zu wann der Bereitschaftsarzt kommt. Der Anruf kommt dann auch schon fünf Minuten später. Diesmal Sr. V., der Bereitschaftsarzt hätte keine genaue Zeit angeben können. Halt am Nachmittag. Sie weiß aber schon, dass die X-Apotheke in meinem Heimatort heute Notdienst hat. Ich sag, ich komme direkt rüber. Bin dann ca. viertel vor zwei am Heim und sehe am Parkplatz Sr. D. in Privatklamotten zu ihrem Auto gehen. Spreche noch kurz mit ihr und bedanke mich mal ausdrücklich für ihre stets prompte Art, immer sofort Bescheid zu geben, wenn ihr was auffällt oder was ist. Und das meine ich ehrlich, hatte zu Hause noch meinem Mann erklärt, dass Sr. D. eine von den „Guten“ ist und auch das erzähle ich ihr. Ehrliches Lob für die Schwestern ist doch auch wichtig! Im Flur kommt mir Elisabeth entgegen, der ich nur kurz den Sachverhalt erkläre. Elisabeth ist sichtlich erschrocken: „Ja, geh erstmal zu Deiner Mutti. Grüß sie von mir.“ Mutti liegt matt auf der Seite, die Decke vom Po gerutscht, begrüße ich sie erstmal zärtlich und decke sie wieder richtig zu. Sie hat schon gehört, dass ein Arzt kommen soll. Ist erschreckend matt. Ich setz mich auf den Rollator und schau ihr bis viertel nach zwei beim Schlafen zu. Mutti liegt kaum eine Sekunde still. Mal schüttelt sie der Husten. Und permanent dreht und wendet sie die Arme, bleibt aber so auf der Seite liegen. Augen auf, Augen wieder zu. Ich muss mich zwingen, nicht so verkrampft da zu sitzen, weil ich nicht weiß, wie lange es dauert, bis der Arzt kommt. Merk ich auch erst, als ich einmal die Hände von den Armen nehme und sehe, wie sich meine Finger in die Unterarme „eingebrannt“ haben. „Bleib locker, Aggi.“ Versuche ich mich selbst zu beruhigen. Muttis Rasselatem hört sich nicht gut an und ich hab Angst, dass sie ins Krankenhaus muss. Viertel nach zwei ist der Arzt zum Glück dann aber schon da. Sr. V. begleitet ihn. Blutdruck sieht nicht gut aus, ich frag gar nicht nach – ich seh ja, was mit Mutti los ist. Dann muss sich Mutti einmal zum Lunge abhören aufsetzen, was nur mit Hilfe von Sr. V. und mir von jeder Bettseite geht. Mutti zuckt total zusammen, weil das Abhörteil-Dings wie immer viel zu kalt ist. Ich scherze rum, der Arzt würde sich hinterher selbst zur Strafe Eiswürfel in den Nacken stecken. Das bringt Mutti zum Grinsen. Gut. Und ich denk parallel: So’n Scheiß redest Du immer, wenn Du angespannt bist, Aggi… Immerhin reichen dann Antibiotika – Sr. V. weiss von sich aus (dank meiner ewigen Vorarbeit), dass Mutti ein Bestimmtes nicht verträgt. Der Arzt meint, kein Problem. Ich: Gibt ja genug andere. Der Arzt nickt. Hat die Ruhe weg. Plus Mucosolvan. Und bei Bedarf Novalgin. Mutti gut überwachen, Werte messen/kontrollieren. Natürlich viel trinken und wenn möglich, Atemübungen, damit Mutti gut abhustet. Ich bin erleichtert. Mutti auch. Sr. V. und der Arzt verschwinden und Mutti rollt sich wieder auf der Seite ein. Fragt mich, ob ich hier noch zu tun hab… da muss ich grinsen. Mutti braucht `ne Pause und ich geh zum Pflegestützpunkt, wo der Arzt noch bei Sr. V. sitzt. Sr. V. rückversichert sich bei mir auch noch mal, sei doch besser so, weil man ja nicht wisse, ob Muttis Hausarzt Montag (ist ja ein Brückentag) überhaupt offen hat. Ich lob sie prompt, wie froh und dankbar ich über diese schnelle Reaktion hier bin. Kommt noch Sr. M. dazu, die selbst grad eine Lungenentzündung hatte und die lob ich gleich auch noch - bin ja nicht die Einzige, die angespannt gewesen ist! Dann krieg ich die Rezepte, nochmal kurz zu Mutti: „Ich fahr mal eben Deine Medikamente holen.“ Klappt auch alles problemlos (ich war noch nie auf einem Sonntag in einer Apotheke). Das Antibiotikum morgens und abends eine bis alle. Mucosolvan 3 x tgl. Mit dem Antibiotikum, meint die Apothekerin, könne ich gerne heut Nachmittag schon anfangen und heut Abend die zweite. Auf der Fahrt zurück überleg ich aber, das ist zu heftig für Mutti. Sie reagiert immer höchstsensibel, und binnen zwei bis zweieinhalb Stunden zwei Antibiotika ist zu viel für sie. Wieder im Heim steht bei Mutti ein Kaffeegedeck. Rabenschwarzer Kaffee – viel zu wenig Milch, ich füll erstmal mit Wasser auf. Mit dem Mucosolvan kann Mutti schon anfangen, aber dieser Deckel in der Kaufpackung ist nix für Liegend-Patienten. Die Hälfte läuft erstmal daneben, weil Mutti gar nicht mehr richtig schluckt, als wäre ihr Trinkreflex kaputt. Wurscht, irgendwie krieg ich auch noch hin, dass Mutti ihre 5 ml bekommt. Dann kann ich noch dreimal ein paar Schlucken Kaffee anbieten, bis Mutti nicht mehr mag. Viel war das nicht aber besser als nichts. Ist heute alles schrecklich mühsam für Mutti… Dann kann ich Sr. V. die Medis übergeben. Das mit dem Antibiotikum heut Abend erst anfangen und morgen früh dann mit je eine morgens eine abends weiter machen bis alle findet sie auch in Ordnung. Und zwischendurch – auf der Suche nach Sr. V. – kann ich bei Elisabeth noch Elisabeth’s Klamottenschenkungen für Mutti in Empfang nehmen. So einige kurzärmlige Nachthemden für Mutti und dann hat sie sogar ein schwarzes T-Shirt in meiner Größe für mich und sogar drei schwarze Leggings, die mir passen sollten, ich bin perplex: „Das ist ja wie Weihnachten! Wie kann ich das wieder gutmachen?“ – Da fängt Elisabeth gleich wieder an zu schimpfen, nix mit gutmachen, sie sei doch froh, wenn sie das alles noch an wen weitergeben kann, der es zu schätzen weiß … Keine Sorge, ich bin heut nicht die Einzige Beschenkte, und für Elisabeth ist es wichtig, es bricht ihr das Herz, so viele Sachen sonst – ja, wohin denn zu geben? Elisabeth, die jeder einzelnen Seele hier im Heim Gutes tut und Gutes zukommen lässt. Wenn eines Tages ihre Stunde schlägt, werden die Engel persönlich runterkommen, um sie abzuholen! Und dann verabschiede ich mich von meiner Mutti, die schon wieder meint, wenn ich aber morgen was anderes vorhabe, müsse ich nicht kommen. Da muss ich lachen: „Mutti, ich komme doch sooo gerne zu Dir! Ich genieß es doch, bei Dir zu sein!“
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim Mo 30 Apr 2018, 05:48 © Aggi | |
| - gisela schrieb:
- hoffe, dass deine Mama sich schnell erholt
Danke, liebe Gisela! Hab mir gestern noch den Beipackzettel vom Antibiotikum durchgelesen und hoffe, sie verträgt es auch. Sie ist ja so fürchterlich sensibel in Medi-Sachen und soll diese jetzt sieben Tage lang nehmen. Bin natürlich schon total gespannt, wie es ihr heut früh geht. Aber ich weiß sie in guten Händen - und das macht eine Menge aus! Auch Dir und Deiner Mama alles Liebe und Gute! Aggi
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim Mo 30 Apr 2018, 15:37 © Aggi | |
| 20180430 Montagmorgen bis -mittag:
Fahre heute zehn Minuten früher zum Heim, bin zwanzig vor im Flur, wo ein Schwester schon steht und auf mich wartet. Mutti würde es den Umständen entsprechend gut gehen. Sie hätte ihr die zweite Brausetablette aufgelöst und beim Rücken eincremen hätte Mutti schön abgehustet, sei jetzt aber erstmal sehr matt. Da bin ich direkt schon beruhigter.
