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| Ich entscheide, nicht das Heim | |
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kamia Ist hier Zuhause
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim Mo 22 Jan 2018, 14:43 © kamia | |
| - Zitat :
- irgendwie versuch ich immer alles alleine zu lösen
ich auch, bin dabei zur garstigen,alten Schnepfe mutiert! Liebe Aggi, ich habe nach dem Sturz meines Mannes Kranken- Gymnastik vom Hausarzt gefordert. Kommt ins Haus! Ich denk mal auch in ein Pflegeheim. Würde Mutti bestimmt auch gut tun....
mit lieben Grüßen Wenn jemand sagt: Das geht nicht! Denke daran: Das sind seine Grenzen, nicht deine.“ (Unbekannt) |
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim Di 23 Jan 2018, 04:03 © Aggi | |
| - kamia schrieb:
- ich auch, bin dabei zur garstigen,alten Schnepfe mutiert!
Nein, Kamia, - Du hast mir grade eine Bärendienst erwiesen und das kann nur ein Engel tun! Und Gisela hat auch schon widersprochen - falls nicht mir, glaub Gisela - Du bist ein guter Mensch!!! - kamia schrieb:
- ich habe nach dem Sturz meines Mannes Kranken- Gymnastik vom Hausarzt gefordert. Kommt ins Haus! Ich denk mal auch in ein Pflegeheim.
Würde Mutti bestimmt auch gut tun.... Das "alte" Problem bei Mutti ist, dass sie dergl nicht will. Als sie im Sept. 2015 bettlägrig nach Hause kam und ich bei ihr einzog, hatte ich gleich eine ganz tolle Krankengymnastin (heisst das so?) für sie, die ein bis zweimal die Woche ins Haus kam. Aber nach einigen Malen wollte Mutti nicht mehr, sie meinte dann schon Tage vorher, ob das denn muss. - Da sie "nebenbei" ja die Herzklappenverengung hat und täglich mehrfach mit Schwindel undCo. zu tun hat, ging ich auch immer davon aus, dass es zu anstrengend für sie sei, selbst die ganz leichten Übungen. Keine Ahnung, auf jeden Fall konnte ich sie ja nicht zwingen und wenn Mutti was nicht will... Damals konnte sie dann aber immerhin nach ca. 2 Monaten mit meiner Hilfe wieder selbständig vom Bett mit Rollator zum Nachstuhl (in der Zimmerecke ca. 1 m hinter dem Bett) und zurück. Sass tagsüber auch andauernd selbständig auf und legte sich dann wieder hin, weshalb ja auch Wundliegen nie ein Thema war. Erst seit der Aufnahme zur Kurzzeitpflege hatte es dann sowas wie einen weiteren Schub gegeben, und da war dann selbst das Aufstehen vom Bett und das Umdrehen zum Nachtstuhl am Bettende schon schier unmöglich. Weshalb ich dann ja die schwere Entscheidung fällte, dass sie nicht mehr nachhause kann. Ich wollte ihr noch weitere Schübe durch weitere Umzüge ersparen ... ... und frage mich wohl unbewusst bis heute, ob ich damit einen Fehler gemacht habe ... ... Aber ich sah im Heim, dass es mit Waschen und diesen Dingen durch mich alleine überhaupt nicht mehr geht und bei Mutti's Inkontinenz (auch Stuhlinkontinenz) und nach dem nächsten Schub, wo sie mich dann schon fragte, wann ich zuletzt mit Vattern gesprochen hab (der ja seit Jahren nicht mehr lebt usw.) ... Dann war ja auch gleich der erste Sturz nachts, wo keiner wusste, wie es passiert ist und ich nur dachte, im Heim sind dann wenigstens Nachtschwestern da, die sie finden, weil ich ja auch schlafen muss - Mutti hat ihre Klingel zuhaus ja fast nie benutzt, nicht mal als Armband... Dann passierte der zweite Sturz und ich dachte immernoch, die machen das schon ... ich war so müde ... zwei Jahre nonstop ohne Pause, dann dieser ganze Behördenkrieg um diese desaströse Schuldenlage bei meiner Mutter, Ärger mit den Geschwistern, und in meinem eigenen Zuhause war ich nicht mehr zuhause - alles war fremd ... ... bis ich feststellte, Mutti halluziniert... DAS hab ich jetzt abgebogen aber was ist dabei aus mir geworden? Ich gehöre nicht zu den Angehörigen, die ihre Lieben schlagen, oder misshandeln, aber ich mach mir grosse Vorwürfe, dass ich soweit entgleisen konnte, dass ich jetzt schon "hinter jedem Busch einen Mörder sehe". Kamia, eine musste mir das sagen und dazu gehört Mut, aber hilft nix, sonst hätte ich das nicht kapiert. Sogar hier versuch ich mich noch, zu rechtfertigen - wichtiger aber ist, dass ich mich jetzt so änder, dass ich nicht noch anfang, Mutti oder den lieben Leuten im Heim oder andern, die Helfen wollen zu schaden. Man man man, ich schäme mich in Grund und Boden, aber darum bin ich doch auch hier - weil ich selber auch Hilfe brauche. Kamia, Du bist für mich ein Engel, selbst wenn Du Dich selber anders siehst, aber ich werde Dir nie vergessen, dass Du da warst, als ich den dringenden Tritt in den Arsch benötigt hab! So, und jetzt versuch ich, ruhiger zu werden. Blöd, dass ich mich immer rechtfertigen will, es ist so schwer ein guter Mensch zu sein! Ich bin so froh, dass ich hier schreiben darf - es erleichtert einfach, das mal loszuwerden... LG, Aggi
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| | | kamia Ist hier Zuhause
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim Di 23 Jan 2018, 05:53 © kamia | |
| - Zitat :
- Das "alte" Problem bei Mutti ist, dass sie dergl nicht will
Liebe Aggi, das Problem kenne ich nur zu gut - ich versuche es immer wieder - im Moment klappt es.
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim Di 23 Jan 2018, 10:14 © Aggi | |
| 20180123 Dienstagmorgen:
O.K. – mach mal ein Reset, Aggi. Versuch’s mal mit dem Mantra „Think positive“.
Notiz an mich selbst: - Ich muss mehr trinken (hab ich gestern mit dem St.Fachingen gemerkt). - Ich muss ruhiger werden – sollte wieder mit Yoga anfangen, dass hat mir vorher sehr gut getan, ging bloss nicht mehr, als ich Mutti pflegte! - Ich muss lernen, Hilfe anzunehmen. Ich kann nicht alles allein. - Ich muss noch lernen, dergl nicht als „muss“-Botschaften zu formulieren *gg* (Mutti sag ich immer, „müssen“ muss man höchstens aufs Klo ^^)
So, mit neuem Mut und neuer Hoffnung heut früh ins Pflegeheim gefahren. O.K., die Nacht auf Erkältung war wieder scheiße, seit zwei Tagen läuft jetzt die Nase, als gäbs Preisgeld dafür und nun löst sich auch der Husten. Gestern gestaubsaugt (kleine Räume) und war danach komplett durchgeschwitzt. Dann musste ich im Bad endlich mal die Schimmelstellen wegmachen und hatte danach das Gefühl, ich brauch ein Sauerstoffzelt. Aber wenn ich aufhör, zu Mutti zu fahren, hab ich Angst, ich fahr nie wieder hin … falls das hier wer versteht?!
Aber ich will jetzt positiv denken. Erkältung isso im Moment. Bleib realistisch Aggi. Nur einmal am Tag zu Mutti.
