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| Ich entscheide, nicht das Heim | |
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soda1964 Ist hier Zuhause
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim Mi 07 März 2018, 19:41 © soda1964 | |
| Liebe Aggi schon vor ein paar Tagen wollte ich bereits hier schreiben ... die liebe Zeit. Oft lese ich am Handy und da ist es dann für mich recht mühsam zum Schreiben ... - Aggi schrieb:
- Und wie schön wäre es, würde es endlich wärmer werden. Einmal, nur einmal mit Mutti im Rollstuhl durch diesen schönen Innenhof rollern, ich würde das soooo gerne mal. Müssen wir nicht mal aussenrum, geht direkt durch ihre Terrassentür...
Es gibt Pflegerollstühle, Liegerollstühle, wo die Lehne etwas runter gelegt und die Beinteile noch oben geklappt werden können, so dass die Person darin fast liegen kann. Mit Kissen und Lagerungsmaterial kann dann noch entsprechend gepolstert werden. So können auch Menschen, die kaum mehr die Kraft haben, aufrecht im Rollstuhl zu sein, mal aus dem Zimmer und am Heimleben teilnehmen. Bei Nonna lebte viele, viele Monate Frau K. die täglich einen Moment so in den Aufentshaltsraum gebracht wurde, oder auch mal in den Garten Vielleicht gibt es im Heim wo deine Mama lebt so Pflegerollstühle? Und ein sehr gebrechlicher, alter Mann wurde jeweils mit seinem Bett in den Korridor gestellt, damit er ein bisschen etwas anderes hören und riechen konnte ... sehen konnte er schon lange nicht mehr. Könnte deine Mama mit dem Bett aus dem Zimmer gefahren werden? Ah, und dann wollte ich dir noch etwas sagen: mir ist per Zufall aufgefallen, dass diese deine Einträge hier, unter Demenz Allgemein, im öffentlichen Bereich stehen. D.h. ALLE können diese Beiträge lesen ohne sich einzuloggen. Bist du dir dessen bewusst? Herzliche Grüsse
ThereseMan muss mit Allem rechnen - auch mit dem Guten.
Die wahre Lebenskunst besteht darin, im alltäglichen das Wunderbare zu sehen. Pearl s. Buck
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| | | Aggi Ist hier Zuhause
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim Do 08 März 2018, 05:00 © Aggi | |
| 20180307 Mittwochmorgen: Gestern hatte ich es noch geschafft, meinen kleinen Bruder anzurufen und von dem Termin mit der Hausbesichtigung zu berichten. Da hatten wir dann ausgemacht, dass ich ihn heut früh abhole und zu Mutti mitnehme. Also eine viertel Stunde früher los. Mein kleiner Bruder begrüßt mich mit dem Welpen auf dem Arm, den sie aus dem Wurf behalten haben. Mein Herz schmilzt, zack nehm ich mir den Welpen. Für mich ja eigentlich eine Fußhupe, äußerlich sehr Jack-Russel-verdächtig. Meine Hunde waren alle groß, aber Hund ist Hund und ich bin auf Entzug… Gott, wie gern hätt ich wieder einen Hund, aber noch hab ich zuviele andere Baustellen… Im Heim kommt uns dann meine gute Seele Elisabeth entgegen. Ich stell sie direkt vor: „Das ist meine Freundin Elisabeth und das ist mein Bruder …“. Wir flachsen: „Nicht das Du noch denkst, ich komme jetzt täglich mit fremden Männern.“ Elisabeth: „Naaaaa, kannst mir ja viel erzählen, dass der Dein Bruder ist.“ Mein Bruder stupst mich an: „He, wir wollten das doch geheim halten.“ Sofort verstehen sich alle prächtig. So schön! In dem Moment kommt aus Mutti’s Nachbarzimmer die Pflegedienstleiterin. Aha, dann ist Wäsche heuer später, die hat einen anderen Rhythmus, aber kein Problem. Bei Mutti ist im Postfach auch noch ihr Becher mit der Magentablette, den nehm ich direkt mit rein, Sr. D. hat uns ja schon gesehen und weiß Bescheid. Bei Mutti entsprechend noch alles dunkel. Mutti hat bis wir eintrudeln noch geschlafen. Besser geht es nicht. Zuhause hat sie oft schon soooo lange wach gelegen und sich gegrämt! Mutti lächelt mich an und ich verkünde, ich hätte ein Geschenk mitgebracht. Als sie meinen kleinen Bruder erkennt, bekommt sie große Augen!! Er kann erst noch schön mit ihr klönen. Als dann Sr. D. zur Morgenwäsche kommt, zieht er sich taktvoll zurück. Ich bleib und helfe. Putz Mutti’s Zähne, mit Haare kämmen hatte ich schon angefangen. Sr. D. lässt sich nicht aus der Ruhe bringen und wir drei plaudern entspannt. Ich bleib auf der Wandseite von Muttis Bett für die kleinen Handreichungen, die es auch einer gelernten Pflegeschwester noch leichter machen. Ist ja nicht viel, aber ich kann ja nicht daneben stehen und Maulaffenfeilhalten, so bin ich nicht. Und es macht uns dreien Spaß. Auch Mutti. Als Wäsche dann fertsch, geh ich meinen Bruder holen. Der grinst von einem Ohr zum andern. War kurz draußen, eine Rauchen. Da Elisabeth getroffen. „Die redet ja ohne Punkt und Komma. Ich glaub, die hat mir jetzt ihr ganzes Leben erzählt.“ Er strahlt dabei. Ja, Elisabeth hat was. Auch Sr. D. war vorhin voll des Lobes. Hat selbst schon ein schönes Gesteck von Elisabeth bekommen, die nicht nur im unteren Bereich, sondern auch oben mit aushilft (whow, und das mit ihrem Gehwagen!). Heute das Frühstück ist fast schon schwierig für Mutti. Aber was zählt Essen, wenn das Herz Futter bekommt? – Mein kleiner Bruder erzählt mit seiner Märchenonkelstimme soooo schöne Geschichten von den Tagen in England, Mutti vergißt einfach zwischendurch ihr Frühstück und ich kann es ihr nicht vergessen. Das hat heut nix mit Demenz zu tun. Sie ist einfach glücklich und hört begeistert zu! Nach fast anderthalb Stunden kann ich dann aber nicht mehr übersehen, dass Mutti kurz vorm Einschlafen ist. Sie hält krampfhaft die Augen offen und hält sich starr im Bett – Haltung zeigen vor dem lieben Sohn. Ich nehm ihre Hand in meine und sag sanft, ob es o.k. ist, wenn wir jetzt gehen. Ist o.k. (Mein Bruder verlässt sich da auch auf mich, dass ich das Zeichen zum Aufbruch gebe.) Und wir gehen in dem Wissen, Mutti glücklich gemacht zu haben. Draußen vor der Tür treffen wir nochmal Elisabeth. Wieder kurzes Geplänkel mit viel Lachen, am Ende umarme ich Elisabeth, wir geben uns Wangenküsschen. Mein Bruder grinst einmal um den ganzen Kopf herum. Im Auto kann ich dann noch die leidigen Finanzen mit ihm besprechen. Er ist mit meiner Verwaltung absolut einverstanden. Ich halte ihn halt auf dem Laufenden. Nur ihn, die andern zeigen ja kein Interesse an Mutti. ++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++ Liebe Therese, wie Du siehst, hinke ich grad selbst meiner Zeit hinterher. Ist doch wurscht, ich freu mich jedesmal über Deine Zeilen! - soda1964 schrieb:
- Es gibt Pflegerollstühle, Liegerollstühle, wo die Lehne etwas runter gelegt und die Beinteile noch oben geklappt werden können, so dass die Person darin fast liegen kann. Mit Kissen und Lagerungsmaterial kann dann noch entsprechend gepolstert werden. (...)
Vielleicht gibt es im Heim wo deine Mama lebt so Pflegerollstühle?
Und ein sehr gebrechlicher, alter Mann wurde jeweils mit seinem Bett in den Korridor gestellt, damit er ein bisschen etwas anderes hören und riechen konnte ... sehen konnte er schon lange nicht mehr. Könnte deine Mama mit dem Bett aus dem Zimmer gefahren werden? Im Heim gibt's, nach allem, was ich gesehen hab, der Möglichkeiten viele. Hab da schon Apparaturen gesehen, wo ich nicht mal wußte, ob die nicht eher in ein Fitnessstudio gehören oder Hilfsmittel für die Bundeswehr sind... Will sagen, es scheitert bei Mutti nicht an den Hilfsmitteln, sie selbst ist die, die sich sperrt. "Bloss nicht!" - "Muss ich?" - "Ach, laß mich mal hier liegen." Und dergl Sätze viele mehr. Das war schon so, als sie noch zuhause war, da hätten wir sie ja auch aus ihrem Schlafzimmer mit dem Rollstuhl auf den Balkon fahren können. "Nein, möchte ich nicht." Und wenn wir liebevoll insistierten, würde sie fünsch... oder traurig, was noch schlimmer war. "Wozu, mir geht es doch gut hier?" - Wenn es darum geht, dass sie etwas soll, was sie nicht will, wird sie auch gleich viel klarer, als wenn sie matt entspannt nur mit mir "klönt". Als würde sie sich bei mir "erlauben", auch zu driften, Kauderwelsch zu reden. Ist mir gestern noch wieder aufgefallen, wo mein kleiner Bruder da war. Keine Wortverdreher ihrerseits. Bei positiver und negativer Anspannung ist bei ihr mehr Klarheit ... Eva gab mir den Tipp, ich solle es, wenn es wärmer wird, mal damit versuchen, Mutti zu bitten, MICH zu begleiten. Mutti um Hilfe bitten. Vielleicht funktioniert es dann so herum. Wenn Mutti spürt, damit tut sie mir etwas Gutes, hilft mir. Schaun wir mal! Auch wenn es schwer vorstellbar ist: So vermisst sie nichts. Ist entspannter und zufriedener denn je! - Und notfalls: Never change a running system... - soda1964 schrieb:
- Ah, und dann wollte ich dir noch etwas sagen: mir ist per Zufall aufgefallen, dass diese deine Einträge hier, unter Demenz Allgemein, im öffentlichen Bereich stehen. D.h. ALLE können diese Beiträge lesen ohne sich einzuloggen. Bist du dir dessen bewusst?
