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| Ich entscheide, nicht das Heim | |
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Aggi Ist hier Zuhause
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim So 22 Jul 2018, 06:07 © Aggi | |
| Liebe Ann und liebe Belle, Danke für Eure lieben Gedanken! Ich hab z.Z. einen Durchhänger und mach mich grad ein bißchen rar - denkt Euch nix weiter dabei. Im Vergleich zu anderen geht es mir total gut, halt nur ein kleines Tief! Weshalb ich jetzt erst die 2 Beiträge der letzten 2 Tage poste... LG, Aggi ++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++ 20180720 Freitagmorgen: Dieser Tag fängt schon um kurz vor vier Uhr morgens an, als ich grad draußen vor der Haustür stehe und die Sofadecken ausschüttel. Um die Zeit kommt der Zeitungsbote, ein lieber älterer Herr, wie auch heute, und wo ich grad draußen steh, geh ich ihm entgegen: „Darf ich Ihnen die Zeitung abnehmen?“ Er stutzt noch, als wolle er noch was sagen, aber dreht dann grüßend um, ich denk mir nichts dabei. Erst drinnen, als ich auf die Zeitung schau, denk ich: „Ach neeeee….!“ – Da strahlt mich doch von der Titelseite mein Kl.Bruder an! Große Schlagzeile, hat er ein eigenes Portrait in seiner Funktion als Ex-Sportkegler und inzwischen Pressewart und vieles mehr im heimatlichen Kegelsportverein bekommen. Auf der Innenseite im Lokalteil dann noch ein halbseitiger Bericht mit einem weiteren schönen Foto. Kurz ausgeholt: Unser Vater gründete als wir noch klein waren, vor Ort mit anderen Kollegen den heimatlichen Kegelclub (Scherekegeln als Leistungssport – im Gegensatz zum Geselligkeitskegeln). Später war unser Vater bis ins hohe Alter nicht nur aktiver Kegler sondern auch 1. Vorsitzender und wir Kinder durch Frühbeginn in diesem Sport ebenso damit verbunden. Es hat schon was von „Blut geleckt haben“. Ich kann bis heute keine Kegelbahn betreten, ohne mir zu wünschen, nicht auch mal wieder zu trainieren… Jo, und nun diese wunderschönen Artikel mit großen Fotos auch über den Werdegang dieser Sportart und ein schönes Leistungsportrait meines Kl.Bruders – na klar, würde ich das heute zu Mutti mitnehmen. Erst noch frühmorgens als E-Paper Snapshoots an den Kl.Bruder gemailt – ich weiß, dass er die Zeitung gar nicht selber bekommt. Und auf dem Weg zum Heim dann rasch zwei Zeitungen gekauft, eine für Mutti und eine für die Schwestern. Am Heim im Eingang steht dann schon meine gute Seele Elisabeth, die gleich zur Begrüßung grinsend meint, mein Bruder steht heute auf der Titelseite der Zeitung. Sie meint noch, die Schwestern hätten die Zeitung selbst, da hätte sie es gesehen, also schenke ich Elisabeth das eine Exemplar. Gleich bietet mir Elisabeth an, die Zeitung zu bezahlen, aber ich kann sie abwehren: „Du, ich fühl mich grad wie ein Mann, der grade Vater geworden ist und Zigarren verteilt. Die MUSS ich verschenken!“ Und weiter zu Mutti, die noch von nix weiß. Erstmal begrüßen und fragen, wie es ihr geht. Alles gut so weit. Und bis ich dann sitze, sag ich noch so, Mutti, Du kennst das doch, Zeitungsartikel, die echt doof sind?! – Oh ja! Kennt sie. – Aber es gibt auch welche, die sind echt toll. Ich hab Dir mal so einen mitgebracht. Ich gebe Mutti die Zeitung in die Hand. Erst noch das Kopfteil ein bißchen hoch. Und Mutti guckt erstmal, so suchend, sie weiß ja nicht, was sie suchen soll … und dann fängt sie an zu lächeln, erkennt ihren Sohn: „Neee, nä?!“ Doch Mutti, das ist er! Mutti strahlt von einem Ohr zum andern und ich erzähl mehr dazu, les ihr die Titelzeile vor, während sie die Zeitung weiter in der Hand hält. Mutti ist glücklichperplex, perplexglücklich! DAS ist mal eine schöne Überraschung! Und zum Frühstück darf ich ihr dann noch den ganzen, langen Artikel von der Innenseite vorlesen. Mutti hat die Zeiten ja selbst in guter Erinnerung und nickt und lächelt bei so manchem Namen oder Wort. Und auch danach teile ich noch so einige Erinnerungen mit ihr, aus den Anfangszeiten, als ich selbst noch 12 Jahre alt war und z.B. die „alten Damen“ noch mit richtig langen Röcken auf die Bahn gingen: „Eine eigene sportliche Leistung, sich da beim Anlauf nicht auf den Rocksaum zu treten!“ Mutti lacht und stimmt zu! „Und weißt Du noch, wir Mädchen mussten ja für die Wettkämpfe weiße Röcke tragen. Die ersten hast Du noch selbst genäht, weil man die damals noch gar nicht so einfach in den Läden kaufen konnte wie heute.“ – Oh ja, Mutti erinnert sich. Für ihren Mann lief das ja immer unter „das bißchen Haushalt ist doch kein Problem“. Aber mit einem kegelnden Ehemann und vier Kindern kam da so einiges an Sportklamotten zusammen, die zusätzlich zu allem, was Mutti eh schon an den Backen hatte, noch „so mal eben“ erledigt werden musste. – Mutti grinst, oh ja, das war doch selbstverständlich! Dafür haben wir Kinder dort aber auch so gute Dinge wie Kopfrechnen gelernt, denn zuerst wurden die Ergebnisse (bei den Wettkämpfen) ja noch von Hand aufgeschrieben und addiert. Mutti lacht, als ich erzähle, wie ich mit zwölf Jahren ganz verdattelt war, als ich noch dabei war, 7 und 8 und 9 zu addieren, während hinter mir einer der erwachsenen Männer nur mit einem Blick auf den Zettel schon das Gesamtergebnis erfasst hatte … ja uffersma, wie macht der das???? Jedenfalls mal ein richtig harmonisches Schwelgen in Erinnerungen bis hin zu den alten Männern, die vorne in der Kneipe sassen und davon erzählten, wie sie als kleine Jungs noch für wenige Pfennig am Wochenende die Kegel noch von Hand aufgestellt haben. Als ich mich dann zehn nach neun von Mutti verabschiede, entschliess ich spontan, direkt noch weiter zu meinem Kl.Bruder zu fahren. Besorg unterwegs noch eine Zeitung und er und seine Frau freuen sich total. Über meinen Besuch. Sie sieht den Zeitungsartikel und schüttelt den Kopf. Typisch für sie: Am besten gar nicht in der Zeitung stehen. Und mein Kl.Bruder erklärt mir, dass er den Artikel gar nicht wollte. Aber als Pressewart hat ihn der Journalist dann doch überredet. Als er dann aber von mir hört, dass Mutti ihn von alleine auf dem Foto der Zeitung erkannt hat, bekommt er eine Gänsehaut. Naja, und es IST ja auch eine gute Werbung für den Kegelsport. Und morgen früh kommt er wieder selber mit zu Mutti. Aber nichts verraten, soll eine Überraschung sein! ^^ ++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++ 20180721 Samstagmorgen: Heut früh erstmal los, den Kl.Bruder einsammeln. Ich freu mich schon auf Muttis Augen, wenn sie ihn sieht! Fünf vor acht sind wir dann da und Mutti strahlt. Ich halte mich erstmal im Hintergrund, hänge Nachthemden weg und les erstmal den Brief vom Amtsgericht, der heute im Postfach steckte. Mit Zettel dran, für mich, im Postfach lassen. Natürlich ist der Brief an Mutti adressiert, sonst wäre er ja nicht im Heim angekommen. Aber die Schwestern wissen ja, dass ich mich um alles kümmer. Nachdem ich den Brief gelesen hab, ist meine gute Laune verschwunden. Noch wieder ein Verfahrenspfleger bestellt. Jetzt für den Hausverkauf. Und meine Gr.Schwester ist dort als Verfahrensbeteiligte genannt. Versteh ich nicht. Für den Hausverkauf sollte lt. Beschluss v. Januar kein Verfahrenspfleger nötig sein, so die Richterin. Und der Antrag auf Verfahrensbeteiligung meiner Gr.Schwester war abgelehnt worden. Also muss ich da wieder nachfragen. Weil diesmal ein Rechtspfleger das beschlossen hat, nicht die Richterin. – Ich frag mich, wie weit das den Hausverkauf verzögert. Was weitere Unkosten bedeutet ……. Ach menno! Kl.Bruder versucht mich zu trösten, er spürt ja immer gleich, wenn was nicht mit mir stimmt. Und nach einer Weile habe ich mich wieder runtergefahren. Jedenfalls für die Zeit bei Mutti. Aber ich habe das alles so satt . . . Ist aber dennoch eine schöne Stunde mit Mutti. Kl.Bruder erzählt so schön und Mutti freut sich. Als später noch La. zum Saubermachen kommt, zeigt sich aber, wie sehr Mutti inzwischen schwächelt. La. fragt Mutti mit ihrer fröhlichen Art, wie es Mutti heute geht. Erst bekommt Mutti das gar nicht mit, ich dolmetsche und da wendet Mutti sich lächelnd zu La. – sie mag sie ja genauso gerne wie ich – und sagt: „Ich war heute schon spazieren und zum Einkaufen und da habe ich die Leute … (kauderwelscht – sieht mich hilfesuchend an)“ und ich sag lächelnd, Du hast Leute getroffen. – Oh ja, und La. fügt hinzu, das war bestimmt schön! Und Einkaufen müsse man ja andauernd, lobt Mutti und Mutti freut sich total! Auch La. ist da zuverlässig wie eine Eins, verzieht keine Miene und geht ganz auf Mutti ein! So liebenswert. Aber gegen zehn nach neun blase ich dann doch gemütlich zum Aufbruch. Nicht zu lange, nicht zu viel, war schon sehr anstrengend, wenn auch schön für Mutti. Und dann zuhause den Brief mit den Fragen ans Amtsgericht getippt, um dann festzustellen, dass die Post hier im Dorf schon durch ist. Also morgen mit dem Auto in die Kreisstadt, der Brief sollte schon zeitnah da sein. Ich weiß nicht, warum mich das diesmal so runterzieht. Hatte mich so gefreut, dass es diesen Monat mit dem Hausverkauf klappen soll und jetzt hab ich wieder Angst. Es steht in keinem Verhältnis, trotzdem fühle ich mich richtig richtig Scheiße, komische Aggi…
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| | | kamia Ist hier Zuhause
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim So 22 Jul 2018, 17:28 © kamia | |
| - Zitat :
- Es steht in keinem Verhältnis, trotzdem fühle ich mich richtig richtig Scheiße, komische Aggi…
weils einfach nicht rund läuft - aber bald ist es überstanden.
mit lieben Grüßen Wenn jemand sagt: Das geht nicht! Denke daran: Das sind seine Grenzen, nicht deine.“ (Unbekannt) |
| | | felixx Ist hier Zuhause
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim So 22 Jul 2018, 17:32 © felixx | |
| Liebe Aggi vielleicht ist es einfach ein wenig Ermüdung Der deutsche Amtsweg mit sämtlichen Abzweigungen und Sackgassen ist tückisch. Und meistens, wenn der Normalsterbliche glaubt, jetzt kann nix mehr schief gehen, grätscht ein Paragraph dazwischen. Vielleicht ist es auch die Hitze, schieben wird ein Tief einfach mal da drauf!
Felixx |
| | | Belle Ist hier Zuhause
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim So 22 Jul 2018, 18:39 © Belle | |
| Ach Aggi, sich mal scheiße fühlen ist einfach menschlich! Und immer kann die Sonne nicht scheinen. Gib dir selbst einmal Zeit. Es ist kraftraubend immer die Gute-Laune-Queen für alle zu machen. Der Brief vom Amt ist verständlicherweise beunruhigend, aber möglicherweise haben sich hier Verständigungen einfach überschnitten? Vorallem wenn der Verkauf schon vom Richter beschlossen war, kann ich mir nicht vorstellen, dass deine Schwester hier noch eine Chance hat. Die Verzögerungskosten würd ich ihr gleich umhängen! Hoffentlich ist das Haus bald verkauft, damit diese Last nicht mehr auf deinen Rücken drückt. Ich drück die Daumen (Dauerzustand ) Und dir wünsch ich, dass du zur Ruhe kommst und spürst das es viele Menschen um dich gibt, die dich lieb haben. Fühl dich gedrückt |
| | | Aggi Ist hier Zuhause
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim Mo 23 Jul 2018, 05:56 © Aggi | |
| Liebe Karin, liebe felixx und liebe Belle! Für jede von Euch mal eine liebe Umarmung: Ich komm mir schon ganz schwachsinnig vor. Ihr habt selbst so viel um die Ohren und nehmt Euch noch die Zeit, mir hier Trost zu spenden, dabei hab ich glaubich bloß einen Durchhänger ... der klassische Fall von "ich-weiß-selbst-nicht" ... Irgendwie find ich das schon selber albern: Mal halte ich mit einer Hand einen ganzen Tsunami auf, und dann kipp ich gleich aus den Latschen, bloß weil irgendwo in China ein Sack Reis umgekippt ist. Das Blöde: Ich kann nicht mehr behaupten, ich hab grad meine Tage... witzig, dass ich das als Ausrede mal vermissen würde! Ihr seid lieb - Eure Aggi ++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++ 20180722 Sonntagmorgen: Zehn vor acht im Heim ist bei Mutti die Wäsche schon durch, Mutti liegt etwas merkwürdig in der Ecke ihres Bettes. Das Licht vom Seitenfenster strahlt genau in ihre Richtung und ich mache erstmal die Jalousie runter, damit es nicht blendet. Und den Vorhang auf der anderen Fensterseite auf. So ist es angenehmer. Findet Mutti auch. Sie wirkt aber sehr schwach – sehr weit weg. Meint aber, es geht ihr gut. Ich plauder wie immer. Gestern hat unser Vermieter bei uns hinten im Garten einen Gulli für das neue Regenrohr gebaut – aber eine Hitze, Mutti, kaum zum Aushalten! Aber Mutti meint, von der Hitze bekommt sie gar nichts mit. – Zum Glück! Als ich wegen Frühstück frage, meint Mutti, das war doch schon, aber ich darf nachschauen