Im Flur kommt mir schon lächelnd eine Schwester entgegen, sie sei noch nicht fertig. Ich grüsse freundlich und sag, ich geh aber schon rein. Mutti freut sich, mich zu sehen. Ich plauder über das Nieselwetter und sag der Schwester, die zurückkommt, hoffentlich bin ich nicht im Weg. Die wehrt ab und meint, überhaupt nicht. Hustet. Wir tauschen aus, wie blöd das Wetter und die Erkältungszeit ist. Lockere Atmosphäre. Mutti entspannt. Ich helf beim Bettdecke beziehen und beschwer mich laut grinsend über mich selbst, wie lange ich heut brauche. Sag der Schwester, ich hol gleich gern das Frühstück. Die freut sich über mein Hilfsangebot und ich freu mich, dass sie sich freut. Mutti sagt: „Nagelschere.“ und ich sag, dass mach ich gern.
Schönes Frühstück mit Klönen. Ich kann von der Enkeltochter erzählen, die gestern bei mir anrief und seit November ein Urenkelkind hat und die Oma besuchen möchte. Mutti freut sich. Schafft die Scheibe Brot und sagt unvermittelt: „Milchsuppe zum Frühstück mag ich nicht.“ (Ich schwör! Ich hab kein Wort gesagt, nur Anfangs, was auf dem Tablett steht wie immer!) – Sag ich zu Mutti: „Ist o.k. – ist doch nur ein Angebot … musste nicht.“ Alles gut.
Am Ende ist sie wieder erschöpft. Also wieder von der Bettkante ins Bett. Setz mich an Muttis Seite und schneid ihr die Fingernägel der rechten Hand. Hab ich zwei Jahre lang gemacht. Der rechte Zeigefinger ihrer rechten Hand ist immer der härteste. Ich merke dabei, dass ich das gerne mache. Plauder dabei mit Mutti. Ob was weh tut. „Aber nicht FEUER brüllen, wenn ich daneben schneide, sonst kommen die Feuerwehrmänner.“ Wir kichern zusammen.
Erste Hand fertig. Seitenwechsel. Mir dröhnt der Schädel, aber ich mag nicht aufhören. Irgendwie ist das schön. Mutti nahe sein. Sie wird immer schläfriger. Ich plauder bei der Maniküre und komm mir vor, als würde ich ihr Wiegenlieder vorsingen. Sie ist so entspannt. Am Ende die berühmte Frage, ob ich gut war („Fühl mal, ob noch Haken sind.“). Mutti ist jetzt so müde, dass sie kaum noch einen Finger krumm machen mag. Aber zufrieden. Und ich auch.
Insgesamt war ich ja bloss eine Stunde da. Aber die ist intensiv. Und die Schwestern freuen sich über die Hilfe. Und ich lerne, loszulassen oder so was. Mutti geht es gut.
Danke, kamia! - Danke, Forum!
LG, Aggi
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim Mi 24 Jan 2018, 09:54 © Aggi | |
| 20180124 Mittwochmorgen: Kurz vor acht im Heim, die Wäsche ist noch im Gange. Heute die Pflegedienstleiterin. Ich klopfe und rufe freundlich „Guten Morgen!“ – Mutti ist im Bad auf dem Nachtstuhl. Ich sag, hoffentlich stör ich nicht und die PDL wehrt ab (im Bad), in dem sie zu Mutti sagt, dass sei ja noch schöner, wenn Besuch stören würde. Mutti soll auf dem Nachtstuhl noch versuchen, Wasser zu lassen. Ich bleib im Zimmer und füll Tempotaschentücher in Muttis Tempobox auf, nehm mir erstmal einen Pfefferminzbomms (hab ich gestern bei Mutti vergessen), stell den Holzkalender, den ich Mutti geschenkt hab, auf das neue Datum und versuch halt, nicht im Weg zu stehen. Die PDL fragt Mutti inzwischen, ob Waschen am Waschbecken heute geht, ob Mutti solange kurz stehen kann oder lieber im Bett? Mutti: Lieber im Bett. Fürs Stehen ist sie zu schlapp. Zurück auf dem Nachtstuhl ins Zimmer gerollt, soll Mutti vor dem Nachttisch aufstehen und sich am Nachttisch festhalten. Ich trete dazu, sicher den Nachtstuhl (hilft ja, wenn eine Sr. merkt, sie ist nicht allein). Mutti kann gar nicht mehr alleine stehen. Gemeinsam helfen wir ihr aufs Bett. Innerlich schlucke ich, wie wenig Mutti inzwischen ist und kann – obwohl ich das doch schon so lange weiss. Aber so ihren dünnen nackten Popo sehen, eingefallen, keine Muskeln mehr, sie schwindet und grad ist es so sichtbar, als ihr „nur“ ins Gesicht zu sehen. Beim Waschen erzähl ich Mutti vom neusten Scherz meines Mannes, nu hat er doch Whisky-Bomboms für sich entdeckt. ^^ Mutti grinst und die PDL erzählt in Muttis Rücken von Salzbonbons, die sie kennengelernt hat. Dabei merk ich, dass Mutti das überhaupt nicht mitbekommt, ist mir schon öfter aufgefallen, dass Mutti Gespräche aus weiterer Entfernung oder „hinter ihrem Rücken“ gar nicht mehr folgen kann. Ich frag sie, ob sie Salzbonbons mag, wie Sr. D. grade erzählt und Mutti ist ganz erstaunt – hat sie nicht mitbekommen. Wurscht, ich red mit Mutti über Lakritze, das kennt sie. Biete mich an, Mutti die Magentablette und die Augentropfen zu geben. Die PDL holt dafür das Frühstückstablett. Ich bedanke mich und sie meint, ich würde ihnen doch schon so viel Arbeit abnehmen. Aber Mutti ist heute zu schlapp, um auf der Bettkante zu sitzen. Also im Bett. Schafft fast die ganze Scheibe Brot und fast den ganzen Becher Kaffee. Sagt einmal zu mir: „Du hast eine Art, mir das schmackhaft zu machen.“ (Sie hatte mittendrin schon mit Essen aufhören wollen und ich hab halt in Gesprächspausen noch angeboten und wenn sie dann annimmt, denk ich, ist das gut. – Und diesen Satz sagte sie wie ein Kompliment.) Mutti ist nach dem Essen total geschafft. Als ich in mir drinnen anfangen will darüber nachzudenken, ob das Toilettenstuhltraining heuer für sie zu anstrengend war (die andern Schwestern morgens haben sie immer im Bett gewaschen), denk ich an Kamia’s mahnenden Worte und sag mir: Hej, Du bist momentan morgens eine Stunde da und hast keine Ahnung, was sonst so gemacht wird. Deine Mutter hat Dir heute morgen wieder gesagt, dass sie gut schläft. Sie wirkt zufrieden, angstfrei und vermisst nicht mal Besuch (O-Ton Mutti: „Wenn mir keiner was zu erzählen hat, brauch auch keiner kommen.“), Fernsehen will sie schon gar nicht („Bloss nicht!!“) – also stop-your-Grübelzwang, atme durch, alles ist gut! Beim Rausgehen treff ich noch die gute Seele des Hauses, draussen, rauchend. Ich liebe diese Frau! Wir klönen noch über Erkältung und Zwiebel-Technik beim Anziehen. Da grüsst uns eine tiefe Stimme: Der Zimmernachbar von Mutti mit Jacke, Schal, Rollator und Sonnenbrille. Den hab ich inzwischen auch lieben gelernt. Ein unglaublich charmanter Mann, der mir immer den Vortritt läßt mit Gentleman-Geste, wenn wir gleichzeitig durch eine Tür gehen wollen. ^^ Er strahlt uns an. Die gute Seele fordert ihn auf, mindestens zwei Runden mit dem Rollator zu marschieren, weniger würde sie nicht gelten lassen! (Sie „schimpft“ gerne, dass viele andere Bewohner zu wenig an die frische Luft gehen: „Es muss doch kein Gewaltmarsch sein. Zwei Runden hier um den Kreisel, das sind keine 2 Minuten – das reicht doch schon. Aber nein, dem einen ist zu kalt, dem andern ist zu nass!“) – Muttis Zimmernachbar muss sich aber erst noch seine Sonnenbrille aufsetzen. Die gute Seele meint, wieso, ist doch gar nicht hell. Er verschmitzt, darum ginge es auch nicht, er könne sonst einfach nicht genug sehen. Ich verabschiede mich lachend. Am liebsten würde ich bleiben. Und allen helfen.