Mutti liegt wieder so auf die Seite gemummelt. Matt und schlapp, aber es ist immerhin nicht schlimmer geworden. Meint, sie konnte auch wohl schlafen. Wirkt immer noch sehr schläfrig, aber das finde ich unter den Umständen auch normal. Vom ACC-Saft hat sie kaum getrunken, das hatte mir die Schwester schon gesagt. Muss sie aber auch nicht mehr, hat ja jetzt den Hustensaft. Schaden tut’s aber auch nicht.
Zumindest kann ich sie mit kleinen Erzählungen zum Lächeln bringen, sie wirkt halt wie ein müdes, krankes Kind. Frühstück probieren stimmt sie zu und so geh ich los, ob das so früh überhaupt schon da ist.
Beim Rausgehen seh ich gegenüber bei meiner guten Seele Elisabeth die Tür offen und klopf kurz, da winkt mich Elisabeth schon zu sich. Sie ist immer noch in Aufruhr wegen des Ausräumens ihres Hauses. Ob ich nicht doch noch die Schlüpfer mitnehmen kann? Hab ich keine Verwendung für und schlag vor, ich verschenke sie weiter, das ist für sie in Ordnung. Und packt noch was und noch was an Wäsche auf den Berg. Sie ist froh, wenn es noch an den Mann kommt und ich weiß, an wen ich es weiter verschenke. Hauptsache, ihre Seele findet Frieden.
Nebenbei schreib ich noch von ihr diktiert einen Einkaufszettel, klar geh ich noch einkaufen. Elisabeth ist ganz hektisch heut Morgen, möchte mir noch Fotos von ihrer Silberhochzeit zeigen, alles Dinge, wo sie nicht weiß, wohin damit, die ihr auf der Seele brennen. Aber ich muss ja auch Muttis Frühstück holen: „Du, ich bin doch nicht aus der Welt!“
Jo, Elisabeth ist froh, dass ich ihr helfe und ich geh Muttis Tablett holen. Da fehlt das Antibiotikum. Zum Glück seh ich im Flur eine Schwester, die mir weiterhilft. Kommt raus, die hat Mutti schon morgens gleich bekommen. Wusste ich nicht. Ist aber gut, so ist der 12-Stunden-Abstand ja perfekt!
Der Hustensaftbecher ist mit dabei. Also zurück zu Mutti. Erstmal helfe ich ihr höher ins Kissen, sie rutscht ja nur noch so nach unten. Auch in der Sitz-Haltung auf dem Bett versucht sie neuerdings immer wieder mit dem Tablettwagen vor dem Bauch, sich wieder auf die Seite zu legen. Ich muss andauernd den Teller mit dem Marmeladenbrot zur Seite nehmen, weil sie zwischendurch vergißt, dass der im Weg liegt.
Ich glaub, zwei Stücken Brot nimmt sie heute selbst. Von anderthalb Scheiben Brot schafft sie mit meiner Unterstützung eine halbe Scheibe, vielleicht ein Stück mehr? Und auch nur, weil ich nach Pausen nochmal nachfrage, anbiete. Zwischendurch den Hustensaft, danach ein Schluck Kaffee. Und die morgendlichen Tabletten. Danach ein Schluck Kaffee. Alles im Schneckentempo. Aber es geht. Bis der Punkt erreicht ist, wo Mutti wirklich nichts mehr mag und kann.
Das Trinken ist für mich im Moment wichtiger als das Essen. Und den Becher hat sie geschafft.
Und ist danach selbst total geschafft. Da ich eh noch für Elisabeth ins Dorf will, lass ich sie dann auch erstmal ruhen und zieh los.
Wieder zurück entlade ich erstmal in Elisabeths Zimmer. Ich hab die Erlaubnis, da auch so reinzugehen. Sie weiß, dass sie mir vertrauen kann. Das Wechselgeld lege ich immer mit allen Kassenbons dazu, dann gibt es kein Vertun. Höchstens, dass ich mir natürlich NICHT den Tabakbeutel für mich gekauft hab, den Elisabeth mir aufgetragen hat. Tse… Elisabeth, ich mach das doch gerne und nicht für Bezahlung. Außerdem gestern erst die Klamotten. Unwillkürlich muss ich grinsen. Das hat inzwischen was von Hochleistungssport zwischen mir und Elisabeth. ^^
Geh aber noch kurz ins Zimmer ihres Mannes, wo sie grad bei ihm ist, um Bescheid zu geben, dass ich ein paar Sachen nicht oder anders bekommen hab, weil heute Montag-vorm-1.-Mai ist, da waren die Auslagen erstaunlich leer. „Nicht, dass Du denkst, ich werde tüdelig!“ Elisabeth und ich flachsen rum und sie verspricht, mir so bald wie möglich wieder einen Knüppel zwischen die Beine zu werfen. Das Holz dürfe ich mir aussuchen. Ihr Mann grinst dazu.
