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| Ich entscheide, nicht das Heim | |
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Aggi Ist hier Zuhause
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim Sa 24 März 2018, 16:29 © Aggi | |
| Liebe felixx, das ist ja der Hammer! - felixx schrieb:
- Schöne Idee, nicht?
(Ich will auch! Ich will auch!!! ) ... doch, neidlos anerkannt, auch wenn ich mich grad schockverliebt hab in die Küken! Danke fürs Zeigen! Dir einen schönes Wochenende, Aggi
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| | | felixx Ist hier Zuhause
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim Sa 24 März 2018, 16:34 © felixx | |
| Ja, ich fand das auch süß und so aufmerksam. Das Terrarium steht, wie hoffentlich zu sehen ist, vor der großen Fensterfront. Und selbst die Bewohner, die nur stundenweise im Pflegerollstuhl mobilisiert werden können, sind begeistert und sitzen/ liegen gerne daein halbes Stündchen. Ich wollte auch Mal eine Bresche für die Heime schlagen, denn wenn wir ehrlich sind: Wer könnte das zu Hause leisten? Geh dann gleich gucken, wie viele und wie groß sie heute sind! Felixx Von Topic'it App gesendet
Nur weil es gerade schwer ist, darfst du nicht gleich aufgeben. Es wird nicht einfacher, wenn du davor wegläufst. |
| | | Aggi Ist hier Zuhause
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim So 25 März 2018, 10:18 © Aggi | |
| Liebe felixx, - felixx schrieb:
- Ich wollte auch Mal eine Bresche für die Heime schlagen, denn wenn wir ehrlich sind: Wer könnte das zu Hause leisten?
ich wollte gestern schon dazu schreiben: Wo ist das Heim, da will ich auch hin! - Und hab Mutti heute davon erzählt. "Mutti, weißt doch, meine Freundinnen im Internet. Da hat mir eine ein ganz süßes Foto geschickt..." - Liest sich ja gleich weiter unten, daß Mutti heute ihren "Mutter"-Tag hatte. Als mir zu Ende des Besuches noch wieder Deine Geschichte hier einfiel, liebe felixx, konnte ich Mutti davon erzählen. Sie aufmuntern, wie süß kleine Küken sind (ich rede dann mit Händen und Füßen und quietsche undCo., Mutti hört dann immer ganz andächtig zu). Und konnte dann den Kreis damit schliessen, wie schön Küken und Hühner sind. "Weißt Du noch, wie gut die immer auf Oma's Pfeifen reagiert haben?" - An Mutti's Augenbrauen sah ich dann, daß sie wieder auf dem Hof in Pommern ist und zuschaut, wie ihre Mutter mit der Hühnerfutterschale unterm Arm die Stufen runtersteigt und pfeifend zum Hühnerstall geht, wo die ganze Hühnerschar schon erwartungsfroh zusammenläuft. Oma war eine Hühnerflüsterin! Und vielleicht war es uns so gelungen, Dir und mir, daß Mutti heuer dann doch noch eine traurige durch eine schöne Erinnerung ersetzt hat?! Mal unbekannterweise ein Dankeschön an Euer Heim! LG, Aggi ++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++ 20180325 Sonntagmorgen: Heute Nacht wurden die Uhren umgestellt, d.h., eine Stunde weniger. Wie kommen damit die Pflegeheime klar? Vorsichtshalber fahre ich mal zehn Minuten später los, bin um acht beim Heim. Bei Mutti war die Wäsche schon durch. Mutti liegt so klein und zart im Bett. Fragt mich, ob ich heute schon mal da war. Ich verneine zärtlich und erzähle gleich von der Uhrenumstellung. Ja, davon hat Mutti heute früh auch schon gehört. Dann fragt sie mich: „Habe ich eine Mutter?“ – Ich sag: „Ja, sie schaut vom Himmel auf Dich!“ – Mutti: „Hab ich mir doch gedacht.“ Sinngemäß noch, das irgendwie alle sterben. Sag ich, aber sie bleibt in Deinem Herzen. Das ist so einer dieser Momente, wo ich innerlich zusammenzucke und äußerlich versuche, ganz ruhig zu bleiben. Mutti hat jetzt wieder eine traurige Phase. Nachts nach dem Aufwachen weiß sie wieder nicht, wo sie ist. Wer sie ist. Was los ist. Ein Schutzengel schickt uns meine gute Seele Elisabeth zu Besuch. Die hat mit ihrem Stützkorsett große Mühe, an Muttis (Niedrig-)Bettgitter überhaupt zu Mutti zu tasten, tut es aber jedesmal für den Handshake mit Mutti. Fragt Mutti, wie ihre Nacht war. Mutti zögerlich, och ja. Elisabeth: „Dann war die Nacht doch nicht gut. Sie müssen schon ehrlich sagen, sonst gibt’s ein halbes Jahr Abzug!“ – Wir lachen. Elisabeth hat einfach eine Art, man muß sie einfach mögen. Gibt mir 15 Euro, ich möchte Mutti bei Gelegenheit bitte einen Strauß Blumen besorgen. Und ihr – wenn’s geht – eine Packung hartgekochte Ostereier für die ganzen „Kinder“ im Haus. ^^ Kein Problem, ich scherze, Mutti wird dann auch ganz überrascht tun. Da erzählt Elisabeth uns so süß, wie ihre Tochter, als sie klein war, Geschenke gemacht hat. Ihre Tochter konnte nie warten, bis die Mamma Geburtstag hatte. Mußte das Geschenk immer vorher schon zeigen. „Ist das ein gutes Geschenk, Mamma?“ – „Oja, das ist wunderschön!“ hat Elisabeth ihr dann gesagt. Und ihre Tochter: „O.k., und bis zu Deinem Geburtstag hast Du das ja wieder vergessen!“ Sooooooooo süß!!! Mutti ist erstmal herrlich aus ihren trüben Gedanken geholt und kann dann entspannt frühstücken, das ganze Brot und fast den ganzen Becher Kaffee. Aber auch die kleinen Dinge entgleiten ihr. Bei meiner Aufforderung, ihre „Morgens“ Tabletten aus dem Becher zu trinken „Guck mal, die beiden Halben.“ nimmt Mutti den Becher, fühlt mit dem Zeigefinger den Inhalt, hält den Becher und stellt ihn wieder weg. Hat nach wenigen Minuten oder direkt vergessen, was das war oder sollte. Als ich sie dann nochmal animiere klappt es, ich merke, sie weiß nicht, dass sie den Becher kurz zuvor schon in der Hand hatte. Als dann der Tisch „abgeräumt“ ist, Bett wieder runtergefahren, Mutti satt ist und ich noch erzähle, fragt sie mich unvermittelt, in welchem Jahr ihre Mutter gestorben ist. „1987, Mutti.“ Ach ja, sie erinnert sich. Kurz drauf fragt sie nach: „War doch 1997?“ – Ich sag ganz ruhig nochmal 1987 und wie schön es bei Oma immer war, wo sie doch Jahrgang 1900 war, dass man immer wußte, wie alt sie ist. Da muß Mutti lächeln. Ja, das war praktisch! Dies Vergessen bei Demenz, unwichtiges wie ein Tablettenbecher geht notfalls binnen Sekunden. Aber sowas wie Gedanken um die eigene Mutter, die beschäftigen Mutti richtig lange.
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| | | Aggi Ist hier Zuhause
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim Di 27 März 2018, 03:53 © Aggi | |
| 20180326 Montagmorgen: Als ich kurz vor acht den Flur im Heim hochgehe, brennt bei Mutti noch die gelbe Lampe, aber der Tablettenbecher mit der Magentablette steckt noch im Postfach. Noch keiner da? Ich nehme den Becher mit und freu mich dann bei Mutti, nach langer Zeit wieder Sr. L. zu sehen. Die erzählt dann, dass sie sich vor 8 Wochen bei einem Sturz bei dem Schneewetter den linken Ellenbogen gebrochen hatte. Jetzt ist sie in der stundenweisen Wiedereingliederung: „Ich muss erstmal sehen, wie das Arbeiten noch geht.“ scherzt sie. Sie ist ja ein alter Hase, aber zwei Monate raus stell ich mir auch nicht so einfach vor. Es dauert dann auch viel länger als sonst und ich schaffe es heute Morgen nicht, Sr. L. davon zu überzeugen, dass ich Mutti die Haare kämme. Später ärger ich mich über mich selbst, ich hätte eingreifen sollen. Mutti liegt da viel zu lange unbedeckt auf dem Bett und das Haare kämmen mit der Bürste tut ihr weh – wieso hab ich nicht eingegriffen? Versucht hab ich es, aber nicht energisch genug… Einer dieser Momente, wo ich selber nicht weiß, was ist richtig und was ist falsch für Mutti. Sie schläft schlecht, ist längerer Trubel beim Waschen vielleicht auch mal gut für sie, wo sie sich kaum noch bewegt? Und Sr. L. ist mit Herz dabei und fragt Mutti nach der Wäsche, ob sie morgen wieder kommen darf. Mutti ist ja immer total erschöpft nach der Wäsche, auch wenn das nur noch im Bett passiert, aber da muss auch Mutti lachen. Kurz drauf kommt noch meine gute Seele Elisabeth zu Besuch. Ich kündige sie schon immer spielerisch auch mit Namen an, aber dann auch zu sehen, wie Mutti sich gleich freut, ihre Mimik, die Freude, die uns Elisabeth den Moment bereitet. Elisabeth erzählt, das sie kommenden Mittwoch in ihr Haus fährt, „ausmisten“. Da wären so viele Sachen, die keiner mehr will und braucht. Ich frag sie, ob das schwer für sie wird und sie Begleitung hat. Elisabeth sieht das aber pragmatisch. GottseiDank! Sie weiß, sie und ihr Mann bleiben für immer im Heim und das Haus verursacht so nur noch Unkosten, also weg damit. Halt noch mal sichten. Sie zuckt die Achseln und erzählt lieber, wo ich Mutti vorschwärme, was für ein Gutaussehender Elisabeths Mann ist, dass sie und er nicht nur am selben Tag Geburtstag haben, sondern auch noch gleicher Jahrgang sind. Der Hammer! Die einen so, die andern anders. Ungewollt habe ich von Muttis Zimmernachbarn mitbekommen, dass er darunter leidet, dass er jetzt sein Haus verkaufen muss. Seitdem „kränkelt“ er. Hat jeden Tag etwas anderes, was weh tut, weshalb er vielleicht doch zum Arzt müsste? Er tut mir so leid, er ist so ein charmanter Mann. Und Mutti steckt immer noch in dieser Phase, wo sie nachts, wenn sie zu früh wach wird, traurig und verwirrt ist. Hat auch Sr. L. mitbekommen. Hab Mutti in Sr. L. Gegenwart bewusst mal gefragt, ob sie nicht – wie ich – auch mal Baldrian probieren will abends? Davon kann man so gut schlafen. Meint Mutti, sie nimmt ja schon Baldrian. Schüttelt dabei den Kopf. Nein, wenn muss sie es auch selber wollen. Heute sind auch viele Wortverdreher dabei. Ich weiß dann aus dem Zusammenhang, was der Satz mit „Beton salzen“ tatsächlich meinte und sag dann ganz ruhig, was sie wohl sagen wollte und dann nickt sie und sagt z.B.: „Genau.“ Vergisst bei den letzten Schlucken Kaffee den Becher in der Hand, als ich nochmal zart frag, magste noch’n Schluck Kaffee, dreht sie den Becher falsch rum, tastet am Nupsi des Schnabelbecher und versucht, falschrum draus zu trinken. Ich überlege, den Augenarzt anzurufen, ob die Augentropfen überhaupt noch Sinn machen. Gefallen tun die Mutti morgens eh nicht. Nachdem ich dann noch die Einkäufe für Elisabeth hab, kann ich Mutti dann noch das Geschenk von Elisabeth präsentieren. Statt einem Strauß Blumen hab ich mich im Laden kurzerhand für romantische Topfrosen, hellrosa, entschieden. Beim Zeigen (direkt vor Muttis Gesicht) habe ich wieder das Gefühl, sie sieht eigentlich gar nicht mehr richtig, aber ich beschreibe mit Worten und sie ist ganz perplex, dass Elisabeth ihr Blumen schenkt. (Hat Elisabeth heut früh auch in ihrer Gegenwart nochmal gesagt, aber die Spanne ist wohl schon zu weit für Mutti.) Aber Mutti freut sich. Und mit sowas wie solchen Blumen mach ich es dann täglich, dass ich sie ihr immer wieder zeige. Das geht auch gut. Zuhause ruf ich dann beim Augenarzt an. Urlaub bis zum 3. April. Keine Ahnung, ist vielleicht auch `ne Schnapsidee von mir, da der Morgen irgendwie drunter-und-drüber war, allein die Wäsche hat wohl `ne dreiviertel Stunde gedauert und ich stand wie Blödi daneben. Es ist Montag, scheinbar nicht mein Tag… Nachts wache ich dann viel zu früh auf und habe wieder Mutti's schmerzverzerrtes Gesicht vor Augen, als Sr. L. ihr die verziepten Haare bürstet. Warum habe ich nicht eingegriffen? Ich nenne diesen Thread "Ich entscheide, nicht das Heim", weil ich weiß, wie schwer das für mich ist ... manchmal ... Und gestern war manchmal ...