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| | | kamia Ist hier Zuhause
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim Mi 24 Jan 2018, 14:30 © kamia | |
| - Zitat :
- (die andern Schwestern morgens haben sie immer im Bett gewaschen) sag mir
..... gut das Mama aus dem bett kommt! Wenn auch nur kurz.... stelle bei meinem Mann immer wieder fest, es tut ihm gut, auch wenn es im ersten Moment etwas schwer geht. Es muß nur regelmäßig sein Großes Lob für die Schwester
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim Do 25 Jan 2018, 05:32 © Aggi | |
| Liebe kamia, Du hilfst mir, klarer zu sehen: - kamia schrieb:
- ..... gut das Mama aus dem bett kommt! Wenn auch nur kurz.... (...) Großes Lob für die Schwester
Jo - stümmt! Ich muss noch wieder lernen, so zu denken. Aber ich hoffe, es ist wie bei nem Umzug, wo man erst tagelang noch sucht, wo hab ich eigentlich dies-das jetzt hingestellt, bis ich endlich wieder weiss, wo was liegt! LG, Aggi
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim Do 25 Jan 2018, 09:52 © Aggi | |
| 20180125 Donnerstagmorgen: Kurz vor acht im Heim. Sr. Name-vergessen winkt mir schon lächelnd zu, sie sei grad fertig bei Mutti. Mutti sieht heut richtig gut aus, fällt mir sofort auf. Mutti staunt mich an, was ich schon bei ihr mache. Sag ich, ist kurz vor acht, wär doch meine Zeit. Ist Mutti ganz erstaunt. Aber dann klönen wir erstmal – „Warte noch mit Frühstück. Ich hab noch gar kein Hunger.“ Und Mutti wird immer klarer. Zum Frühstück dann will sie sich auch aufsetzen. Es geht ihr heute richtig gut! Nach ein paar Bissen kommt die Dame, die ich bislang für eine Küchenfachkraft gehalten hab. Heute ohne Schürze, dafür mit Namensschild und A4-Zetteln unterm Arm. Sie begrüsst uns fröhlich und plappert gleich los, wie wichtig die Milchsuppe ist. Mutti müsste unbedingt morgens Milchsuppe essen. – Sag ich, ist doch schwer, wenn man das morgens nie gegessen hat?! – Sie plappert fröhlich weiter, das habe doch jetzt der Arzt verschrieben, damit Mutti wieder zu Gewicht kommt ( aha, wusst ich gar nicht) und wenn Mutti morgens erst einen Löffel schafft, dann am nächsten Morgen vielleicht zwei und am übernächsten Morgen vielleicht drei Löffel. In der dementen Gruppe würde das auch so gemacht und die essen die Milchsuppe jetzt begeistert, auch wenn sie sie zuerst nicht so gerne mochten. Einfach erst mit einem Löffel anfangen und dann Tag um Tag steigern. Man müsse halt wieder wie ein Kind anfangen. Im Alter ist das wieder wie bei kleinen Kindern … ( an der Stelle schüttel ich den Kopf – kann Mutti eigentlich nicht sehen, ich sitze links von Mutti mit auf dem Bett) … und die Dame sagt in ihrem Plapperfluss, sie lässt uns jetzt alleine, sie wäre aber auch am Plappern und ist plappernd wieder draussen. Während ich noch ein bissi perplex bin, sagt Mutti trocken: „Na, die hat eine Art, einen zu überreden.“ Greift zielstrebig zum Suppenlöffel, weist damit zur Milchschüssel, ich reich sie ihr und Mutti löffelt 3 Löffel Milchsuppe. Dann sagt sie: „So, nun ist gut.“ Whow! Manchmal tut’s auch ein Tsunami! Während Mutti OHNE zu kippen weiter frühstückt, kommt noch die süße Putzkraft, das ist eine ganz Liebe! Ich sag ihr zur Begrüßung, dass ich endlich den Hocker mit nachhause nehme, der stört doch nur beim Putzen und wird nicht mehr gebraucht. Sie freut sich total. Mit Mutti hatte ich schon vorher wg. dem Hocker gesprochen und während die liebe Putzkraft im Bad sauber macht, erklär ich Mutti, die fragend guckt, worum es grade ging. Mutti fragt, ob sie die Frau kennt und ich sag, ich weiss zwar ihren Namen nicht, aber sie sei eine von den Lieben! Mutti nickt. Ein paar Sekunden später kommt die Liebe extra aus dem Bad zu uns und sagt zu Mutti, wie gut Mutti heute aussieht. Strahlt Mutti dabei an wie Honigkuchenpferd. Sagt mir, Mutti wäre an anderen Tagen nicht so gut zufrieden, dann würde sie nur ganz schlapp da liegen und nicht mal „Guten Morgen“ sagen, aber heute würde es Mutti richtig gut gehen. Mutti muss ich das Gesagte hinterher dolmetschen, weil Mutti das zu schnell war, aber dann freut sich Mutti über die liebe Geste. Nach dem Frühstücken und Klönen (ich bin schon wieder komplett durchgeschwitzt) sag ich Mutti, dass ich ihr leider immer noch nicht einen Abschiedskuss geben mag wg. meiner ollen Erkältung. Und da legt Mutti los und erzählt ausführlich, dass früher zuhause (ihre Kindheit in Pommern) das sowieso nicht üblich war und wie ihr Pappa sich immer eingemummelt hat, wenn er als Förster ins Revier ziehen musste, da hätte ihre Mutter ihm sowieso keinen Abschiedskuss geben können. Und ihr Vater hätte immer behauptet, dass er sich so einmummeln müsste, um das Wild nicht zu vertreiben. Sie seufzt zufrieden: „Papa Heinrich.“ Und kuschelt sich in ihr Kopfkissen. … und als ich dann meine Weste und meine Jacke anhab und die Tasche um und den Hocker geschnappt hab und ihr zuwinke, sagt Mutti noch: „Danke das Du jeden Morgen kommst.“
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim Fr 26 Jan 2018, 10:14 © Aggi | |
| 20180126 Freitagmorgen: Heute hab ich Blut und Wasser geschwitzt. Als ich wach wurde, war ich glücklich. Vielleicht die erste Nacht seit hunderten, die ich gut geschlafen habe. Heute ist die persönliche Anhörung von Mutti, aber ich mache mir keine Sorgen mehr! Als ich kurz vor acht im Heim bin, ist die Pflegedienstleiterin noch bei der Wäsche, Mutti sitzt im Bad auf dem (rollbaren) Toilettenstuhl, ein Fußbad nehmend. Sr. D. lacht und meint, dass sei heute der Kompromiss statt Duschen. Ist doch super. Ich begrüsse meine schläfrige Mutti: „Na, Mutti, macht Fussbad nicht schön schläfrig?!“ – Mutti lächelt. Haare waschen wollte sie auch nicht, wozu auch, sie sieht doch gut aus. Ich helfe mit beim wieder-ins-Bett bringen, Mutti ist dann erstmal wieder sichtlich geschafft und ich sag Sr. D., ich hol das Frühstück etwas später, damit Mutti noch verschnaufen kann. Sieht Sr. D. genauso. Im nächsten Moment kommt meine grosse Schwester rein. Ich denk nur: „Schöne Scheisse, wieso grade heute??“ aber mach gute Miene. Sitze artig da und lasse die Grosse reden, ist ja so selten da. Aber die Grosse ist so unbeholfen, Mutti kann sie nicht richtig sehen, da schwenkt sie ihre Arme hoch: „Huhu, hier bin ich.