Nochmal zu Mutti. Noch eine Runde klönen. So matt wie Mutti ist, rede also ich und erzähle, dass ich jetzt von Sr. V. erfahren hab, dass die liebe Frau H. im Krankenhaus im Heimatort liegt. Da wollte ich gleich noch hinfahren. Die hat ja niemanden. Findet Mutti gut und klappert müde mit den Augen. Für sich selbst will sie wie immer nichts. „Ich hab doch alles.“
Also weiter in den Heimatort, bin um 9:59 Uhr vor der Intensiv, wo steht, von 10 bis 11 ist da vormittags Besuchszeit. Wie gut, dass ich pass da bin! … denk ich noch … und es folgen die zwei längsten Stunden meines Lebens bis an den Punkt, wo ich überlege, einfach so wieder wegzufahren, weil wir (wir warten zu dritt auf Einlass) in einer Tour vertröstet werden „Noch zehn Minuten!“ – „Jetzt noch eine Viertelstunde, maximal zwanzig Minuten.“ – „Ein bißchen dauert es noch.“ – „Jetzt ist Frau H. grad auf dem Nachtstuhl.“ – „Ich frag mal nach.“ (und kommt nicht wieder) …
Also nach zwei Stunden, am Ende liege ich quer auf den Stühlen, wird mir endlich Einlass gewährt mit Zusatz: „Aber nicht umschauen, das Zimmer ist nicht aufgeräumt.“ (Tse, ich besuch doch kein Zimmer – ich besuch Frau H.?!).
Und werde dann von dem Strahlen in Frau H.‘s Augen für den ganzen Nerv belohnt. Die freut sich sooooo, mich zu sehen. Ist so verdattelt, dass sie mich erstmal „Gabi“ nennt. „Nein, Aggi, wie MAGGI, nur ohne das M.“ Sie lacht so herzlich! Lässt meine Hand gar nicht mehr los.
Sr. V. im Heim wusste ja nicht mal, wo Frau H. liegt: „Wir erfahren ja gar nichts.“ … Frau H. erzählt, ihr sei schon gesagt worden, sie solle nach Intensiv noch acht Tage auf normale Station. Nur wann genau hätte man noch nicht gesagt. Aber sie sei „nochmal von der Schüppe gesprungen.“
Und freut sich über die Grüße von allen und richtet an alle im Heim Grüße zurück aus. Und sorgt sich schon wieder über manchen Mitbewohner und wie schrecklich, dass jetzt die Mutti so einen Husten hat! Dann kann ich ihr auch einen Gefallen tun, denn … stell Dir nur vor … hat doch Sr. D. den Freitag doch nicht ihre Hausschuhe eingepackt und das geht ja man gar nicht, so ohne Hausschuhe hier! … Dabei hätte sie extra drum gebeten und Sr. D. hätte noch abgewinkt, kein Thema, denk ich dran und dann vergessen. Und die kleine schwarze Tasche, hängt links am Rollstuhl. Und Taschentücher. Die sind links im Schrank.
Ein schöner Besuch. Das lange Warten war ehrlich beschissen, aber der Besuch selbst hat alles wettgemacht. So eine liebe, kluge, schlagfertige Dame! Wir haben uns die ganze Zeit geduzt und rumgescherzt und gelacht – so schön! Und ich weiß doch, wie blöd es ist, wenn man im Krankenhaus liegt und nötige Sachen fehlen!
Und dann sagt sie mir noch ganz entspannt, und wenn sie nicht zurückkommt, soll ich den andern sagen, dann macht ihr das nichts aus, dann ist das auch in Ordnung. - Ich lächel sie an, aber innerlich bin ich doch am Schlucken. Sie ist 94 und sieht ihrem eigenen Tod ganz gelassen entgegen. Hat mir selbst erzählt, sie ist die letzte Überlebende ihrer Sippe, ihre Mutter wurde nur 69 (Krebs) und ihr Vater immerhin 85. Von Elisabeth weiß ich, der eine Sohn, der da noch ist, ist ein Rabenaas... Wir beschliessen, es spricht nichts dagegen, noch hundert zu werden! ^^
Zurück im Heim seh ich im Flur gleich, dass ich Glück hab, die Schwestern sitzen grad draußen, da kann ich gleich im Pulk Bericht erstatten und allen fällt ein Stein vom Herzen. Besonders, weil mir Frau H. erzählt hat, dass sie nebenbei erfahren hat, dass sie endlich und wider Erwarten nach fünf Jahren doch noch ihren ollen Krankenhauskeim losgeworden ist. Wie ein zweiter Geburtstag!
Sr. V. wird sich dann drum kümmern, dass Frau H. ihre Sachen morgen direkt bekommt und ich geh weiter zu Elisabeth, die ja engste Vertraute von Frau H. ist und sich total über die Neuigkeiten freut.
Am Ende noch zu Mutti, die am Schlafen war, aber wach wird, als ich ihre Hand in meine nehme. Sie lächelt ganz zufrieden und meint, sie hätte mittags wohl ein paar Löffel gegessen. Nicht viel. „Alles gut, Mutti, Du wirst doch nicht nach Menge bezahlt.“ Da grinst sie.
So, und jetzt schreib ich noch eine Mail an das Wasserwerk, das irgendwie nicht verstanden hat, dass Muttis Haus seit November letzten Jahres leer steht…
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim Di 01 Mai 2018, 10:32 © Aggi | |
| 20180501 Dienstagmorgen: Heut früh nochmal bei Sturmwind nervös zum Heim, wie’s Mutti inzwischen wohl mit den ungewohnten Medis und ihrem Husten geht… Im Flur treff ich meine gute Seele Elisabeth, die am Schimpfen ist, weil sie jetzt wirklich wieder eine Erkältung hat: „Wie kann das nur???“ – Wir flachsen ein bisschen rum, dass das Leben hart aber ungerecht ist und Elisabeth richtet liebe Grüße für Mutti aus. Ein Stück weiter wartet eine Schwester auf mich: „Sie sind doch die Tochter von Frau D.?! – Ich hab heute Morgen das dicke Vogelnest im Haar nicht rausgekriegt. Ihre Mutter hat schon gesagt, ich soll eine Schere nehmen.“ Ist ganz verzweifelt, aber ich kann ihre Sorgen weglächeln. Kümmer ich mich doch gerne drum, kein Problem. Erzähl von meinen „Waffen“ Zackenkamm und Haaröl. Da ist sie dann erleichtert. Klar, die letzten Tage hatten wir alle andere Sorgen als uns um Muttis Haare zu kümmern, da war an Kämmen gar nicht zu denken. Mutti wirkt heute merklich klarer! Spricht mehr und deutlicher – wenn es nicht so regnerisch und stürmisch wäre, würde ich am liebsten einen Tanz um den buntgeschmückten Maibaum draußen mit ihr machen! ^^ Als ich die Grüße von Elisabeth ausrichte, sagt Mutti sogar, ich solle Elisabeth lieb zurückgrüßen. DAS IST NEU! Bislang habe ich schon soviele Grüße und wenn hier liebe Foris Mitgefühl ausgedrückt haben ausgerichtet, aber Mutti grüßt doch nie zurück ... also nee nee nee, hat doch mit ihr keiner von allen je Schweine gehütet, das wär ja noch schöner. Aber jetzt erstmals Elisabeth, die ja nu schon öfter auch bei ihr im Zimmer war! Da sie grad so gemütlich auf der rechten Seite liegt, frag ich, ob ich schon mal mit dem „Haare entknoten“ anfangen kann. Ja, gerne. Also kann ich schon mal die eine Kopfhälfte entknoten und Mutti versichert mir hinterher, dass es kaum geziept hat. Danach hol ich erstmal das Frühstück. Eine Scheibe Brot und eine kleine Schale Fruchtquark. Und heute schafft Mutti die ganze Scheibe Brot. Am Ende sogar noch anderthalb Teelöffel von dem Quark. Und den kompletten Becher Kaffee. Es dauert, bis sie alles gegessen hat, aber wir haben ja keine Eile. Zwischendurch hustet sie auch noch gut, der Tablettwagen auf Bauchhöhe wackelt so stark, dass ich mit meinen Beinen vom Rollator aus schon immer gegen-/hochdrücke, damit sie frei abhusten kann. Und ihr Atem ist immer noch rasselig wie bei einem