gehen. Im Dienstzimmer krieg ich einen kleinen Schreck, weil jemand eine Stoffserviette auf die offene Puddingschale hat fallenlassen. Aber dann stellt sich raus, da liegt ein hartgekochtes Ei drin, die Serviette ist zum Warmhalten. Ach schön, Sonntagsfrühstück mit Frühstücksei! Für Mutti pell ich ihr das Ei dann und schneide es in Viertel. Sie greift sie selbst vom Teller, wobei ihre Finger immer unsicherer werden. Seit Tagen beobachte ich, wie sehr auch ihre Hände/Finger zittern, wenn sie den Kaffeebecher zum Mund führt. Sie baut ab, wird weniger. Aber das Ei ist gut. Das isst sie zuerst! Und schafft bis kurz vor neun sogar noch das ganze Brot – hätt ich gar nicht gedacht, denn zwischendurch schwächelt sie stark und die letzten Stücken, ungefähr das letzte Viertel Brotstücken geht nur noch fütternderweis. Aber sie mag noch bis zum letzten Stücken. Während Mutti isst, richte ich die lieben Grüße von Eva aus. „Weißt Du noch, Mutti, ich erzähl doch immer von meinem Forum im Internet. – Und da auch von der lieben Eva…“ Mit einigen Stichpunkten seh ich dann immer, dass Mutti sich erinnert. Und wie ich mich gestern abend, schon im Bett, über Eva’s Anruf gefreut hab. Als ich die Grüße und die Umarmung ausrichte, sagt Mutti heute sogar „Danke!“ und lächelt. Mittendrin kommt einmal eine Küchenkraft und es stellt sich heraus, dass Mutti eigentlich wieder Pudding kriegen sollte und das Ei war für jemand anders. „Bei ihrer Mutter steht gar kein Ei zum Frühstück.“ Ich sag fröhlich, wär doch schön, Sonntags ein Frühstücksei. Jo, wird notiert. Mutti versteht nur, dass sie jetzt noch ein zweites Ei kriegen soll und fragt mich, wieso, als die Schwester wieder raus ist. So einfachen Unterhaltungen zu folgen ist schon sehr schwer für sie geworden. Nach dem Frühstück, dass bis kurz vor neun dauert, kann ich Mutti noch die Haare kämmen. Ich dachte, ich sehe ein Vogelnest, war aber zum Glück nicht. Aber Mutti schmust sich in meine Hand, einfach schön. Als ich mich dann verabschiede und erst noch frage, ob es noch etwas gibt, was ich für sie tun kann, meint Mutti wortwörtlich: „Meine Eltern habe ich schon beschäftigt. Und was die andern tun, weiß ich auch nicht.“ Und dann kauderwelscht sie noch, dass ihr Clan hoffentlich nicht an den Spannungen untergeht (sinngemäß). Jedenfalls sag ich ganz normal, Du, wir sind wie Unkraut, wir vergehen nicht! Das bringt Mutti zum Grinsen und sie nickt. Also eine gute Antwort! Mach Dir keine Sorgen, Mutti! Dann noch weiter in die Kreisstadt, den Brief fürs Amtsgericht mit meinen Rückfragen eingeworfen und grad in Kopie als Email an die Betreuerin. Bitte-bitte-bitte-alle-Götter-wo-gibt, macht, dass das Haus bald verkauft wird!
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| | | Ann Ist hier Zuhause
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim Di 24 Jul 2018, 06:41 © Aggi | |
| Liebe Ann, ohneScheiß: Du wirkst besser als das beste Antidepressivum! Ich hoffe, es geht Dir selber gut, jedenfalls wünsche ich es Dir! LG, Aggi ++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++ 20180723 Montagmorgen: Kurz vor acht im Heim liegt Mutti in blendendem Sonnenschein. Versteh ich nicht, aber ich begrüße Mutti fröhlich wie immer und mach erstmal die Jalousie runter und die Gardine vor. So ist es besser. Meint Mutti auch. Mutti geht es gut, sagt sie. Sieht auch etwas besser aus als gestern. Mir macht innerlich Sorge, dass es noch heißer werden soll, aber ihr Zimmer ist ja immer angenehm kühl. Heute wirkt sie etwas klarer. Gestern hatte ich ein paar Mal das Gefühl, als fragte sie sich, wer ich wohl bin. Heute habe ich das kein einziges Mal. Sie kauderwelscht hier und da, aber alles nicht so, dass ich nicht weiß, was sie meint. Beim Frühstück geht sie heute zielstrebig mit dem kleinen Finger in den Quark und leckt ihn dann ab. Das freut mich. Nimmt dann auch von mir drei Teelöffel Quark an, dann ist aber auch gut. Bei den letzten drei Brotstücken ist sie satt – sagt sie. Wundert mich gar nicht. Heute waren es mal wieder anderthalb Scheiben Brot. Aber als ich dann die letzten Stücken wieder zurück auf den Porzellanteller packe, geht sie da doch noch bei. Erst eins, dann zwei. Das dritte „sieht“ sie nicht, da helfe ich mit anbieten und sie fragt nochmal, ach, ist da noch was. Isst das dann auch noch selbständig. Essen geht gut. Aber Trinken wird schwieriger. Sonst reichte Kaffee anbieten: „Möchtest Du auch einen Schluck Kaffee trinken?“ mit Becher hinhalten und dann griff sie danach. Jetzt kann sie das oft nicht mehr zuordnen. Sagt zu mir, während ich ihr den Becher schier schon vor die Nase halte (also dicht vor das Gesicht, mit Ansage, Hören und Sehen): „Ja, wenn da noch was ist.“ Vergisst in der Sekunde, wo ich es ansage, das der Becher Kaffee schon vor ihr „schwebt“. Oder sie ihn schon in der Hand hat. Aber irgendwie geht es dann doch. Hier ein Schluck und da ein Schluck. Auch das Kippen des Bechers, damit der Kaffee überhaupt in den Mund laufen kann, wird schwerer für sie. Alles nur noch sehr langsam. Wenigstens ist Zeit nicht das Problem, das wir beide haben! Aber dann ist sie auch sehr müde und ich lasse sie ruhen. Als ich gehe, ruft mir La. auf dem Flur noch hinterher. Sie war schon bei uns gewesen, alles ganz normal, mit kurzem Klönschnack und so. Aber jetzt fragt sie mich, ob ich ihr böse bin... Oh man, ich weiß spätestens durch meinen Mann, dass ich manchmal wohl komisch gucke. Er fragt mich manchmal, ob ich sauer bin. In 100 von 100 Fällen hab ich dann grad NIX im Kopp. Guck ich dann echt sauer???? La. fragt konkret wegen Samstag, wo Mutti ja erzählte, sie wär einkaufen und spazieren und La. sie so gelobt hat. La. meint, sie könne Mutti ja nicht sagen, das kann doch nicht sein. Oh man, ich bin kurz davor, über den Putzwagen zu springen und La. zu umarmen, erklär aber sofort, nein nein nein, ich war so glücklich über ihre Reaktion und wie lieb wir sie haben und sie hat alles besser als gut gemacht. Tse, wirke ich wirklich manchmal so falschrum oder lag es auch daran, dass ich wegen dem ollen Amtsgerichtsbrief noch schlechte Laune hatte? Keine Ahnung, jedenfalls hab ich mich bei La. auch bedankt, dass sie nachgefragt hat. Lieber so, als wenn sie denkt, ich wär böse auf sie! ... hmmm, ich glaub, ich brauch Smiley-Masken für mich selbst ...