Hab auf die Uhr geschaut: 8.März, 4 Uhr 20 morgens bringt mich die beste Therese von allen mit obigen Zeilen aber mal so richtig glücklich zum Lachen. Oft sitze ich hier, lese im Forum und schmunzel. Oder grinse. Oder lächel. Manchmal bin ich auch kurz vorm Weinen. Oder weine sogar eine Träne. Einige von Euch schaffen es auch, dass mir heiß und kalt wird - vor Glück! Und Therese schaffte es heute, dass ich richtig laut am Lachen war. Glücklich! Natürlich bin ich mir dessen bewußt, du Gute! Das war Absicht und ist und bleibt Absicht. Als ich in der hoffnungslosen Phase Anfang des Jahres so dringend Hilfe suchte, entdeckte ich alles Mögliche im Internet, aber hier in diesem Forum war Leben. War Bewegung. Da wußte ich, hier bin ich richtig. Und das möchte ich zurückgeben. Auch nach außen für andere, die auf der Suche sind, zeigen, hier wird gelebt und geholfen. Im Zeitalter von Facebook, Whatsapp und Twitter braucht es Haltestellen wie dieses Forum, wo wir auftanken können. Neue Kraft und Hoffnung. Aber das muß auch nach außen sichtbar bleiben. Für mich diese Sache mit Geben und Nehmen - ganz normal. LG, Aggi
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim Do 08 März 2018, 06:42 © felixx | |
| Guter Gott, Aggi, ich bin heute schon früh dran Aber zu deinen Zeiten könnte ich keine Sätze formulieren! Ich drück dir die Daumen, dass deine Taktik funktioniert und du, wenn es wärmer ist, deine Mama mal in die Sonne bringen kannst - ich werd das Sonntag machen, da soll es richtig mild werden;
Liebe Grüße Felixx
Nur weil es gerade schwer ist, darfst du nicht gleich aufgeben. Es wird nicht einfacher, wenn du davor wegläufst. |
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim Do 08 März 2018, 13:47 © Aggi | |
| 20180308 Donnerstagmorgen: Kurz vor acht im Heim, na ratet, treff ich meine gute Seele Elisabeth im Flur, die sich bereits den ersten Einmalhandschuh überzieht. Also geht’s zu Mutti’s Zimmernachbarn, Rücken eincremen. Elisabeth ist am Knöttern, hat H. gestern doch tatsächlich gemosert, sie sei so spät dran. „Ob ich wohl zuerst zu meinem Mann gehe und dem was zu Trinken bringe???“ Mei, es gibt keinen Dank auf dieser Welt, stell ich lächelnd fest. „Wir haben doch alle mal einen schlechten Tag, oder?“ Elisabeth zeigt sich wie immer versöhnlich. Mutti’s Zimmernachbar hat offensichtlich die Phase, wo er jeden Morgen erstmal jammert und sucht, ob er nicht zum Arzt muß. Die Ohren, die Augen, der Rücken, den Körper einmal rauf und runter. Elisabeth meint, sie streichelt ihm erstmal den Kopf und spricht ihm gut zu, denn geht es auch wieder. Mutti hatte diese Phase so lange zuhause, aber wenn sie sich ausgejammert hatte, ging es dann auch. Wichtig war, ihr zu zuhören, sie ernst nehmen und Verständnis zeigen. Wenn sie am Ende meinte, „Ach, ich will auch nicht immer jammern.“ hab ich so oft zu ihr gesagt: „Jammern ist wichtig, Mutti. ICH würde keinen Tag überleben, wenn ich nicht jammern dürfte!“ Meistens brachte sie dergl dann auch zum Lachen, vor allem aber fühlte sie sich verstanden. Bei Mutti war die Wäsche schon durch. Mutti ist nur erstaunt, dass es noch kein Frühstück gab. „Keine Sorge, Mutti, das hol ich gleich, wollt nur erst die Jacke ablegen.“ Zieh wie immer erstmal die Gardine vor der Terrassentür auf und entdecke draußen ein buntbemaltes Fahrrad – ein normales Damenfahrrad bunt in Frühlingsfarben mit Blumenkorb vorne und Holzkörchen auf dem Gepäckträger, ein richtiger Blickfang! – Ausserhalb von Mutti’s Blickfeld, auch zu weit weg, aber ich beschreibe ihr das Rad, das gefällt ihr. Beschreib ihr dann auch gleich die Küchenhexe, die seit heut morgen im Eingangsbereich steht. Mutti’s Augen leuchten. „Original von früher, noch in dieser tiefen Höhe. Früher waren die Menschen ja noch kleiner. Aber Deine Oma Z. könnte perfekt daran kochen!“ Das ist immer am schönsten, wenn ich in Mutti’s Gesicht ablesen kann, wie sie in Erinnerungen an die gute alte Zeit schwelgt! Später frag ich deshalb bewußt nochmal, ob sie auch mal Lust hat, um die Küchenhexe zu sehen, einen Ausflug mit mir zu machen … nix gut! Versteinerte Miene. Abwehr. Bloss nicht!!! Muß dann extra noch erklärbären: „Keine Sorge, Mutti. Das schlag ich doch nur vor, weil – ich kann doch nicht von sowas erzählen und Dir nicht wenigstens anbieten, das zu sehen. Sonst geh ich nachher und Du denkst, Aggi hätt ja mal was sagen können.“ Mit dergl versöhn ich sie dann wieder. Zum Frühstück schafft sie heute anderthalb Scheiben Brot. Bin begeistert, sie holt sich jedes Stück selbständig vom Teller und trinkt auch den Becher Kaffee leer. Dann ist gut. War ja auch reichlich. Hatte ihr zum Frühstück auch das kleine Glas mit der Tulpe von Elisabeth auf den Tablettwagen gestellt. Da hat sie immer wieder hingeschaut. Die Tulpe ist jetzt schön aufgeblüht. Paßt ja leider nicht auf ihren Nachttisch und auf dem Wohnzimmertisch ist zu weit weg für ihre Augen. Aber so war schön. Und so ist sie es zufrieden. Seh ich auch jedesmal, wenn ich mich verabschiede. ++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++ Liebe felixx, - felixx schrieb:
- Guter Gott, Aggi, ich bin heute schon früh dran
Aber zu deinen Zeiten könnte ich keine Sätze formulieren! *gg* kein Problem, ich schreib ja keine Sätze, bloss, was ich so im Kopf hab, damit der nicht überläuft! - felixx schrieb:
- Ich drück dir die Daumen, dass deine Taktik funktioniert und du, wenn es wärmer ist, deine Mama mal in die Sonne bringen kannst - ich werd das Sonntag machen, da soll es richtig mild werden;
Ich drück für Dich auch - s.o., meine Chancen bleiben unverändert gering, aber wer nicht wagt ... Dir alles Liebe, Aggi
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim Fr 09 März 2018, 10:53 © Aggi | |
| 20180309 Freitagmorgen: Kurz vor acht am Heim klärt sich für mich jetzt auch der mysteriöse Verbleib der bunten Ostereier am Baum im Rondell vor dem Eingang: Meine gute Seele Elisabeth erklärt mir vor der Tür, die waren bei den Sturmwinden immer weggeweht und sie hat sie morgens immer mühsam mit ihrer Greifzange wieder eingesammelt, bis sie in den Streik getreten ist. „So geht das nicht weiter!“ – Also wurde der schöne Schmuck bis zum Eintreffen einer besseren Wetterlage vorerst von den Schwestern in Sicherheit gebracht. Mutti liegt zufrieden lächelnd im Bett – heuer ein Traum in grün, sie sieht so gut aus! Und es geht ihr gut, sagt sie mir. „Wenn ich hier man so liegen kann.“ Aber sie erzählt von sich aus immer weniger. Jeden Tag wird es weniger. Ich seh eine Sandspur auf dem Boden: „Ja hattest Du den Besuch?“ – Mutti guckt mich fragend an, entweder weiß sie nicht, was ich meine oder weiß nicht, was sie sagen soll, sie weiß jedenfalls keine Antwort. Alles gut, Mutti, „Ich wollt nur klarstellen, der Dreck ist nicht von mir.“ Da muß Mutti grinsen. So erzähl ich wie jeden Tag, was ich vortags erlebt hab, ob Hausarbeit oder Fernsehen, Mutti mag meine Geschichten und will jeden Tag auch wissen, ob es meinem Mann auch gut geht. Mir fällt es nicht schwer, ihr Geschichten zu erzählen, ich kann auch vortags gar nichts erlebt haben und daraus eine spannende Geschichte für sie machen. Aber in mir drinnen ertappe ich mich heute dabei, dass ich das Gefühl nicht loswerde, sie schwindet vor meinen Augen dahin... Zum Frühstück gibt es wieder anderthalb Scheiben, Käse- und Marmeladenbrot. Das mag sie am liebsten. Schafft bis auf ein Stück den ganzen Teller und fast den ganzen Becher Kaffee. Zwischendurch kommt die liebe Reinigungsfrau. Wir sind uns einig, die ist wirklich richtig lieb! Mutti muß bei dem wenigen, was sie heute antwortet, viel nach Worten suchen, ich helfe, dafür ist sie dankbar. Heute fällt es mir leicht, da ich immer das richtige Wort weiß. Auch als ich gehe und sie noch einen Gruß für meinen Mann ausrichten will, weiß sie seinen Vornamen nicht mehr. Aber sie lächelt mich an wie jeden Tag, wenn ich gehe. Nur das zählt. Ich winke noch und sie winkt mir hinterher.
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim Sa 10 März 2018, 11:38 © Aggi | |
| 20180310 Samstagmorgen: Gestern kam Amtsgerichtbrief 2.0 – diesmal die kleine Schwester, naja, aus derselben Suppe wie am 12.Februar der Brief von meiner grossen Schwester – halt mit Verzögerung. Hatte dann gestern eine emotionsgeladene Stellungnahme retour ans Amtsgericht und an beide Schwestern geschickt, in der Hoffnung, das Küngeln hat damit ein Ende. Beide kümmern sich nicht, wollen aber mitreden dürfen. Aber was soll der Fuchs im Hühnerstall? Da ich schon im Februar mit Mutti drüber gesprochen hab, hab ich ihr heuer also auch davon erzählt. Mutti ist sehr krank und dement. Aber ich kann ihr nichts vormachen. Sie hätte eh gefragt, was heute mit mir los ist. Also kurz umrissen, dass es diesmal die kleine Schwester ist, von dem Hausverkauf weiß Mutti ja inzwischen, hat sich auch gemerkt, dass da nur noch Schulden sind. Das irre, Mutti’s erste Reaktion zu mir: „Ich bin froh, daß Du Dich bei mir auskotzt.“ Ich hab mich runtergekniet (sitz sonst ja immer auf dem Rollator vor ihr), hab ihre Hand genommen, sie geküßt und mich bedankt! Mutti hat so lieb gelächelt. In Folge meinte sie dann noch zweimal: „Werden die denn nie erwachsen?“ Und zu mir: „Du kannst sie nicht ändern.“ – Hab ich geantwortet: „Ja, Mutti, aber ich kann mich ändern. Sonst verlier ich die Nerven.“ Hat Mutti genickt und gelächelt. Meine Mutti ist und bleibt einfach der Hammer! Mutti sieht und weiß selbst, dass die beiden nicht mehr zu Besuch kommen. Hat sie mir heute unaufgefordert bestätigt. Sie ist dement, nicht dumm. Aber ich weiß auch, dass sie sich das anders wünscht, tief im Herzen. Und hab ihr gesagt, alles, was auch ich mir wünsche, wäre, dass beide sich wieder einkriegen und wieder zu ihr zu Besuch zu ihr kommen. Und Mutti hat dazu genickt. Wir sind doch alle ihre Kinder und Mutti hat uns nichts getan. Ich konnte dann die traurige Stimmung auch gut umlenken, indem ich direkt auch erzählte, wie liebevoll und fürsorglich mein Mann reagiert hat. Und wie lieb kleiner Bruder am Telefon war und dass er schön grüßen läßt. Da waren wir auch längst wieder bei den angenehmen Themen. Zum Frühstück ging dann auf einmal die Tür auf und Elisabeth kommt rein … mit einem selbstgebastelten bezaubernden Osterhasen für Mutti. (Leider nur unscharf…) Aber Mutti hat sooooo gestrahlt. Elisabeth marschierte direkt wieder los und holte noch einen Streifen Tesafilm, damit wir den Hasen direkt aufhängen können. Ich mußte sie erstmal umarmen. Sie ist ein Engel, sagt aber selbst, sie macht andern einfach gerne eine Freude! – Fragte bei der Gelegenheit, ob ich heute noch ins Dorf komme. Kein Ding. Zigaretten holen. Elisabeth raucht „Lord Extra“. Hab ich Mutti gleich erzählt, hat die gelacht. Mutti hat geraucht bis sie ca. 70 war. Ihre Marke: Lord Extra. Dann hat Mutti noch zuende gefrühstückt. Wir hatten inzwischen auch dank Elisabeth so viel gelacht, dass Mutti gar nicht mehr die ganzen anderthalb Scheiben geschafft hat. Wurscht, Nahrung für die Seele ist so viel wichtiger! Dann bin ich noch ins Dorf, die Zigaretten konnte ich sogar im Preiswert-Laden organisieren. Waren nicht im Automaten an der Kasse („Die mussten wir rausnehmen, kauft keiner mehr.“). Aber sie hatten noch welche auf dem Lager. Das Positive: Elisabeth hatte mir 30 Euro gegeben. Ich wußte nicht, was Zigarettenschachteln kosten. Elisabeth meinte, etwas über 6 Euro und den Rest sollte ich mal wieder für mich behalten. Also neeeee, dann werd ich ja langsam zum Erbschleicher … neulich die fünf Euro und nochmal und nochmal … Im Laden hatten sie Großpackungen für 7 Euro, hab fünf Stück genommen und die in Elisabeths Zimmer gelegt. Und wenn ich sie das nächste Mal sehe, laufe ich einfach weg, wenn sie droht, mir wieder Geld zu zustecken. Wahrscheinlich legt sich Elisabeth dann Pfeil und Bogen zu und „schießt“ mir die Scheine hinterher, hab ich bei Mutti dann noch vermutet – Mutti zum Lachen bringen! Und jetzt ist Mutti nicht mehr allein im Zimmer, jetzt hat sie einen Hasen - eine richtige Dekowand für die Frau, die keine Deko wollte. Hab ihr noch gesagt, sie soll sich ruhig mit dem Hasen unterhalten. Der gibt keine Widerworte. Das fand Mutti gut! Als ich zum zweiten Mal ging, war es kurz nach halb Zehn. Sr.N. saß am Pflegestützpunkt. Da konnte ich endlich mal fragen, weil inzwischen auch an Elisabeth’s Tür auch von Elisabeth ein Foto in ihrem Türkranz hängt, ob Sr.N. sich zutraut, mal ein Foto von Mutti zu machen. Erklärt, dass ich da leider keine Chance hätte – Mutti hasst ja fotografiert werden. Sr.N. lehnte sich zurück und fing im Geiste gleich an zu überlegen, strahlte dabei, fand die Idee gut. „Gut zu wissen, dass das in Ordnung geht, wir können ja nicht unaufgefordert.“ Sie denkt sich was aus, z.B. sie hätte gern ein Foto von sich und Mutti. Hab ihr gesagt, ich trau Euch Schwestern alles zu, ihr könnt zaubern! Es wäre so schön! – Dann hätte Mutti eines Tages auch ein Foto im Erinnerungsbuch, wenn es eines Tages so weit ist … nicht nur ihren Namen …
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim So 11 März 2018, 11:09 © Aggi | |
| 20180311 Sonntagmorgen:
The Fog – Nebel des Grauens heut morgen. Muß vom Gas gehen, als ich zu Mutti fahre. Aber 7 Grad über Null.