erkälteten Baby, dass nicht richtig abhusten kann. Aber einige Nuancen besser als vorher. Es geht bergauf und das Antibiotikum verträgt sie ohne böse Nebenwirkungen. Da ich beim Frühstücken schon gesehen hab, dass Mutti auf der rechten Kopfseite auch noch ein dickes Vogelnest im Haar hat, kann ich das nach dem Essen auch noch in Angriff nehmen. Diesmal komme ich an den Punkt, wo ich mich frage, ob ein Kurzhaarschnitt nicht vorteilhafter wäre. Nicht, dass mir das Entknoten was ausmacht – ich hab die ganze Zeit Angst, Mutti doch weh zu tun. Hab ja selber lange Haare und weiß, wie sehr schon ein einzelnes Haar ziepen kann. Und die Schwestern haben natürlich nicht die Zeit. Ich hab da heute insgesamt wohl zwanzig Minuten am Entknoten gesessen. Das kann ich von keiner der Schwestern verlangen. Am Ende liegt Mutti so zufrieden in ihren Kissen. Sieht so gut aus. Dieser Angstberg ist erstmal überwunden. Sie wünscht mir noch einen schönen 1.Mai und fragt, wann sie wohl von diesem Abstellzimmer wieder zurück kommt in das … wie heißt das noch? – Sag ich halt, Du, hier hast Du so einen schönen Ausblick ins Grüne. Ja, das findet Mutti dann auch und ist es zufrieden. Sie denkt ja öfter, dass sie in einem Abstellzimmer liegt. Mitten beim Frühstück, als sie doch noch eine stärkere Hustenattacke hatte, meint sie unvermittelt, wir sollten sie doch einfach in eine Kammer schieben, Tür zu und vergessen. Ich schlucke kurz und sag dann: „Mutti, da gibt’s aber ein Problem.“ Mutti guckt mich fragend an. „Wir haben Dich doch lieb!“ Da muss sie grinsen. Wir einigen uns auf: „Die beste Krankheit taugt nix!“ und „Dem Husten husten wir jetzt eins!“
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim Di 01 Mai 2018, 19:11 © kamia | |
| - Zitat :
- Es geht bergauf und das Antibiotikum verträgt sie ohne böse Nebenwirkungen.
sehr gute nachricht - weiter so - den tanz im mai, machste eben im juni
mit lieben Grüßen Wenn jemand sagt: Das geht nicht! Denke daran: Das sind seine Grenzen, nicht deine.“ (Unbekannt) |
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim Mi 02 Mai 2018, 12:20 © Aggi | |
| Liebe Gisela, - gisela schrieb:
- , dass es stetig besser wird
das ist lieb von Dir - nehmen wir mal gerne noch in Anspruch, der blöde Husten klingt echt noch wie zum Mäusemelken ... und liebe Karin, - kamia schrieb:
- sehr gute nachricht - weiter so - den tanz im mai, machste eben im juni
*gg* prima plan, am 16ten Juni ist Muttis 88ter Geburtstag - wenn's klappt, tanz ich da auch Cha-Cha-Cha! Dankeschön Euch beiden und hoffentlich einen sonnigen Tag/Woche! Aggi ++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++ 20180502 Mittwochmorgen: Versteh einer das Wetter: Gestern war ich kurz davor, wieder die Winterklamotten rauszuholen, heute strahlend blauer Himmel! Kurz vor acht im Heim ist niemand zu sehen, bei Mutti ist die Wäsche aber schon durch. Ihr Zimmer ist lichtdurchflutet und sie freut sich auch, dass heut wieder die Sonne scheint. Aber ihr Husten ist unverändert, gefällt mir nicht. Gefällt Mutti erst recht nicht. Zwischen den Hustenattacken schimpft sie jetzt über die olle Erkältung, ist reichlich entnervt. Als ich dann losgehe, ihr Frühstückstablett holen, fehlt der Becher mit dem Hustensaft und auf Umwegen erfahre ich von Sr. M., dass sich Sr. K. da nachher drum kümmert, sie steckt noch in der Pflege im gelben Bereich fest. Ich wunder mich, wo denn die Pflegefachkraft ist, geh aber erstmal mit dem Tablett zu Mutti. Später erfahr ich, dass heut die Station unterbesetzt ist. Sr. V. war gestern im Bad gestürzt, als ich das höre, bin ich doch sehr betroffen – so ein Scheiß für alle! Mutti hustet auch beim Frühstück noch stark und viel, isst aber von den anderthalb Scheiben mit meiner Hilfe doch knapp über eine Scheibe Brot und schafft fast den ganzen Becher Kaffee. Bei dem Husten hätte ich nicht mal so viel erwartet – das ist gut! Aber – abgesehen vom Husten – ein stiller Morgen. Ich bin ganz konzentriert, Mutti zu helfen und Mutti ist heute sehr lustlos. Verständlich, ich bin auf Erkältung auch kein wünschenswerter Gesprächspartner. Aber die kleinen Berührungen sind genauso viel wert. Nach dem Essen mummelt Mutti sich wieder auf die Seite und ich nutz die Gelegenheit, nochmal ihre Haare zu kämmen. Dann geh ich doch mal los, ob ich Sr. K. finde und passe sie auch zufällig grad ab, wie sie rüber kommt, kann ihr damit den Gang zu uns abnehmen. Was ich bemerkenswert finde, trotz Unterbesetzung sind alle Schwestern chronisch hilfsbereit, gutgelaunt und immer freundlich. Manchmal frage ich mich, ob ich zur Pflegeschwester taugen würde oder ob ich mich stattdessen nicht manchmal weinend und strampelnd auf den Boden werfen würde?! Als Mutti erstmal versorgt ist, fahre ich weiter, Einkäufe erledigen, auch für meine gute Seele Elisabeth. Für Mutti wie immer: „Ach, ich brauch doch nichts.“ Aber ich hole Mutti neue Flaschen Waschlotion, die geht zur Neige. Und den Schwestern schenke ich Nervennahrung – Schokolade. Schokolade fragt nicht. Schokolade versteht! Elisabeth kann ich dann noch helfen, eine Stahlkassette aufzumachen. Sie ist schon in Aufruhr, die hätten „böse Buben“ ihr im Haus daheim aufgebrochen und kaputt gemacht. Ist nicht kaputt, nur sehr alt und tricky. Ehrlich gesagt hab ich bloß Glück, dass ich sie aufkrieg. So kommt Elisabeth an ihre Papiere und ich bin jetzt Besitzer einer kaputten Stahlkassette. Mein Mann: "Was lässt Du Dir nur immer aufschwatzen?? Die muss doch auf den Müll." Wurscht, Elisabeth wollte sie loswerden und ich konnte umgehen, dass sie mir wieder Geld fürs Einkaufen gehen anbieten wollte. Ehrlich, Elisabeth ist wirklich die Sorte Mensch, die noch den Sargdeckel wieder aufmachen und Dir den ganzen Sarg, in dem sie liegt, schenken würde. Und dem nächsten das Kissen, auf dem sie liegt. Und so weiter und so fort. Ich muss ihr immer wieder sagen, ich will nichts für meine Hilfe haben, sonst kann ich nicht mehr in den Spiegel gucken und manchmal muss ich sogar vor ihr weglaufen! ^^ Weiter nochmal zu Mutti. Der geht’s seit dem Frühstück doch einen Zentimeter besser. Aber reichlich matt und müde. Ich plauder noch etwas mit ihr, seh aber auch, wie sehr sie mit den Augen klimpert und bleib darum nicht mehr allzu lange. Sie braucht noch viel Ruhe und soll sich nicht meinetwegen extra wach halten. Aber von ihr mit Worten zu hören, dass sie sich über meine Besuche freut – unbezahlbar! Vorher hat sie mir zum ungezählten Mal gesagt, ich müsse aber nicht jeden Tag kommen. Und ich zum ungezählten Mal, es sei doch die schönste Stunde am Tag mit ihr. Und sie, das würde sie mir sogar glauben, aber ich müsse nicht ... darf ich denn, Mutti? ... doch, ich freu mich doch über Deine Besuche.