“ – Der Ton macht die Musik. Mutti sagt zu ihr, sie soll sich nicht über sie lustig machen, sie könne ihr Gesicht nicht gut sehen. Blödes Schweigen, dass ich dann damit unterbreche, dass ich Mutti sag, ich geh mal das Frühstück holen, dann kann der Kaffee noch abkühlen. Ist Mutti ganz dankbar. Mit dem Frühstück kommt dann wieder Bewegung rein. Weil ich dirigiere. Und die Schweigepausen (ich warte immer, ob meine Schwester nicht was zu erzählen hat) dann selber fülle, weil’s sonst peinlich wird. So entspannt sich die Situation. Mutti probiert auf meine Animation auch wieder die Milchsuppe, verzieht nach dem zweiten Teelöffel aber derart das Gesicht, dass wir alle drei lachen müssen. Wurscht, also weiter mit Brot. Da macht es DingDong, eine Schwester meldet die Richterin an. Mutti bekommt nur mit, dass eine Frau kommen will und wird sofort argwöhnisch. Ich sitz wie immer beim Frühstück neben ihr auf dem Bett und erklärbär, dass ginge um Papierkram, keine Sorge, Mutti. Schon ist die Richterin da. Sehr jung, sehr schlank, könnte eine von Muttis Nichten sein. Sehr freundlich. Stellt unverbindliche Fragen, aber Mutti hat grad den Mund voll. Irgendwie denk ich immer wieder, wieso denken alle, die rein kommen, immer, Mutti würd nur so warten, dass endlich einer kommt und sie ausfragt und sie kann dann wie aus der Pistole geschossen reagieren??? Dann kommt auch noch die Dame, die Verfahrenspflegerin werden soll, jetzt ist Mutti wieder unwirsch und wieder nehm ich ihre Hand und erklärbär Mutti die Situation, während im Raum Richterin und Verfahrenspflegerin schwatzen und die nächste Schwester kommt und meine grosse Schwester fragt, ob Pflegepersonal dabei anwesend sein soll … das ist Chaos … und ich denk nur, seid ihr alle blöd und halt den Fokus auf Mutti und beruhige sie, dass die beiden Frauen die Guten sind und mir helfen sollen, keine Sorge. Nu sagt auch die Richterin zu Mutti, ja, darum geht es, ihrer Tochter helfen, ob das in Ordnung für Mutti sei? – Ist für Mutti in Ordnung. Mutti sitzt da nur noch eng an das Kopfteil gelehnt und ist überfordert aber höflich. Die Damen beschliessen, wir setzen das Gespräch draussen fort. Wie selbstverständlich leitet meine grosse Schwester die beiden raus, als würde es um sie gehen – ich schwitze Blut und Wasser, denn ich traue meiner grossen Schwester keinen Zentimeter mehr über den Weg. Aber erstmal muss ich mich um Mutti kümmern. Sie muss erstmal wieder liegen. Ich entschuldige mich bei Mutti, dass ich einmal raus muss, um mit denen zu reden, aber ich komme gleich wieder. Mutti ist ganz erschlagen, aber sie sagt mir, ist alles gut. Also den Flur runter, wo die drei am Tisch sitzen. Am liebsten würde ich darum bitten, dass meine grosse Schwester geht. Sie hat sich noch nie um diese Sachen gekümmert und wird es nie tun. Was soll die Show? Aber wurscht. Heute ist nicht „am liebsten“. Ich setz mich dazu und nun ist geklärt, dass die ausgewählte Dame Verfahrenspflegerin für den Hausverkauf wird. Betreuung für Vermögenssorge ist nicht nötig. Ansonsten ist alles andere ja durch die Vorsorgevollmacht auf mich abgedeckt. Ich erklär sogar mit direktem Blick auf meine Schwester, dass sich m.E. alle Geschwister einig sind, dass bei dem Haus nichts mehr zu holen ist und es nur um die Schuldenverringerung geht (länger dazu ausgeholt als hier beschrieben, die Fakten hab ich ja auswendig intus). Jo, nun folgt die offizielle Bestellung. Dann schreibt mich die Verfahrenspflegerin zu einem Termin an, wo ich dann alle Unterlagen mitbringe. Und wenn eines Tages das Haus verkauft und die Schulden – however – getilgt sind oder nicht, wird diese Betreuung dann auch wieder aufgehoben. Über dergl Vorgänge werden automatisch immer alle Geschwister informiert. (Das Schreiben dazu war noch nicht da, monierte meine grosse Schwester mit süffisantem Lächeln.) Zu Ende der Betreuung gäbe es auch die Möglichkeit auf Antrag über das wie-auch-immer-Ergebnis (keine Ahnung) informiert zu werden, wenn man eine Beteiligung beantragt. Die Richterin erklärte meiner Schwester, das sei aber nicht nötig, sie könne sich getrost an mich wenden. Darauf meine Schwester, sie werde auf jeden Fall die Beteiligung beantragen. Ja nee, is klar, Mrs. Egotrip traut mir nicht. Selber nie einen Finger krumm gemacht, selber nie was zu bezahlt, aber seit sie ahnt, dass sie möglicherweise ans Sozialamt zurückbezahlen muss, zeigt sie ihr wahres Gesicht … wie oft hat sie heulend vor mir gesessen, als würde ihr Mutti gottweisswas bedeuten … tseeeeeeeeeeeeeeee… Nun denn, ja, ich habe Blut und Wasser geschwitzt. Weil meine grosse Schwester auftauchte. Und weil es für Mutti sehr anstrengend war. So viele Menschen und keine Ahnung, was da vor sich geht. Und ausser mir ist keiner richtig auf sie eingegangen. Aber ich hab heute nix falsch gemacht. War hinterher noch bei Mutti, ausklingen lassen, bis ich wusste, sie ist schläfrig und zufrieden. Grosse Schwester hatte sich danach direkt verabschiedet, weil sie zur Arbeit musste. Stand, als ich dann ging, aber immer noch auf dem Flur mit wem am tratschen. Aber irgendwann wird das Dilemma meiner Schwester nicht mehr mein Dilemma sein – und dann wird mein Leben wieder ein Stück leichter.
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim Fr 26 Jan 2018, 13:02 © kamia | |
| freut mich sehr das alles gut gelaufen ist.................
von nun an liebe Aggi: straight on, für Mutti nur das Beste! Manchmal läßt einen die sch....Krankheit bremsen, danach gehts aber weiter. Die Geschwister bekommen ja den Stand der Dinge übermittelt. Mußt dich also nicht jucken....Sehr gut!!! Hab ich es richtig verstanden? Um die Sache mit dem Sozialamt mußt du dich weiterhin kümmern? Bedeutet das nicht Vermögenssorge? Wenn Schulden übrig bleiben? Ist das dann nicht Vermögensorge?
Interessiert mich sehr.....wenn ich das fragen darf..............
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim Fr 26 Jan 2018, 16:12 © gisela | |
| siehste Aggi wird eben nicht alles so heiss gegessen ,wie´s gekocht wird. liest sich doch gut. freiut mich auch für dich und deine Mama. - Zitat :
- denn ich traue meiner grossen Schwester keinen Zentimeter mehr über den Weg.