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| | | felixx Ist hier Zuhause
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim Di 27 März 2018, 11:42 © felixx | |
| Ach Aggi, jetzt mach dir keine Vorwürfe und nicht so viele Gedanken! Was hätte ich.....sollte ich nicht besser..... vielleicht wäre...... Du warst bei deiner Mama, sie hat deine Anwesenheit genossen und gut! Du kannst sie nicht in Watte packen, nicht vor jedem Ungemach beschützen, ihr alles, aber auch wirklich alles aus dem Weg räumen. Lass das mit dem Augenarzt, der wird wissen, warum er die Tropfen verordnet hat. Natürlich sind Augentropfen nichts Angenehmes - aber entschuldige bitte- doch auch keine Körperverletzung, oder? War gestern echt nicht dein Tag, meiner auch nicht. Habe die Virusgrippe, bin echt angeschlagen und meine Mutter war gestern auch nicht gut drauf. War, nach der halben Stunde, die ich bei ihr war, fix und alle. Es kommen bessere Zeiten! Ich drück dich mal fest! Felixx
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| | | kamia Ist hier Zuhause
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim Di 27 März 2018, 14:14 © kamia | |
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mit lieben Grüßen Wenn jemand sagt: Das geht nicht! Denke daran: Das sind seine Grenzen, nicht deine.“ (Unbekannt) |
| | | gisela Ist hier Zuhause
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim Di 27 März 2018, 15:15 © gisela | |
| liebe Aggi - Zitat :
- Ich überlege, den Augenarzt anzurufen, ob die Augentropfen überhaupt noch Sinn machen. Gefallen tun die Mutti morgens eh nicht.
wenn ich mich recht erinnere, hat deine Mama ein Glaukom? da würd ich die Augentropfen denk ich nicht unbedingt absetzen lassen, denn es kann zu glaukomanfällen kommen.
lieben gruß gisela mein Vorbild ?....der Löwenzahn...wenn er es schafft durch Asphalt zu wachsen...kann auch ich scheinbar unmögliches schaffen |
| | | Aggi Ist hier Zuhause
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim Mi 28 März 2018, 06:41 © Aggi | |
| Oh Ihr Lieben, felixx, kamia, Gisela, Eure Zeilen hier, das tut grad mal richtig gut, Ihr seid so lieb! Ja, Montag war echt der Wurm drin, gestern, Dienstag war dann ja schon wieder richtig gut. Ach, keine Ahnung, die Zeitumstellung, ich hab eine Entzündung am Fuß ... ... manchmal hätt ich gerne eine Zwillings-Aggi, um die Doof-Aggi für einen Tag in ne Schublade zu packen und einfach die andere zu benutzen! Und ja, hab selbst schon überlegt, nicht so starr im Plan zu Mutti zu fahren, aber ehrlich gesagt geniesse ich grad die frühen Morgenstunden mit Mutti. Aber wenn das Wetter besser wird, wollt ich ja eh mal schauen, ob ich nicht noch 'ne Rollstuhlfahrt tagsüber mit ihr hinbekomme. Und least, Danke für den Anstoß mit den Augentropfen: Ist wohl meine Sorge, da Mutti immer schlechter sieht. Aber ihr habt Recht. - Ja, Gisela, Grüner Star plus Grauer Star, blöd, wie blöde Gedanken einem manchmal kommen, wenn man so "manchmal" drauf ist. Ich lass es bei den Augentropfen, manchmal war Montag, nu denk ich wieder klar! Euch einen hoffentlichen schönen Mittwoch! LG, Aggi +++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++ 20180327 Dienstagmorgen: So, nachdem ich gestern einen Durchhänger hatte und mit dem Bild von Muttis schmerzverzerrtem Gesicht beim Haare kämmen wach wurde, fahr ich mit mulmigem Gefühl zum Heim – und siehe, es kommt alles anders, ein guter Tag im Heim! Sr. L. ist noch mit der Wäsche bei Mutti beschäftigt, beide, Mutti und Sr. L. lachen mir schon entgegen. Ich entschuldige mich bei Mutti für meine kalten Finger und nehme die zum Anlass, gleich um Muttis Zähne zu bitten: „Damit ich wieder warme Hände krieg.“ So kann ich schon mal was tun, bin nicht im Weg und Sr. L. freut sich über die Hilfestellung. Diesmal sorgt sie, wo ich auch schon das Nachthemd parat hab, auch direkt dafür, dass Mutti direkt nach der Oberkörperwäsche schon mal das Nachthemd übergezogen bekommt. Ich helfe, die Kopfkissen beziehen und Sr. L. meint von sich aus, ob ich Mutti nach dem Frühstück wohl die Haare kämmen will. Alles harmonisch, Mutti ist gut zufrieden und Sr. L. weiß jetzt, dass ich jeden Morgen komme, das findet sie schön. Ein Bilderbuchmorgen! Sr. L. klappt dann zwar das Bettgitter auf der Zimmerseite hoch, normalerweise steht ja nur das zur Wandseite oben (das möchte Mutti so, damit sie hinten nicht rausfällt). Aber während Sr. L. noch die Wäsche und Sachen zusammenpackt, mach ich das ganz normal wieder runter, weil ich mich doch auf die Bettkante setzen möchte, um mit Mutti zu plaudern. Sr. L. verabschiedet sich fröhlich und bringt dann kurz drauf das Frühstückstablett. Da drauf zwei Lindt-Schokokugeln für die Aggi, weil die so schön geholfen hat! Ich bin ganz verdattelt und grinse Sr. L. nur an und sag: „Sprachlos!“ – Sr. L. lacht, grüßt nochmal und dann sind Mutti und ich allein. Teilen erstmal brüderlich die Schokolade. Zum Frühstück fragt Mutti mich, ob das nicht für meinen Mann ist? Solche Fragen lassen sich immer einfach lösen. „Sei unbesorgt, das ist für Dich.“ Oder so. Ich stelle Mutti noch die schöne Topfrose auf den Tablettwagen und erzähl nochmal die Geschichte. Mutti findet diese Topfrosen definitiv schöner, als hätte ich einen „fetten“ Blumenstrauß geholt – juchuuuh! Fragt, wieso ich so eine dicke Topfblume ausgesucht habe. „Och, so groß ist die gar nicht, sieht durch den Umtopf wuchtiger aus, als sie ist.“ – Mutti: „Stimmt.“ Und wir einigen uns auf ein, rote Rosen kann jeder schenken, aber diese zarten hellrosa sind was Besonderes! Die Scheibe Brot schafft Mutti, wobei ich wieder merke, ihr Gesichtsfeld deutlich eingeschränkt ist. Das letzte Stück auf dem Teller quasi direkt vor ihrem Kinn sieht sie gar nicht. Tapst immer zielstrebig mittig auf dem Teller, tastet, OB da noch was liegt. – Wenn der Augenarzt aus dem Urlaub ist, werde ich mal anrufen und nachfragen, was zu tun ist. Sr. L. heute hatte auch nicht an die Augentropfen gedacht, gab ich Mutti dann, als sie raus war. Wird oft vergessen. Kein Vorwurf, nur die Frage, macht das dann noch Sinn? Mal gucken, was ich am 4.4. erreiche. Beim Kaffee, Mutti hat kaum den halben Becher getrunken, sagt sie dann: „Mir ist schlecht.“ Meine innere Alarmsirene geht an. War das ein Fehler, ihr vor dem Frühstück Schokolade zu geben? Aber es geht dann. Bloß nach Vorlesen ist ihr heute auch nicht. „Alles gut, Mutti, sag immer ehrlich, ob Du willst oder nicht.“ Aber Haare kämmen geht, da hat sich Mutti schon selber gemütlich auf die Seite gelegt. War also nicht so krass mit der Übelkeit. Zum Glück! Und ich kämme ihr so gerne die Haare. Zum Abschied bleib ich nach dem Abschiedsküsschen beim Aufstehen mit den Haaren im Rollator hängen. Wir kichern bei der Vorstellung, Mutti müsste meinetwegen nach den Schwestern klingeln, damit die mich aus dem Rollator befreien. Mutti geht es gut! Dann geht’s der Aggi auch gut, jawoll!
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| | | soda1964 Ist hier Zuhause
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim Mi 28 März 2018, 14:16 © soda1964 | |
| Liebe Aggi mit Interesse lese ich stets in deinem Tagebuch nach. Es darf doch auch mal ein "blööder Tag" dabei sein, wenn dann wieder bessere kommen, nicht wahr? Als ich las - Zitat :
- ...auch zu sehen, wie Mutti sich gleich freut, ihre Mimik, die Freude, die uns Elisabeth den Moment bereitet...
dachte ich mir, dies könnte ein weiterer Hinweis sein, dass sich deine Mutti vielleicht freuen würde, mal aus dem Zimmer zu kommen und etwas und jemand anderes zu sehen ... auch wenn sie sagt, sie will nicht ... sie weiss ja gar nicht, was es vor der Zimmertür alles gibt Alles zu seiner Zeit ... Liebe Grüsse
ThereseMan muss mit Allem rechnen - auch mit dem Guten.
Die wahre Lebenskunst besteht darin, im alltäglichen das Wunderbare zu sehen. Pearl s. Buck
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| | | Aggi Ist hier Zuhause
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim Mi 28 März 2018, 15:33 © Aggi | |
| Liebe Therese, soll ich Dir was sagen: Ich bin immer erstaunt, wenn ich höre, daß hier wer liest ... und dann freu ich mich aber. Und ja, blöde Tage sind einfach, wenn sie um sind, aber wehe, Du steckst grad "mittendrin" ... dann ist alle holde Theorie dahin und ich bin einfach nur am gnatschen ... Mutti mal aus dem Zimmer bringen, äh, vorher wollte ich noch versuchen, daß die Sonne sich um die Erde dreht, den Weltfrieden erreichen und den Klimawandel stoppen, wenn dann das Wetter etwas besser ist ... Ich könnt jetzt sowohl mit Stolz in der Brust als auch mit einer Träne im Auge sagen, da kommt die Holsteinische Sturheit meiner Mutter ins Spiel. Bislang war da jedenfalls noch nichts zu machen. Aber nach dem "Wunder" mit dem Foto setze ich jetzt wirklich auf die Mischung besseres Wetter und die Zauberkünste der Schwestern. Am wichtigsten bleibt, daß ich Muttis Vertrauen behalte - etwas gegen ihren Willen a la "mit sanfter Gewalt" geht nicht. - soda1964 schrieb:
- Alles zu seiner Zeit ...