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim Do 03 Mai 2018, 11:00 © Aggi | |
| 20180503 Donnerstagmorgen: Viertel vor acht am Heim bin ich erschrocken, wie leer der Parkplatz ist. Hoffentlich sind nicht noch mehr Schwestern krank geworden, aber das Wetter wird ja auch besser, vielleicht sind ja auch welche mit dem Fahrrad gekommen? Bei Mutti ist die Wäsche schon durch und Mutti fragt mich, welche Tageszeit wir haben, ob schon Mittag ist? „Du, ist grad viertel vor acht am Morgen. Schau, die Sonne scheint so schön, ich zieh mal die Gardinen auf.“ Mutti sieht ganz gut aus, meint aber, sie war die letzten Tage schon ganz verzweifelt wegen dem Husten. Und … (sucht nach Worten) … das das mit dem Gesicht … wie sich das auswirkt … (findet die Worte nicht). Sag ich, ist schon scheußlich mit der Erkältung. – Ja, das meinte sie. Aber ob sie überhaupt Medikamente dagegen bekommt, weiß sie selber gar nicht. Oder ob sie sie nehmen würde. Sie kann so etwas gar nicht mehr erinnern. Ich lenk sie mit Klönen ab, hatte gestern die Nachthemden von Elisabeth nach der Wäsche gebügelt. Mutti versteht nur, dass ich Nachthemden von ihr bügel: „Musst Du doch nicht bügeln?!“ Sag ich, das meint mein Mann auch immer, wenn ich seine Sachen bügel. Der sagt bei jedem Teil, mit dem er mich erwischt: "DAS ist doch bügelfrei???" Dergl bringt sie immer gleich zum Lachen, lenkt sie ab. Dann geh ich erstmal das Frühstück holen. Heut früh stehen zwei Medi-Becher auf ihrem Tablett, auch der mit dem Hustensaft und diesmal ist bei den Tabletten auch die Antibiotika dabei. Im Flur treff ich noch den guten Geist, der die Nachthemden patcht und kann ihr die neuen Nachthemden für Mutti übergeben. Auch so eine liebe Frau, die morgens oft zeitgleich mit mir eintrifft und mir immer schon von weitem zuwinkt. Mutti schafft dann nach und nach die ganze Scheibe Brot. Sie hustet zwar noch, aber nicht mehr so viel wie gestern. Als ich ihr sag, ich hab den Eindruck, dass es doch einen Millimeter besser wird, kann sie mir das gar nicht glauben. Normal, wenn man seit Tagen hustet, ist irgendwann jeder einzelne Huster zu viel und man ist es einfach nur noch leid. Aber dann knöpfe ich noch ihren obersten Nachthemdknopf zu. Mutti hat ja doch inzwischen einiges abgenommen und lässt mit dem offenen Knopf „tief“ blicken. Sag ich zärtlich dazu: „Nicht, dass Du bei spontanem Männerbesuch noch ungewollt Aufforderungen machst!“ – Kontert meine Mutti doch: „Du kannst aber auch abblocken!“ Da fall ich dann lachend vom Stuhl und Mutti grinst stolz wie Oskar!