Im Flur steht die Zimmertür von Elisabeth schon offen, meine gute Seele hat bereits auf mich gewartet. Mit einem 5-Euroschein in der Hand. *gg* Ich trete grinsend den Rückwärtsgang an. Elisabeth versucht es energisch. Sie hat ja gesehen, was die Zigaretten gestern gekostet haben, auch, daß ich sag, ich werd noch zum Erbschleicher, lässt sie nicht gelten. Also geh ich auf die Knie. Auf beide! Falte die Hände und bettel: „Elisabeth, laß es uns so machen. Eines Tages werde ich Dich vielleicht um einen Gefallen bitten müssen. Meine Schwestern steigen mir grade aufs Dach. Vielleicht brauch ich Dich noch mal als Leumundszeugin!“ – Heureka, es wirkt! Elisabeth verkauft grad selbst das gemeinsame Haus, dergl Sorgen versteht sie. Versteht mich.
Dann rollt noch die liebe Frau H. dazu, fragt mich, wer ich eigentlich sei, wir sehen uns ja oft. Soundso. Ach, in dem Zimmer, wo Mutti jetzt ist, war sie zuerst. Wie alt die Mutti denn sei? 87. (Ich schätze Frau H. auf ein ähnliches Alter, hab mich da aber inzwischen schon so oft vertan, wetten tu ich da auf nix mehr!).
Wir drei unterhalten uns noch lustig, dann geh ich weiter zu Mutti. Die heute ganz entspannt und ziemlich klar so wunderschön im Bett liegt. Ich muß ihr erstmal ein Kompliment machen, wie gut sie aussieht.
Irgendwie kommt Mutti dann drauf zu erzählen, wie sie früher Schlittschuh gefahren ist. Auf den Wiesen. Das ging natürlich nur, wenn da auch Wasser drauf war. Manchmal nur für zehn Minuten. Aber immer so schön und unbeschwert. (Ich würd so gern fragen, ob Schlitt- oder Gleitschuh, ob alle Geschwister welche hatten usw., aber das könnte Mutti nicht mehr beantworten. Was zählt ist, wie schön es für sie ist, sich an diese glücklichen Momente zu erinnern!)
Beim Frühstück im Liegen seh ich wieder, dass Mutti viel „tastet“, wo die Brotstücken liegen. Zum Ende der anderthalb Scheiben auch erstaunt ist, als ich sag, da sind jetzt noch zwei Käsestücken und soundso mit Marmelade. „Ach wirklich?.“ Ich schieb ihr die beiden mit Käse näher an den Tellerrand, die findet sie dann auch und isst sie noch auf.
Hat über eine Scheibe geschafft und erklärt mir, sie schafft nicht mehr soviel. „Jo, Mutti, hauptsache, Du bleibt nicht hungrig!“ Mutti muss nachfragen. Ach so, nein, hungrig ist sie nicht.
Wie so oft gegen Ende frag ich, ob ich noch etwas für sie tun kann. „Nein, ich brauche nichts.“ Oder „Ich hab doch alles.“
Beim Gehen setzt sich vorn grad der renitent redende Bewohner vom Rollstuhl in einen Stuhl, sieht mich und nuschelt irgendwas mit "verwöhnt". Ich lächel ihm zu und sag: "Ist doch schon, wenn man verwöhnt wird! - Schönen Sonntag noch!" Er strahlt mich an! - Im Mehrzweckraum sitzt die Dame, die anfangs nur katatonisch starrte, jetzt weiß ich, sie muß wöchentlich mehrmals zu Dialyse. Inzwischen lächelt sie immer, wenn sie mich sieht. Auch ihr wünsche ich noch fröhlich einen schönen Sonntag. Sie lächelt und nickt!
Als ich rauskomme, weiß ich, wieso ich Kopfschmerzen krieg: Föhnwetter. Inzwischen schon 9 Grad plus. Und diese Tropenhausluft. Als mein Mann zuhause sieht, dass ich mir als erstes die Tasche mit den Novalgintropfen hole, sagt er wie so oft: „Oje, nicht gut.“ Ich sag dann: „Ach, geht schon.“ Andere sind schlimmer dran. Ich hab ja was, was mir hilft...
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim Mo 12 März 2018, 13:21 © Aggi | |
| 20180312 Montagmorgen: Heute war ich dreimal im Heim. Geplant war zweimal. Aber wann kommt es schon, wie man denkt? Als ich ca. zehn vor acht zu Mutti komme, ist die Wäsche noch im Gange. Und es riecht stark nach Kot und Urin. Sr.L. ist da, das ist gut. Sie ist patent und lieb in eins. Mutti ist aufgewühlt. Ich nehm gleich ihre Hand und plauder. Plauder Mutti ein Lächeln ins Gesicht. Versuch behutsam, herauszufinden, was los ist, während Sr.L. Mutti wäscht. Mutti weiß nichts zu erzählen. Besuch war nicht da. Die Nacht war o.k. Aber immerhin kann ich sie ablenken, dass sie wieder lächelt. Schmerzen hat sie auch keine. Als Sr.L. dann geht, roll ich wie immer erstmal mit dem Rollator zu Mutti ans Bett und frag nochmal nach. Da erzählt mir Mutti, „Ach, die Kotverschmierten Hände, das stinkt so. Und ich mochte nicht klingeln.“ … Oh Mutti, wann würdest Du klingeln? Doch nicht mal, wenn Dir das Blut aus den Ohren läuft, Du könntest ja wen stören… denke ich und sag, „Warum hast Du denn nicht geklingelt?“ – Meint Mutti, war doch eh die Zeit, wo die Schwestern bald kommen. Keine Ahnung, wie lange sie in ihrem eigenen Kot gelegen hat, das Zeitgefühl ist ja schon gar nicht mehr da. Und sie klingelt ja nicht. Ach menno, das tut mir so leid… Aber nu ist wieder gut. Ich lenk Mutti damit ab, dass ich gestern Kopfschmerzen hatte. Manchmal hilft es ihr verrückterweise, sich Sorgen um mich zu machen, wobei ich ja immer gleich beschwichtige: „Anderen geht es viel schlimmer!“ Und dann isst sie auch mit gutem Appetit Frühstück, die ganze Scheibe Brot, den ganzen Becher Kaffee. Ich biete ihr noch den Vanille-Sahne-Pudding an, der heute dabei steht. Sie verzieht gleich das Gesicht. „Nein, im Moment ist mir nicht nach sowas.“ War mir klar, aber ich biete immer alles an, was auf dem Tablett steht. Mit zeigen und so. Auch das Tabletten-trinken geht inzwischen sehr gut. Ich sag es weiter an, sie trinkt die Dinger dann direkt aus dem Becher, so fallen keine mehr ins Bett. Dann erzähl ich, dass ich heute nochmal in den Heimatort fahr, Augentropfen holen, ich komm also nachher nochmal wieder. Das ist in Ordnung. Inzwischen kann ich über den Heimatort reden, ohne dass es sie traurig macht. Mutti sorgt sich nur, dass ich auch das Geld von ihr wiederkriege. Also erklär ich ihr nochmal, dass sie ja jetzt ein eigenes Konto im Seniorenzentrum hat, wo schon über 400 Euro drauf sind. Also mehr als genug. Sie könne auch am Wochenende eine Bierparty schmeissen, wenn sie will. ( Mutti zum Lachen bringen!). Ich sag auch, mir ist es lieber, wenn sie kein Bargeld im Nachttisch oder im Tresor hat, könnte ja leider doch mal wen verführen, was zu stibitzen. Das versteht sie gleich. Aber sonst, wenn was ist, wird ja alles von ihrem Konto hier abgebucht. Hauptsache, Mutti macht sich wegen Geld keine Sorgen, dass würde sie zu sehr quälen. Also zum Pflegestützpunkt. Draußen im Flur treff ich schon Sr.G., die holt Sr.M., damit die mir Mutti’s Krankenkassekarte mitgeben kann. Ich bedank mich, um die Uhrzeit stecken ja noch alle in den Zimmern bei den Bewohnern, normalerweise stör ich da nur ungern. Aber die letzte Flasche Augentropfen ist schon länger abgelaufen - da hakt es und da es am einfachsten ist, besorg ich die jetzt. Hat auch den Vorteil, im Gegensatz zum Heim bekomme ich eine 3er-Packung, also nur einmal 5-Euro-Rezeptgebühr für 3 Fläschchen statt 5 Euro für nur eine Flasche. Krieg dann im Heimatort auch alles, was ich brauche. Noch schnell in den Aldi, für mich selbst noch was holen und entdecke da zufällig Sixpacks Deko-Ostereier (bunte mit Aufhängebändchen) für 1,99 € und nehm zwei Packs mit für Elisabeth. Kann ich dann vorher Mutti zeigen, dann hat sie ein Geschenk für meine gute Seele. Wieder zurück zum Heim. Als ich auf den Haupteingang zugehe, fällt mein Herz in die Hosentasche. Massenauflauf. 5 Schwestern, ein leerer Rollstuhl, dahinter wird Elisabeth grade aufgerichtet. GOSH! Was ist passiert? – Im Näherkommen seh ich, wie zwei Schwestern Frau H. wieder in den Rollstuhl setzen und den hohen Gehwagen von Elisabeth aufrichten. Mindestens eine Schwester schimpft, das müsse jetzt aufhören, dass Elisabeth die andern schiebt. Da aber SEHR souverän die Pflegedienstleiterin sofort, „Bitte nicht schimpfen. Das bringt doch nichts. Passiert ist passiert.“ Inzwischen ist wohl auch klar, dass weder Frau H. noch Elisabeth körperlichen Schaden erlitten haben. Ich trete als letzte langsam mit ein. Seh aber auch den Schock in den Gesichtern. Geh also grinsend auf Frau H. und Elisabeth zu und sag fröhlich: „Also echt, ihr könnt doch nicht den schönsten Spaß ohne mich veranstalten?“ Beide gucken erst ein bißchen verdattelt, dann lächeln sie. Frau H. ist in Ordnung und für Elisabeth zieh ich direkt die erste Packung Ostereier aus der Tasche. Sag dazu, ich hätte da gleich das passende Geschenk als Symbol, was Elisabeth heuer noch transportieren darf: Rohe Eier! – Beide lachen und ich geh mit Elisabeth auf ihr Zimmer. Im Gehen zieht Elisabeth einen Schoko-Osterhasen aus ihrer Tasche, die immer am Gehwagen hängt. Für Mutti. Jetzt bin ich doppelt froh, auch ein Geschenk für Elisabeth zu haben. Die freut sich total über die beiden Packs Deko-Eier. Kann mit mir plaudernd noch weiter runterkommen. Erzählt, sie wollte mich heut früh schon fragen, ob ich ihr noch Weintrauben besorgen kann und jetzt dieser blöde Sturz, sie weiß gar nicht, wie das passiert ist. Ging alles so schnell und schon lag sie auf den Knien. Klar geh ich noch für Elisabeth einkaufen, aber erst noch zu Mutti. Mutti ist schon wieder am Dösen, wird aber hellwach, als sie hört, was grad im Heim los war. Oh ja, das mit dem Schreck, der oft am größten ist, kennt sie nur zu gut! Und freut sich über den Osterhasen, den ich ihr gleich in die Hand gebe. Dergl mag Mutti. Weniger zum Essen, einfach, weil die Dinger, solange sie nicht zu wuchtig groß sind, ehrlich einfach niedlich sind. Und freut sich doppelt, daß sie selbst auch ein Geschenk für Elisabeth hat. Ist auch o.k. für Mutti, dass ich das Elisabeth direkt gegeben hab, statt es Mutti erst zu zeigen. Unter den Umständen – na klar! Und versteht, daß ich nochmal losfahre, Weintrauben für Elisabeth besorgen. „Möchtest Du auch welche, Mutti?“ – „Nein.“ – „Nur eine Handvoll?“ – „Ach nö.“ – „Nur fünf Stück?“ – „Echt nicht“ – „Drei?“ – „Hör auf, Kind!“ lächelt sie mich an. Also nochmal ins Dorf. Nicht nur Weintrauben. Die gute Seele Elisabeth hat auch gefragt, ob ich für den Mann im Obergeschoss, der sich die Zigaretten so mit Hülsen selber stopft, Hülsen besorgen kann. Dem hat sie gestern schon eine Schachtel von ihren Zigaretten geschenkt. – Kein Problem, Elisabeth, wir Raucher müssen doch zusammenhalten. Wir ernähren doch den Staat! Nach einigen Suchereien weiß ich jetzt auch, wo die Zigarettenhülsen da im Laden liegen und komm stolz wie Oskar wieder zurück. Elisabeth steht im Flur schon wieder bei einem Bewohner und plaudert. Der sieht mich und fragt sie, wo ich denn hingehöre. Elisabeth winkt mir zu, direkt mit ihr mitzugehen und sagt ihm noch: „Die ist hier fester Bestandteil.“ Nochmal auf Elisabeth’s Zimmer. Einkäufe auspacken. Selbst das Wechselgeld akzeptiert sie heute. Erzählt mir, den ersten Sixpack Ostereier hat sie schon den Schwestern geschenkt, den sollen die dann da-und-da an die Dings-Äste in der Vase hängen, dann haben alle Bewohner, auch die im Rollstuhl was davon. Vorher war Elisabeth aber erst bei Mutti und hat Mutti gezeigt, was Mutti ihr geschenkt hat. Gott, Elisabeth muss man einfach lieben! Ich lache noch mit Elisabeth, weil sie jetzt offiziell ein „gefallenes“ Mädchen ist und geh dann ein drittes Mal zu Mutti. Und Mutti ist richtig gut gelaunt. Ja, Elisabeth war bei ihr. Wär so schüchtern angekommen, um sich bei Mutti für das Geschenk zu bedanken. Mutti strahlt. Glücklich, entspannt. Besser geht nicht. Als ich dann endgültig gehe und „Bis morgen“ sage, meint Mutti wie so oft, ich müsse ja nicht jeden Tag kommen. Da fang ich an zu lachen und fall über’s Bettende fast auf Mutti rauf: „Nee, nee, nee, Mutti, hier bei Dir boxt der Papst. Das laß ich mir um keinen Preis entgehen. Ich komme wieder!“ – Mutti lacht so schön!