Ja nee, is klar, Mrs. Egotrip traut mir nicht.
nunja.........da habt ihr Geschwister dann ja was gemeinsam
lieben gruß gisela mein Vorbild ?....der Löwenzahn...wenn er es schafft durch Asphalt zu wachsen...kann auch ich scheinbar unmögliches schaffen |
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim Sa 27 Jan 2018, 03:06 © Aggi | |
| Liebe Gisela, - gisela schrieb:
-
- Zitat :
- denn ich traue meiner grossen Schwester keinen Zentimeter mehr über den Weg.
Ja nee, is klar, Mrs. Egotrip traut mir nicht.
nunja.........da habt ihr Geschwister dann ja was gemeinsam ... ... ... ... Gisela, U make my day! Aggi
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim Sa 27 Jan 2018, 10:21 © Aggi | |
| 20180127 Samstagmorgen: Eine Stunde – Drei Geschichten Als ich heute morgen kurz vor acht Muttis Zimmer betrete, sehe ich gerade aus auf dem Wohnzimmertisch eine kleine Vase mit einer Tulpe, daran ein Zettelchen. Die kleine Schwester? (macht gern solche Geschenke). Beim Weitergehen kann ich lesen, dass der Zettel mit „Liebe Bewohner“ anfängt. Ich begrüsse meine schläfrige Mutti und nehm die Vase zu ihr ans Bett: „Boah, die ist aber schön!“ – Ja, hätten gestern abend die andern gebracht. Während ich die Vase so halte, dass Mutti sie gut sehen kann, lese ich ihr langsam den Zettel vor (und beobachte ihre Reaktionen) – so süß!!! „Liebe Bewohner, Wir wollten uns hiermit für die vergangenen 2 Wochen bei Ihnen bedanken. Dafür, dass wir soviel von Ihnen lernen durften und wir einiges zusammen erleben konnten. Es war eine echt tolle Zeit und es hat alles sehr viel Spaß gemacht. Wir wünschen Ihnen noch ganz viel Glück und Gesundheit!“ Mutti nickt und lächelnd immer wieder zustimmend, freut sich mit mir. Mutti hatte immer schon ein Faible für so kleine Dinge. Wollte immer schon viel viel lieber statt eines bombastischen Blumenstraußes lieber nur eine kleine Vase mit einer einzelnen Blüte drin. Hat mir früher erzählt, ihre Mutter, meine Oma war genauso. Die hätte sich für ihr Leben gerne von Spaziergängen ein einzelnes kleines Pflänzlein mitgebracht und in eine kleine Vase für sich selbst auf die Fensterbank gestellt und sich daran gefreut. Als ich die Vase wieder zurück auf den Tisch in der Ecke gestellt hab, sagt Mutti unvermittelt, sie sei schon wieder in einem anderen Zimmer. Aus einem Gefühl heraus antworte ich, ich mach mal das Fenster zu, sei so kalt heut, aber die Gardine kann doch auf (unser Ritual morgens, aus dem Fenster sehen, auch wenn Mutti fast nichts mehr sieht). Fährt Mutti fort: „Vater hat das Haus verlassen.“ (Ich bin ganz geschockt, lasse mir aber nichts anmerken.) Sie: „Ist er einfach weg. Ich hab noch gedacht, wo bleibt er. Sonst kommt er immer noch vorbei. Jetzt hat er das Haus verlassen.“ (So, wie sie es sagt, weiß ich, dass sie von ihrem Mann, meinem Vater spricht.) Ich antworte: „Das ist doch traurig.“ – Sie: „Ja.“ (und sinngemäß) zuerst hätte sie sich ganz hilflos gefühlt. Ich nehme ihre Hand in meine, streichel sie und sag: „Mutti, Du hast Dir nichts vorzuwerfen. Du hast nichts falsch gemacht.“ – Sie: „Das sagst Du so.“ – Sag ich mit Nachdruck: „Isso (gedehnt), Mutti! Du hast Dein Leben lang gemacht und getan und er hat nicht geholfen.“ – Mutti senkt den Kopf und sagt in ihr Kinn: „Miststück.“ Meint ihn. – Sag ich: „Genau.“ Dann ist gut. Während ich das hier schreibe, komm ich immer noch nicht aus dem Staunen heraus. Meine Mutter ist nicht der Typ, der ihren Mann „Miststück“ nennt. Aber musste mal sein. Und die Angst teilen. Er hat sie mit allem alleine gelassen. So einen Moment hatten wir noch nicht. Aber ich durfte ihn mit ihr teilen, dafür bin ich dankbar! Dann frühstücken wir. Heute sitzt sie nicht so gut. Ich kämme ihr die Haare dabei, sie kuschelt sich in meine Hand wie eine kleine Katze. Nach der Scheibe Brot biete ich ihr die Milchsuppe an und sie nimmt beide Hände vor die Augen so wie kleine Kinder, wenn sie sich hinter ihren Händen verstecken. Sag ich lächelnd: „Das ist ein klares Nein.“ Nein, heute keine Milchsuppe. Als sie wieder liegt, klöne ich noch, erzähl vom Telefonat mit dem kleinen Bruder, da freut sich Mutti auch immer. Von meinem Mann, der gestern so fleissig war und von dem sie noch keinen Tag vergessen hat, wie er heisst und dass er kaputte Füße hat. Bis gut ist. „Hab Dich lieb, Mutti!“ – „Ich Dich auch.“ Draussen treff ich wieder die gute Seele des Hauses. Erzähle ganz begeistert von der Tulpenvase und erfahre, dass das von 2 Mädels war, die zwei Wochen als Betreuer im Heim gearbeitet hatten. Spaziergänge mit Bewohnern gemacht hatten und dergl mehr. Und das sie (die gute Seele) noch geholfen hatte, weil zu wenig Vasen da waren für alle Bewohner, da hat sie vorgeschlagen, dass sie leere Wasserflaschen nehmen, das ging dann auch. Dann kommt Muttis Zimmernachbar von seinem Spaziergang vorbei und grüßt, so kommt die gute Seele auf ihn zu sprechen. Sie cremt ihm jeden Morgen den Nacken ein. Das könnten (seiner Meinung nach, sagt sie mir mit Schalk im Nacken) die Schwestern nicht machen, die seien ja viel zu jung. Und dann noch eine Stelle am Rücken. Und gestern hätte er ihr erzählt, sein Haus würde jetzt verkauft werden. Er hätte aber auch noch genug Gespartes, das würde auch noch reichen. Und sie dann gebeten, sie möge bitte solange bleiben wie er. Da schaut mich die gute Seele an, zuckt die Achseln und meint, wie soll sie das versprechen, das liegt doch in Gottes Hand, wann der sie holt? – Aber der gute Herr Soundso (sie nennt ihn beim Vornamen) hätte nochmal gesagt, sie solle bitte solange bleiben und da habe sie ihm versprochen, na klar bleibe sie solange wie er. Es sind die kleinen Gesten… und ich hab das Gefühl, solange ich ins Pflegeheim geh, brauch ich nicht in die Kirche…
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim So 28 Jan 2018, 09:59 © Aggi | |