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| | | Aggi Ist hier Zuhause
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim Di 24 Jul 2018, 13:09 © Aggi | |
| 20180724 Dienstagmorgen: Kurz vor acht im Heim liegt Mutti schräg im Bett ans rechte Bettgitter gelehnt und ich begrüße sie lächelnd, ob sie vorhat, wieder aus dem Bett zu kullern? – Mutti grinst auch und meint, bloss nicht. Da sie ansonsten aber nicht unbequem liegt und ich ja da bin, lass ich sie erstmal so liegen, dass kann ich besser zum Frühstück richten, sonst hat das so was Bevormundendes. Wo ich von der Hitze des Vortags erzähle, holt Mutti aus und meint in längeren, Kauderwelsch-Sätzen, sie sei ja auch schon eine ganze Weile ohne Mitpatienten und das sei ganz gut so, weil sonst wäre das auch nicht auszuhalten. Unterm Strich: Es geht ihr gut. Später, als unsere La. zum Saubermachen kommt, fragt La. Mutti mal, wie ihr Vortag gewesen ist und ich merke mal wieder, dass Mutti null Erinnerung an den Vortag hat. Mutti überlegt, sucht nach Worten und guckt mir dann hilfesuchend ins Gesicht, weiß nicht, was sie sagen soll. Sag ich dann also, bei der Hitze ist man doch froh, wenn man seine Ruhe hat, nicht wahr?! – „Oh ja!“ Aber erstmal klöne ich wie immer mit Mutti, bevor ich ihr Frühstück hole. Das es Frühstückszeit ist, wundert Mutti sehr und meint, ich solle mir keine Extra-Mühe ihretwegen machen. Würde ich ihr erzählen, sie hätte schon gefrühstückt, würde sie es mir glauben. Kein Hungergefühl. Appetit sowieso nicht. Auf dem Tablett heute wieder anderthalb Scheiben Brot plus eine Schale Kirschquark. Und mit dem Getüdel vor dem Essen, noch ein Schluck kalt Wasser auf den Kaffee, Bett hochfahren, kann ich Mutti dann auch mittig auf ihr Kissen manövrieren. Wenn Mutti dazu „mithilft“ und sich mit den Händen am Galgen festhält, lässt sie danach von alleine den Galgen gar nicht mehr los. Aber ich teste nicht, wie lange sie das schafft. Mit „Serviette-drapieren“-Vorwand nehme ich dann ihre Hände wieder runter, alles so ganz normal. Ungefähr die erste Hälfte Brot schafft Mutti alleine, dann wird sie zunehmend müde. Als ich ihr den ersten Schluck Kaffee anbiete, weiß sie gar nicht recht, was ich meine und diesmal stupse ich einmal zart mit dem Becher an ihre Lippen, da trinkt sie dann bereitwillig zwei Schluck. Erstmal absetzen und nach einer kleinen Pause frag ich, ob es noch ein Schluck Kaffee sein darf. „Gerne noch ein Schluck.“ Den bekommt sie wieder von mir, greift nicht selbst nach dem Becher, aber trinkt noch einmal ein paar Schluck. Die nächsten Male (zwischendurch Brot und einige Teelöffel Quark) greift sie dann selbst nach dem Becher und trinkt selbst, wenn ich anbiete. Kommt jetzt auch vor, dass sie sagt, sie möchte keinen Kaffee mehr (da war der Becher noch halb voll, La. fragte sie einmal, ob sie nicht noch was trinken möchte). Kurz drauf stupse ich mit dem Becher nochmal ihre linke Hand an, da greift sie danach und trinkt doch noch einige Schlucke. Es geht, mit Geduld und Zeit. Wenn man sie hat, so wie ich. Die Pflegeschwestern tun mir leid. Geduld haben sie, dass weiß ich. Aber immer dieser Zeitdruck… Nach dem Frühstück darf ich dann noch „Maniküre“ machen. Früher haben Mutti lange Fingernägel immer krass gestört. Als sie die nicht mehr selber schneiden konnte, hat sie sich schnell überwunden und mich da von sich aus um Hilfe gebeten – was sie ja sonst in den wenigsten Fällen tat. Ich hab mich eher unmerklich unentbehrlich gemacht. Bitten ist nicht ihr Ding. Aber Fingernägel-schneiden. Lange Fingernägel waren ihr immer ein Graus. Jetzt stört sie das nicht mehr. Aber ich seh immer, wie der Marmeladenschmand speziell unter ihrer linken Hand klebt, wenigstens saubermachen. Fingernägel-schneiden wollte sie nicht. Ich frag, während ich ihre Nägel putze, was hältst Du von einer Fußmassage? – Mutti kichert. Sie hat kitzelige Füße, das weiß ich. Und ich wusste, dass ich sie damit zum Lachen bringe. Nein, unsere Zeit für Fußmassage ist noch nicht gekommen. Aber ich muss auch grinsen. Als ich Mutti zum ersten Mal die Fußnägel schneiden durfte, war das eine sehr kicherige Angelegenheit. Und wenn sie so kichert, wirkt sie immer 70 Jahre jünger!
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| | | Belle Ist hier Zuhause
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim Mi 25 Jul 2018, 07:16 © Belle | |
| - Aggi schrieb:
- Oh man, ich weiß spätestens durch meinen Mann, dass ich manchmal wohl komisch gucke. Er fragt mich manchmal, ob ich sauer bin. In 100 von 100 Fällen hab ich dann grad NIX im Kopp. Guck ich dann echt sauer????
Das kenn ich zu gut - ist passiert mir auch sehr oft, wird mir auch als Arroganz ausgelegt. In Wahrheit bin ich dann gedanklich einfach auf Pause...oder schon wieder einen Zeitsprung voraus. Weil wir halt auch über so vieles mitdenken müssen - dann brauchen die dazupassenden Gesichtszüge auch mal Pause, oder sie kommen nicht hinterher! Und irgendwie reflektiert es eine gewisse Unsicherheit der Fragenden, meinst du nicht??? Schönen Tag euch Lieben und brav sein! |
| | | Aggi Ist hier Zuhause
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim Mi 25 Jul 2018, 15:12 © Aggi | |
| - Belle schrieb:
- Aggi schrieb:
- Oh man, ich weiß spätestens durch meinen Mann, dass ich manchmal wohl komisch gucke. Er fragt mich manchmal, ob ich sauer bin. In 100 von 100 Fällen hab ich dann grad NIX im Kopp. Guck ich dann echt sauer????
Das kenn ich zu gut - ist passiert mir auch sehr oft, wird mir auch als Arroganz ausgelegt. Jo, das kenn ich auch, das mir gesagt wird, am Anfang hab ich Dich für arrogant gehalten ... ich glaub, ich brauch ne Burka... - Belle schrieb:
- Und irgendwie reflektiert es eine gewisse Unsicherheit der Fragenden, meinst du nicht???