Genau. - Und bis dahin frage ich mich weiter, wünsche ich mir das vielleicht für mich? Mutti selbst wünscht sich das ja nicht?! Ab Ostermontag soll das Wetter ja angeblich besser werden. Erstmal muß es vor allem etwas wärmer und nicht so nass sein. Dir einen lieben Gruß , Aggi +++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++ 20180328 Mittwochmorgen: Kurz vor acht im Heim treffe ich am Pflegestützpunkt meine gute Seele Elisabeth. Ich sehe gleich, dass was nicht stimmt. Heute ist der Tag, wo sie zu ihrem Haus fahren will. Ich frag nach und seh direkt, ihr läuft eine Träne die Wange runter. Elisabeth gibt sich tapfer, aber ihre Stimme zittert. Nein, es fällt ihr doch nicht leicht. Es bricht mir das Herz, sie so zu sehen. Sage ihr, ich werde den ganzen Tag in Gedanken bei ihr sein, da läuft die nächste Träne. Umarme sie kurz, sie möchte weiter Richtung Frühstücksraum, ihre Fassung wieder gewinnen … ach menno … Im Flur zu Mutti kommt mir schon eine gutgelaunte Sr. L. entgegen, sie hätte mich schon vermisst. Sagt dazu, dass soll ich nicht falsch verstehen, jemanden vermissen sei ja was Schönes! Jo, ich freu mich auch drüber! Die Wäsche hat Sr. L. heut schon fertig, kommt nur noch kurz, die Sachen rausholen und verabschiedet sich lieb von Mutti, beugt sich wie immer nochmal nah zu Muttis Gesicht. Diese Kleinigkeiten, die so wichtig sind! Wir scherzen noch kurz, wer die beste Mutti der Welt hat und einigen uns drauf, am besten wär, JEDER würde das von seiner Mutti behaupten. Und Mutti lacht dazu! Heut sieht Mutti ganz entspannt und wunderschön aus! Keine Angst in den Gesichtszügen. Ihr geht es gut. Ich erzähl, wie ich gestern noch unsern Hof Oster-sauber gemacht hab und mich deshalb ausnahmsweise mal über den Regen freue, weil dann alles so schön glänzt. Dergl Freude kennt Mutti gut, sie hat doch ihr Leben lang ihre Gartenarbeit geliebt. Mutti ist so ein richtiger Erdmensch. Körperliche Arbeit war nie ein Problem für sie, im Gegenteil, im Garten wurachen war ihr Ausgleich zu den ewigen „Unannehmlichkeiten“ im Haus, der Ehe etc. Als ich dann das Frühstück hole, habe ich Glück, Sr. G. ist grad im Dienstzimmer und nun kann ich endlich mal fragen, ob ich das Foto von Mutti aus dem Türkranz einmal zum Einscannen mit nach Hause nehmen darf? Sr. G. ist wie alle Schwestern im Haus: Läßt gleich alles stehen und liegen und geht mit mir zu Sr. S. und noch einer (Namen kenn ich noch nicht, aber vom sehen kennen wir uns), die wissen es besser. Im Speisesaal für die fitteren Bewohner ist eine „Bewohnerwand“, da hängen die gleichen Fotos von allen nochmal einzeln in Bilderrahmen, da nehmen sie das von Mutti raus. Umso besser, dass an der Tür hat viele Tesa-Streifen, das wäre beim Einscannen schon blöd gewesen. Und die andere Schwester findet noch ein weiteres Foto, wo Sr. N. mit drauf ist. Erinnert sich an den Tag, Sr. N. hätte sie angerufen: „Es paßt jetzt, sie ist einverstanden. Komm schnell, ein Foto machen!“ Whow! Noch so ein schönes Foto mit Mutti und Sr. N., sitzen da nebeneinander auf dem Bett so glücklich am Lachen, könnte man auch für Mutter und Tochter halten. Und Sr. S. meint, ich sähe meiner Mutter ähnlich, was ich bestreite, weil – Mutti sieht doch viel besser aus!!! ^^ Ich lobe beide Schwestern und Sr. S. fügt noch an, wie gerne sie selber im Haus arbeitet, grad weil es so klein (nur 40 Bewohner) und dörflich ist. Das grosse in der Kreisstadt hätte 360 Bewohner, das wäre ihr persönlich schon viel zu groß. Sie würde nirgends anders arbeiten wollen. Sag ich, ich würde schon in Gedanken mein eigenes Zimmer im Haus reservieren, da lachen beide und meinen, dann wären sie doch selbst schon im Pflegealter. Wurscht, meine ich, dann machen wir gemeinsam eben Rollstuhlrennen! Dann aber husch zurück zu Mutti, bevor die noch eine Vermisstenanzeige aufgibt. Ich gebe Mutti beide Fotos mit Erklärungen in die Hand und sie studiert sie gründlich. Muß sie schier an die Nase halten, aber ich meine, sie kann schon ein bißchen erkennen, jedenfalls freut sie sich. Ich beschreib ja auch noch mal alles mit Worten: „Du siehst kein Tag älter als 60 aus! Und so strahlend blaue Augen!“ Heute nach der Scheibe Brot entdecke ich, dass mal nicht der obligate Wackelpudding (Mutti: „Ach neeeee.“) auf dem Tablett steht, sondern Rote Grütze mit einem Klacks Vanilleschaum. Und Mutti möchte probieren, nimmt wirklich so einige Teelöffel, also für ihre Verhältnisse richtig viel. Das sie dann den Kaffee nicht mehr ganz schafft, macht nichts. Zum Ende unserer Stunde auch wieder Wortverdreher, aber solange sie sich selbst nicht daran stört, ist alles gut, ich weiß ja, was sie sagen will. Jo, und die Fotos werde ich dann mal zum Anlaß nehmen, doch noch mal eine Mail an alle Geschwister zu schreiben. Vielleicht freut sich ja doch noch einer mehr als man denkt über die Bilder.
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| | | kamia Ist hier Zuhause
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim Mi 28 März 2018, 17:30 © kamia | |
| - Zitat :
- Jo, und die Fotos werde ich dann mal zum Anlaß nehmen, doch noch mal eine Mail an alle Geschwister zu schreiben. Vielleicht freut sich ja doch noch einer mehr als man denkt über die Bilder.
der Gedanke erfreut mich jetzt aber sehr !
mit lieben Grüßen Wenn jemand sagt: Das geht nicht! Denke daran: Das sind seine Grenzen, nicht deine.“ (Unbekannt) |
| | | Aggi Ist hier Zuhause
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim Do 29 März 2018, 15:38 © Aggi | |
| Liebe kamia, - kamia schrieb:
- der Gedanke erfreut mich jetzt aber sehr !
diese Nachricht von Dir heut früh schon gesehen und mich gefreut ... auch wenn ich immer noch Angst habe, mein "Fotogruss" könnte nach hinten los gehen ... LG, Aggi ++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++ 20180329 Donnerstagmorgen: Kurz vor acht im Heim ist Sr. L. noch mit der Wäsche zugange. Sie scherzt mit Mutti, heute seien sie zu langsam und Mutti lacht so schön. Sr. L. beugt sich dabei immer dicht zu Muttis Gesicht und sagt immer alle Handgriffe an, auch, wenn es mal etwas unangenehm „kalt“ werden könnte. Sagt selbst, dass sie es geniesst, auch mal wieder in diesem Bereich zu arbeiten, weil man sich so doch viel besser kennen lernt. Ich kann mich nochmal ans Zähneputzen machen, dafür bringt uns Sr. L. nachher das Frühstückstablett: „Ich muss mich doch für die Hilfe revanchieren.“ Alles so entspannt und angenehm, als sich Sr. L. von Mutti ins Osterwochenende verabschiedet, sie sei die nächsten vier Tage nicht da, meint Mutti sogar lächelnd sinngemäß, sie würde sie vermissen. Während des Frühstücks habe ich Mutti viel zu erzählen. Das ich die schönen Fotos von ihr an die Geschwister und erwachsenen Kinder und die Lieblingsnichte und den Lieblingsneffen geschickt habe, damit sie sehen können, wie gut die Mutti/Oma/Tante aussieht. (Mutti grinst und wehrt ab.) Vom den schönen Telefonaten Vortags mit dem kleinen Bruder, der leider erkältet ist, aber lieb grüßen läßt. Ich gebe Mutti einen Kuss von ihm auf die Wange und richte von ihm aus: „Ich hab mich extra rasiert!“ – Sein Schnack, der Mutti immer zum Lachen bringt. Und dann von ihrer Lieblingsnichte die Grüße und das sie jetzt russisch lernt für die Urlaubsfahrt mit der Transsibirischen Eisenbahn. Daran, dass die Nichte davon früher schon erzählt hat, erinnert Mutti sich dann auch und strahlt. Und von der Enkeltochter mit dem zweiten Urenkel, den ich am Telefon im Hintergrund so süß „plappern“ hörte, halt die Erzählungen, die ein 5-monate alter Bub so von sich gibt, wenn er etwas übermüdet ist und noch nicht in den Schlaf kommt. Und wie souverän, quadratisch-praktisch-gut seine Mutter mit ihm umgeht. Und dass er jetzt entdeckt hat, dass die Geräusche der Rassel in seiner Hand von IHM gemacht werden! - - Als Mutti dann aufgegessen hat und kein Bissen und kein Schluck mehr geht, frag ich, ob ich kurz mal zu den Schwestern darf, die Fotos zurückbringen. Zeig ihr noch die Dankeschön-Pralinen, die die Schwestern von uns zur Belohnung für die Mühe bekommen. Das findet Mutti schön. Im Speisesaal für die dementen Bewohner sitzen inzwischen nur noch zwei Bewohner und Sr. S., die gerade aus der Tageszeitung vorliest. Ich halte inne, will nicht stören, da schaut Sr. S. schon auf und winkt mich zu sich her. Ich sag laut, ich will ja nicht stören und nun stör ich wohl doch?! Bring damit die alte Dame im Rollstuhl zum Schmunzeln. Sr. S. bekommt die Fotos und die Pralinen, auch Ostereier für die Bewohner von mir, aber hauptsächlich wollte ich sie längst mal fragen, ob die Strick- und Häkelwerke von der fabelhaften Reinigungsfachkraft L. evt. ein Thema sein könnten, Bewohner zu interessieren. Beschreibe den Vormittag, wo L. mal eine Tüte mit Auswahl zu Mutti mitbrachte zum Anfassen, Fühlen, Sehen und sich erinnern. Sr. L. ist gleich auf meiner Wellenlänge. Zeigt mir in den Schränken Teile des Fundus, der von Haus aus schon da ist. Ihr gefällt die Idee, sie will gerne mit L. mal reden, ob, was und wie zu machen wäre. Ich betone noch, dass ich das grad „hinter“ L.‘s Rücken mache. Da zwinkert mir Sr. S. verschwörerisch zu und deutet an, wie sie es machen wird: „Ich hab da was gehört…“. Tolle Demenz-Betreuerin-Fachkraft-Dings, keine Ahnung, als was Sr. S. da eingestellt ist, ich weiß nur, dass sie immer bei den dementen Bewohnern morgens mit im Speisesaal ist. Erzählt mir davon, was sie bei der „basalen“ Stimulation machen … basal muß ich noch googlen, aber wurscht, sie hat das Herz auf dem rechten Fleck und bietet mir sogar an, dass ich mir jederzeit Bücher zum Vorlesen aus dem Regal ausleihen darf. Schnell wieder zurück zu Mutti, das hat einen Moment länger gedauert als erhofft. Mutti hat meine Abwesenheit aber gar nicht gestört. Ich kann ihr gleich Details von den Nähutensilien „beschreiben“, das ist Muttis Welt. Auch Sr. S. war ganz angetan, dass Mutti ihr Leben lang gern und viel gehandarbeitet hat. Teilweise konnte ich sehen, wie sie sich Notizen im Kopf gemacht hat. [Herr Google erklärt mir grade: „ Die basale Stimulation spricht alle Sinne des Menschen an: Sehen. Hören, Schmecken, Riechen, Fühlen.“ – Jo, das meinte ich auch, kiek, wie immer gibt’s schon ein Wort dafür.] Dann noch ins Dorf, zwischendurch hatte meine gute Seele Elisabeth noch zaghaft gefragt, ob ich noch ins Dorf fahre? „Nur, wenn Du selber noch einkaufen musst, sonst lass man.“ – Elisabeth geht es immer noch nicht gut. Kein Wunder, heute hat sie einen Proktologen-Termin. Proktologe muss ich auch noch googlen, aber mir schwant, es ist irgendwas saublödes mit Gummihandschuh… Wenigstens schaff ich, alles für sie zu besorgen plus ein kleines Trostgeschenk von mir und komme damit noch so rechtzeitig wieder an, daß ich mit Elisabeth auf ihrem Zimmer noch gemeinsam auspacken kann. So bringe ich sie zum Lachen und auf andere Gedanken, was gut ist, denn genau da kommt dann auch der Proktologe und ich kann ihr noch mein Trostgeschenk mit dazu legen. Würd sie sonst nicht annehmen. Aber mit dem wirklich gutaussehendem Arzt im Zimmer ist sie abgelenkt und ich geh nochmal zu Mutti. Die ist leicht schon wieder am Schleudern, ob ich heute schon da war oder nicht, ABER sie hat gute Laune, freut sich über meine Einkaufsgeschichten ( ich erzähl gerne so „Kennst Du das, wenn man…“), wo sie dann wieder eigenen Erinnerungen nachhängen kann. Packe noch wieder Nachthemden von ihr auf Kleiderbügel – da merk ich immer, dass die Zeit rennt, beide Schubladen waren schon wieder randvoll mit frischer Wäsche, Sr. L. hatte morgens gefragt, ob sie das getragene Nachthemd vom Vortag auch mal Lüften könne, weil Mutti keine Langarmhemden mehr im Schrank hätte. Da war ich perplex. Gefühlte Werte hatte ich erst vor ein paar Tagen noch wieder Hemden aufgehängt … von wegen, jetzt waren es 15 Nachthemden, tse… Mutti fragt mich dazu, das seien aber doch nicht ihre Hemden. Sag ich, guck Mutti, die letzten hab ich ja für Dich gekauft, schau, wo Du nicht mal selbst im Laden warst, ist doch kein Wunder, wenn Du die so am Bügel nicht erkennst. – Das ist für Mutti in Ordnung.