| 20180128 Sonntagmorgen: Kurz vor acht im Heim. Mutti schaut mich verwundert an, was ich denn schon so früh da bin? – Ich lächel: „Mutti, ist jetzt kurz vor acht. Das ist doch meine Zeit.“ – Ist Mutti ganz erstaunt, dass es schon kurz vor acht ist und meint, da hätte sie ja lange geschlafen. (Ist schon gewaschen und umgezogen.) Als Mutti Mitte Oktober letzten Jahres ins Heim kam, war die Umstellung für sie insofern auch sehr schwer, weil wir die über zwei Jahre vorher immer spätestens um sieben Uhr morgens Frühstück hatten – was im Heim natürlich nicht geht. In den ersten Tagen und Wochen war sie noch ziemlich „genervt“, weil ihr das alles zu lange dauerte. Hat öfter bei mir gejammert – wo doch Frühstück IMMER schon die wichtigste Mahlzeit des Tages für Mutti war. Inzwischen hat sie sich eingewöhnt und ist ganz gelassen geworden. Sie sagt selbst mit eigenen Worten, dass sie gut versorgt ist! Trotzdem freu ich mich auch über Kleinigkeiten, die ich für sie tun kann. Ist wieder Zucker in ihrem Kaffeebecher, als ich ihn aus dem Dienstzimmer hole. Kommt öfter vor. Dann mach ich ihn eben schon im Dienstzimmer raus. Weil Mutti kein Zucker im Kaffee mag. Und das unmöglich alle Schwestern wissen können. Als ich Mutti auf die Bettkante helfe, merk ich, dass ihre Bettdecke nass ist. Sagt Mutti: „Ach, das hab ich auch schon gemerkt.“ Während Mutti schon anfangen kann, zu essen, hol ich halt einen neuen Bezug. Auf dem gelben Bezug ist ein nasser Fleck fast unmöglich zu sehen, niemand hat Schuld, alles gut. Und Mutti und ich fachsimpeln einfach über Bettbeziehen. Wie viele Betten sie in ihrem Leben schon bezogen hat? – Lacht Mutti und meint, glaub nicht, ich hätte immer alle auf einmal bezogen, dass hätte sie sich auch eingeteilt, sonst wäre das zu viel geworden. Mutti ist so schön klar heute. Ich erzähl von meinen Yoga-Übungen, erklär ihr, dass das eigentlich nur leichte Turnübungen sind, ganz langsam, damit ich ruhiger werde. Früher war Mutti solchen Themen gegenüber eher skeptisch, aber seit ich ihr seit Jahren halt erzähle, wieso ich manches mache und das es mir gut tut, ist sie immer aufgeschlossener geworden. Sie hört dann sehr interessiert zu. Heute resultiert es in dem Satz: „Dann setz Dich jetzt mal auf Deinen Arsch und bleib ruhig!“ und lacht mich dabei an! *loooooooooooooooooooooooool* Sie schafft die ganze Scheibe Brot, fast den ganzen Becher Kaffee. Als ich am Ende frage, wie schaut’s aus mit Milchsuppe, guckt sie mich nur von der Seite an und zieht sie doch wirklich eine Augenbraue hoch! Ich liiiiiiiebe meine Mutti! Nachher, als sie wieder liegt, frag ich noch, ob ich ihr Kopfteil noch tiefer machen soll (sie hat ja nie gelernt, die Fernbedienung zu benutzen – keine Chance, ich hab’s versucht). Sagt sie, ist gut so. Und dann: „DIE sagen ja immer, wie ich liegen soll.“ – Verstummt. – Sag ich: „Dann leg Dich doch, wie Du willst, wenn sie weg sind?“ – Sie: „Ich bin zu müde mich zu streiten.“ Dauerbrennerthema: "Frau ..., Sie liegen ja ganz schief!". Warum man immer nach DIN-Norm ausgerichtet liegen soll, werden Mutti und ich in diesem Leben vielleicht nicht mehr verstehen. Bei Mutti kommen ja noch ihre brontalen Narbenhernien dazu (super-dicke Bauchwülste post-OP), die nicht weh tun, aber soll sie doch so liegen dürfen, wie sie mag. Sie fällt nicht aus dem Bett und liegt sich nicht wund bis dato. Aber irgendwie muss der menschliche Körper immer im X-Winkel mittig höchstmöglich auf mindestens zwei Kopfkissen auf dem Rücken im Bett liegen. Im Prinzip so wie aufgebahrt. Aber für Mutti ist das Bett ihr ganzer Lebensraum. Laßt sie doch wenigstens da... Das Gute – Mutti hat scheint’s was das angeht resigniert.
Das Ungute – das ein Mensch resignieren muss, statt das sich was ändert…
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim Mo 29 Jan 2018, 11:56 © Aggi | |
| 20180129 Montagmorgen: Mutti ist heute un-dement. Körperlich schlapp aber un-dement. Als ich kurz vor acht zu ihr komme, liegt sie auf der Seite, Wäsche ist schon durch. Nach der Begrüßung meint sie, es ist ganz schön stürmisch heute. Das kleine Fenster steht auf kipp – ich bin ganz baff. Tatsächlich ist von da der Wind zu hören, was sie normalerweise nicht hört! Beim Frühstück kippt sie viel öfter als sonst und ich muss mir auf die Zunge beißen, sie nicht zu früh zu fragen, ob sie auch lieber liegen möchte. Als noch drei kleine Stücken Brot auf dem Teller liegen, frag ich sie, ob das bequem ist so mit dem Kopf auf dem hölzernen Bettgitter. Meint Mutti: „Och, solange ich nicht zulange so lieg.“ Sag ich, Du, da liegen noch drei Stücken Brot, magst Du noch? – Sie quält sich mehr hoch, aber kein Schmerz dabei. Isst zwei Stücken, trinkt was, als ich frag, kippt wieder. Nach ner Weile, während sie aufgekaut hat, frag ich, Du Mutti, neulich meintest Du, ich soll Dich nicht verpäppeln? Möchtest Du lieber liegen oder geht das letzte Stück Brot noch im Sitzen? – Grinst Mutti und meint, ich könnte es eigentlich nur falsch machen. Wir lachen und sie quält sich noch mal hoch … hmm, quälen ist vielleicht das falsche Wort, denn sie ist ja nicht gequält dabei, ist für sie nur mühsam. Aber wir lachen weiter zusammen, weil ich ja keine Chance hab, was richtig zu machen. Das macht ihr Spaß! Weil ich sehe, dass sich ihr Zopf jetzt gelöst hat, frag ich, ob nocheinmal Kämmen mit dem Zackenkamm geht. Gerne. Sie isst sitzend auf und trinkt noch was. Ich stell mich hinter sie, kämm sie kurz und sag ihr, dass ich ihr Haar liebe. Fragt sie, warum das denn. Sag ich, weil das so schön ist. Mit den weißen Streifen an der Seite (streich ihr da durchs Haar). Sagt Mutti trocken: Du sollst mich lieben, nicht meine Haare. Ich fall lachend aufs Bett und Mutti lacht mit mir. Sag ich ihr, ich liebe Dich von den Haarspitzen bis zu den Zehen. Fragt sie, die Zehennägel auch? – Ja, die Zehennägel auch. Wir kichern zusammen. Einfach nur schön!!! Brot ist alle, Kaffee fast auch. Milchsuppe möchte sie nicht. Sagt sie von alleine. Schlage ich vor, einen lieben Zettel zu schreiben (so früh am morgen sind alle Schwestern auf Achse, schwer, dann eine zu erwischen und ich will nicht stören). A) weil jetzt seit Tagen immer Zucker in ihrem Becher ist, den ich wegkippen muss und B) weil jetzt wirklich und endlich klar ist, Milchsuppe ist nichts für Mutti. Ist doch schade ums Geld. Hab kein Zettel dabei, ich Doof. Geh zum Pflegestützpunkt, in der Hoffnung, ein leeeres Blatt zu finden. Da sitzt dann aber zum Glück eine Schwester und notiert das für mich. Bietet noch an, Mutti könne ja Vanillepudding zum Frühstück bekommen. Aber die eine Scheibe Brot morgens reicht, mehr schafft Mutti gar nicht. Oki.