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim Di 13 März 2018, 13:56 © Aggi | |
| 20180313 Dienstagmorgen: Schon am Haupteingang seh ich meine gute Seele Elisabeth rauchen. Ihr Knie tut zwar noch weh, aber Elisabeth: „Indianer kennt kein Schmerz!“ Bei Mutti steht die Tür offen und die gelbe Lampe brennt, also ist die Wäsche noch in Gange. Kurzer Schreck, das Bett ist leer, aber ich seh ja parallel Sr. M., die das Bett lächelnd neu bezieht. Sie meint auch gleich, wenn was wär, hätt ich längst einen Anruf gekriegt. Mutti ist im Bad, wird grad geduscht! Bei Mutti ist Sr. D., die kommt grad lachend raus: „Was macht denn die Aggi schon so früh hier? Hat ihre Mutter grad gefragt!“ ^^ Ich geh kurz ins Bad, nehm Muttis Hand, Hallo sagen, Mutti sitzt da mit Turban auf dem Toilettenstuhl ( der ja gleichzeitig als Fahrzeug dient) und lächelt mir zu. Sr. D. will noch Mutti’s Haare föhnen und ich geh raus, sonst wird’s zu eng im Bad. Mach gewohnheitsmässig schon die Gardine auf. Öffne schon mal die neue Packung Augentropfen. Dann kommt auch Sr. D. mit Mutti angerollt: „Ich schliess eben die Gardine!“ ( Ich Hein-Blöd, Mutti hat ja noch keine Vorlagenhose an… Sr. D.: Kein Problem!). Wir helfen Mutti gemeinsam zurück aufs Bett. Mutti ist erstmal krass schwindelig. Also gleich gemeinsam vorsichtig hinlegen. Als Wäsche dann fertsch und Sr. D. gegangen ist, ist Mutti sichtlich erschöpft. Aber sie fand es trotzdem gut. Nur … „Die halten mich nicht.“ Und „Ich bin doch immer so unsicher und dann lassen die los und ich denk, ich falle.“ Mutti hat soviel Angst bei diesen Transaktionen von Sitzen zu Stehen und wieder zum Sitzen. Ich versuch es mit: "Die Schwestern sind doch so fachmännisch?!" - „Ja, aber…“ – Das ist die Crux: Sicherheit ist ein Gefühl, dass kann man nicht vom Verstand her vermitteln, das muß der Betroffene fühlen! Und Mutti die Angst davor zu nehmen, dass sie in keinen Abgrund fällt – wer hat die Zeit? Ich geb Mutti noch die Augentropfen. Wenigstens war gut, dass ich die neue Packung aufgemacht hatte, Sr. D. hatte nämlich gedacht, sie hätte sie schon gegeben, was ja nicht möglich ist, wenn die einzige Packung im Raum noch verschlossen ist. Und das ist jetzt nicht als Vorwurf gedacht. Ich hab gestern in der Apotheke im Brustton der Überzeugung auf die Frage, wie es Mutti geht, gesagt: „Mutti geht es gut. Sie ist ja so anspruchsvoll.“ – Wups – drehten sich alle im Raum nach mir um … ich wußte gar nicht, wieso, in meinem Kopf hatte das Wort „anspruchslos“ geheißen. Erst die kluge Apothekerin klärte mich auch: „Sie sagten grad … und meinten wohl…“. Will sagen, ich komm mindestens einmal alle zwei Stunden mit was durcheinander, das dürfen die Schwestern auch! Oh my godness, war ich anfangs kritisch den armen Schwestern gegenüber. Eines Tages schreibe ich denen noch einen Entschuldigungsbrief einer trolligen Angehörigen … und inzwischen versuche ich, meine Nerv-Zwerg-Phase durch Handreichungen wieder gut zu machen! Mutti beruhigt sich jedenfalls und das Frühstück schafft sie dann brot-technisch komplett. Viel Durst hat sie heute nicht. Ich schaff aber nach und nach, dass sie dreiviertel Becher Kaffee trinkt. Und wie immer zu der Frage, kann ich noch was für Dich tun: „Ich hab doch alles.“ – Meine Mutti, ich sauge bei jedem Abschied ihr Lächeln in mich auf. Schöner als 6 Richtige im Lotto!
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim Mi 14 März 2018, 11:08 © Aggi | |
| 20180314 Mittwochmorgen: Heut früh ist Sr. K. bei Mutti, fast fertig, hat Mutti einen Zopf seitlich gemacht. Das ist schön, weil das Haargummi am Hinterkopf ja immer so stört beim Liegen! Mutti ist gutgelaunt. Fragt gleich, wie das Wetter heute ist. Früher war das immer ihr erster Gang, auf den Balkon, aufs Thermometer schaun und den Himmel sichten. Heut ist diesig, erzähl ich also, soll ja nochmal kälter werden, aber wir haben ja erst Mitte März. ( Bei solchen Gelegenheiten sag ich ihr jeden Tag auch das Datum und den Wochentag. Das weiß sie einfach gern. Es geht nicht um’s Merken. Es zu hören ist wichtig für sie.) Zum Frühstück tut sie sich heut beim Sitz-Liegen schwer, rutscht immer wieder seitlich ans Bettgitter auf der Wandseite. Richtet sich zwischendurch aber auch selbst am Galgen wieder auf. Das sind die Momente, wo ich mich selbst beherrschen muß, ihr nicht zu helfen, damit sie sich auch wirklich selbst bewegt. Schieb ihr aber das kleine Kissen an die Seite, damit der Kopf nicht so auf dem Holzrahmen liegt. Den Handgriff kann sie nicht selbst. Zu Ende der Scheibe Brot ermattet sie immer mehr. Ich frag noch, möchtest Du noch ein Stück Käsebrot? Sie antwortet ja und macht nichts. Sagt, sie kann nicht danach greifen. Das hatten wir auch noch nicht. Dies letzte Stück bekommt sie dann von mir. Als ich dann den Tisch weggerollt hab, hol ich nochmal die Heimzeitung hervor. Einfach aufgeschlagen beschreib ich gleich die ersten Fotos, die abgebildet sind ( weil Mutti die ja nicht selbst erkennen kann). Und les ihr dann das Gedicht auf der andern Seite vor: Der Strickstrumpf des Lebens. Schaue bei jeder Zeile lächelnd in Mutti’s Gesicht. Sie bleibt aufmerksam. Es gefällt ihr. Wenn der Faden auch mal reisst … neu anfangen … so kommen wir auf Handarbeiten. Zwischendrin ist die liebe Reinigungsfrau ins Zimmer gekommen. Auf einmal steckt sie den Kopf aus der Badezimmertür um die Ecke und fragt, was Mutti denn für Handarbeiten gemacht hätte. Ich erzähl von Mutti’s Häkeldecken. Mutti lächelt und die liebe Reinigungsfrau kommt zu uns, stellt sich neben mich, strahlt wie nur sie strahlen kann und meint, sie strickt und häkelt auch. Ob ich Fotos sehen möchte. Kurzer Blick auf Mutti, ich will nicht unhöflich sein, Mutti ist ganz entspannt und interessiert, laß ich mir Handarbeits-Bilder zeigen, die ich Mutti immer gleich beschreibe. Mit wachsender Begeisterung. Auf ihrem Namensschild kann ich endlich ihren Namen lesen und mache sie zu Sr. La. für Mutti: „Mutti, das glaubst Du nicht. So fantastische mehrfarbige Häkelarbeiten, Tierfiguren, Babysschuhe und –söckchen, so akkurat als kämen sie aus einem Hochglanzprospekt!“ – Sr. La. erkläre ich, daß Mutti Handyfotos leider nicht erkennen kann. Es stellt sich heraus, dass Sr. La. auch noch nähen kann und auch so eine Nähmaschine, wie Mutti sie hatte, kennt. Diese alten gusseisernen mit Handkurbel und Fußtrittbrett. Sr. La. bietet an, morgen mal ein paar Söckchen mitzubringen, dann könnte Mutti die in die Hand nehmen und „sehen“. Fantastisch! In mir drinnen schreib ich eine Notiz, Sr. La. von Reinigungsfachkraft zur Beschäftigungstherapeutin zu befördern, sie ist unglaublich einfühlsam! Und als Sr. La. schon wieder raus ist, hängt Mutti immer noch in Erinnerungen … erzählt etwas mühsam, langsam, nach Worten suchend, hier jetzt im Zusammenhang, wie schön es früher war, wenn in Pommern in der Ofenecke gehandarbeitet wurde. Da hingen vom Ofenrohr extra Haken, wo Handarbeiten aufgehängt wurden und „Es war immer so schön, wenn da wieder was Neues aufgehängt wurde.“ Mutti wird schier traurig, wehmütig, als sie daran denkt. Sagt: „Aber das ist jetzt lang vorbei.“ – Also sag ich zu ihr: „Aber die Erinnerungen in Deinem Herzen bleiben. Das ist doch schön!“ – Das gefällt Mutti. Zum Abschied wünsch ich ich noch viele schöne Erinnerungen heute. Die Art, wie sie da lächelt - zu schön!