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim Fr 04 Mai 2018, 11:53 © Aggi | |
| 20180504 Freitagmorgen: Ich fahre noch mal früher zum Heim, da ich immer noch besorgt bin wegen Muttis Husten. Ca. zwanzig vor acht seh ich schon meine gute Seele Elisabeth den Flur hochgehen und begleite sie, wir haben ja den gleichen Weg. Ihre Stimme ist ganz rau – die Erkältung lässt grüßen. Aber als im nächsten Flur Sr. S. mir versehentlich beim Zimmer verlassen beinahe eine Tür ins Gesicht schlägt (ist aber noch einen halben Meter von mir entfernt, nur so ein Moment, wo man spontan grinst), wird Elisabeth schon wieder schlagfertig, Sr. S. würde das mit Absicht tun. So süß, wie die beiden sich kurz necken, so harmonisch! So komme ich grinsend bei Mutti an, die heute mal wieder Kurzarmnachthemd trägt. Ihr Husten ist noch da, aber so vom Gesicht her sieht sie doch etwas besser aus. Klar ist sie noch genervt vom Husten – ich an ihrer Stelle wäre VIEL genervter!!! Aber sie freut sich, mich zu sehen und lässt sich erstmal erzählen, was ich am Vortag erlebt habe und das mein Mann, der ja immer nur so tut, als würde er gar nichts tun, ihren frisch gewaschenen Bademantel sorgsam draussen aufgehängt hat, damit er gut riecht. Sein Satz: „Ich sitz ja nur auf dem Sofa!“ ist unser Dauerbrenner, denn in Wirklichkeit stimmt das ja gar nicht und bringt Mutti immer wieder zum Schmunzeln. Dann hol ich erstmal das Frühstück. Heute neben der Scheibe Brot noch eine Banane und ein Vanille-Sahnepudding. Kein Hustensaft – der könnte schon alle sein, aber Mutti hat noch die Antibiotika und so langsam wird der Husten besser. Mutti schafft mit Mühe das Brot. Vergisst den Kaffee in der Hand, ist aber fest davon überzeugt, getrunken zu haben. Schafft aber bis auf einen Fingerbreit dann doch den Kaffee. Nur auf Pudding oder Banane hat sie keinen Appetit mehr. Nach dem Frühstück kämme ich nochmal ihre Haare – wieder so einige Vogelnester und bei einem unvermeidlichen Ziepen meint Mutti, beim nächsten Haarewaschen würde sie selbst die Schere nehmen. Darum frag ich, da mich ihre verkletteten Haare immer mehr sorgen, ob ich mal eine Schere mitbringen soll. Die Idee findet sie gut. Ja, das soll ich mal machen. So kann ich ihr vorschlagen, ob ich auch mal nach der Frisörin frage: „Bevor ich Deinen Kopf verhunze und Kl.Bruder kommt und dann niiiiie wieder mit mir spricht?!“ Mutti muss grinsen und stimmt zu. Vorher muss ich ihr noch versichern, weil sie das befürchtet, dass das keine Umstände macht sondern die einfachere Lösung wäre. „Würd auch schneller gehen, als wenn ich das mache.“ – O.k. Jo, also muss ich versuchen, eine schnelle Lösung zu finden, wo ich vor allem dabei bin, weil Mutti diese Zusage in 5 Minuten schon wieder vergessen haben kann und in meiner Abwesenheit der Frisörin oder den Schwestern sagen würde, sie will sich nicht die Haare schneiden lassen. Und heute ist Freitag, da ist die Frisörin oben im Haus, im 1.Stock hat sie ein Salonzimmer, wo mobile Bewohner auch direkt hinkommen können. Zu meinem Glück laufe ich im Flur Sr. S. in die Arme und kann sie fragen, wie dergl geht. Ich weiß, dass keine der anwesenden Schwestern durch die Flure eilt in der Hoffnung, mir zu begegnen und meine Extrawünsche zu erfüllen. Aber wie jedes Mal sagt auch Sr. S. sofort, kein Problem, lauf mir einfach hinterher, wir fragen einfach direkt, das sei der beste Weg. Geht mit mir nach oben und die Frisörin, die grad einer Bewohnerin die Haare frisiert, hat tatsächlich in ca. 10 Minuten Zeit, zu Mutti ins Zimmer zu kommen. Ich kann mein Glück nicht fassen und bin kurz vor einem Kniefall vor beiden, der Frisörin und Sr. S., da sagt doch die süße alte Dame im Frisörstuhl: „Und ich seh gleich auch affengeil aus!“ *gg* Sag ich natürlich sofort: „Ich bin auch schon ganz neidisch!“ Die Dame strahlt mich im Spiegel an … affengeil! ^^ Wieder runter zu Mutti, der ich erzähle, welch ein Glück wir haben. Erkläre noch einmal alles in Ruhe, da kommt auch schon schneller als erwartet die liebe Frisörin. Zieht einen Stuhl heran. Aber daraus wird nichts. Mutti kann nicht mehr aufstehen. Mutti kann gar nicht mehr alleine auf der Bettkante sitzen. Sr. S. hatte oben noch betont, es ginge mit Mutti nur auf der Bettkante. Auf einmal fühle ich mich hilflos und wünsche mir Gisela an meine Seite. Wie schaffe ich das nur, dass Mutti den Moment sitzen bleibt? Erstmal schaffe ich es (vermutlich unbeholfen) dann doch, dass Mutti sitzt, wenn man das Sitzen nennen möchte. Klemm mich sofort neben sie an ihre Seite, um sie zu stützen und die Frisörin beeilt sich, Mutti die Haare zu schneiden. Während mein linker Arm abstirbt, denke ich andauernd an Gisela, die vermutlich eine Krise kriegen würde, wie falsch und Rücken-Ungerecht ich meine Mutti da im Arm halte, aber alles überrollt mich, nicht mal Zeit, so schnell noch nach einer Schwester zu klingeln und ich bin ja noch jung, ich kann auch mit nur einem Arm leben. Dabei schaue ich die ganze Zeit auf Mutti, die wie ein immer schwererer Kartoffelsack in meinem Arm liegt und nach Luft schnappt und hab Angst, das Ganze könnte doch zu viel für sie und eine Scheiß-Idee sein. Zwei, drei Mal muss ich Mutti bitten, sich etwas Auszurichten, sonst rutschen wir gemeinsam nach hinten. Aber irgendwie geht es und jetzt hat Mutti einen flotten … äh, Pagenkopf? Schulterlang, nein, eher Kinnlang, ach egal, ich hab keine Ahnung, um einiges kürzer. Als Mutti wieder liegt, bedanke ich mich bei der Frisörin – würde sie am liebsten Umarmen, hab aber den linken Arm voller Haare. Die Frisörin grinst, ich soll erstmal meine Jacke draußen ausschütteln. Und Mutti liegt lächelnd im Bett. Sieht so auf der Seite liegen aus wie immer. Und ich hab den totalen Euphorie-Kick, könnte die ganze Welt umarmen! Ein grosser Schritt für die Mutti, wenn auch ein kleiner für die Menschheit. Zum Abschied geh ich dicht an Muttis Gesicht, damit sie sehen kann, wie ich lächel: „Du, wenn ich groß bin, will ich auch so gut aussehn wie Du!“ Mutti grinst und wehrt wie immer ab. Aber lächelt. Grad ruft mich zufällig noch Kl.Bruder an, der ja auch wissen will, wie es Mutti inzwischen geht mit dem Husten: „Die Mutti hat die Haare schön!“
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| | | gisela Ist hier Zuhause
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim Fr 04 Mai 2018, 13:38 © gisela | |
| *lol* - Zitat :
- Während mein linker Arm abstirbt, denke ich andauernd an Gisela, die vermutlich eine Krise kriegen würde,
gisela hätte dir wahrscheinlich einen uralten tipp gegeben. mit einer zweiten person die matratze des kopfteils nach innen klappen, so dass bis mittig wirbelsäule der Oberkörper quasi in der luft hängt. so lassen sich, wenn auch für den Bewohner nicht unbedingt superbequem haare recht gut auch im bett schneiden.
lieben gruß gisela mein Vorbild ?....der Löwenzahn...wenn er es schafft durch Asphalt zu wachsen...kann auch ich scheinbar unmögliches schaffen |
| | | kamia Ist hier Zuhause
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim Fr 04 Mai 2018, 14:30 © kamia | |
| - Zitat :
- superbequem haare recht gut auch im bett schneiden.
liebe giesela, danke, schon notiert dafür gibt's heute den strauß
mit lieben Grüßen Wenn jemand sagt: Das geht nicht! Denke daran: Das sind seine Grenzen, nicht deine.“ (Unbekannt) |
| | | Aggi Ist hier Zuhause
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim Fr 04 Mai 2018, 14:57 © Aggi | |
| - gisela schrieb:
- gisela hätte dir wahrscheinlich einen uralten tipp gegeben.