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim Di 30 Jan 2018, 09:47 © Aggi | |
| 20180130 Dienstagmorgen: Kurz vor acht im Heim. Mutti trägt ein dickes Nachthemd und ich denk verzweifelt, ich muss dringend wieder den Kleiderschrank auffüllen. Mach ich später auch. Die Schublade mit den zusammengelegten Nachthemden, so wie sie aus der Wäsche kommen, quillt schon über. Ich hab ein schlechtes Gewissen, das wollt ich schon seit Tagen und hab’s immer vergessen. Ich seh immer daran, dass Mutti ihre dicken Nachthemden trägt, dass der Kleiderschrank, wo ihre Nachthemden am Bügel hängen, wieder so gut wie leer ist. Mutti ist schlapp, aber freut sich, mich zu sehen. Während wir noch klönen, sagt sie unvermittelt: „Ach, ich kann mein Wasser nicht halten.“ Ich sehe ihr an, dass es genau in dem Moment passiert. Mutti bittet nicht um Hilfe. So ein Satz ist ihre Art, wenn überhaupt um Hilfe zu bitten und das ist für ihre Verhältnisse extrem viel. Grosses Kino! Wie oft hab ich in der Vergangenheit beobachtet, daß andere Geschwister, die bei ihr saßen, dergl nie registriert haben, weil sie immer damit beschäftigt waren, sich selbst zu zuhören. Und wenn ich dann sagte, soundso, ich wollte einmal in Ruhe, kannst Du bitte kurz … musste ich oft hören, ICH solle mal ne Pause machen und mal ruhig sitzen bleiben (witzigerweise sitze ich dann immer ) … natürlich hab ich mich leise durchgesetzt, aber ich verstehe bis heute nicht, warum diese leisen Hilferufe von so vielen nicht gehört werden. Selbst bei einem Auto, dass auf einmal leise „komische“ Geräusche macht, wird – scheint’s – schneller reagiert als manchmal bei alten Menschen. Ich versteh das nicht. Hab in Ruhe zu Mutti gesagt, Du, da sind doch noch Deine schönen Vorlagenhosen. Was meinst Du, wenn ich die eben vor dem Frühstück wechsel? Ist doch schöner? – Jo. Und war dann kein Problem und die Windelhose war klitschenass und nü können wir in Ruhe frühstücken. Im Dienstzimmer – während ich mit der Thermoskanne kämpfe und fast den ganzen Tablettwagen flute ( und kein Loch im Boden, dass mich verschluckt….) kommt eine Schwester dazu und fragt nochmal, ob das jetzt so in Ordnung ist mit ohne Zucker? – Alles gut, ich bedanke mich und entschuldige mich für mein Kleckern. Komisch, kleckern zu hause macht mir nicht so viel aus wie kleckern im Pflegeheim. Irgendwie bin und bleibe ich mir bei allen Handgriffen dort unsicher. Nach außen wirke ich vermutlich souverän. Nach innen fühle ich mich überhaupt nicht so. Nach dem Frühstück hör ich draußen einen Vogel lustig zwitschern. „Mutti, hörst du das? Da zwitschert ein Vogel.“ – Ja, hört sie auch. Wir lächeln beide. Irgendwie hört Mutti im Moment gut, das finde ich so schön!
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim Fr 02 Feb 2018, 07:07 © Aggi | |
| 20180131 Mittwochmorgen:
Gegen acht bei Mutti fällt mir gleich auf, wie blass sie heute ist. Mutti fragt mich, ob ich gestern dagewesen bin. Ich sag ihr lächelnd, ich bin jeden Tag da. Aber normal, Mutti, grad das bleibt nicht so hängen wie wenn einer nur ganz selten kommt (ich red mit Mimik und Gestik und bring sie zum Lächeln, so mit den Händen ihre Sorgen wegwischend).
Die Schwester, die mich schon beim Betreten des Heims gesehen hat, bringt uns heute das Frühstückstablett. Wie lieb.
Mutti schwächelt. „Möchtest Du auf der Bettkante sitzen?“ (Sinngemäß) meint sie, ob sie liegt, sitzt oder steht, heute sei alles blöd. Will sich aber wohl aufsetzen.
Nach ca. einer dreiviertel Scheibe Brot meint Mutti unvermittelt, sie muss dringend auf den Nachtstuhl. DAS wollte sie seit dem Sturz nicht mehr.
Im Bad steht zwar der Toilettenstuhl, aber kein Eimer drin. Bis ich eine Schwester finde und erfahre, wo die Eimer sind, dauert es zu lange. Also mit Mutti auf dem rollbaren Toilettenstuhl ins Bad.
Schreibt sich leichter, als es geht. Mutti kann kaum vom Bett hoch, nur mit meiner Hilfe aufstehen und sich dann nicht selbständig zum Stuhl drehen. Sie ist superkrass unsicher und hat Angst. Und muss dringend. Wenn ich ihr jetzt schon die Pants runterziehe, geht’s direkt los, das weiß ich. Und möchte Mutti das ersparen.
Ich schaff es, sie auf den Stuhl und ins Bad zu kriegen. Dort muss sie dann noch einmal aufstehen. Jeden Handgriff, jeden Zentimeter sage ich an. Nach dem Pinkeln merke ich, wie orientierungslos sie ist. Aber jetzt wo der Druck weg ist, kann sie sich mehr auf mich einlassen und der Rückweg klappt besser.
Leicht ist was anderes, die Vorstellung, Mutti stürzt mir weg, sitzt die ganze Zeit im Nacken, aber um diese Zeit die Klingel drücken in der Hoffnung auf rasche Hilfe ist müssig.
Was ich definitiv nicht vorwurfsvoll meine. Die Schwestern im Heim haben um diese Zeit absolute Hochdruckphase an Arbeit und können nicht mal eben. Das ist nicht ihre Schuld!
Das kein Eimer im Stuhl ist, kann ebenso vorkommen. Eigentlich ist immer ein Eimer im Stuhl. Genauso, wie man immer Klopapier in Griffweite hat, nur an dem Tag, wo man da mit Durchfall sitzt, ist garantiert nur noch ein Blatt auf der Rolle und die neue Packung liegt nebenan im Flur … oder so.
Als Mutti 2015 mehrmals ins Krankenhaus musste, war ihr dort passiert, dass sie die Toilette nicht fand (die Zusatz-Verwirrung bedingt durch den Krankenhausaufenthalt) und machte nachts auf den Fußboden. Eine Mitpatientin bemerkte das und machte schrecklich Lärm mit „Igitt“ und „Wie ekelhaft“… Mutti war deshalb kurz vor einem Nervenzusammenbruch, so hat sie sich geschämt. Es hat sie Monate verfolgt und wurde nachher nur vergessen, weil es in Folge noch schlimmer kam…
Als Mutti erschöpft aber glücklich wieder im Bett liegt, kommt die Schwester, die ich für eine Küchen- oder Ernährungsfachkraft halte. Ich frag sie, an wen ich mich wohl wenden kann, wenn ich für den nächsten Fall mal Eimer suche. Sie meint, am besten (weil noch alle arbeiten) vor einem Zimmer mit Lampe warten, bis eine Schwester Zeit hat. Sie selbst glaubt nicht, dass ich Mutti bei Toilettengängen helfen darf, weil wenn da was passiert?
Während wir uns unterhalten, ist die Zimmertür offen und ich höre die Schreie einer Bewohnerin. Diese Schwester dreht sich in die Richtung und sagt zu mir, dann kommen noch solche Bewohner dazu, schlimm nicht? Eine andere Bewohnerin würde immer „Hilfe“ rufen.
So, wie sie darüber spricht, hat sie keine Ahnung, was das bedeutet. Ich sage ganz ruhig, es geht wohl um Formen von Demenz und die Betroffenen haben doch leider oft keine andere Möglichkeit, sich mitzuteilen. Sie nickt. Und meint zu Mutti, Mutti habe es gut, dass sich die Tochter kümmert.