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim Do 15 März 2018, 15:42 © Aggi | |
| 20180315 Donnerstagmorgen: Da es ja nicht angehen kann, das es einfach bleibt, Mutti zu besuchen, ist seit zwei Tagen die Zufahrtkreuzung eine einzige Baustelle. Also eier ich morgens jetzt auf Umleitungen über andere Ortschaften zum Heim, wieso einfach, wenn’s auch schwierig geht? Sr. K. ist grad mit der Wäsche fertig und Mutti liegt zufrieden lächelnd im Bett. Da kann ich ihr gleich die Grüße von ihrer Lieblingsnichte ausrichten, mit der ich gestern noch telefoniert hab. Die hatte einen Knoten in der Brust entdeckt gekriegt, OP gehabt und jetzt weiß ich, daß auch noch Bestrahlungen, aber zum Glück keine Chemo nötig war. Mutti ist froh zu hören, daß es ihr inzwischen besser geht. Diese Nichte, meine Cousine ist schon über 60 und Mutti war immer so was wie die zweite Mutter zu ihr, mit der sie die Gespräche führen konnte, die mit ihrer eigenen Mutter so nie möglich waren. So ein Typ, mit dem man locker eine Stunde telefonieren kann, ohne zu merken, wie die Zeit vergeht. Dergl traurige Nachrichten vom Brustkrebs-Verdacht vor Mutti verheimlichen ist der falsche Weg. Wir haben uns in den Jahren viel über dergl unterhalten und immer war Mutti’s Tenor, erzähl mir davon, sonst red ich noch was Unbedachtes, weil ich nicht wußte, was los ist. Ich hab auch gelernt, daß auch traurige Gefühle haben dürfen wichtig ist auch bei Demenz. Mitfühlen können, bei Mutti ist das wichtig. Vielleicht gibt es andere, wo es besser ist, „schlechte“ Nachrichten fern zu halten, aber mit Mutti kann ich besser einfühlsam aber offen mit solchen Themen umgehen. Dann hol ich wie immer das Frühstück und kaum hat Mutti mit den ersten Stücken Brot angefangen, kommt unsere Sr. La., grüßt fröhlich, stellt erstmal die Putzsachen ins Bad und kommt dann mit einer Baumwolltasche um die Ecke zu uns. Wie versprochen hat La. Handarbeitssachen mitgebracht und begeistert Mutti und mich derart, dass ich sogar Mutti’s Frühstücksteller für den Moment an die Seite Stelle, damit die wunderschönen Tierchen und Socken-Schuhe nicht in der Marmelade landen. La. nimmt sich richtig Zeit für uns, hat echt was von Handarbeitsmodenschau. Mutti bekommt nacheinander einen braunen Hasen, einen weißen Hasen, einen Hund, und noch ein und noch ein und noch ein süß und bunt gehäkeltes Tier auf ihren Tablettwagen zum Sehen und Anfassen. Mutti kann gar nicht glauben, dass La. für diese Kunstwerke nur eine Stunde am Abend braucht, fragt sogar ganz klar nochmal nach: „Wirklich nur eine Stunde?“ Wir lachen und staunen, während La. zur Demonstration sogar einen Schuh auszieht und die Socken-Schuhe überstreift, jeweils immer um Mutti’s Bett damit geht und ihr Bein über die Seite auf Mutti’s Bett legt, damit Mutti die Form und das Muster sehen kann. Eine besondere Leistung, denn La. ist nur ein kleiner Purkser!!! Mutti strahlt von einem Ohr zum andern und ich muß mich beherrschen, nicht in die herrlichen Handarbeiten zu sabbern. Sogar eine genähte Eule, knapp handtellergroß, also Bonsai-Miniatur-Detailarbeit, wozu ICH vermutlich eine Schachtel Valium gebraucht hätte – ich kann besser die Groben Sachen! Das Ganze hat für Mutti und mich was von Weihnachten und Ostern in Einem. Zufällig kommt noch eine Praktikantin dazu, die beziehe ich auch gleich mit ins Programm, erzähl ihr, wieviel Mutti früher selbst gehandarbeitet hat und Mutti hört und hört nicht auf zu lächeln und zu strahlen! Am Ende schenkt La. Mutti den kleinen Wuschelhund und kommt sogar nochmal lachend rein, um mir dann noch den blauen Hasen zu schenken. Ich kann nicht anders, ich muß sie umarmen! Der Hund ist gestrickt! Mit so einem Wuschel-Garn. Ich komm aus dem Quietschen nicht mehr raus und so süß zu sehen, wie Mutti, als ich ihr sag, jetzt hast Du was zum Kuscheln, den Hund so bedächtig an ihre Wange hält und „kuschelt“. Glückliche Mutti! Auf den Hund gekommen! Ich sag zu ihr, jetzt hast Du auch eine „Nixe“. Mutti lächelt, so hiess der letzte Hund ihres Vaters, eine Teckeldame, die die Flucht aus Pommern mit machen durfte. Ihr Vater zog dann in den Krieg. Kurz vor Kriegsende. Hat’s nicht überlebt. Aber Nixe lebte noch glückliche Jahre bei der Oma mit ihren fünf Kindern, von denen Mutti die zweitälteste war. Inzwischen leben nur noch Mutti und die jüngste Schwester (die Mutter o.g. Nichte). Als wir noch klönen, fragt Mutti unvermittelt, ob diese Nichte, um die es morgens ja noch ging, denn noch ihren Hund hat? – Hatte meine Cousine nie. Daran merke ich, dass Mutti müde wird. Wenn sie am Ende alles durcheinander wirft. Sie fragt nochmal, wer denn nun den Hund hatte. Sag ich, ach, an alles kann ich mich auch nicht immer erinnern. Zähl dann die auf, die einen haben. Lenk um auf die neusten politischen Nachrichten. Gute Ablenkung. Mutti war früher politisch schwerst interessiert. Ich erzähl von der Bundeskanzerlinnenwahl gestern. Wir schimpfen eine Weile gemeinsam über die Verlotterung in der Politik. Damit tröste ich sie, dass sie gar nichts mehr verpasst, wenn sie keine Nachrichten mehr sieht oder Zeitung lesen kann. Und das sieht sie genauso. Und das ist gut so.
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim Fr 16 März 2018, 12:51 © Aggi | |
| 20180316 Freitagmorgen: Kurz vor acht am Heim sehe ich schon von weitem Elisabeth draußen stehen. Gestern ging es ihr überhaupt nicht gut und ich freu mich, sie fragen zu können, wie es heute geht. Besser! Sie hat sich bei den vielen Erkältungen im Heim jetzt leider selbst angesteckt und war gestern wohl nur „genervt“, weil die Schwestern sie fragten, ob sie einen Arzt benötigt. „Als ob ein Arzt was bei einer Erkältung machen kann!“ Mir fällt ein Stein vom Herzen, wenn Elisabeth schon wieder schimpfen kann, ist es nicht so schlimm. Gestern war ich nämlich schon in Sorge. Ich versprech ihr natürlich, nachher noch für sie einzukaufen. „Nicht, daß Du denkst, ich benutze Dich jetzt?!“ fragt Elisabeth noch. „Keine Sorge, wir kennen uns doch inzwischen gut genug. Wenn ich nicht könnte, würde ich das schon sagen!“ Ich muß eh noch ins Dorf und bei der derzeitigen Umleitung führt der Rückweg ja sowieso am Heim vorbei. Bei Mutti war die Wäsche schon durch, nur im Postfach steckt noch ihr Tablettenbecher mit der Magentablette, die sie zur Wäsche immer nüchtern bekommt. Nehm ich mit rein, kann sie auch zum Frühstück nehmen, davon geht die Welt nicht unter. Von Elisabeth vorhin weiß ich jetzt auch, von wem der Bastel-Osterhase ist, den Mutti seit gestern auf dem Nachttisch hat. Ehrlich gesagt bin ich ein bisschen enttäuscht, weil ich gehofft hatte, er sei von der kleinen Schwester. Mutti wußte gestern nicht, von wem sie den hat. „Manchmal stellt da auch wer was hin und ich bekomme das gar nicht mit.“ Ich hatte mir gestern gewünscht, meine kleine Schwester wär halt da gewesen, als Mutti einfach am Schlafen war. Aber diese Bastelhasen, weiß ich jetzt von Elisabeth, haben gestern die Bewohner gemacht. Jeder hat dann so einen bekommen. Als ich Mutti frag, ob ich jetzt das Frühstück holen soll, meint sie, dass hätte sie schon gehabt. Also sag ich, ich geh nochmal gucken, ich mein, ich hätte da noch was gesehen. Das ist dann in Ordnung. Beim Frühstück schilder ich Mutti in leuchtenden Farben die schöne Geschichte, wie die liebe Eva, von der ich Mutti schon öfter erzählt habe, so schön im letzten Jahr den 100. Geburtstag ihrer Mutter ausgerichtet hat und wie wundervoll dann die Feier war. Speziell die Vorbereitungen, schon Monate vorher anfangen und dann bis zum letzten Glas diese Liebe zum Detail ist was für Mutti. ( Wir Kinder sind noch mit Stoffservietten und eigenen silbernen Serviettenringen aufgewachsen!) Und wie sehr Eva’s Mutter diese Stunden geniessen konnte: „Ich finde das so schön.“ Mutti’s Worte! Dann kommt wie jeden Morgen unsere Sr. La. zum Saubermachen. Witzigerweise hatte ich Mutti kurz vorher beschrieben, wie mein Mann auf den Osterhasen reagierte. „Mutti, Du kennst ihn. Der Hase hat keine Schrauben. Ist nicht aus Metall. Hat keine Ölflecken – das ist ja man so gaaaaaaaaa nix für ihn!“ Wir sind grade am kichern, als La. zu uns kommt, die das dann auch erzählt bekommt und mitlacht. Dafür zeigt sie uns dann ihr nächstes Handarbeitswerk, mir am Handy und Mutti durch meine Beschreibungen: Häkel-Schwäne für eine Hochzeit. Aber so was von edel, das kann man nicht kaufen. Mit hochstieligen Sektgläsern drapiert – ich beschreib Mutti das Foto und wir freuen uns zusammen. Ich weiß noch, als ich mit Mutti 2015 so mühsam mit Rollstuhl beim Augenarzt war. Die Tests waren schon viel zu schwer für Mutti und der Depp von einem Augenarzt sagte doch ernsthaft, als wir dann bei ihm saßen und er die Testergebnisse von der Helferin bekam: „Och nee, das ist ja … wie schon tot!“
Dafür erntete er meinen speziellen Todesblick!
Ab da war er auch lieb. Hat wohl gemerkt, wie daneben seine Wortwahl war. So kam jedenfalls raus, daß Mutti kaum noch sehen kann. Grüner Star, Grauer Star sowieso. Und es war das letzte Mal, das sie noch freiwillig zum Arzt „ging“.
Nach der Diagnose habe ich mich nur lange damit gequält, wie geht ihr Leben nun weiter, wo sie nicht mehr sehen kann? Bei einer Frau, die ihr Leben lang furchtbar gern gehandarbeitet hat. Und gelesen. Bücher, bei denen ich schon beim Vorwort einschlafen würde. Zeitungen. Wir haben ihr noch ein FAZ-Abo geschenkt nach Vatterns Tod, weil sie sich das nicht mehr leisten konnte, aber die Frankfurter immer so gerne gelesen hat. Und Kreuzworträtsel gerätselt hat.
Damals stand ich wie Ochs vorm Berg. Aber es finden sich immer Wege. Und wenn sie durch meine Augen sieht. Dann fahr ich ja nochmal los, Apothekenrechnung bezahlen und einkaufen und als das erledigt ist und Elisabeth ihre Sachen hat, geh ich mit eisekalten Fingern nochmal zu Mutti. Setz mich zu ihr auf die Bettkante und sag gleich, ich fass Dich grad nicht an, meine Finger sind grad eiskalt. DA greift Mutti nach meiner Hand! – Normalerweise kann sie das überhaupt nicht ab, wenn man sie mit kalten Fingern anpackt. Hat oft genug selbst so kühle Hände. Heute hat sie warme Hände und wärmt meine klammen Finger. Da bin ich glatt mal sprachlos.