So hab ich das noch gar nicht gesehen - keine Ahnung. Im ersten Step beantworte ich Fragen immer unvoreingenommen. Im zweiten Step merk ich manchmal sogar, wenn ich grad auf den Arm genommen wurde. So what, das geht bei mir leicht und mir ist immer egal, was mich zum Lachen bringt. Wenn ich es selber bin, ist das auch in Ordnung! Bloss wenn einer denkt, ich bin ihm bös und ich bin es gar nicht, das macht mich traurig. Dann denk ich, ich sollte mal 'n VHS-Kurs in Mimik belegen... ungefähr eine Sekunde lang, dann hab ich den Gedanken aber auch schon wieder vergessen... LG, Aggi ++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++ 20180725 Mittwochmorgen: Zehn vor acht im Heim steht draußen meine gute Seele Elisabeth und freut sich, mich zu sehen. Ob ich heute wohl noch einkaufen gehe? Ich hatte mich die Tage schon gewundert, dass sie noch gar nicht gefragt hatte, aber es stellt sich heraus, Sr. S. war zwischendurch so freundlich und hat sogar mal Pommes geholt. Alles gut, kein Problem, Elisabeth. Ich bekomme Geld mit und soll Mutti lieb grüßen. Auf dem Weg zu Mutti hol ich noch rasch das Leergut aus Elisabeths Zimmer und komme so mit zwei Taschen zu Mutti. In der zweiten Tasche sind die Geschenke von der lieben Eva! Mutti liegt ganz zufrieden im Bett. Erstmal begrüßen und Grüße von Elisabeth ausrichten. Und dann erzähl ich Mutti, dass ich heute mit Geschenken komme. „Ich erzähle doch immer von meinem Forum und auch von der lieben Eva…“. Mutti erinnert sich und so beschreibe ich ihr, wie gestern das schöne Paket ankam, u.a. mit den drei Büchern für Mutti. „Mutti, so liebevoll gepackt. Es kam mir ein bißchen so vor, als wäre es ein Paket von Oma Sch. [ Anm.: Muttis Mutter]. Weißt Du noch, wie schön Oma Pakete packen konnte?“ – „Oh ja!“. Mutti lächelt so schön! Ich zeige Mutti jedes einzelne der drei Bücher und beschreibe dazu und lese ihr die handschriftlichen Widmungen vor. „Für Aggimutti“ – Mutti lacht! Sie erinnert sich, dass Eva sie so „getauft“ hat. Es gefällt ihr gut! Und ebenso die Geschichte und die Bedeutung dieser Bücher. Mutti: „Das ist etwas Besonderes!“ Eva, an dieser Stelle darf ich Dir von Mutti ein Dankeschön ausrichten! Alles ganz schön viel für Mutti zu verarbeiten, darum erstmal in aller Ruhe frühstücken. Heute wieder anderthalb Scheiben Brot plus ein Vanille-Sahnepudding im Becher. Als Mutti grade angefangen hat zu essen, kommt schon unsere La. zum Saubermachen. Und heute bringt sie mir, wie gestern gesagt, kleine Gurken aus ihrem Garten mit. Schon gewaschen, eine ganze Tüte voll. La. meint, ich solle Mutti auch gerne was anbieten. – Na klar! Aber erst bedanken! Echte Naturgurken (so meinte La. ^^), ohne Gift, nur mit Wasser großgezogen. Und mit echtem Gurkengeschmack!!! Für Mutti schneide ich kleine Scheiben, die ich noch halbiere. Und Mutti greift zu. Braucht lange, um die zu kauen, aber sie schmecken ihr genauso gut! Mutti glücklich, La. glücklich, Aggi glücklich! Und während Mutti weiter frühstückt, lese ich direkt das erste Gedicht aus einem der Bücher von Eva vor. „Die Gottesmauer“. Es zieht Mutti so in ihren Bann, dass sie vergisst, weiter zu essen. Und sie merkt sich: „Von Brentano.“ Mit Gurken und Gedichten zieht sich heute das Frühstück bis zehn nach neun und alles an Brot schafft Mutti dann auch nicht. Den Pudding schon gar nicht. Aber das Kauen der Gurkenstücke war auch richtig Arbeit – aber gut für sie! Und dann fahr ich noch die Sachen für Elisabeth besorgen, und dann nochmal zu Mutti. Nochmal schön geklönt, hatte im Laden meinen eigenen Mann getroffen (kommt da ein Kerl auf mich zu und küsst mich – hat DER ein Glück, dass ich in der letzten Sekunde noch realisiert hab, dass es meiner ist! ^^) und kann Mutti noch Grüße von ihm ausrichten. So soll ich dann zum Abschied auch ihn und all meine Männer grüßen. Muttis kauderwelschen nimmt immer mehr zu, aber für mich ist das kein Problem. Das Gute: Für sie auch nicht!
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| | | Andrea J Ist sich am Einleben
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim Mi 25 Jul 2018, 16:42 © Andrea J | |
| Hallo Aggi,
lese interessiert mit, Du verzeihst mir sicherlich das ich nicht alles gelesen habe aber ich stolpere immer über die Abkürzung La. was bedeutet die Abkürzung?
Gruß Andrea |
| | | kamia Ist hier Zuhause
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim Mi 25 Jul 2018, 17:47 © kamia | |
| - Zitat :
- Im zweiten Step merk ich manchmal sogar, wenn ich grad auf den Arm genommen wurde.
ach Aggi, da gehörst du wohl zu den Schnellmerkern
mit lieben Grüßen Wenn jemand sagt: Das geht nicht! Denke daran: Das sind seine Grenzen, nicht deine.“ (Unbekannt) |
| | | Aggi Ist hier Zuhause
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim Do 26 Jul 2018, 05:54 © Aggi | |
| Liebe Andrea, - Andrea J schrieb:
- ich stolpere immer über die Abkürzung La. was bedeutet die Abkürzung?
ich mache hier in meinem Tagebuch ja die meisten Realnamen unkenntlich. La. steht für den Vornamen unserer lieben Reinigungsfachkraft im Heim, die für Mutti und mich inzwischen unentbehrlicher Teil unserer Heimfamilie geworden ist. La. ist ein ganz besonderer Schatz und für Mutti und mich eine liebe Freundin! Sonst müsste ich ja überall offiziell Erlaubnis einholen, deshalb die "Verschlüsselung". Und liebe Karin, - kamia schrieb:
- ach Aggi,
da gehörst du wohl zu den Schnellmerkern jepp! Samstag hatte mir bei Mutti im Zimmer mein Kl.Bruder, als ich mal wieder alle Lichtschalter ausprobierte, die Logik des Elektrik-Trick erklärt: Sind drei übernander an der Wand und ich nehm zielstrebig immer den falschen ... Meint Kl.Bruder: "Merk Dir doch, der Oberste ist fürs Oberlicht, der Mittlere für die Wandlampe und der Unterste für das Licht unten am Türschacht." Jo, DAS hab ich mir ganz schnell gemerkt! Liebe Grüße Euch beiden! Aggi
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim Do 26 Jul 2018, 20:34 © Belle | |
| - Aggi schrieb:
- "Merk Dir doch, der Oberste ist fürs Oberlicht, der Mittlere für die Wandlampe und der Unterste für das Licht unten am Türschacht."
Echt, ist das so??? Guter Trick, aber wenn mans nicht weiß ??? Hab das noch niiiieeeeee gehört - werde es mir aber auch merken!! Hat kl. Bruder noch ein paar praktische Tips parat |
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim Fr 27 Jul 2018, 14:04 © Aggi | |
| 20180726 Donnerstagmorgen:
Als ich heute Morgen kurz vor acht den Flur hoch gehe, geht vor mir meine gute Seele Elisabeth und winkt mir heftig zu, als sie mich bemerkt. Ich folge gehorsam. ^^
Oje, ihre Haftcreme ist alle und die zweite Tube hatte sie natürlich schon weiterverschenkt. Kein Problem, ich hole ihr neue.