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim Fr 30 März 2018, 10:18 © Aggi | |
| 20180330 Freitagmorgen:
Karfreitagmorgen, 2 Grad über Null und Nieselregen, wo ist das schöne Wetter, das heute sein sollte? – Und beim Heim geht die Haupttür nicht auf, ist die schon wieder kaputt? Also geh ich außen rum und hab aber Glück, im Flur kommt mir Sr. D. mit einer Bewohnerin im Rollstuhl entgegen. Die Tür ist nicht kaputt, war nur noch nicht umgeschaltet.
Einen Schritt weiter treffe ich meine gute Seele Elisabeth, die schon leicht empört ist, dass sie noch nicht raus, eine Rauchen gehen konnte. Ich hoffe, es geht ihr besser, wenn sie schon wieder „schimpfig“ wird und meine, ist doch Karfreitag, da ticken alle Uhren anders. Sie könne doch den Seiteneingang nehmen (ich weiß, dass Elisabeth da sonst auch schon war). Aber Elisabeth meint, die Tür bekommt sie nicht auf mit ihrem Gehwagen. Das bedeutet, ihr steckt ihr Sturz doch schwerer in den Knochen. Aber besser, sie ist jetzt übervorsichtig, als wenn sie nochmal stürzt! Alldieweil hat Sr. D. auch schon flink wie ein Wiesel die Haupttür am Schaltpult geöffnet. Sie grinst, als ich zu Elisabeth sag, guck, die Schwestern sind hier doch schneller als der Blitz. Elisabeth muss auch Grinsen, heute geht’s ihr doch ein bisschen besser.
Bei Mutti ist die Wäsche schon durch. Mutti ist nur wieder erstaunt, dass ich schon da bin. Aber sie hatte eine gute Nacht und wirkt entspannt – und freut sich, mich zu sehen.
Erstmal klönen, dann frag ich, ob sie schon Lust auf Frühstück hat. Mutti ist ganz erstaunt, dass es heute Frühstück gibt. „Jo, Mutti, soll ich mal spurten, bevor die andern wie die Heuschrecken darüber herfallen?“ Das bringt Mutti zum Lachen und ich geh, das Tablett holen.
Feiertagsschicht? Das Brot ist zu groß geschnitten, aber kein Problem, ich schneid es mundgerecht und Mutti schafft den ganzen Teller Käsebrot. Während sie isst, erzähl ich von dem Telefonat mit einer Freundin, die wie ich kein Freund von Staubwischen ist. Ich würd ja am liebsten warten, bis die Staubdecke dick genug ist, dass man sie am Stück abziehen kann und wie wir uns ausgetauscht haben, das glatte gerade Schränke ohne Schnörkel, am besten als Einbauschränke doch wirklich am besten sind – Mutti lacht da so schön!
Nach dem Frühstück legt Mutti sich gerne auf die Seite. Und da ich schon gesehen hab, dass sie heute nicht gekämmt ist, kann ich ihr noch mit dem Zackenkamm und Fingern die Vogelnester im Haar entzuzeln. Mutti geniesst das inzwischen – und ich auch.
Dann frag ich, ob sie mal wieder Lust auf eine neue Geschichte hat. Mutti: „Wenn Du Vorlesen magst.“ Mag ich ja gerne, bin doch selbst schon gespannt, wie es weitergeht!
Heute ist es „Der Angsthase“. Verrückt, es gibt wohl doch einen Gott, denn diese Geschichte handelt von Kirche und Gott – perfekt für Karfreitag, findet Mutti auch.
Als wir die Geschichte dann ausklingen lassen, frag ich Mutti, ob sie sich noch daran erinnert, wie weiland Onkel G. Weihnachten der Adventskranz in der Kirche auf die Schultern fiel. Mutti stutzt erst, ich wiederhol nochmal seinen Namen und seinen Heimatort und nochmal „… und dann fiel ihm der grosse Adventskranz von der Decke auf die Schultern.“ – da lacht sie. Sie erinnert sich!
Wir versinken noch mal in Erinnerungen und in das gemütliche Schweigen meint Mutti dann zögerlich, nach Worten suchend: „Hast Du schon … in der Kirche … die Deko weggeräumt?“
Keine Ahnung, was sie meint, aber nach meiner Erfahrung funktioniert meist am besten, was der Wahrheit am nächsten kommt. Ich antworte: „Nö, ich habe alles so gelassen, wie es ist.“
Mutti: „Das ist gut.“
Jo, denk ich, denn ich sehe eine entspannte Mutti, die es so zufrieden ist und bin froh, die richtige Antwort gehabt zu haben. Ich denk schon manchmal „Oh-oo!“ bevor mir eine Antwort einfällt, aber irgendwie klappt das eigentlich immer. Meine Cousine fragte mich neulich am Telefon, ob das nicht schwer sei, aber eigentlich ist es ja Zusammenspiel und Gewohnheit. So, wie eine Mutter das Gebrabbel ihres Kleinkindes kennt und übersetzen kann, während vielleicht die Nachbarin daneben steht und nur „Aga ubu dadda“ versteht. Aber irgendwie ist es doch auch so mit der Sprache der Demenz. Man wächst da hinein und weiß meist intuitiv, auch anhand von Gestik und Mimik, worum es geht.
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim Sa 31 März 2018, 11:16 © Aggi | |
| 20180331 Samstagmorgen: Kurz vor acht im Heim lerne ich bei Mutti wieder eine neue Schwester kennen, Sr. Ao. Sie ist mit der Wäsche bei Mutti fast fertig und streckt mir erstmal die Hand entgegen: „Wir kennen uns noch nicht, ich bin Schwester Ao., normalerweise arbeite ich oben.“ Noch so eine Liebe. Als sie schon zusammenpackt, fragt sie mich, wie wir das mit Muttis Zähnen machen. Ich sag, mach ich gerne und frag, ob sie die Augentropfen schon hatte? Oki, mach ich zusammen mit den Zähnen, kein Problem. Als sie raus ist, seh ich, dass sie auch die Magentablette vergessen hat. Kein Thema, wenn sie aushilft und ich ja eh da bin, ist für mich viel wichtiger die liebevolle Art, wie sie mit Mutti umgeht! Ich laß mir von Mutti die Zähne geben und während ich sie im Bad nebenan putze, ruft Mutti, ob ich meine Zähne auch putze? „Jo, Mutti, alles ein Abwasch!“ rufe ich zurück, aber grinsen muss ich doch. Fülle noch ihren Becher mit Mineralwasser auf und hole eine neue Flasche. Versteht sich von selbst, das ich da immer die von ganz hinten nehme, da kann doch außer den Schwestern und mir keiner ran, wer am Rollator geht. Mutti fragt wie öfter, ob’s meinem Mann auch gut geht. Da bin ich oft gerührt, wenn die Frage kommt, ohne dass ich ihn (und seinen Namen) vorher erwähnt habe! Naja, wir lieben ihn schließlich beide… Zum Frühstück sagt Mutti wieder, das Kopfteil nicht so hoch. Sie bleibt ja zum Frühstück liegen, also fahre ich das Kopfteil hoch. Dabei sehe ich oft, dass es ab einer Höhe ( wo ich noch denke, das ist noch zu flach zum Essen) Mutti schon das Gesicht verzieht, als wenn was weh tut ( dann stoppe ich natürlich auch). Heute sagt sie mit Worten: „Nicht so hoch, sonst klemmt meine Kehle ab.“ Keine Ahnung, wenn ich dann ab der „Höhe“ frag, tut jetzt was weh, tut ihr nichts weh. Aber zu steil, also normales Sitzen will sie nicht, eher so halb-liegend. Ich seh aber beim Essen, dass sie zum Ende hin immer schwerer schluckt, als hätte sie einen Kloß im Hals?! Aber sie schafft den ganzen Teller Brot und den ganzen Becher Kaffee. Die Quarkspeise will sie dann nicht mehr. Auch nicht mit extra Zucker. O.k. Als ich den „Tisch abgedeckt“ hab, baue ich mich wie ein kleines Mädchen vor Mutti auf: „Nun, liebe Mutti, gib fein Acht, ich hab Dir etwas mitgebracht!“ ( diese Nummern kennt sie von mir, sie lacht dann immer so schön!). Gestern hatte ich hier im Forum wohl zwei Stunden lang im Gedichte-Thread gelesen. Den überhaupt erst gestern entdeckt. Gefühlte Werte muss ich tausend Jahre alt werden, um alles zu Lesen, was es hier im Forum an Schätzen gibt. Gestern also die ganzen Gedichte, das war schön und eins hatte ich für Mutti kopiert: „Wir Senioren“ (hatte Resi mal eingestellt) https://www.demenzforum.net/t1161p300-gedicht#24879Muttis Gesicht dabei. Und nach den Absätzen zu sehen, jetzt denkt sie, nun ist zu Ende und dann kommt noch ein Absatz und noch ein Absatz. Wie sie „mitgeht“ – so schön! Hinterher meint sie sinngemäß, dass sie sich noch nie so als „Seniorin“ empfunden hat. Sie bekommt den Satz nicht so raus, ist ein „Ich habe … als ich Rente hatte … die Zeiten nie so …“. Dauert, bis sie den Satz raus hat, aber sie bleibt ganz entspannt dabei. Es quält sie grad nicht, die Worte nicht schnell zu finden. Manchmal bilde ich mir ein (oder wünsche mir), sie darf bei mir sein, wer sie ist. Keine Ahnung. Weil ich bei „Besuch“ den Unterschied erlebe, wenn Mutti sich „zusammenreißt“?! Ich antworte, man ist doch immer so alt, wie man sich fühlt und man kann sich doch auch mit 80 wie 14 fühlen, oder?! – Ja, meint Mutti. Das Gedicht hat ihr gut gefallen, ich singe noch ein paar Zeilen von „Das bißchen Haushalt ist doch kein Problem, sagt mein Mann…“ vor (Mutti lacht), weil das ja auch so Sachen sind, wo’s um „Gruppen“ geht, nicht wahr, Mutti? – Ja, sie stimmt mir zu. Und lächelt so schön. Das hat richtig Spaß gemacht. Auch noch ausgedruckt habe ich den ganzen Text von „Die Blümelein, sie schlafen“, ich möchte ihr ein andermal das ganze Lied vorsingen. Aber alles zu seiner Zeit. Früher, als wir klein waren, hat ihre Mutter, unsere Oma, uns ersten vier (die fünfte war ja als Nachzügler noch nicht auf der Welt) „Die Blümelein“ vorgesungen und sich selbst auf ihrer Zitter begleitet. Das war wie … nix sonst auf der Welt! „Omi, spiel uns noch einmal die Blümelein!“ Ging nur bei den seltenen Besuchen bei ihr in Schleswig-Holstein. Aber unvergessen! Für Mutti auch.