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim Sa 17 März 2018, 14:38 © Aggi | |
| 20180317 Samstagmorgen: Heut Morgen im Heim ist Sr. L. noch bei Mutti mit der Morgenwäsche zugange. Mutti ist wie so oft erstaunt, das ich schon so früh da bin. Weil ich so kalte Finger hab, nehme ich Sr. L. das Gebiss-putzen ab, da kann ich mir mit dem warmen Wasser gleich die Finger aufwärmen. ^^ Mutti geht es gut! Wie immer klön ich erst noch mit ihr, was ich tags zuvor gemacht oder auch sein gelassen hab. Sie fragt ja auch immer, wie es meinem Mann geht und ich finde jeden Tag eine lustige Anekdote für sie. Während sie dann frühstückt, kann ich ihr die tragische Geschichte meiner Stiefel erzählen. Die sind gestern „zu Staub“ zerfallen. „Mutti, Du weißt ja, ich kauf ja immer die ‚Guten‘ aus Kunstleder! Und wenn man die jahrelang nur im Schuhschrank läßt, hab ich gestern gelernt, zerfallen die schon mal zu Staub!“ Währenddessen isst Mutti ihre mundgerechten Stücken Brot selbständig, ich mach nur kleine Handreichungen, Kaffeebecher wieder abstellen, den Teller weiter drehen oder an den Tablettenbecher erinnern. Zwischendurch kommt eine Küchenkraft, ob Mutti schon fertig ist. Nö. O.k., sie kommt nachher nochmal. Als Mutti dann aufgegessen hat, zeig ich ihr mein neustes Erwerbnis. „Omas Kuchen ist der Beste“ von Ulrike Strätling. Hatte mir das Buch und „Als die Kaffeemühle streikte“ bestellt, nachdem ich hier im Forum nur Gutes über diese Bücher gelesen hab. Frag Mutti, ob sie Lust auf eine Geschichte hat. Hat sie! – Und les die erste Geschichte vor. Die mit dem Liegestuhl. Mutti bleibt die ganze Zeit bei mir. So schön! Am Ende fragt sie mich, wer mir nochmal den Tipp gegeben hat ( hab ihr vorher wie immer von meinen "Freunden" im Forum erzählt). Sag ich wahrheitsgemäß: „Astrid.“ – Sagt Mutti: „So schön.“ Am liebsten würde ich direkt noch mehr und mehr und mehr vorlesen. Hab ausnahmsweise keine Ahnung, was besser ist für Mutti und entscheide mich kurzentschlossen, weniger ist mehr. Das Vorlesen und bei jeder Zeile in Muttis Augen schauen ist etwas Besonderes. Am liebsten würde ich gar nicht damit aufhören. Fahr ich deshalb diesmal mit wehmütigem Gefühl von ihr weg? Usen Aggi, wattn komischer Kauz … oder lag’s am Liegestuhl? So einen hatten wir auch?! Hätt ich auf meinen Arzt gehört und die Kur beantragt, wer würde Mutti dann besuchen? Heute ist kein guter Tag. Würd ich sie noch kriegen, würd ich denken, ich krieg meine Tage…
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim So 18 März 2018, 12:05 © Aggi | |
| 20180318 Sonntagmorgen: Als ich kurz vor acht im Nachbardorf ankomme, hat der Sturmwind sogar die dicken Baustellenschilder umgeblasen. Sieht aus, als wär da ein LKW längs reingekracht… Im Heim treffe ich meine gute Seele Elisabeth, der es heut draußen zu kalt zum Rauchen ist. Aber wenigstens hat sie ihre Erkältung nicht so krass erwischt wie andere. Bei Mutti ist noch Sr. L. mit der Wäsche zugange, schon fast fertig. Mutti strahlt mich an und weiß schon, das es immer noch so kalt ist. Aber sie ist gutgelaunt. Ich geh noch eben, eine neue Mineralwasserflasche für sie holen, da begleitet mich Elisabeth auf dem Rückweg, möchte Mutti kurz besuchen. Und darüber freut sich Mutti. Die beiden klönen kurz. Dann merk ich, Mutti weiß nichts zu sagen, also sag ich was, damit nicht so blöde Pausen entstehen. So genießt Mutti den Besuch, ist ja nur kurz, aber herzlich. Hinterher, inzwischen hab ich das Frühstück geholt, meint Mutti zum zweiten Mal, hätt ich nicht gleich gesagt, das das die Elisabeth ist, hätte sie (Mutti) gedacht, es sei ein Mann zu Besuch. Ich muß mir das Grinsen verkneifen. Mei, die gute Seele Elisabeth hat stoppelkurzes Haar, eine tiefe, rauchige Stimme und ist so schmal dabei, als ich sie anfangs nur von weitem sah, dachte ich selbst, sie sei ein Mann. Und Mutti sieht ja so schlecht… Ich erinner Mutti an E., die hat früher bei Vattern im Büro gearbeitet und hatte auch so stoppelkurzes Haar, schier militärisch. Aber flott! – Ja, an E. erinnert sich Mutti. Und diese kurzen Haare. Sie lächelt! Nach ihrer Scheibe Brot und dem Kaffee ist Mutti satt. Heut steht da wieder die Schale mit dem roten Wackelpudding. Mutti: „Was haben die nur mit dem Pudding?“ (Sie isst den ja nie…). Ich also wie immer, ist doch lieb, dass sie es anbieten. Ja, das stimmt. Als dann der Tisch „abgedeckt“ ist („Mutti, soll ich den Tisch abdecken?“ – „Mußt Du das denn machen?“ – „Och, ist doch bequemer für Dich, dann kannst Du die Beine frei bewegen.“), frag ich Mutti, wie ihr gestern das Vorlesen gefallen hat. Oh, es hat ihr GUT gefallen. Sag ich, mir auch und ich wär schon gespannt auf die nächste Geschichte. „Du musst mir nicht jeden Tag vorlesen.“ Das kommt so zögerlich, ach Mutti, das sich bloß keiner Mühe mit Dir macht, nicht wahr? – Sag ich, ich sei doch selbst total neugierig, wie die nächste Geschichte geht! Jo, und dann darf ich wieder eine Geschichte vorlesen. Die mit dem Zitronenkuchen. Und dabei Mutti’s Gesicht beobachten, wie sie lächelt und lacht – so schön! Und hinterher mit Mutti über ihren eigenen Zitronenkuchen reden. Sie muß erst noch nachfragen, wer den gebacken hat. „Na, Du, Mutti. Weißt Du noch, mit der Holzrolle, die Du in Backpapier gewickelt hast, damit der Rührteig nicht vom Blech runterlief.“ Da weiß sie es wieder. Und strahlt. Mutti’s Kuchen waren immer die Besten! Dann kuschelt sich Mutti genüßlich auf die Seite, grinst mich an und meint: „Das war ja richtig eine…“ – findet das Wort nicht – ich rate: „Lesung?“ – Ja, eine Lesung mit Dir, vollendet Mutti den Satz lächelnd. Ich bin glücklich. Hätte vor kurzem noch nicht gedacht, dass das geht. Ging so lange nicht. Und ohne die Tipps aus dem Forum hätt ich es gar nicht mehr versucht. Und da wär uns echt was entgangen.
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim Mo 19 März 2018, 11:22 © Aggi | |
| 20180319 Montagmorgen: Heut früh im Heim ist Sr. M. bei Mutti noch mit der Morgenwäsche zugange. Anhand der Bettwäsche, die noch am Boden liegt, seh ich gleich, dass Mutti es nicht mehr zum Nachtstuhl schafft (wenn überhaupt dann ja auch nur mit Hilfe). Wohl nachts auch nicht klingelt. Aber sie liegt zufrieden im Bett und Sr. M. ist eine von den besonders fröhlichen. Hört dann beim Versuch, Mutti die Haare zu Kämmen auch gleich wieder auf (sind wieder so viele „Vogelnester“ im Haar), schaut direkt zu mir und ich sag sofort, dass mach ich gern nachher mit dem Zackenkamm. Sr. M. schmunzelt noch mit Mutti, dass sei auch besser, sonst würde Mutti ihr nachher nicht mehr erlauben, noch mal wieder zu kommen. Sr. M. fragt mich auch, wie das mit den Augentropfen geht. Hinterher erzähl ich Mutti noch, daß diese Schwester doch im selben Dorf wohnt wie ich – da müssen wir doch extra gut zusammenhalten! Mutti lacht! Sie hatte eine gute Nacht, keine besonderen Vorkommnisse am Vortag, wie immer Sonntags auch kein Besuch. Mutti: „Das läßt dann nach.“ Sagt sie ganz trocken so wie man sagt, heute ist Montag. Das Frühstückstablett bringt uns überraschend Sr. M. mit einem Strahlen. Ich sag zu Mutti, die Woche fängt ja gleich mit einem Verwöhnprogramm an! Sr. M. freut sich und sagt mit Daumen-hoch zu Mutti "Bis morgen früh!". Auf dem Teller heute ein Maurerfrühstück, so viel Brot, sieht schier aus wie fast zwei Scheiben und bis auf fünf kleine Stücken schafft Mutti fast alles! Plus den ganzen Becher Kaffee. Während Mutti frühstückt, merkt sie, dass ich traurig bin und hält inne, schaut mich fragend an. Jo, ich und mein Pokerface… das ich ja überhaupt nicht hab. Also beichte ich Mutti von unserm Auto-Malheur. Der Winterwagen hat einen Vollschimmelbefall. Vermutlich meine Schuld. War gestern fei dicke Luft im Paradies… „Ach darum guckst Du so.“ – „Ja, Mutti, Dir kann ich auch nix vormachen.“ Lustig am Rande, wo ich eh noch in die Apotheke muss, Saubermach-Alkohol kaufen, treff ich noch Elisabeth, die mich fragt, ob ich heute in die Apotheke muss. Da muss ich lachen. Als hätte Elisabeth meine Einkaufswege „im Urin“. Auf dem Rückweg hab ich Glück, dass Elisabeth nicht da ist, kann ich ihr noch das Wechselgeld heimlich ins Zimmer legen, ich will kein Geld mit diesen Besorgungen verdienen. Aber Elisabeth ist eine harte Nuß, da muß ich richtig trickreich sein. - Nochmal zu Mutti rein, die ist jetzt die zwanzig Minuten später schon fast eingeschlafen. Da ich mittags nochmal hin muß, wenn die bestellten Sachen da sind, mach ich es jetzt nur kurz. Mutti: „Du musst aber nicht extra noch wieder kommen.“ – „Ja, Mutti, aber ich will doch so gerne.“
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim Di 20 März 2018, 06:45 © Aggi | |
| Liebe Eva, - Amelu schrieb:
- Hast Du Mutti mal gefragt, ob Du kommen darfst?
natürlich. Verbal. Nonverbal. Mutti und ich sind ja in den Jahren derart "verwachsen", würde ich im entferntesten spüren, ihr ist ein Besuch oder die Häufigkeit meiner Besuche nicht recht, würde ich das sofort ändern. So ist sie einfach. Möchte nicht, dass Aufhebens um sie gemacht wird. Sorgt sich eher, ICH würde zu kurz kommen, weil ich so oft bei ihr bin. Oder mein Mann würde deshalb zu kurz kommen. Sie könnte aus den Ohren blutend mit gebrochenen Gliedmaßen auf der Straße liegen und würde nicht um Hilfe bitten, höchstens ein Leises: "Nur, falls es grad nicht stört?! Wenn ihr selbst noch was Wichtiges zu tun habt, kann ich gerne noch warten." Aber zu sehen, wie sie sich jeden Tag über meine Besuche freut, ihr Strahlen, ihr Lächeln, auch mit Worten. Nur würde sie nie drum bitten. Bloss nicht zur Last fallen! - Und so sag ich ihr bald jeden Tag, wie gerne ich komme. Wie schön die Stunden mit ihr sind. Wie sehr ich die Zeit mit ihr geniesse. "Mutti, ich kenn doch kaum wen, mit dem ich klug reden kann, das geht doch bald nur mit Dir!" Dann müsstet ihr Muttis Gesicht sehen! Vielleicht klingt es vermessen, aber ich weiß, das Mutti sich schon darauf verläßt, das ich komme. Seltene Male, aber auch die kommen vor, sagt sie das auch mit Worten. LG, Aggi
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| | | Amelu Ist hier Zuhause
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim Di 20 März 2018, 08:07 © Amelu | |
| Liebe, liebe Aggi, mir ist schon klar, daß Deine Mutti Dich nie bitten würde, wiederzukommen, dazu ist sie zu selbstlos und bescheiden. Und Du wirst auch so oder so niemals versäumen, bei ihr zu sein, solange Dich nichts andres daran hindert. Mit meiner Frage habe ich eher gemeint, daß Du Mutti frägst, ob Du überhaupt darfst und das hat den Hintergrund, daß Du ihr nicht mitteilst, daß Du kommst, sondern ihr die Entscheidung überläßt, wiederkommen zu dürfen. Das Ergebnis wird das gleiche sein - Du bist dann bei ihr. Ich bin sicher, daß sie es Dir niemals verwehren würde, aber insgesamt ist es eher sowas wie ein Flirt, wo dem Flirtpartner die (wenn auch verbale) Entscheidung überlassen wird. Und damit auch das Gefühl, daß man seine Entscheidungen ernst nimmt, ihm etwas von der 'Regie' in die Hand gibt. Im Prinzip nur eine Wortspielerei, die aber doch einen Gefühlshintergrund hat. So wars bei Mutterle und mir. Sie meinte auch, sie mache mir zu viel Umstände, ich fühle mich über Gebühr verpflichtet, sie zu umsorgen. Als ich fragte, ob ich denn das alles für sie tun dürfe, stimmte sie herzlich lächelnd zu - und sie hatte damit die Entscheidung getroffen, und dazu indirekt ihre Freude daran auch spüren lassen. Es ist nur ein verbales Spiel Eva |
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim Di 20 März 2018, 11:36 © Aggi | |
| Liebe Eva, ich mach mal ein grossen Schritt zur Seite und geh damit vom Schlauch, auf dem ich wohl gestanden hab. - Amelu schrieb:
- Als ich fragte, ob ich denn das alles für sie tun dürfe, stimmte sie herzlich lächelnd zu - und sie hatte damit die Entscheidung getroffen, und dazu indirekt ihre Freude daran auch spüren lassen.