Weiter zu Mutti, die ganz entspannt im Bett liegt. Nach der Begrüßung frag ich mal, ob sie denn vom Grillfest gestern was mitbekommen hat. Ist ja auf dem Innenhof zu ihrer Fensterseite, von daher könnt ja sein, dass sie was gehört hat. Mutti verkauderwelscht sich in Wortbruchteilen, die gar nichts damit zu tun haben, einmal was mit Atemzügen, aber ich merke, sie hat im Prinzip keine Erinnerung und hat sich vor allem nicht gestört gefühlt.
So langsam kommt’s mir schier so vor, als würde ICH mehr unter der Hitze leiden als sie. Wenn ich bei ihr ankomme, bricht mir jetzt immer erstmal der Schweiß aus, als stünde ich in Hitzewallungen. Nicht schön und irgendwie peinlich, dass ich drunter leide, aber mir läuft erstmal das Wasser die Brust runter. Mindestens hundertmal am Tag denke ich, wenn ICH schon unter die Hitze leide, wie schaffen es dann alte Menschen? Und hier im Heim erfahre ich dann, das die, mit denen ich rede, es ganz gelassen nehmen und mir von Sommern von vor 20 Jahren erzählen, die viel viel schlimmer waren. Fehlt nur noch: „Ach Kind, wenn Du so einen Sommer noch nicht erlebt hast, dann hast Du noch nichts erlebt!“ *gg*
Bei Mutti packe ich heute mal das Geburtstagsgeschenk der Schwestern aus der Klarsichtfolie und stell es zum Frühstück auf den Tablettwagen. Mutti lässt es dann die ganze Zeit kaum aus den Augen. Ist so ein kleines, einfaches aber schönes Gedeck mit einem Silbervogel auf einem Holzast und Efeu-Deko plus einer Glasschale mit Teelicht. Schlicht aber schön. Und Mutti hat nur Augen für den Piepmatz.
Auch wenn sie beim Essen mittendrin schier einschläft, klappt es doch in gemütlichem Tempo, dass sie das ganze Brot schafft und auch wieder einige Teelöffel Quark! Trinken geht auch, aber nur mit Aufforderung – ich glaub, würde ich nicht immer anbieten, würde sie das Trinken vergessen.
Später, als ich von der kurzen Einkaufsrunde zurückkomme, kommt grad eine Praktikantin mit einem leeren Tablettenbecher aus Muttis Zimmer. Ich krieg gleich einen Schreck und frag sofort nach, wofür das war. – Nur ein Abführmittel. Laut Plan war das jetzt ein paar Tage ohne, deshalb. Keine Sorge, wenn es was anderes wäre, hätte ich schon Bescheid gekriegt. – Oki, alles gut, ich bin beruhigt!
Nochmal kurz zu Mutti, heute keine Umarmung, ich klebe schon an mir selber fest.
Dafür hat vor dem Einkauf noch „mein Freund“ eine Umarmung bekommen. Er bittet mich jetzt seit Tagen, ihm zu helfen, eine andere zu heiraten! ^^ Ich schaffe es immer, dass wir uns lächelnd verabschieden und er freut sich, wenn ich ihn umarme. Das er MICH nicht mehr heiraten will, habe ich nach einer durchweinten Nacht auch überwunden. *gg*
Aber am meisten gerührt hat mich heute das Erlebnis auf dem Supermarkt-Parkplatz. Als ich mit den Einkäufen zu meinem Auto rollte, strahlte mir ein Mann entgegen: „Na, Du auch schon wieder unterwegs?“ Ich sag reflexartig „Jo.“ und versuche mich zu erinnern, woher wir uns kennen. Das Gesicht kommt mir bekannt vor. Ach ja, neulich hat er mich an der Kasse vorgelassen.
Er fragt weiter, ob ich grad komme oder schon wieder gehe. Da ich vergessen hab, worüber wir neulich geklönt haben, sag ich wie es ist, ich komme grad vom Pflegeheim und fahr gleich wieder hin, soundso. Da meint er, ich hätte ja neulich schon erzählt, wie ich mich kümmer und er findet das toll. Sag ich, eigentlich bekomme ich im Umkehrzug ja selber viel zurück. Könnte das, was ich für die Heimbewohner tue, eigentlich auch egoistisch nennen, weil es mir so viel gibt. Mich friedlich stimmt. Da nickt er und meint, seine Schwester würde in einem anderen Ort dasselbe tun und die würde ähnlich reden. Hätte gesagt, die Bewohner seien schon längst gute Freunde für sie geworden.
Ja, so ist es auch. Und weil ich sogar im Supermarkt mit anderen Menschen plauder, ziehen solche Einsichten auch Kreise. Das stimmt mich optimistisch. Jetzt muss ich nur noch daran arbeiten, mir auch mal Gesichter zu merken. Vorhin am Heim eine Frau fröhlich zurück gegrüsst. Erst fünf Schritte weiter fiel mir wieder ein, wer sie überhaupt war. Die Frau von meinem Hausarzt. Der war mit ihr grad zu Hausbesuchen angekommen.
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20180727 Freitagmorgen:
Zur Zeit ist es so warm, dass ich heute Morgen nach dem Baden hätte Duschen können. So langsam glaub ich, ich bin noch zu jung, um diese Hitze gelassen zu nehmen…
Viertel vor acht im Heim liegt Mutti dagegen ganz entspannt im Bett. Sie erklärt, dass sie die Hitze nicht stört, damit, dass sie ja nur liegt. Sie würfelt jetzt immer mehr Worte durcheinander, aber das ist unmissverständlich. Und auch nicht zu übersehen. Klar, ihrem Kreislauf tut das Wetter absolut nicht gut und beim Reinkommen sah ich den nächsten Becher Abführtropfen auf ihrem Tablett. Ihr Körper läuft in dieser Hitze auf Sparflamme. Aber sie fühlt sich gut. Den Umständen entsprechend halt. Und das ist sehr viel wert!
Aber erstmal eine neue Flasche Wasser holen und den Trinkbecher auffüllen. Das die Flasche von gestern leer ist, nehm ich als gutes Zeichen. Mutti ist dann auch einverstanden, dass ich direkt schon das Frühstückstablett hole. Als alles für sie drapiert ist, fragt sie mal wieder, wo denn mein Essen ist. Ein andermal fordert sie mich auch auf, fang doch schon an. Aber sie erinnert schon immer, dass ich doch die bin, die nie frühstückt. Heute auch. Sie kauderwelscht ausführlich, dass sie damit wohl um kann, wenn einer nicht mag und obwohl sie beim Sprechen den Faden verliert, stört es sie nicht – wie früher, wo sie dann ganz verzweifelt meinte, sie würde verrückt oder ähnlich. Meist fühle ich, wo es passt und stimm dann entsprechend zu. Meist wiederholt sie dann auch meine Worte – weil’s oft auch genau das war, was sie selber sagen wollte. Ich sehe es an der Art, wie sie lächelt und nickt.