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim So 01 Apr 2018, 16:22 © Aggi | |
| 20180401 Sonntagmorgen: Heut früh merk ich im Nachbardorf, das Ostersonntag ist: Durch die Umleitung wegen der Baustelle fahr ich jetzt morgens immer am Kirchplatz vorbei. Heut Morgen um viertel vor acht ist der mal nicht gähnend leer, sondern gerammelt voll. Ein schönes Gefühl, das das „zur Kirche gehen“ noch nicht ausgestorben ist. Im Heim kommt mir am Pflegestützpunkt schon meine gute Seele Elisabeth entgegen. Ich seh schon von Weitem an ihrem hohen Gehwagen eine Geschenktasche hängen. Elisabeth deutet drauf und winkt mir zu, herzukommen. ^^ Erstmal schau ich zu, wie sie mühsam versucht, die Tasche loszubekommen, hab noch die Bemerkungen der Schwestern im Ohr: „Elisabeth lässt sich nur ungern helfen!“ – Da sagt Elisabeth schon: „Ach, hilf mir doch mal mit der Tasche.“ ( Ich muss schmunzeln, bei Elisabeth kann ich nur verlieren. ). Für mich und meinen Mann eine grosse Schachtel Merci und hartgekochte, bunte Ostereier, dazu zwei süße Porzellan-Eierbecher mit Ostermotiv. „Elisabeth, jetzt hab ich am ganzen Körper eine Gänsehaut!“ – Sie strahlt mich an und ist gleich entsetzt, weil ich auch was für sie habe – das geht ja man gar nicht, also nee nee nee… Mit Elisabeth kann ich offen reden und sag, ist doch nur Marzipan und hat nicht mal ein Euro gekostet: „Schau, Elisabeth, Du bist mir nicht mal ein Euro wert!“ strahle ich sie an und sie willigt grinsend ein. Elisabeth, meine ewige Herausforderung! Aber ich darf ihr noch den Schnürsenkel zubinden ( mit ihrem Stützkorsett kommt sie ja gar nicht zum Fuß runter und das Ding mal eben ablegen, um einen Schuh wieder zu zubinden, ist ja schon eine halbe Weltreise. Ich war mal dabei, als sie es angelegt hatte – und durfte ihr nicht helfen!). Weiter zu Mutti, da ist noch Sr. Ao. zu Gange mit einer gutgelaunten Mutti. Ich kann ihr das Gebiss-putzen wieder abnehmen – „Bevor ich Spinnweben ansetze.“ Und erzähle Sr. Ao. dann ein bißchen von Muttis und meiner gemeinsamer „Wohngemeinschaftszeit“. Da erzählt mir Sr. Ao. dann, sie wohnt im selben Dorf wie ich – na kiek, durch Mutti lerne ich mehr Dorfbewohner kennen als ohne sie. Sr. M. kommt ja auch aus dem Dorf, isses denn, wie klein die Welt immer wieder ist! Augentropfen nehm ich Sr. Ao. dann auch noch ab, im Hinterkopf immer bemüht, das die Schwestern auch merken, ich will ja nur helfen, manchmal hab ich Angst, meine Hilfsangebote könnten auch falsch verstanden werden. Aber scheint alles gut. Ist ja oft auch, weil immer wieder andere Schwestern morgens da sind. Ich frag scherzend, ob’s im Haus eine eigene Produktionsstätte für die vielen guten Schwestern gibt und Sr. Ao. seufzt, eigentlich sind’s immer zu wenig! Jau, innerlich stimme ich zu, vor Mutti halte ich aber den Mund, Mutti liegt so glücklich und zufrieden jetzt frisch gewaschen im Bett und ist froh, mit der Wäsche fertig zu sein. Das heute Ostern ist, hat Mutti schon wieder durcheinander, aber woher auch. Dafür erzähle ich ihr von dem wunderschönen Ostergruß von Kl.Bruder, den er gestern per Email geschickt hatte und beschreibe ihr das Bild: „Mutti, so eins, wo man automatisch gute Laune gekommt.“ in leuchtenden Farben. Sie kennt ihren Sohn und sein Talent, grafisch zu gestalten und freut sich! Zum Frühstück stell ich wieder die Topfblume mit auf den Tischwagen, die dritte Knospe ist jetzt auch so schön aufgeblüht, das erkennt Mutti auch gleich ( ich zeig dann mit dem Finger hin und so, wie sie gleich „Oh ja!“ sagt, weiß ich das). Nach dem Frühstück sag ich Mutti, ich hätte gestern noch was mehr mitgebracht. Erinner sie an das Gedicht „Wir Senioren“. Das weiß sie noch. Hol ich aus und erzähl nochmal von Oma S., wie sie uns Kindern früher in ihrem Haus in Schleswig-Holstein, in Omas Schlafzimmer „Die Blümelein“ vorgesungen hat, dazu auf ihrer Zitter gespielt hat. Beschreib Mutti das möglichst bildhaft und sehe, wie Mutti wieder in Omis Schlafzimmer ist mit den herrlich alten Holzmöbeln. Omi an ihrem kleinen Tisch da am Fenster, wo sie Briefe geschrieben hat oder für uns Kinder, die wir dann auf ihrer Bettkante wie die Hühner auf der Stange saßen, ihre Zitter hervorholte und uns „Die Blümelein“ sang. Wenn wir nur lieb genug gebettelt hatten „Omi, sing uns noch einmal die Blümelein.“ Mutti ist ganz dabei. „Ja, Mutti hatte ihre Lieder, die sie kannte.“ Nach Muttis Erzählungen war Omi ein wandelndes Lieder- und Gedichtsbuch. Ich habe einen Kloß im Hals und Angst, mir kippt gleich die Stimme weg. Hab schon lange nicht mehr gesungen, aber Mutti meint, doch, sing. Und ich singe. Alle vier Strophen. Und sehe, wie sich Mutti noch anders entspannt als sonst. Hinterher sagt sie, ich habe schön gesungen. Vielleicht schaffe ich das ja öfter, hat mich ganz schön Überwindung gekostet, aber der Effekt war gut. Ich werde mal auf die Suche gehen, ob ich noch andere Lieder finden, mit denen ich Mutti erreiche. Das hier hab ich ja irgendwie auch für mich getan. Keine Ahnung, ich hatte Tränen in den Augen, darum denke ich das.
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim Mo 02 Apr 2018, 10:26 © Aggi | |
| 20180402 Montagmorgen: Heut früh muss ich sogar die Scheiben an meinem Auto kratzen, mal gucken, ob der Tag so schön wird wie versprochen. Als ich beim Heim vom Parkplatz komme, erhasche ich bei einem Seitenfenster Sr. N., wie sie grade zu einem Bewohner ins Zimmer geht. Während ich weiter gehe, höre ich ein Klopfen am Fenster: Sr. N. macht die Terrassentür auf und wünscht mir fröhlich strahlend frohe Ostern! Ich mache einen Knicks und wünsche ihr das auch! Ach schön! Im Gang zu Mutti treff ich wie immer meine gute Seele Elisabeth, die sich nochmal für das Marzipan bedankt. Ihr Mann hätte sich so gefreut. Und umgekehrt meiner über ihr Geschenk. Ich scherze, wie er gestern schon Angst bekam, wenn ihm so tolle Frauen aus dem Heim so schöne Geschenke machen, ob ihn das demnächst zu „Gefälligkeiten“ zwingt. Elisabeth muss schmunzeln, ich hab ihr ja schon öfter erzählt, dass mein Mann alles immer in einen Scherz verpackt. Bei Mutti ist die Wäsche schon durch. Mutti freut sich, mich zu sehen! Ich wünsch ihr nochmal „Frohe Ostern“ – wir haben ja noch Ostermontag. Ich taste nach, wie Muttis Ostersonntag war. Och, ihr war so gar nicht nach Ostern. Aber keine Beschwerden, keine Schmerzen. „Ich hab viel geschlafen.“ So ist sie es zufrieden. Bloß kein „Gedöns“. Zum Frühstück fragt sie gern auch mal, was es Neues aus meinem Dorf gibt. Da wir Feiertags ja gar nichts erleben – wir sind nicht so die Dorfgänger, die z.B. am Osterfeuer teilnehmen – erzähl ich Mutti stattdessen, wie mein Mann mir gestern all die Hausarbeiten abgenommen hat, die ich eigentlich auf dem Plan hatte. Mutti muss dann immer lachen, weil er von sich selbst immer behauptet, er würde den ganzen Tag nur auf dem Sofa sitzen. Sie mag diese Geschichten, wie es zwischen uns beiden harmoniert. Ich habe dabei selber immer im Hinterkopf, dass es mit ihrem Mann, meinem Vater so ganz anders war. Der hat nie bei der Hausarbeit mitgeholfen – oder im Garten. Keine Ahnung, ob sie von daher darauf kommt. Als das Frühstück fertig ist und sie gemütlich liegt, meint sie ganz gelassen, es sei schon merkwürdig, dass sie grad wieder von Vattern gehört hätte. Ich weiß sofort, dass sie nicht ihren Vater sondern meinen meint. Frag: „Was war denn?“ Sie erzählt mit Unterbrechungen und manchmal den falschen Worten, dass sie wieder im Heimatort war (den Namen hat sie parat, stutzt und fragt mich, ob der Name richtig ist – ja, Mutti). Da ist sie nach oben ins Haus (unser Elternhaus) gegangen, wo Vattern in der Küche stand, mit einer Scheibe Brot in der Hand, wo die Autoleute dieses …. na, wie heißt das? Fragt sie mich. Ich sag ganz ruhig: „Er stand jedenfalls in der Küche mit einer Scheibe Brot in der Hand?“ und Mutti fährt fort: „Ja, und machte den Mund so weit auf (macht es mir vor) … und nichts. Da habe ich mich umgedreht und bin über den Parkplatz gegangen. Und dann war er auf dem Parkplatz von Sch., aber hat wieder nur da gestanden, da bin ich über den Parkplatz von R. weggegangen. (Vorname, Nachname meines Vaters) ist es doch nicht wert, dass ich mich um ihn kümmer.“ Sagt sie so. Nicht glücklich, aber auch nicht traurig. Eher etwas enttäuscht, dass er wie immer nichts gesagt hat zu ihr. Sag ich also zu ihr: „Er war doch immer sehr hilflos.“ – Sagt Mutti: „Ja, er war immer hilflos. Nur nicht, wenn er sein Ding gemacht hat.“ Mir kommt es so vor, als sei es wichtig, dass Mutti das grad klargeworden ist. Keine Ahnung, jedenfalls denk ich, passt es jetzt, sie zu fragen, ob sie noch Kaffee trinken möchte. Möchte sie noch. Und damit ist das Thema auch durch für heute. Unwichtig, das er jetzt seit elf Jahren tot ist. Dieser Mann belastet bis heute noch. Muss man doch drüber reden können. Da ich denk, es passt noch, hol ich mein Gesangbuch raus, dass ich heut früh eingesteckt hab und erzähl Mutti, dass ich Lieder suche. Ob sie auswendig welche weiss, weil ich mich aus Gesangbuchzeiten kaum an welche erinnere. Kann Mutti nichts zu sagen, aber ich erzähl, wie ich früher das Singen in der Kirche empfunden hab. Dies, kommt endlich mal ein Lied, dass man kennt, singen die doch echt nur eine Strophe und man darf nichtmal „Buh“-Rufen, also nee nee nee … Mutti muss lachen! Oder diese Lieder, die keiner kennt, aber über drei Oktaven gehen, wo man sich die Augen verblitzt, weil das so schwer ist, gleichzeitig die Noten zu lesen und dem unbekannten Text zu folgen, und davon dann gefühlte 25 Strophen, die echt kein Spaß machen, also echt! – Mutti kugelt sich im Bett vor Lachen! Dann erinnert sie sich wieder an Pommern, Gesangbuchfest in dem Sinne war sie auch nie. Meint, liegt wohl auch daran, dass im Osten noch wieder andere (ich sag mal) Bräuche vorherrschten als dann nach der Flucht in Schleswig-Holstein. Sucht viel nach Worten, stört sich aber nicht dran, schwelgt in Erinnerungen an ihre Mutter, die wohl ziemlich Bibelfest war. Und erteilt mir Absolution, weil ich das nicht bin. „Das macht doch nichts.“ Meine Mutti ist cool. Ich war noch sehr klein, da hat sie mir im erzkatholischen Heimatort (wir waren ja die Protestanten) erklärt, wenn mir danach ist, kann ich auch auf dem Klo beten. Das hat mich fürs Leben geprägt.