Das Bild mit dem Flirt bezaubert mich! ... Jo, ein guter Rat von Dir! Dankeschön, liebe Eva und Dir einen schönen Frühlingsanfang! Aggi ++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++ 20180320 Dienstagmorgen: Frühlingsanfang – das Wetter meint es gut mit uns, strahlend blauer Himmel! Als ich viertel vor acht im Heim ankomme, treffe ich meine gute Seele Elisabeth. Heute geht es ihr besser. Gestern klagte sie mir ihr Leid, dass ein spezieller Bewohner ihr so langsam lästig wird, da er ihr inzwischen jederzeit und überall hinterher läuft und zu jeder Tageszeit „Hilfen“ von ihr erwartet. Dabei muß sie ja „nebenbei“ noch an ihre eigene Gesundheit denken. Sie ist ja nicht im Heim, weil sie gesund und munter ist. Elisabeth erzählt mir, ihr Mann hätte erstaunlicherweise mal einen Wunsch geäussert. Ob sie ihm wohl Meica-Currywürstchen besorgen könnte. Elisabeth: „Aggi, Du weißt doch selbst, wie das Essen hier ist. Also, bei aller Liebe…“ (Elisabeth verdreht die Augen, das ich lachen muß.) – Na klar besorg ich ihr die Packungen. Ist doch schön, wenn ihr Mann mal einen Wunsch äußert. Bei Mutti ist die Wäsche schon durch. Mutti liegt da mit dem Trinkbecher in der Hand und freut sich, mich zu sehen. Ich denk noch, nimm ihr den Becher mal nicht ab, vielleicht trinkt sie noch mehr und klön erstmal. Kurz drauf passiert das Malheur, Mutti hat den Becher in ihrer Hand doch vergessen. Ist ja aber nur Wasser auf dem Nachthemd und ich „stopf“ das erstmal mit der Stoffserviette. Ich war auch abgelenkt. Als ich Muttis Zimmer betreten wollte, hing jetzt ihr Foto im Türkranz – so schön! Mutti am Strahlen! Ganz entspannt. Diese Schwestern hier können wirklich zaubern. Beim Frühstück bespreche ich mit Mutti, für die Schwestern gleich noch ein süßes Dankeschön in unser beider Namen zu kaufen. Findet Mutti gut. Sie weiß auch noch, das gestern „eine“ da war und ihr das Foto gezeigt hat. „Aber nur von weitem hingehalten.“ – Ich beschreib es Mutti mit Worten und das sie die schönste Mutti der Welt ist! Bevor ich ins Dorf fahre, fällt mir noch wieder ein, das ich gestern Mittag, als ich nochmal bei Mutti war, gesehen hatte, das eine gute Fee Muttis Trinkbecher auf ihren Rollator gestellt hatte. Das fand ich clever. So brauchte Mutti liegend im Bett nur die Hand ausstrecken, wenn sie durstig ist. Ihr Bett ist ja jetzt so niedrig, dass der normale Nachttisch schon wieder zu hoch ist. Um da an den Becher zu kommen, muß sie sich schon halb aufrichten, was mühsam ist. Gestern hatte Mutti das auch gut gefallen. Nachdem sie mir noch erklärte, dass die, die ihr das Essen bringen, sie grad in diesen Raum gefahren haben. Dies, man hat mich in einen anderen Raum gebracht, hatte sie zuhause auch viel. Aber da immer mit Angst und Verzweiflung. Gestern war das nur so eine sachliche Feststellung, angstfrei. So nach, ja, da haben die mich in jetzt diesen Raum gebracht und da auch wohl den Trinkbecher auf den Rollator gestellt. (Mutti ist immer im selben Zimmer.) Heute möchte sie das aber nicht. Sie würde sonst den Trinkbecher vom Rollator stoßen. Also laß ich das. Nach dem Einkaufen präsentier ich Mutti unsere Geschenke für die Schwestern. Ferrero Küsschen und Raffello. Und eine Dankeschön-Karte. Mutti: „Nimmst Du Dir auch das Geld von mir?“ – Ich kann Mutti versichern, dass sie unbesorgt sein kann. Ich sag ihr, wie viel Bargeld sie noch hat und dass ich das zuhause genau ausrechne, fifty-fifty, ist ja von uns beiden. Erklär ihr auch nochmal, warum ich lieber kein Bargeld bei ihr im Zimmer lassen will – um niemanden in Versuchung zu führen. Dann ist sie beruhigt. Naja, vielleicht noch skeptisch, ob ich mir wirklich das Geld von ihrem Geld wiedernehme. Und da hat sie ja nicht Unrecht, weil ich das natürlich nicht tue. Ach Mutti, doof warst Du noch nie, aber ich „betrüg“ Dich ja zu Deinem Vorteil…Auf alle Fälle gefällt ihr der Text, den ich auf die Karte geschrieben hab und ist sehr amüsiert, wie umständlich und ungeschickt ich das Geschenkband um die Pralinen gebunden krieg, ohne mich selbst mit anzubinden. Mutti zum Lachen bringen, eigentlich brauch ich bloß ich selber sein, denn meine selbstgepackten Geschenke haben immer was von einem Unfall. *gg* Mutti ist glücklich. Die Schwestern freuen sich und Elisabeth strahlt, weil sie ihrem Mann heut Abend Meica Currywurst kredenzen kann. Und im Gehen schaff ich es noch, zwei alte Damen zu animieren, an die schöne frische Frühlingsluft zu gehen. Irgendwie macht so ein Tag mit blauem Himmel und strahlend Sonnenschein das Leben leichter.
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim Mi 21 März 2018, 11:24 © Aggi | |
| 20180321 Mittwochmorgen: Viertel vor acht im Heim treffe ich im Flur meine gute Seele Elisabeth und kann gleich fragen, wie ihrem Mann gestern die Currywurst geschmeckt hat. Elisabeth strahlt: „Es war für ihn wie Weihnachten und Pfingsten auf einmal!“ So schön, zu sehen, wie sie sich für ihren Mann freut! Dabei erzählt sie mir dann aber auch, dass ihr die Tempo-Taschentücher aus dem Schrank entwendet wurden. Die ganze 30er Packung? Wer macht denn so was??? – Es ärgert sie weniger wegen der Tempos, mehr, dass nicht einfach gefragt wurde, ob wer eine Packung haben kann. „Ich hab sogar zum Fenster geschaut, ob die Dinger Beine gekriegt haben.“ Sie wagt kaum, mich zu bitten, Ersatz zu besorgen. Meine Güte, wenn wir nicht zusammen halten, wer dann?! Bei Mutti ist noch kein Licht, ein neues Nachthemd samt Vorlagenhose liegt noch auf dem Stuhl, Jalousien sind noch unten, also noch keine Wäsche. Mutti meint allerdings äußerst gutgelaunt, Wäsche war schon. Auch gut, irgendwie kommen wir auf Essen, Vanillepudding und Mutti kichert wie ein lustiges Schulmädchen, dass sie den Pudding in allen Versionen mag. Ich bin einfach nur glücklich, daß Mutti so gut drauf ist. Kurz kommt noch Elisabeth zu Besuch, ich kenn sie ja am Gang und sag Mutti schon an, wer da kommt. Mutti zu Elisabeth: „Aggi hat mir schon vorgesagt, wer da kommt!“ und lächelt glücklich dabei. Freut sich über den Besuch. Ich scherze: „Bin ja auch ne olle Petze.“ Wir lachen zusammen. Ich weiß noch, beim ersten Besuch von Elisabeth guckte Mutti noch viel unsicherer. Heute ist sie so schön entspannt und fröhlich. Unter einem Vorwand geh ich etwas später kurz raus, weil ich nebenan die Schwester höre und draußen winkt mir Sr. M. dann auch schon zu, sie käme gleich zu Mutti, heute wäre überall Duschen, leider ginge es nicht schneller. Kein Problem, ich wollt nur wissen, ob sich vorher noch Frühstück gelohnt hätte, alles gut. Fang dann bei Mutti schon mit Haare kämmen an: „Du Mutti, hab grad Sr. M. getroffen, die kommt gleich. Darf ich Dir schon mal die Haare kämmen?“ – Mag Mutti gerne, wenn ich das mache, weil ich immer den Zackenkamm benutze. Inzwischen war auch ihre Magentablette im Postfach, die kann ich Mutti auch schon geben und hab auch schon ihre Zähne geputzt, als Sr. M. dann kommt. Die freut sich über die erledigten Handgriffe und überlegt im Bad schon laut, wie sie sich revanchieren könnte, da sag ich ihr extra, ich wollte mich doch revanchieren, weil alle Schwestern immer so lieb und freundlich sind. Sr. M. inzwischen mit der Waschschüssel bei Mutti am Bett freut sich und sagt auch laut zu Mutti (immer so schön zu Mutti gebeugt, damit Mutti ihr Gesicht erkennen kann), wie gut das tut, wenn die Arbeit gewürdigt wird. Der Beruf sei doch sowas wie ein zweites Zuhause. Mutti stimmt zu, erinnert sich an ihre Krankenschwesterzeit, wo sie das auch so gesehen haben. Ich hab ja jetzt schon viele Schwestern beim Waschen beobachtet. Es sind diese kleinen Dinge, die den Kohl fett machen. So wie Sr. M. heute, nachdem wir Mutti aus dem Nachthemd geholfen haben, sofort ein Handtuch über Muttis Brust legt („Ist ja so kalt heute.“) und damit Muttis Würde wahrt. Andere lassen Mutti auch einfach so nackt da liegen, bis fertig, wo ich dann schon mal das neue Nachthemd nehme und Mutti auf die Brust lege („Damit Du nicht frierst.“). Einfühlungsvermögen. Sauber sein schön und gut, aber die Seele muß auch atmen können. Sr. M. hat den Bogen raus. Zum Frühstück schafft Mutti heut den ganzen Teller Brot. Bei den letzten Schlucken Kaffee schläft sie dann schier mit dem Becher in der Hand ein. Aber ich studiere ihr Gesicht, sie ist zufrieden. Hatten wir früher öfter mal Gespräche drüber, wie wichtig das ist, auch miteinander schweigen können. Mutti hat die Geschichte erzählt, wo sie mit ihrer Mutter und ihrer Schwiegermutter zusammensaß. Sie und ihre Mutter schweigend am Handarbeiten. Nach einer Weile fragte die Schwiegermutter: "Sagt mal, seid ihr Euch böse?" - Mutti und ihre Mutter guckten nur erstaunt. Nein, sie waren sich nicht böse. Sie konnten auch mal einfach nur zusammensitzen und gemeinsam schweigen. Die Schwiegermutter verstand das nicht. Wenn nicht ständig geplappert wurde, konnte das für sie nur "dicke Luft" bedeuten. Das man sich auch ohne Worte gut sein kann, verstand sie nicht. Mutti erzählt jetzt so viel von Pommern ... hätte ich einen Wunsch frei, würde ich mir wünschen, das für eine Stunde ihre Mutter noch einmal zurück kommen kann und mit Mutti in Erinnerungen schwelgt. Angefangen mit Omas "Ach Deern...".