- gisela schrieb:
- mit einer zweiten person die matratze des kopfteils nach innen klappen, so dass bis mittig wirbelsäule
der Oberkörper quasi in der luft hängt. so lassen sich, wenn auch für den Bewohner nicht unbedingt superbequem haare recht gut auch im bett schneiden. Na DAS ist mal ein Tipp: Ich sass hier grad mit beiden Armen in der Luft und hab in Gedanken "gebastelt", um mir zu merken, was Du meinst ... komisch, da wär ich im Leben nicht von alleine drauf gekommen! Richte Deiner Mama beim nächsten Besuch mal einen ganz lieben Gruß aus, denn ohne sie könnte ich Dir jetzt grad nicht Dankeschön sagen! Von mir auch einen Strauß! Und einen für Deine Mama! LG, Aggi
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| | | Aggi Ist hier Zuhause
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim Sa 05 Mai 2018, 12:34 © Aggi | |
| 20180505 Samstagmorgen: Viertel vor acht im Heim kommt grad meine gute Seele Elisabeth aus ihrem Zimmer, als ich fast bei Mutti angelangt bin. Ob ich eine Sekunde Zeit hab? Natürlich. Sie braucht eine Dose für die Baby-Feuchttücher. Sie versorgt ja reihum alle im Haus und cremt u.a. Muttis Zimmernachbar ein. Bei dem scheinen sich jetzt dementielle Tendenzen zu häufen. Er kommt nicht mehr mit der Aufbewahrung seiner Kukident klar – verteilt die großflächig im Bad. Und mit dem Verschluss der Feuchttücherpackung von Elisabeth kommt er überhaupt nicht klar und jetzt trocknen die zu schnell aus. Und Rosen, heute hat nach wer im Haus Geburtstag. Und dann auch noch welche für Mutti. Elisabeth wird schnell hektisch dabei, umso mehr bemühe ich mich, Ruhe auszustrahlen. „Hat alles keine Eile, Aggi. Reicht die Tage. Nur wenn Du Zeit hast.“ ( Ich hatte ihr anfangs schon gesagt, ich wollte eh noch Einkaufen fahren, kein Problem.) Weiter zu Mutti, strahlt die mich schon an und sagt, sie hätte sich schon selbst die Haare frisiert. Ich freu mich total. Erinnert sie also „was“ mit den Haaren. Vor allem: Freut sich darüber! Der Husten ist leider immer noch da, aber millimeterweise wird es besser. Leider fängt jetzt bei mir die nächste Erkältung an. Ich würd es gerne verbergen, muss mir bei Mutti aber bestimmt 6mal die Nase putzen und hab ein paar Niesattacken. Da ist Mutti gleich voller Mitgefühl: „Du Arme!“ … tse, meine Mutti, die kann ja aus den Ohren bluten und hätte noch Mitleid mit mir, wenn ich mir mit einer Stecknadel in den Finger gepieckst hätte … Ich erklär mich lachend solidarisch: „Mutti, wenn die zwei schönsten Frauen hier im Heim, Du und Elisabeth, Erkältung haben, will ich doch dazu gehören!“ Mutti grinst von einem Ohr zum andern. Ich rede ja inzwischen sehr betont und langsam mit ihr, aber trotzdem normal frei Schnauze, ausser, wenn ich in Gedanken mal „nuschel“ hab ich noch nie das Gefühl gehabt, sie kann mir nicht folgen. Von Elisabeth hört Mutti inzwischen richtig gerne, ich bestell ja ungefähr jeden Morgen Grüße und Mutti bringt es immer zum Schmunzeln, dass ich Elisabeth "schon wieder" getroffen hab. Heute sind auch die Nachthemden von Elisabeth aus der Wäsche, frisch-gepatcht. Mutti staunt, wieso sie Nachthemden von Elisabeth bekommt. "Keine Sorge, Elisabeth hat einfach viel zu viele. Sie muss doch jetzt ihr Haus räumen." Wieso Elisabeth ihr Haus räumen muss? (Alles ja schon öfter erzählt, aber kein Problem.) "Mutti, Elisabeth wohnt doch jetzt wie Du hier im Haus und ihr Mann doch auch." (Etc. p.p.). Ein bißchen hab ich das Gefühl, Mutti hatte Angst, Elisabeth hat jetzt selber keine Nachtwäsche mehr, aber sie freut sich. ( Und Elisabeth sag ich umgekehrt, dass sie es nicht böse nehmen darf, sollte sich Mutti nicht bedanken, dann hat sie es einfach nur vergessen. Aber damit kennt sich Elisabeth aus, auch kein Problem.) Als ich dann das Frühstückstablett hole, fehlt die Antibiotika. Erstmal zu Mutti. Hab ich heuer doch mal die Kaffeekanne mitgenommen, also nee, nee, nee, Aggi, ich glaub, ich krieg ne Erkältung. Kanne wieder zurück und laufe Sr. S. über den Weg, die mir sagen kann, heute hatte Mutti die Antibiotika schon beim Waschen bekommen. Gut. Mutti hat heut anderthalb Scheiben Brot auf dem Teller und einen Wackelpudding. Außerdem liegt da immer noch die Banane von gestern. Sie schafft dann selber greifend etwas über eine Scheibe und ist dann aber auch rechtschaffen „papp“-satt. Auch die rote Götterspeise lehnt sie ab. Bei der Banane schlägt sie vor, ich könne sie ja aufmachen, würde bestimmt einer von den anderen beigehen. Und fragt mich, kurz nachdem ich erzählt hab, wie mein Vortag so war, was es denn Neues von mir, von meiner Familie gibt. Um Antworten bin ich nie verlegen. Es geht alles, wenn man nur will. Nach unserer Stunde noch weiter Einkaufen. Als ich zurückkomme, sitzt draußen auf der Bank „mein Freund“ – der Bewohner, den ich schon mal den „renitenten“ Bewohner genannt hab. Er kann sehr laut auch mit Menschen sprechen, die gar nicht da sind und hat eine Art zu lächeln, die mein Herz berührt. Ich bleib oft stehen und rede kurz mit ihm. Hab ich erwähnt, wie er neulich strahlend zu mir sagte, als ich seine Hände in meine nahm: „Du hast aber moppelige Hände!“ ( Seine Hände waren kalt und meine warm - und wenn er's "moppelig" nennt, find ich das süß! ) Diesen Bewohner grüsse ich auch schon von weitem. Dann ruft er gerne: „Ach, meine Freundin!“ – Heute sieht er mich mit dem Einkaufskorb und meint gleich: „Ah, ein Blumenkorb!“ Korrigiert sich und meint, ach doch nicht. Zieh ich extra für ihn einen von den drei Rosensträußen aus dem Korb und zeig ihm den. Da freut er sich, dass er Recht hatte. Als ich dann bei Elisabeth alles abgegeben hab und noch bei Mutti war, sitzen inzwischen, als ich gehe, neben „meinem Freund“ noch zwei weitere Bewohnerinnen draußen mit auf der Bank und ich gehe nochmal kurz hin und wünsche allen einen sonnigen Samstag. „Mein Freund“ ruft mir noch „Alles Gute!“ hinterher – ist so seine Art, egal, wie oft wir schon Auf-Wiedersehen gesagt haben und dann hör ich noch, wie er zu den beiden Frauen sagt: „Die hat vorhin Blumen gebracht!“ Ich war dazwischen wohl noch wieder eine halbe Stunde im Haus und freu mich, dass er es noch weiß! Und anderntags erzähle ich Mutti immer gerne, wie liebe Mitbewohner sie hat. Kommt sie nicht raus, hol ich halt die andern zu ihr rein. - In der Grundschule stand mal unter einem "Aufsatz", "zu blumige Sprache". Hat mich damals getroffen... aber schätze, heute kommt mir das zugute!