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim Di 03 Apr 2018, 12:06 © Aggi | |
| 20180403 Dienstagmorgen:
Als ich heut früh bei Mutti ankomme, ist wieder Sr. Ao. da, ist gerade mit dem Haare waschen bei Mutti fertig (im Bett). Ich krieg die Kurve mal nachzufragen, wo ich veranlassen kann, dass Mutti nur noch einmal im Monat die Haare gewaschen werden, weil ihr Haar eher immer zu trocken ist und täglich so verfilzt. Sr. Ao. verspricht, dass der Pflegeschwester weiterzugeben, damit die das notiert. Entschuldigt sich schier, es sei so im „Rhythmus“, aber ich sag nochmal extra, dass das absolut nicht als Vorwurf gemeint war, nur vom organisatorischen her.
Ich helf dann wie immer mit Handreichungen, putze Muttis Zähne, hänge Nachthemden auf, gebe Mutti die Magentablette und die Augentropfen. Bloß das Haare kämmen nach dem Fönen kann ich Mutti nicht ersparen, aber ich bin ja lernfähig. Notfalls muss Mutti sich auch mal selber wehren, wenn ihr was zu dolle wird und noch kann sie das auch.
Sr. Ao. ist nämlich eine von den fürsorglichen, beugt sich immer so lieb zu Muttis Gesicht und bringt Mutti zum Lachen. Morgen ist sie wieder da – wenn man sich da schon drüber freut, sagt das doch alles.
Vorher noch während der Wäsche am Bett werde ich das Gefühl nicht los, Mutti hat grad den gestrigen Besuch von Kl.Bruder und Freundin vergessen. Ich frag so nach und sie weiß erstmal von Nichts. Aber die Wäsche ist auch immer anstrengend für sie, hinterher weiß sie wieder, dass sie gestern so schönen Besuch hatte.
Ich lasse sie erstmal verschnaufen und steck ihr die Kopfkissen nochmal zurecht, Mutti liegt da wie ein Flitzebogen. Als ich die Kissen wieder so platt und flach hab, wie sie es mag, meint sie, so ist besser. Aber nee, drum bitten, hilf mir mal, ich lieg merkwürdig, das tät sie wohl nicht…
Kommt daher mein „Beschützersyndrom“? Weil ich weiß, dass sie eher alles klaglos über sich ergehen lässt, selbst wenn sie wie grad selber zugibt, dass sie vorher richtig unbequem gelegen hat?
Heut früh sind’s wieder anderthalb Scheiben Brot, die sie mit gutem Appetit aufisst und hinterher selber lächelt, das sei richtig gut gewesen. Um dann ungefähr eine Minute später zu sagen, sie isst ja nicht mehr so viel wie früher. ^^
Da ich noch für Elisabeth und mich selbst ins Dorf muss einkaufen, frag ich wie jedes Mal, ob ich auch ihr was mitbringen kann. „Ich hab hier doch alles.“ Wunschlos glücklich. Dafür erklär ich Mutti meinen Meisterdieb-Plan, ich soll Elisabeth wieder Zigaretten holen. Die hat mir 30 Euro gegeben und gesagt, die zwei Euro soll ich dann behalten. Bloss ist der Laden mit den 7 Euro-Schachteln Lord Extra inzwischen „leergekauft“. Jetzt muss ich in den anderen Dorfladen, wo’s die kleineren Packungen für 6 Euro 30 gibt. Mein Meisterdieb-Plan: Ich hole 5 Stück, dann kann ich Trinkgeld loswerden, das Elisabeth ja immer im Überfluss gibt. Ich tu es gern und will nix dran verdienen.
Gesagt getan, ab ins Dorf. Wieder im Heim seh ich Elisabeth im Zimmer von Frau H. – die Tür steht offen und ich klopf an: „Bitte um Erlaubnis, eintreten zu dürfen.“ Elisabeth sagt: „Ja.“ Aber von Frau H. um die Ecke kommt ein energisches „Nein!“. Grinsend trete ich ein und als Frau H. mich erkennt, meint sie gleich: „Ach, Du bist es, Du kannst natürlich rein kommen.“
Ich war noch nicht in ihrem Zimmer. So schön eingerichtet mit Ölgemälde und Bilderrahmen, Spitzendecken, Fototisch etc. Ich lobe Frau H. für die Einrichtung und sie strahlt mich liegend vom Bett her an und fragt mich ganz direkt, ob Mutti noch wieder gesund wird. Wahrheitsgemäss sag ich, Nein, aber ich könne sie noch jeden Tag zum Lachen bringen und Mutti sei es zufrieden so, wie es ist. „Mutti sagt immer, hauptsache, ich werde in Ruhe gelassen.“ Als ich das gesagt habe, wird Frau H. ganz energisch: „DAS verstehen die wenigsten! Dabei ist das so. Meine Güte, ich hab keine Lust mehr auf diese ganzen Sachen: Da ist ein Wasserhahn kaputt und dort ist wieder was zu richten!“ Jo, wir drei Frauen sind uns einig, irgendwann hat man echt genug gearbeitet im Leben und dann ist ja wohl mal gut mit den ewigen Forderungen! Schnell werde ich noch eingeweiht, dass hier im Haus die Soundso die vorherrschende Grand Dame ist und ich deute einen Hofknicks an, um zu zeigen, dass ich verstanden hab. Elisabeth und Frau H. nicken und brechen in Lachen aus, als ich andeute, dass ich leider aus dem Knicks von alleine nicht wieder hoch komme … „Ja, der Rücken, das kennen wir!“
Herrlich diese Frauen! Mit neuen Lachfalten geh ich noch rüber zu Mutti, die sich über die neusten „Heimgeschichten“ freut, als schon die Tür aufgeht: Elisabeth. Der hatte ich wunschgemäß ihre Schachteln Zigaretten wie immer in ihr Zimmer gelegt. Nun kommt sie rein, grüßt Mutti, Mutti: „Hi!“ (*gg*), Elisabeth: „Hi!“ und hält mir mit unmissverständlichem Blick („Sei jetzt lieb, ich hab ein Gemüsemesser in meiner Tasche!!!“) 2 Euro hin. Muss ich annehmen, sonst gibt’s Haue für Aggi. Elisabeth: „Ich kann doch rechnen!“ Ich zu Mutti: „Siehste, hab ich Dir doch gesagt, Elisabeth ist eine harte Nuss!“ Mutti grinst, Elisabeth grinst und ich erkläre mich zum Verlierer dieser Schlacht, das tausendste 1:0 für Elisabeth… Als sich Elisabeth an ihrem Gehwagen schon gewendet hat, um zu Gehen, erkenne ich überhaupt erst, dass sie mir nicht zwei sondern drei Euro gegeben hat. Also nee nee nee … aber beim Versuch, sie einzuholen, ziehe ich den Kürzeren. Elisabeth schaltet an ihrem Gehwagen mal eben so den Turbo ein und ich habe das Nachsehen…
Und Mutti lacht von einem Ohr zum andern – besser geht nicht.
Und keine Sorge, ich weiß ja, wo Elisabeth wohnt. Das Geld kriegt sie auf Umwegen von mir zurück. Das hat schon was von einem Schachspiel, wo ich noch lernen muss, fünfzehn Züge im Voraus zu denken.
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim Mi 04 Apr 2018, 11:24 © Aggi | |
| 20180404 Mittwochmorgen: Kurz vor acht beim Heim sehe ich durch die Eingangstür von innen schon meine gute Seele Elisabeth winken. Sie ist nicht gut drauf. Was ich gar nicht wusste, neulich der Termin, wo sie nochmal zu ihrem Haus fahren wollte, hatte gar nicht geklappt. Der ist nun heute. Elisabeths Stimme kippt: „Jetzt heute alles sichten und aussortieren.“ Sie ist kurz vorm Weinen. Fängt an zu schimpfen, dass bestimmt keiner dran denkt, während sie weg ist, ihrem Mann zu trinken zu geben. Das macht sie doch sonst immer. Ich versuche, sie zu trösten, sie könne den Schwestern schon vertrauen, aber Elisabeth ist auf Krawall gebürstet. Ich hoffe, sich ärgern lenkt von dem Schmerz ab. Hab meine Hand auf ihrer liegen und sag, ich bleib in Gedanken bei Dir… Am liebsten würde ich mich zweiteilen und bei Elisabeth mitfahren, aber das geht nicht. Bei Mutti ist noch Sr. Ao. zugange, Mutti freut sich, dass ich komme und ich bringe sie während der Wäsche damit zum Lachen, dass ich Bauchschmerzen hab. „Keine Sorge, Mutti, ich bin nicht krank. Das ist das Oster-Eigentor: Hab gestern Abend viel zu viel Schokolade gefressen … komisch, ich kann erst aufhören, wenn die Packung leer ist!“ Mutti mag diese Ablenkungen. Beim Rum-Rollen auf dem Bett ist sie jeden Morgen unsicher, hat Angst, die Schwester könnte sie aus dem Bett fallen lassen. Das ist schon technisch unmöglich, aber Muttis Angst bleibt. Darum bringe ich sie so gern zum Lachen, dann ist alles erträglicher. Darf auch wieder die Zähne putzen. Währenddessen fragt Sr. Ao., wie wir das mit Muttis Kinnhaaren machen. Der Einwegrasierer ist weg und ich schlag vor, neue zu besorgen. Die vom Heim für Stück 90 Cent kann ich günstiger selber kaufen. Sr. Ao. ist morgen wieder da und findet die Idee gut, lassen wir heute einfach „Portraitaufnahmen“ von Mutti weg – Mutti lacht! Ich kann noch schöne Grüße von ihrem Lieblingsneffen ausrichten, den ich gestern endlich erreicht habe. Imitiere seine Stimme ( nicht, um mich über ihn lustig zu machen, sondern um damit Muttis Erinnerungen zu wecken - klappt auf Anhieb, dass sehe ich daran, wie sich Muttis Gesicht gleich verklärt.) Frag sie, ob sie sich noch erinnert, wie er das letzte Mal noch spontan bei ihr zu Besuch war, mit Kuchen in der Hand, noch in ihrem Haus: "Da konntest Du noch selber laufen." - Mutti erinnert sich. Das war so schön. Man kann ihn so gut um sich haben, meint Mutti. Er ist so unkompliziert. ( Das ist für Mutti längst das Wichtigste bei Besuchern - sind sie unkompliziert, ist alles gut!). Heute fragt Mutti mal von sich aus, ob ich das Frühstück hole. Ich freu mich, ein andermal glaubt sie ja schon mal, sie hätte schon gegessen, wenn’s noch gar nichts gab! Und heute gibt’s Maurerfrühstück. Der Teller ist extra voll. Wie immer mit viel Marmelade und Käse. Mutti steht unverändert drauf. Bitte nichts dran ändern! Innerlich wette ich mit mir selbst, diese Menge schafft Mutti nicht – und verliere! ^^ Mutti schafft den ganzen Teller und den ganzen Becher Kaffee. Und alles heut Morgen bei strahlend Sonnenschein und zwitschernden Vögeln, die wir durchs geöffnete Fenster hören. Nur den Specht, den ich immer höre, kann Mutti nicht hören, aber ich erzähle immer von ihm. Und einen Fasan höre ich auch, aber den Ruf kann ich nicht nachahmen, da stoß ich an meine Leistungsgrenze. Nach dem Frühstück mag Mutti auch noch wieder eine Geschichte aus unserm Buch hören. Diesmal „Das Küchenkonzert“. Das macht uns beiden richtig Spaß. Hinterher frage ich sie, als wir die Geschichte ausklingen lassen, ob früher in Pommern Oma und Opa auch mit ihnen gesungen haben. Da kommt Mutti noch mal richtig ins Reden. Opa war ja als Förster meist nicht da, aber Oma hat gern und viel gesungen. Aber wenn Opa feiertags da war, hat er auch mitgesungen. Hat auch gerne in der kleinen Dorfkirche kräftig mitgesungen, erzählt Mutti. Er mochte nur eines nicht: Wenn andere, während man am Singen war, dazwischen geredet haben! Jau, Mutti, das geht ja mal gaaaaaaar nicht!