Während Mutti isst, nehme ich mir nochmal eins von Eva’s drei Büchern vor. Das mit den Pfälzer Geschichten von Vadder und Mudder. Mit beschreiben und zeigen kann ich Mutti drauf einstimmen und sie stimmt zu, mal die Kriegsbriefe und die Geschichte dazu vorzulesen. Geht heute auch mit Weiteressen, weil ich alles schön in Etappen einteilen und Mutti zwischendurch an ihr Brot erinnern kann. Mal isst sie auch von alleine weiter, während sie zuhört.
Sie ist ganz dabei, aber sagt so von sich aus nichts dazu. Hinterher frage ich sie mal, ob sie auf der Flucht aus Pommern auch solche Schrecken wie die Ruhr an eigenem Leib erlebt haben. Mutti erzählt sehr ausführlich und sehr kauderwelschig, dass sie davon verschont blieben. Und ich freue mich über alles, was sie mir von sich aus erzählt. Sie verliert die Worte, aber nicht die Erinnerungen.
Etwas später, als La. zum Saubermachen kommt und Mutti fragt, wie es ihr heute geht, ist Mutti sogar frappierend klar und deutlich. Und lächelt so schön!
Zehn nach neun breche ich auf und bringe mal wieder den Scherz: „Ich mache von mir reden.“ – Mutti lacht herzlich und winkt. Ich sag dann auch immer "Bis morgen." Mal blickt sie dann so durch mich durch, dass ich glaub, sie weiß grad nicht, was das bedeutet. Wurscht, ich klammer mich dran. "Bis morgen, Mutti!"
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim Sa 28 Jul 2018, 14:59 © Aggi | |
| 20180728 Samstagmorgen:
Zehn vor acht vorm Heim steht da meine gute Seele Elisabeth und grad hält auch das Taxi, dass regelmässig eine Bewohnerin zur Dialyse abholt. Als ich dazukomme, reden beide grad über die Hitze. Die Taxifahrerin meint, sie wäre gestern klitschnass gewesen, als sie am Feierabend ausgestiegen sei. Elisabeth rollt nur noch mit den Augen und fragt mich, ob ich ihr eine kurze Hose leihen kann. Klar, irgendwas was passen könnte, finde ich bestimmt – und wenn es dafür ist, dass ab da das Wetter kühler würde… Und ich soll Mutti kühle Grüße ausrichten!
Mutti liegt heute auch nur unter einem Bettbezug. Sinnvoll! Machen mein Mann und ich schon seit Tagen und eigentlich auch nur, damit wir noch was haben, was wir stöhnend wegstrampeln können. Wenn es ginge, würden wir uns nachts auch die eigene Haut abstreifen…
Aber Mutti ist ganz zufrieden, konnte wohl schlafen. Und ich kann erstmal liebe Grüße vom Kl.Bruder und seiner Freundin ausrichten.
Beim Frühstück komm ich, weiß gar nicht mehr wie, darauf, Mutti zu fragen, ob sie noch weiß, wie sie in ihrer Dienstzeit als Krankenschwester mal „revoltiert“ hatte und sich weigerte, bei der Hitze noch die langen Strümpfe (mit Strumpfhalter) zu tragen. Mutti grinst gleich übers ganze Gesicht. „Oh ja!“ Mit dem Stichwort „Mutter Oberin“ fängt Mutti dann selber nochmal an, zu erzählen, wie sie damals statt der langen Strümpfe dann mit Socken zum Dienst erschien. Für Mutter Oberin ein Eklat, als wäre Mutti Oben-Ohne zum Dienst angetreten. Mutti kauderwelscht arg, würfelt Kniestrümpfe, Socken und „Halterstrümpfe“ durcheinander und meint zum Schluss selbst, ach menno. Aber ich kenne die Geschichte und weiß einzuwerfen: „War dann doch nicht so schlimm?!“ – „Oh nein!“ Eigentlich hatte Mutti sogar eine Bestrafung gedroht, aber Ende vom Lied war, dass die rigorosen Kleidervorschriften dann doch gelockert wurden – weil es viel zu heiß war.
Ich meine zu Mutti, dass sie so was wie ein Trendsetter war. Mutti meint, könnte man so sehen, aber ihr war eigentlich bloß viel zu warm. Da muss ich dann grinsen.
„Nicht wahr, Mutti, da war noch verpönt, wenn man nur ein nacktes Knie zeigte.“ – „Oh ja!“ Mutti grinst schelmisch. „Ja, Mutti, und heute tragen die Mädchen so knappe Shorts, dass man die Pobacken sieht!“ – Mutti lacht und nickt!
Heute zum Frühstück hat Mutti nur eine Scheibe Brot auf dem Teller. Heute so klein geschnitten wie Cornflakes. Das bringt auch Mutti zum Kichern. Denn ein andermal sind die Stücken so groß, dass sie auch mir zu groß wären: „Wir sind doch keine Großmäuler!“ Aber Mutti schafft nur knapp eine halbe Scheibe Brot. Dafür nach einer Pause dann aber noch zwei-drittel Schale Kirschquark! Und nach noch wieder einer Pause mag sie auch noch einen Teelöffel von der Milchsuppe probieren. Da verzieht sie dann aber das Gesicht und meint, genug. Zu süß! Und satt ist sie jetzt auch.
Als der Tisch abgedeckt ist, darf ich aber noch eine Geschichte aus unserem Buch vorlesen: „Noch einmal Kind sein“. Beim Lesen halte ich Augenkontakt und sehe, was ich selber fühle: Diese Geschichte spiegelt eher meine als Muttis Kindheit wieder. Kindheitserinnerungen mit Freibad oder Urlaub mit den Eltern sind nicht ihre Welt.
Drum reden wir hinterher nochmal vom Baden am Teufelssee in Pommern. Mutti erinnert sich an den Weg dorthin. Kauderwelscht, wie es ging. Und wir finden beide, so ein See ist doch viel schöner als ein Freibad.
Und ich erinner sie, wie wir Kinder im Fluss am Heimatort geschwommen sind. Mutti: „Dabei wollte ich das gar nicht.“ – Jo, Mutti, wo damals noch tote Schweine und anderes Ungemach darin geschwommen ist, welche Mutter will das schon? Aber wir als kleine Kinder haben das wohl anders gesehen… Mutti grinst. Da kommt unsere La. zum Saubermachen dazu und bekommt noch erzählt, wie Mutti für uns Kinder immer die Plantschbecken im Garten aufstellte. Wenn wir aus der Schule kamen und „Zwieback und Milch“ in der Küche standen, wußten wir: Plantschbeckenzeit!!! – Mutti strahlt von einem Ohr zum andern.
Ach ja, ihren Streuselkuchen hatten wir auch beim Wickel. Muttis Streuselkuchen am Samstag. Der mit der schlechten Haltbarkeit … ^^ Hat selten bis zum Sonntag gelebt. [Anm.: Für diesen Kuchen kamen auch Freunde und Freundesfreunde zu Besuch, es gab sogar einen Samstag, wo Mutti von 2 Blechen kein einziges Stück abbekam, als sie mal etwas zu spät zur eigenen Kaffeezeit dazukam…].