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| Thema: Ich entscheide, nicht das Heim Sa 05 Mai 2018, 13:54 © Doris | |
| Liebe Aggi, gerade habe ich gelesen, was bei Dir los ist! Es tut mir sehr leid und es ist schön, dass es in der Zwischenzeit ein wenig besser geht. Auch ich habe mir immer Sorgen gemacht. Meine Schwiegermutter war bis zu ihrem Tod zuhause. Allerdings ging das nur, weil ich damals zu arbeiten aufgehört habe. Dir wünsche ich von ganzem Herzen, dass Du noch viele Lächeln von Deiner Mutti sehen darfst Viel Kraft weiterhin! Liebe Grüße Doris |
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim So 06 Mai 2018, 05:03 © Aggi | |
| Liebe Doris, das mit dem "sich Sorgen machen" hört wohl nie auf ... aber es ist doch auch ein Zeichen, dass man mit dem Herz dabei ist?! - Doris schrieb:
- Meine Schwiegermutter war bis zu ihrem Tod zuhause. Allerdings ging das nur, weil ich damals zu arbeiten aufgehört habe.
Du wirst das für selbstverständlich halten, was Du da für Deine Schwiegermutter getan hast, aber von mir bekommst Du dafür eine liebe Umarmung! - Doris schrieb:
- Dir wünsche ich von ganzem Herzen, dass Du noch viele Lächeln von Deiner Mutti sehen darfst
Und Du mit Deinem Mann! Alles Liebe und Gute, Aggi
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim So 06 Mai 2018, 11:11 © Aggi | |
| 20180506 Sonntagmorgen: Toll, jetzt hab ich tatsächlich zum 2.Mal dies Jahr eine Erkältung. War gestern noch in der Apotheke und hab bei der Gelegenheit mal gefragt, ob die Frau, die mich bedient hat, eine Meinung zu Johanniskrautpräparaten mit Schellack-Überzug hat, ob man die mörsern darf. Sie hatte keine Meinung, ich solle dazu den Hersteller fragen. Aber ob ich Interesse an den teuereren statt den Präparaten hätte, die ich haben wollte? … hmm, die Beflissenheit, mit der mir manchmal in Apotheken was „aufgeschnackt“ werden soll, nervt mich schon. Nicht, dass ich mich nicht dagegen wehren kann, aber ich kenne genug, die das nicht können. Hab aber entschieden, heute mal Mundschutz bei Mutti zu tragen. Ich „schnodder“ aus allen Rohren und will sie nicht noch mit meiner Erkältung anstecken. Was dann in sofern in die Hose geht, dass ich unter dem Mundschutz so schwitze, dass ich eine Krise kriege und so oft niese, dass das damit so wieso nicht geht. Notiz an mich selbst: Brauche einen VHS-Kurs „How-to-Mundschutz…“. Mutti ist gleich ganz mitleidig: „Du Arme!“ Ich wehr aber gleich ab, es gibt doch so viel Schlimmeres. Mutti hustet auch noch, aber noch wieder etwas weniger als gestern und sie ist sehr entspannt. Meint, sie hätte gut geschlafen und wenn sie früh wach wird, dann ist das eben so. Ganz sorglos! Das war ja mal ganz anders und ich bin froh, wie entspannt sie jetzt ist! Zum Frühstück erzähl ich von einer Grundschul-Erinnerung. Beschreibe Mutti das hochherrschaftliche Esszimmer in meinem Geburtshaus. Mit diesem Haus verbindet Mutti so schöne Erinnerungen, die auch irgendwie „behütet“ war, weil oben im Haus noch die Vermieterin mit wohnte, was vielleicht auch dazu beigetragen hat, dass der eheliche Druck nie zu hoch wurde. Ich war im ersten Schuljahr und wir hatten die Hausaufgabe, auf eine Schulheftseite sauber zwischen die Linien lauter kleine „m“ (oder „w“ ?) zu zeichnen. Schönschreiben. Die erste Zeile war noch gut. Am Ende der zweiten Zeile fing schon das Schwächeln an, bis zum Ende der Heftseite hätte ich vermutlich in Trance gesessen und nur noch Kringel gemacht. Aber ich sass da und machte, als Mutti zu mir kam. Ich seh sie jetzt noch in ihrem Kittel, ein Geschirrtuch in der Hand, wie sie sich mit dem Ellenbogen auf dem Tisch abstützt, um zu sehen, was ich da mache. Ihren Originalwortlaut weiß ich nicht mehr. Aber sie sagte mir ganz ruhig, dass ich das nicht weitermachen muss … (mit meinen Worten: Weil das Quatsch ist!) … war für mich so ein Aha-Erlebnis, wo ich meine Mutti auf ein Podest stellte. Meine Mutti, die einfach alles kann! Meine Mutti kommt sogar an die Keksdose ganz oben auf dem Schrank!!! Mutti hat so schön gelacht, als ich ihr das erzählt hab. Hat ganz gespannt zugehört, ich hab ja auch sie und die Möbel und alles in allen Einzelheiten beschrieben. Am Ende meint sie noch, sie wusste gar nicht, dass ich auch in (Heimatort) eingeschult worden bin. – Ja, so was weiß sie nicht mehr. Ich hab einfach gesagt, ich bin am (Name der Schule) eingeschult worden. Sei ja lange her. Im ersten Schuljahr mussten wir noch zum Turnen einen schwarze Turnhose und ein weißes Hemd tragen. Da nickt Mutti. Und da gab’s noch echte Ohrfeigen für die Kinder! Da lacht Mutti! Übrigens, wie Mutti es damals löste, dass ich die Hausaufgabe nicht gemacht hab, weiß ich nicht mehr. Aber sie war in diesen Dingen immer sehr akkurat. Irgendwann war an ihrer Handschrift in ihrem Haushaltsbuch nicht mehr zu übersehen, dass sie nicht mehr so kann wie früher. Eine ehemals gestochen klare Handschrift war nur noch ein Hauch seiner selbst.
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