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim Fr 06 Apr 2018, 06:06 © Aggi | |
| 20180405 Donnerstagmorgen: Tse… da fahr ich extra früher los, um die Einweg-Rasierer rechtzeitig mitzubringen, und werde von einem Gabelstapler ausgebremst … nix zu machen. Die Wäsche ist schon durch, Sr. Ao. und Mutti lächeln mir entgegen. Aber Sr. Ao. freut sich über die Rasierer und rasiert Mutti direkt noch die Gesichtshaare. Als wir dann alleine sind, kann ich Mutti das Foto zeigen, dass ich gestern noch von ihrem Lieblingsneffen bekommen habe. Ist ja auch schon wieder Jahre her, dass sie ihn zuletzt gesehen hat und ich konnte das Bild auf A4 ausdrucken. Wieviel Mutti erkennt, ist auch für mich schwer zu sagen, aber sie seufzt glücklich: „Ach (Vorname von ihm)!“ Bloss wie ich mir schon gedacht hab, aufhängen soll ich das Bild nicht. „Nee, lass man.“ Aber ich darf es in ihren Schrank legen, dann kann ich es jederzeit wieder hervorholen. Irgendwie kann ich Mutti auch verstehen. Als ich klein war, hatte ich bei Portrait-Aufnahmen das Problem mit den „verfolgenden“ Augen – immer wirste angeguckt in Deinem eigenen Zimmer, kannst nicht mal unbemerkt in der Nase bohren, also nee nee nee… Mutti lacht! ^^ Beim Frühstück plauder ich mit Mutti über „graue“ Haare, weil die Frau von ihrem Lieblingsneffen inzwischen ja ganz ergraut ist. Ich finde das so schön, kann selbst nicht abwarten, endlich mehr als nur meine sieben „grauen“ Haare zu kriegen. Da fällt Mutti wieder die Geschichte aus ihre Lehrzeit ein, als sie Krankenschwester wurde (oder schon war). Da war diese Ärztin, Mutti sucht nach ihrem Namen: „Es war ein ganz einfacher, einsilbig, Mien?“ Ich kenn die Geschichte, den Namen weiß ich aber auch nicht. Hier die Langversion, Mutti erzählt mir heut die Kurzversion, aber ich hör es immer gerne: Die Ärztin war schlohweiß und feierte ihren Geburtstag. Irgendwer traute sich dann zu fragen, wie alt sie denn geworden sei. Da meinte die Ärztin, die sich ihrer weißen Haare durchaus bewusst war, ganz selbstbewusst: „Heute bin ich dreissig geworden. Und meine Haare sind schon seit einem Jahr so weiß.“ Mutti erinnert noch, wie alle staunten, weil alle automatisch geglaubt hatten, sie müsse schon älter sein. Nach dem Frühstück kommt es noch zu einer süßen Plauderei mit der lieben „Sr.“ L., die zum Bad putzen kommt. Irgendwie kommen wir auf Kinder zu sprechen und sie erzählt von ihren Töchtern und kommt dann nochmal zurück, mir Handy-Fotos zu zeigen. Sagt dabei dazu, sie weiß ja, dass Mutti die kleinen Bilder auf dem Handy nicht erkennen kann. Aber so süße Bilder, ich beschreibe Mutti die Fotos (L. kennt das schon von mir) und Mutti erlebt so alles mit. Mutterstolz teilen. Die liebe L. würde eine fantastische Pflegeschwester abgeben, das Einfühlungsvermögen hat sie. Und für Mutti sind auch das schöne Abwechslungen. Zwischendurch noch ein kleiner Einkauf für Elisabeth – dann nochmal zu Mutti rein. Wenn ich mich dann endgültig verabschiede und noch bei ihr auf dem Bett sitze, ihre Hand halte und mich verabschiede, geht mir immer das Herz auf, wenn ich sag: „Ich hab Dich lieb.“ und wie sie dann oft antwortet: „Ich Dich doch auch.“
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim Fr 06 Apr 2018, 11:44 © Aggi | |
| 20180406 Freitagmorgen: Sternklare Nacht, Raureif auf dem Rasen – wieso wunder ich mich, dass ich beim Auto kratzen muß? Oder nee, mehr ein Ärgern, hätte früher rausgehen sollen, also nee… Um acht im Heim kommt mir schon meine gute Seele Elisabeth entgegen, die hatte schon geschaut, ob ich schon bei Mutti bin. Ob ich ihr, NUR WENN ich Zeit hab, nochmal Zigaretten holen kann? Kein Thema, ist doch meine Chance, ihr das neulich zu hohe „Trinkgeld“ wieder „unterzujubeln“. ^^ Bei Mutti war die Wäsche schon durch. Mutti: „Ich freu mich, Dich zu sehen!“ Worte, die mir wie Honig den Rücken runtergehen. Inzwischen haben wir strahlend blauen Himmel, in den Morgenstunden ist Muttis Zimmer bei Sonnenschein das schönste Zimmer im ganzen Umkreis, so herrlich lichtdurchflutet. Das mögen und genießen wir! Ich träume wieder davon, mit Mutti mal eine Ausfahrt zu machen, aber noch ist es viel zu kalt. Als ich Mutti wegen Frühstück frag, meint sie, das erste Frühstück sei schon durch. Sag ich, beim Reinkommen hätt ich im Dienstzimmer Tabletts gesehen, ob ich mal gucken gehen soll, ob noch was zu kriegen ist? Das ist in Ordnung. Da treff ich dann Sr. Au., die sich auch noch für die Schokolade wegen der Fotoaktion neulich bedankt. Ich kann ihr erzählen, welche Freude die zwei Bilder bereitet haben und dass es gar nicht genug Schokolade gibt, um das wieder gut zu machen. Sie freut sich. Und das erzähl ich dann beim Frühstück wieder der Mutti, die sich auch freut. Aber nach dem Frühstück ist Mutti heute ziemlich müde. Möchte heute auch keine Geschichte hören, einfach nur einkuscheln und liegen. Alles gut. Dafür bringt unser "Sr." L. noch Abwechslung in unsere gedankenverlorene Stimmung: Sie stellt fest, dass die Gardine von der Schiene rutscht und steigt mal eben auf den Tisch und nupst die Nupsis wieder rein. Ich hatte das zwar gesehen, mich aber nicht getraut (bin zwei Köpfe größer als sie und hatte Angst, der Tisch geht unter mir zu Bruch...). So können wir noch darüber plaudern, warum die Kinder im Haus immer verschwunden sind, wenn man sie braucht, aber wehe, "Muttern" holt den Wischeimer raus: Kurz vor fertig sind alle wieder da und unter Garantie alle mit Schmutzstiefeln an. ^^ - Auch die Schwester aus der Küche, die das Tablett abholen kommt, bestätigt das! - Mutti lacht, weil ich behaupte, dann seien wir fünf früher jedenfalls nie mit böser Absicht ins Haus gekommen, wenn sie grad am Wischen war. Mutti: "Naa, ich weiß nicht."
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| | | Ann Ist hier Zuhause
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim Fr 06 Apr 2018, 12:12 © Ann | |
| Liebe Aggi,
ich lese hier fleißig mit und finde es soo schön, wie harmonisch das bei euch abläuft!
Schönes Wochenende! |
| | | Aggi Ist hier Zuhause
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim So 08 Apr 2018, 11:35 © Aggi | |
| Liebe Ann, - Ann schrieb:
- ich lese hier fleißig mit und finde es soo schön, wie harmonisch das bei euch abläuft!