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim Do 22 März 2018, 11:43 © Aggi | |
| 20180322 Donnerstagmorgen: Zehn vor acht im Heim brennt bei Mutti noch die gelbe Lampe, also ist die Wäsche noch zugange. Ich klopf-klopf wie immer und beim Tür aufmachen strahlt mir schon Sr. M. mit weit ausgebreiteten Armen entgegen, wendet sich Mutti zu: „Ich hab’s doch versprochen, wir sind fertig, wenn sie kommt!“ Wir müssen alle lachen, Mutti liegt strahlend im Bett. Sr. M. hätte ihr vorher schon gesagt, sie wolle es heute schaffen, mit der Wäsche fertig zu sein, bevor die Aggi da ist. Ich versichere mich noch, daß sie meinetwegen bloß keine Hektik macht, aber Sr. M. grinst über das ganze Gesicht: „Nein, das ist einfach meine Art!“ Und Mutti ist glücklich! Besser geht es nicht. Sr. M. bringt auch noch das Frühstückstablett, ich hab mich kaum zu Mutti gesetzt, sie war so schnell draußen, ich konnt ihr gar nicht sagen, ich hol das auch gern selber. Eine tolle Schwester! Als wir alleine sind, stell ich beim Holzkalender umstellen fest, dass da eine neue Flasche Augentropfen steht. Neben der alten. Das macht mich innerlich doch ärgerlich. Am 12. März war ich extra in den Heimatort gefahren, um eine 3er-Packung Augentropfen zu holen. Erstens war die alte Packung schon lange abgelaufen und zweitens bekomme ich vor Ort eben die 3er-Packung für die 5-Euro-Rezeptgebühr. Und jetzt steht da wieder eine Einzelpackung aus der anderen Apotheke, also Einzelpackung für 5 Euro und wozu? Die angebrochene Flasche hält noch bis zum 9. April, hab ich extra draufgeschrieben. Wird denn sowas nicht notiert? Wieso hakt das mit den Augentropfen bei Mutti, ach menno… Wurscht, erstmal Frühstück mit Mutti. Wie öfter fragt sie, ob ich denn nichts (zu Essen) habe. Und wie immer erzähle ich, dass ich doch nicht frühstücke. Mutti ißt mit gutem Appetit und wo ich ihr sag, gestern hätt ich gar nicht viel erlebt, heut weiß ich kaum was zu erzählen, sagt diese beste Mutter von allen: „Ich hab Dich auch gern, wenn Du einfach nur bei mir sitzt.“ Nach dem Frühstück stimmt sie dann mal wieder einer Geschichte aus „unserm“ Buch zu. Die zwei Tag vorher war ihr nicht danach. Heut frag ich extra vorsichtig: „Darf ich… liebe Mutti?“ – da lacht sie so süß und meint, na klar. Sie weiß von mir, das ich das Buch auch noch nicht gelesen hab und so entdecken wir Geschichte für Geschichte gemeinsam. Heute die von Frau Schnattermann. Komischer Titel aber gute Geschichte. Und Muttis Gesicht dabei zu beobachten ist das Schönste auf der Welt. Als ich dann gehe, kommt auch grad Sr. V. aus einem Zimmer und sieht, dass ich auf sie warte. Also kann ich mit ihr auch das mit den Augentropfen klären. Sie bietet sogar an, die Packung an die Apotheke zurückzugeben, wo ich sage, ich achte halt auf jeden Cent bei Mutti. Aber das ist nicht nötig. Sie verspricht, das das jetzt notiert wird und das reicht mir. Mein Ärger ist schon wieder verflogen, mei, sind doch nur 5 Euro und man kann doch über alles reden. Beim Rausgehen begleite ich noch Elisabeth vor die Tür und rauche draußen mit ihr noch eine Zigarette. Wir tauschen uns über unsere Ehemänner aus. Beide inzwischen Nicht-Raucher, was manchmal zu „dicker“ Luft führen kann. Aber nicht mit Frauen wie uns! Wie auf Stichwort kommt dann noch Muttis Zimmernachbar zu uns raus. Elisabeth schimpft gleich: „Du hast keine Jacke an, so kannst Du nicht spazieren gehen!“ – Herr S. strahlt sie an und meint, er wollte nur kurz schnuppern, wie das Wetter ist. Hält seine Nase in den Nieselregen und beschließt, lieber noch auf den Frühling zu warten. Jo, wäre schön, wenn das Wetter bald besser würde, dann könnten mehr Bewohner ihre Nase aus dem Haus halten, Sonnenlicht tanken. Und ich vielleicht mit Mutti im Rollstuhl...
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim Fr 23 März 2018, 11:15 © Aggi | |
| 20180323 Freitagmorgen:
Als ich kurz vor acht auf Muttis Zimmer zugehe, kommt schon Sr. M. heraus und strahlt mich an, sie ist grade fertig. Ich sag ihr noch extra, sie braucht das Frühstück nicht zu bringen, das hole ich gern selbst, ich klön erst noch mit Mutti.
Mutti wirkt heute matt, aber freut sich, mich zu sehen. Kaum sitze ich, bringt eine andere Schwester das Frühstückstablett und begrüßt Mutti sehr freundlich. Find ich schön, diese Schwester ist mir bewußt auch noch nicht aufgefallen und so kann sie sich ja auch mit Mutti bekannt machen.
Aber Mutti schwächelt heute arg. Sie liegt ja eh schon beim Frühstücken, aber heute muß ich sie mehrmals liebevoll wieder aufrichten, weil sie auch im Liegen immer wieder zur Seite rutsch. Mutti sagt selbst, bequem sei das auch nicht. Als ich sie nach ca. der Hälfte des Brotes an den Tablettenbecher erinnere, meint sie, wenn sie mich nicht hätte, würde sie das ganz vergessen.
Ich hab schier das Gefühl, als schläft sie nach jedem Bissen ein. Einmal lacht sie auf, ihr juckt die Nase. Es ist nicht zu übersehen, dass sie grad nicht weiß, wie sie sich selber an der Nase „kratzen“ kann. Vergißt man auf Demenz auch, dass man Hände hat?
Irgendwie wirkt sie heute, als würde sie sich nur an die Funktion jeweils einer Hand erinnern.
Aber schafft die ganzen anderthalb Scheiben Brot. Die letzten Stückchen bekommt sie von mir in den Mund. Für mich ein nachdenklicher Morgen.
Nach dem Frühstück kann ich ihr noch die Vogelnester aus dem Haar zuzeln, mit dem Haaröl, Fingern und Zackenkamm geht das ganz gut ohne großes Ziepen. Und Mutti wirkt bei dem Gewusel an ihrem Kopf, als ob es ganz entspannend, wohltuend für sie ist. Zum Abschluss gebe ich ihr einen Kuss auf die Stirn, ich kann nicht anders. Mutti lächelt dankbar.
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim Sa 24 März 2018, 10:31 © Aggi | |
| 20180324 Samstagmorgen: „Oh!“ denk ich grad beim Tippen des Datums. Hab ich vorhin Muttis Kalender falsch gestellt, wir haben ja den 24ten März. Ich bin es so gewohnt, das außer mir keiner den Holzkalender bei Mutti umstellt, daß mir heut früh gar nicht aufgefallen ist, dass er doch schon umgestellt war. Nü ist Mutti heuer ihrer Zeit voraus, jetzt steht das Ding auf 25tem März… Bin ja wie immer ca. zehn vor acht beim Heim und treff vor der Tür meine gute Seele Elisabeth. Die berichtet, gestern haben unglaublich viele Bewohner erbrochen und Durchfall gehabt. Sie auch. Ich merke, wie ich mich innerlich anspanne und mir wünsche, es sei was Gutes, das Mutti nicht aus ihrem Zimmer kommt. – Elisabeth fragt noch zaghaft, ob ich noch ins Dorf komme. Na klar, wir halten doch zusammen! Bei Mutti war die Wäsche schon durch, aber Mutti ist gar nicht zufrieden: Sie meint, sie war die Nacht soooo lange auf, bis endlich jemand für die Wäsche kam. Das war gar nicht schön. Erstmal fällt mir gar nichts dazu ein. Es ist ja ihre Welt, was nützt es zu sagen, heute waren sie sogar überpünktlich? Nachher zuhause fragt mich auch mein Mann, ob eine Uhr mit Riesenlettern was nützen würde, aber in diesen Phasen hat Mutti ja auch Uhren, die sie noch erkennen konnte, falsch abgelesen. Ich hab nur raus, das es ihr hilft, Dampf abzulassen. Jammern dürfen und können. Erstmal kann ich sie damit ablenken, dass gestern so viele Bewohner so krank waren und zum Glück kommt dann auch Elisabeth mit dem Einkaufszettel. Elisabeth tastet sich dann auch immer an Muttis Bettseite zu Mutti hin und gibt ihr die Hand. Und Mutti strahlt sie an und freut sich! Spontan schlage ich vor, die beiden könnten sich doch mit Vornamen nennen. Findet Mutti gut. Elisabeth auch. Elisabeth: „Wir gehören hier doch alle zusammen!“ Dann erstmal frühstücken, wo Mutti sich nicht sicher ist, ob überhaupt Frühstückzeit ist. „Hättest Du denn Lust auf einen Becher Kaffee?“ – „Ist der ist schon fertig?“ – „Ich geh mal gucken.“ – O.k. Wenigstens war Mutti Vortags nicht übel. Aber eine schlechte Nacht ist auch doof. Zum gedeckten Tisch mache ich noch die Gardinen auf. Strahlend blauer Himmel, herrlichster Sonnenschein. Während Mutti ihr Brot isst, krieg ich die Kurve, dass das Leben doch irgendwo alles in Waage bringt. Auf der einen Seite so eine blöde Nacht, auf der anderen Seite scheints doch ein richtig schöner Tag zu werden. Mutti leckt dazu ihre Marmeladenfinger ab und nickt. Betont aber nochmal, das das doof war, dass die heute erst so spät kamen. Bestätige ich. Klar, das ist doof. Dann guckt Mutti zum Fenster und lächelt. Ach Mutti, was würd ich geben, könnt ich Dir solche Scheißgefühle abnehmen oder das überhaupt verhindern, aber das kann ich nicht. Aber ich kann machen, das Du wieder lächelst… Heute schafft Mutti nicht so viel Brot und Kaffee, aber wurscht, man soll aufhören, wenn’s am Schönsten ist. Muttis Marmeladenhand mache ich gerne noch mit einem Feuchttuch sauber, heute also auch. Sagt Mutti: „Machst Du wie eine Mutter.“ Dann noch den Einkauf für Elisabeth. Aus Angst, das Wechselgeld in ihrem Zimmer könnte geklaut werden, geh ich heut sogar zum ersten Mal zu Besuch zu ihrem Mann, wo Elisabeth grad ist. Er ist ja komplett bettlägrig, aber eine Stimme, so kräftig und sonor. Toller Mann. Ich plauder kurz mit ihm, will die beiden nicht stören. Bei Mutti war ich natürlich auch nochmal kurz. „Ich hab Dich lieb, Mutti.“ – „Ich Dich doch auch.“
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| | | felixx Ist hier Zuhause
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim Sa 24 März 2018, 15:06 © felixx | |
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Nur weil es gerade schwer ist, darfst du nicht gleich aufgeben. Es wird nicht einfacher, wenn du davor wegläufst. |
| | | felixx Ist hier Zuhause
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim Sa 24 März 2018, 15:09 © felixx | |
| Wollte ich dir mal zeigen. Im Heim meiner Mutter lief ein " Wettbewerb" unter den Wohnbereichen. Es ging um das am frühsten geschlüpfte Hühnerkücken, das sich in einem Brutapparat befand. Nun sind alle geschlüpft und verbringen noch einige Tage zur Freude aller Bewohner in diesem Terrarium, natürlich mit Wärmelampe, Futter, Wasser, etc. Schöne Idee, nicht?
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