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim So 29 Jul 2018, 10:31 © Aggi | |
| 20180729 Sonntagmorgen: Nachdem es gestern Nachmittag nur enttäuschende 9 Tropfen pro Terrassenplatte gab, schüttete es abends hier doch noch. Und heute früh zeigt das Thermometer endlich mal statt 22 bis 23 Grad in aller Früh erfrischende 15 bis 16 Grad! Als ich zehn vor acht im Heim ankomme, ist die Hitze auch das erste Thema bei meiner guten Seele Elisabeth. Die steht regungslos an der Wand im Flur und schüttelt nur so mit dem Kopf: „Alle hier drehen jetzt durch, ich halt’s bald nicht mehr aus.“ Sie erzählt, dass Muttis Zimmernachbar heut früh im Schlafanzug, ungewaschen und ungekämmt in den Speisesaal kam… Dafür hatte sie die Tabletten ihres Mannes und er ihre. Und die anderen Bewohner auch nicht besser. Im Moment mag sie selbst noch nicht Frühstücken gehen, weil dort noch die eine Bewohnerin sitzt, die beim Essen so schlingt und schmaddert, dass Elisabeth keinen Bissen herunterbekommt. Arme Elisabeth! Wie gut, dass ich ihr die Tüte mit kurzen Hosen mitgebracht hab! Die Plastiktüte hat ein Weihnachtsmannmotiv und Elisabeth scherzt, dass ich die Tüte auf keinen Fall wiederkriege, schließlich geht es schon im Eiltempo auf Weihnachten zu, da muss sie vorsorgen! *gg* Und ich verspreche, ihr die Klamotten aufs Bett zu legen, so spart sie diesen Gang den Flur hoch. Und so kann ich schnell heimlich das Obermaß ihres Sekretärs ausmessen. Ich häkel grad ein Deckchen dafür, soll eine Überraschung werden und mir fehlte noch das genaue Maß. Weiter zu Mutti – die Hälfte der Gardinen ist noch zugezogen, aber es ist schön kühl bei ihr. Aber das rechte Bettgitter ist unten, dass stelle ich „so nebenbei“ wieder auf schräg hoch. Mutti liegt immer noch unter einem Bettbezug und hat aber schon mitbekommen, dass es etwas kühler geworden ist. Findet sie auch angenehm! Sie meint, es geht ihr gut. Sie sieht auch gut aus. Ist nur verwundert, dass schon wieder Sonntag ist. Bei zehn nach acht darf ich dann auch wieder ihr Frühstück holen. Heute sind die Brotstücken wieder zu groß geschnitten. Aber kein Problem, da ich eh ja meist auf den roten Teller umpacke. Während Mutti am Essen ist, komme ich auf die Idee, wieder im Liederbuch zu blättern und stoße auf „Geh aus mein Herz und suche Freud“. Studier die Noten und merke, dass Mutti Interesse zeigt. Summe das Lied und erzähle, was auf der Buchseite für Komponistennamen stehen. Ist nicht ganz eindeutig, aber interessanterweise meint Mutti dann, es müsse von Paul Gerhardt sein. Sagt sie ganz klar. Sie hatte ja immer schon ein Elefantengedächtnis, warum soll sowas nicht hängengeblieben sein? [Grade gegooglet: Mutti hat Recht!] Ich leg das Buch beiseite und mein so, dass ich ihr das Lied gerne vorsinge, wenn sie mit Frühstück fertig ist, ich will sie nicht vom Essen abhalten. Da meint Mutti, ich soll jetzt singen. Also singe ich. Alle vier Strophen. Und fühle, dass es Mutti gefällt. Mir übrigens auch. Danach dieser Moment der Stille – wenn es einfach nichts zu sagen gibt, weil alles gut ist. Nach einer Pause und damit Mutti ihr Frühstück nicht vergisst, greif ich ihre Hand und sag, ich hoffe, dass ihr das Lied eine Freude war. – „Oh ja. Das war mir eine große Freude! Ich kann das bloss nicht so dick machen.“ Innerlich stimme ich Mutti zu, äußerlich nicke ich und biete Mutti noch ein Stück Marmeladenbrot an, dass sie gerne annimmt. So nach und nach schafft sie dann das ganze Brot, bloß auf den Erdbeer-Vanillepudding hat sie keine Lust. Klares Wackelpuddinggesicht! „Alles gut! Klare Antwort!“ grinse ich und biete noch Kaffee an. Mit Tabletten und nochmal Kaffee schläft Mutti schier vor dem Tablettwagen liegend ein. Ich bringe sie nochmal zum Lächeln, als ich meine, Oma hätte auch gerne gesungen. „Oh ja. Sie hat gerne und viel gesungen!“ Muttis Lächeln dabei – so schön! Sie fügt noch hinzu, so wie ich gesungen hätte, hätte sie selbst nie gesungen. So vor Leuten, vor den anderen. Was auch immer sie meint, ich kam mir beim Singen eher piepsig vor und war arg bemüht, die Töne zu treffen und den Atem zu halten, aber als ich sag, Singen ist wie Lächeln, stimmt Mutti mir zu. Lächelnd. Und als ich heute zum Abschied „Bis morgen!“ sag, sagt Mutti auch „Bis morgen!“. Beim Gehen grüß ich noch die Bewohnerrunde im Flur, die mir schon entgegenlächelt. Irgendeinen Schnack habe ich ja immer und deren Lächeln zu sehen bedeutet mir viel. Sonntags im Heim ist vermutlich ja etwas langweilig… Wir schnacken übers Wetter. Endlich was kühler. Aber die armen Pflanzen. Draußen sag ich noch zu einer Bewohnerin, das schaffen wir auch noch. Sie meint, ja, das schaffen wir auch noch. Ist ein bißchen, wie wenn man sich erst zu einem Lächeln gezwungen hat, und dann ein echtes Lächeln draus geworden ist.
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| | | soda1964 Ist hier Zuhause
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim Mo 30 Jul 2018, 16:47 © soda1964 | |
| Liebe Aggi danke für dein tägliches Berichten, danke, dass du uns teilhaben lässt am Ergehen deiner Mama. Ganz schön finde ich, wenn du mit ihr singst - Aggi schrieb:
- Draußen sag ich noch zu einer Bewohnerin, das schaffen wir auch noch. Sie meint, ja, das schaffen wir auch noch. Ist ein bißchen, wie wenn man sich erst zu einem Lächeln gezwungen hat, und dann ein echtes Lächeln draus geworden ist.
So ist es. Liebe Grüsse
ThereseMan muss mit Allem rechnen - auch mit dem Guten.
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim Di 31 Jul 2018, 10:15 © kamia | |
| - Zitat :
- Und als ich heute zum Abschied „Bis morgen!“ sag, sagt Mutti auch „Bis morgen!“.
...ich sag auch : Bis morgen
mit lieben Grüßen Wenn jemand sagt: Das geht nicht! Denke daran: Das sind seine Grenzen, nicht deine.“ (Unbekannt) |
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| | | | Lavendula Wohnt oft hier
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim Sa 11 Aug 2018, 21:19 © Lavendula | |
| Hallo ...? Aggi ....? Ich weiß nicht ob Du Dich aus irgendeinem Grund für immer hier verabschieden möchtest, oder ob (Gott bewahre) privat irgendwas gravierendes vorgefallen ist, weshalb Du grad nicht mehr schreiben kannst oder magst. Aber, falls Du hier mal reinliest: ich möchte Dir sagen, dass ich Dich hier wirklich vermisse. Hoffentlich kommst Du (bald) wieder.
Liebe Grüße, Betty Ultra posse nemo obligatur - Jenseits des Könnens ist niemand verpflichtet |
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