solche Zeilen find ich schöner als die schönste Postkarte - Dankeschön! Dir einen lieben Gruß, Aggi ++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++ 20180407 Samstagmorgen: Zehn vor acht im Heim treffe ich im Flur meine gute Seele Elisabeth, die grad aus ihrem Zimmer kommt. Ist ja schräg gegenüber von Muttis Zimmer und ich frag, wie’s ihr geht? Elisabeth fängt direkt an zu schimpfen. Irgendwas mit Tempos unter ihrem Bett, die die Putzfrau entweder klaut oder hervor holen soll. Heut Morgen werde ich nicht ganz schlau aus Elisabeth und versuche es mit Diplomatie. Nehme vor allem erstmal „unsere Sr. L.“ in Schutz, für die würde ich ja meine Hand ins Feuer legen. Frag, ob ich eben die Sachen unter Elisabeths Bett hervor holen soll? „Das wär ja noch schöner!“ schimpft Elisabeth weiter. Ich merk auf alle Fälle, es geht um nix Tragisches, schimpfen lassen ist viel wichtiger und so behalte ich meine gute Laune und Elisabeth lässt Mutti schön grüssen. Mutti lacht dann erstmal, dass ich Elisabeth jeden Morgen treffe! Die Wäsche war schon durch: „Ich bin schon gewaschen und gebügelt.“ lächelt Mutti mich an. Und weiß schon, dass wir heut Morgen wohl schon 20 Grad haben. Wurscht, denk ich, Zeit ist relativ, mache die Gardinen auf: „Ja, Mutti, so ein schöner Tag wieder, schau, strahlend blauer Himmel!“ Zur Frage nach dem Frühstück ist Mutti wieder überzeugt, das gab’s schon, findet es aber gut, dass ich gucken geh, ob ich noch was finde. Sie liegt da und lächelt mir so entspannt zu, während ich rausgehe! Heut am Wochenende ist das Brot mal wieder zu groß geschnitten. Kein Problem, ich hab schon gelernt, beim Tablett holen immer drauf zu achten, dass auch ein Messer dabei ist, wenn nötig. Und wie jeden Morgen „Ich tu noch ein‘ Schluck kalt Wasser auf den Kaffee, damit er nicht zu heiß ist.“ – „Ja, das ist gut.“ Mutti lässt es sich schmecken und meint nach dem halben Teller, sie sei satt. Ich erzähl derweil von meinen für-heute-draußen-Plänen. Mutti hat ihr Leben lang die Gartenarbeit geliebt und hört immer mit Begeisterung zu, was ich so plane. Ist nie was Besonderes, ihr gefallen am meisten die kleinen Handgriffe – mir fällt grad kein Beispiel ein – was so typisch beim draußen-werkeln ist. Ich erinnere Mutti mal wieder an ihre „Morgens“-Tabletten: „Hier sind noch Deine beiden halben Tabletten für heute Morgen.“ Oft fragt sie jetzt nach, ob sie die jetzt oder heute nehmen muss. „Ja, Mutti, einfach aus dem Becher trinken, dann können sie nicht daneben fallen.“ Manchmal nimmt sie den gelben Tablettenbecher auch von sich aus in die Hand, fühlt meist mit dem Finger nach, ob was drinnen ist, vergisst teils auch mit dem Becher in der Hand denselben. Nach den Tabletten und dem Schluck Kaffee danach frag ich nochmal, ob sie noch was Essen mag: „Du, da sind noch Stücken Käsebrot auf dem Teller.“ Da isst Mutti dann doch noch den ganzen Teller leer. Hinterher, als Mutti sich gemütlich auf die Seite gekuschelt hat, nehme ich unser Buch zur Hand, zeig es ihr, ob ich heute nochmal eine Geschichte vorlesen darf? Mutti fragt, was das für ein Buch sei und meint dann: „Lass Dich nicht abhalten.“ Aber mit einer Stimme, die mir sagt, sie möchte heut wohl auch eine Geschichte hören. Es ist „Die alte Frau und das Meer“ und ich denke beim Lesen, ob ich daran dieselbe Freude hätte, würde ich das Buch alleine, ohne Mutti lesen? Ich glaube nicht. Zeile um Zeile Muttis Gesicht und ihre schönen Reaktionen beobachten füllen diese Geschichten erst richtig mit Leben. Am Ende klappe ich das Buch zu und muss mir vor Rührung erstmal die Nase putzen. Sag schneuzend zu Mutti: „Jetzt hab ich eine Gänsehaut.“ – Meint Mutti lächelnd: „Das war auch zum Gänsehaut anziehen!“ ++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++ 20180408 Sonntagmorgen: Zehn vor acht im Heim ist die Wäsche bei Mutti noch in Gange. Die Sr. erzählt, sie mussten heute schon um 6 Uhr anfangen, weil eine ausgefallen ist. Aber das würde ihr nichts ausmachen, sie sei Frühaufsteher. Ich helfe beim Laken wechseln – Mutti merkt wohl gar nicht mehr, wenn ihr ein Malheur passiert. Auch andere Handreichungen, die möglich sind. Die Schwester kenne ich vom Sehen, auch so eine Nette! Haare kämmen und Augentropfen mach ich auch wohl, worüber sie sich freut: „Ich hätte sonst Angst, es ziept zu doll.“ Dann erstmal mit Mutti klönen. Gestern war ja so schön und ich erzähl von meinen Gartenarbeiten. Wie ich mit dem ungewohnten Grubber beim Kampf gegen den Giersch erstmal ein Monsterloch in den Schilfmattenzaun geschreddert hab. Giersch kennt Mutti auch. Erzählt, wie sie früher (ich vermute, in Pommern) drei Jahre hintereinander immer wieder von vorn eine Stelle bearbeiten mussten, um dem Unkraut Herr zu werden. Nach dem Frühstück mach ich noch Muttis Fingernägel mit der Nagelfeile sauber. Beim Frühstück morgens mit dem Marmeladenbrot bleibt ja nicht aus, das viel Marmelade unter die Fingernägel geht. Aber Fingernägel schneiden tut noch nicht not, meint Mutti. Sie sagt Bescheid, wenn es so weit ist, sagt sie und ich lache: „Solange Du nicht schon mit den Fingernägeln an der Wand lang kratscht!“ – Mutti lacht so schön! Dann noch die Haare mit dem Zackenkamm. So viele Vogelnester, ein gordischer Knoten nach dem anderen. Ich nehme wieder das Haaröl zur Hilfe, damit löse ich die Kletten ganz gut mit den Fingern, dann geht es besser. Irgendwie geht beim Haare waschen im Bett wohl nicht genug Shampoo aus dem Haar wieder raus. Ich bring nochmal mein eigenes Haar-Antiflieg-Dings-Spray mit. Muttis Haar ist so trocken, dass es fliegt wie bei Schneeluft. Am Ende – dauert heut was länger, weil ich Mutti ja nicht quälen will, meint Mutti, da würde ich mir aber was antun. Da lächel ich sie an: „Früher beim Puppenspiel hab ich am liebsten meine Puppen einfach nur gekämmt. Stundenlang. – Schau, Du tust mir noch einen Gefallen, wenn ich Dich kämmen darf!“ – Mutti strahlt! Zum Abschied, als ich auf ihrem Bett sitze und wie immer noch ihre Hand halte, meint sie mal wieder, ich müsse aber nicht jeden Morgen kommen, wenn ich was anderes vorhabe. Sag ich, ich käme doch so gerne und würde die Stunden mit ihr doch soooo sehr geniessen. Da lächelt Mutti ganz sanft und sagt: „Ja, das sagt die Aggi auch immer!“ Und ich bin glücklich, ist doch schön! So hat Mutti den Moment halt mindestens schon zwei, die so gerne bei ihr sind. Schöner geht’s doch nicht!!!
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| | | felixx Ist hier Zuhause
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim So 08 Apr 2018, 21:29 © felixx | |
| Hallo Aggi! Wollte schon Vermissten-Anzeige aufgeben gestern, weil dein Eintrag fehlte! Aber jetzt ist alles gut! Wie ich lese, auch bei dir (euch) -manchmal lächelt der liebe Gott!
Felixx
Nur weil es gerade schwer ist, darfst du nicht gleich aufgeben. Es wird nicht einfacher, wenn du davor wegläufst. |
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim Mo 09 Apr 2018, 05:23 © Aggi | |
| Liebe Felixx, - felixx schrieb:
- Wollte schon Vermissten-Anzeige aufgeben gestern, weil dein Eintrag fehlte!
Lag wirklich nur an der ungewohnten Gartenarbeit: Bin abends ins Haus gestackert wie eine 97-jährige Dame auf High-Core Athrose ... hab jetzt Muskelkater an Stellen, wo gar keine Muskeln sind. Als wir 2014 hier eingezogen waren, war der Garten total verwahrlost. Im ersten Jahr konnte ich ja noch richtig wuppen, im zweiten noch ein bisschen, dann lag er quasi brach, weil mein Mann mit seinen eigenen Beschwerden nicht Unkraut-jäten kann. Und jetzt mit den zwei wunderschönen Tagen konnte ich mich mal richtig austoben - ich hab das so vermisst! Und Mutti dann diese Geschichten erzählen, ihr gestern erstmal vorgemacht, wie ich Samstag abend ins Haus gehumpelt bin - sie hat so gelacht, dass ihr die Bettdecke vom Bauch gerutscht ist. Und dann diese "Weisst Du noch"-Geschichten: Mutti, weißt Du noch, wie Du mal nach Deiner Gartenarbeit ins Haus kamst und wir Kinder geschrien haben, weil Dein Arm total am Bluten war? Und Du hast nur lässig auf den Arm geguckt und gesagt, wo kommt das denn her? Hab ihr dann stolz von meinem Monster-Blauem Fleck erzählt am Knie mit dem schicken Schmiss, wohl 15 cm lang. Diese Gartenarbeitswunden, die so richtig was her machen, aber überhaupt nicht schlimm sind und die man aber wirklich erst merkt, wenn man hinterher wieder drinnen ist und zur Ruhe kommt. "Hee? Was hab ich da denn?" Und dann in den seltensten Fällen weiß, wo das überhaupt draußen im Garten passiert ist. Mutti war die ganze Zeit so schön am Nicken. Was hat sie früher gewühlt und geackert in ihrem Garten. Einen Fischteich z.B. ganz alleine angelegt. Aus Spaß an der Freud! Ich dagegen bin ja schon stolz, wenn ich mal zerkratzte Arme hab.^^ Aber so kann ich Mutti wieder schön ins Reich der Erinnerungen bringen und unser Garten wird wieder aufgeforstet! - felixx schrieb:
- Wie ich lese, auch bei dir (euch) -manchmal lächelt der liebe Gott!
Schön gesagt - "manchmal lächelt der liebe Gott" - hab ich noch nicht gehört, gefällt mir! Dir einen schönen Wochenstart! Aggi
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim Mo 09 Apr 2018, 12:42 © Aggi | |
| 20180409 Montagmorgen: Gestern, als ich Muttis Gebiß geputzt hatte, sah ich hartnäckige Ablagerungen – war mir vorher noch nicht aufgefallen. Also habe ich heute früh Kukident, mein Ultraschallgerät und Schaber eingepackt. Bin extra zehn Minuten früher los. Als ich ankomme, ist die Wäsche schon durch. ^^ Mutti freut sich, mich zu sehen. Muss überlegen, ob die Wäsche schon da war (ich seh es ja am Nachthemd), dann fällt ihr wieder ein, doch, „die“ waren schon da. Ich zeig ihr das Ultraschallgerät und erklär, wozu ich es mitgebracht hab. Machen wir dann nach dem Frühstück. „Ja, erstmal was essen.“ meint Mutti. Sie ist müde heute. Aber der Sonntag war „ohne besondere Vorkommnisse“. Während Mutti langsam isst, hadere ich mal wieder in mir drinnen damit, dass meine Schwestern nicht mehr zu Besuch kommen. Ich bin enttäuscht. Irgendwie wünsche ich mir das immer noch. Beschließe, darüber mit Mutti zu reden. Dass das wohl eher mein Problem ist, Du kommst ja damit klar. Mutti so süß spricht von sich in der dritten Person: „Ihr macht das nichts aus. Da musst Du Dir keine Sorgen machen.“ – „Ja, Mutti, ich denk einfach zu viel.“ – „Ja, das tust Du.“ – Danach fühle ich mich besser! Mutti schläft beim Essen schier ein. Hält den Kaffeebecher in der Hand und nickt weg. Ich frag nach einer Weile, ob sie noch einen Schluck Kaffee trinken möchte. Das möchte sie und fragt mich, wo der Kaffee denn sei. „In Deiner linken Hand.“ Da entdeckt sie ihn wieder. Tastet mit der linken Hand nach, wo der Nupsi ist, sagt, den Kaffee möchte sie gerne noch austrinken und vergisst zu trinken. Ich lasse ihr Zeit und frag dann nochmal, berühre diesmal bei der Frage die Hand mit dem Becher. Da führt sie ihn direkt zum Mund und trinkt den Kaffee aus. Sie würde schon sagen, wenn sie nicht mehr will. Bloß vergisst sie neuerdings manchmal, was sie grad wollte. Nach dem Frühstück packe ich ihre Zähne ins Ultraschallbad. Entdecke mal wieder, dass „Geduld“ NICHT mein zweiter Vorname ist… als das Ding endlich fertig ist, ist immer noch Belag drauf. Hatte ich mir schon gedacht. Also nochmal. Diesmal verkürze ich das Warten mit einer Geschichte aus dem Buch. „Der Tag der vielen Düfte“. Wieder so eine Geschichte, perfekt für Mutti! Ich bin total begeistert, wie viele schöne Erinnerungen diese kleinen Geschichten wecken können. Dann sind die Zähne auch soweit fertig und da Mutti eh sehr müde ist, fahr ich erstmal einkaufen. Elisabeth hatte morgens auch noch ihren Einkaufszettel abgegeben, da komme ich ja eh nochmal ins Heim zurück. Und als ich nach den Einkäufen wiederkomme, liegt Mutti etwas „frischer“ im Bett und kaut grad genüsslich einen Schokobomms. Sr. D. war kurz vorher bei ihr, die lockt Mutti gerne mal mit einem Stück Schokolade. Ich weiß Mutti in guten Händen und trotzdem fahre ich morgens meist mit einem „Angstgefühl“ los. Das Damoklesschwert heißt „wie lange noch“.
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