Dann kommt noch die Praktikantin rein. Und hat Schluckauf. Lustig. Warum beide da waren, weiß ich nicht. Manchmal hab ich das Gefühl, sie suchen unsere Nähe. Ein Tablett wollte keine von beiden abholen.
Beim Gehen hab ich Glück und die Pflegefachkraft sitzt wieder am Stützpunkt. Problem und Lösung kurz erklärt, kein Vorwurf, alles gut. Sie meint, sie kennt das selbst, hätte selbst lange ihre Schwiegermutter gepflegt. Ich dürfte jederzeit aus Raum soundso einen Eimer holen, sollte mal zufällig keiner da sein.
Zuhause meint mein Mann, ich hätte ja einfach einen Mülleimer unter den Toilettenwagen schieben können. Stimmt. Bin ich gar nicht drauf gekommen.
Aber ich freu mich total, dass Mutti auf den Nachtstuhl wollte und das hat ja auch geklappt.
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20180201 Donnerstagmorgen:
Kurz vor acht im Heim, draussen ist gefährlich glatt. Die Taxifahrerin draußen, der ich öfter begegne, erzählt mir, sie hat grad noch ein Auto im Graben liegen gesehen…
Mutti weiß schon, dass es heute kalt ist. Hat ihr die Frau, die grade da war, erzählt. Wir klönen wie immer erst, dann hol ich das Frühstück. Schau beim Losgehen ins Bad, ob ein Eimer im Toilettenstuhl ist. Kein Eimer.
Mutti will auf der Bettkante sitzen, hat heute aber kaum Kraft. Kippt schon nach dem ersten Stücken Brot. Weil heute auf dem Tablett wieder Milchsuppe und noch eine Quarkspeise steht, frag ich sie, ob sie tags vielleicht zu wenig isst, dass sie heut morgen so viel bekommt. Mutti meint, eine Schwester hätte ihr verdächtige Fragen nach Stuhlgang gestellt. Wann sie das letzte Mal Stuhlgang hätte. Mutti sagt mir, sie hat der Schwester gesagt, vor vier Tagen. Verzieht das Gesicht, als sie erzählt, die Schwester hätte gefragt, ob man da nicht was machen solle.
Ich erzähl Mutti, daß ich manchmal Apetit auf Buttermilch habe. Mutti bleibt völlig ausdruckslos. „Magst Du Buttermilch?“ – „Nein.“ – und: „Auf keinen Fall ein ganzes Glas.“ Mit einem Gesicht wie ein Kind, dem man verhaßten Spinat anbietet. Am Ende meint sie (sinngemäß), es sei besser, wenn es natürlich kommt.
Da sie nach jedem Bissen kippt und nur mit meiner Hilfe wieder hochkommt und schon sagt, sie will nichts mehr essen, biete ich ihr das Liegen an. Einverstanden. Liegend gehen dann noch ein paar Bissen, insgesamt eine halbe Scheibe Brot und Kaffee. Dann schiebt sie den Teller weg (hab ich ihr nach Fragen auf den Bauch gestellt).
Nehm ich die Quarkspeise und sag, Du, nicht das es noch heißt, ich hätte nicht angeboten, Mutti, guck mal, da ist noch die fruchtige Quarkspeise (zeig ihr die Schale). Möchtest Du probieren? – Möchte Mutti. Ein Löffel. Als runtergeschluckt, macht sie von alleine den Mund auf. Noch ein Löffel. Und noch ein dritter Löffel. Dann sagt sie selbst: „Jetzt noch zwei Löffel.“ Also noch zwei Löffel. (Ich freu mich total!)
Und nach einer Verschnaufpause kommt unvermittelt: „Jetzt brauch ich dringend den Nachtstuhl!“.
… und wenn Mutti „dringend“ sagt ist es dringend …
Ich hatte schon gesehen, dass auf dem Toilettenstuhl die Waschschüssel steht. Toilettenstuhl neben das Bett, Waschschüssel dadrunter. Keine Zeit, einen Eimer zu holen.
Einen Fuß unter den Stuhl geklemmt, trotz Bremse rollen die Dinger immer weg, wenn Mutti sich da abstützt und ich kann ihr nicht verbieten, nach allem zu greifen, wonach ihr ist.
Klappt alles, außer dass es extrem anstrengend für Mutti ist. Neue Hose liegend im Bett, noch mehr „Sport“ für Mutti, Hände an den Galgen, Füße abstützen und auf „HauRuck“ die Hüfte hoch („HauRuck“ funktioniert zwischen uns beiden am besten, ich seh dabei auf Mutti und weiß dann, wann ich das sagen kann, manchmal sagt sie das auch, aber nicht immer).
Was nicht heißt, dass ich mir bei jedem Handgriff sicher bin. Ich frag Mutti hinterher, ob das o.k. für sie war, wie ich das gemacht hab. Sie guckt ganz erstaunt und meint, ich hätte das gut gemacht.
Wie soll ich das sagen? – Hat schon mal wer ein Baby auf dem Arm gehalten und diese Schrecksekunde gefühlt: „Bloss nicht fallen lassen!!“ – Manchmal hab ich diese Angst inzwischen bei Mutti. Sie ist so zerbrechlich geworden.
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim Fr 02 Feb 2018, 15:13 © Aggi | |
| 20180202 Freitagmorgen:
Kurz vor acht beim Heim, als ich mit dem Toilettenstuhl von Mutti auf den Haupteingang zu gehe, sehe ich vor der Tür schon die „gute Seele“ des Hauses da draußen stehen. Ich grüße sie fröhlich, stelle den Stuhl ab und erzähl, wie ich mich freue, dass Mutti seit 2 Tagen morgens mit mir wieder zum Nachtstuhl geht. Da hebt die gute Seele warnend den Finger, ich solle ja gut aufpassen, dass mir hier nichts abhandenkommt!
Ich bin ganz perplex, sie ist ganz energisch, schier zornig, so kenne ich sie gar nicht. Ich hatte noch erwähnt, dass zum Stuhl noch ein Eimer gehört, den ich im Dezember beim Abholen im Heim gelassen hatte. – Hab ich mir nichts bei gedacht.
Die gute Seele ereifert sich: Sie kauft und schält doch immer für die andern Obst. Und da ist doch ihr Schälmesser schon ein paar Mal verschwunden! Man muß höllisch aufpassen, dass man seine Sachen behält. (Sie ist ganz in Rage – sonst hat sie immer die Ruhe weg.). Da hätte sie einmal eine Birne geschält und dann die Schalen zum Mülleimer gebracht und als sie zu ihrem Platz zurückkam, war ihr Schälmesser weg. Dabei kosten die guten von Windmühle, das hat ihr ihr Sohn grade noch gesagt, inzwischen schon 18 Euro. – Ich sag, oja, ich weiß, wie teuer die guten Messer sind! (Jetzt versteh ich sie auch – ohne Scheiß, jeder Hausmann/jede Hausfrau weiß doch, beim guten Schälmesser hört der Spaß auf, das mein ich ernst, kein Flachs!).
Sie sei dann in die Küche gegangen und habe sich alle Schälmesser zeigen lassen und da wäre doch tatsächlich ihr Messer dabei gewesen! (Ich hab die Vision, wie die gute Seele in der Küche ganz energisch das komplette Personal zum Rapport hat antreten lassen und die dann drucksend von einem Fuß auf den andern tippeln…). Ihr war geraten worden, doch ihren Namen auf ihr Messer zu schreiben, aber das wär ja noch schöner, meint die gute Seele. Nein, jetzt putzt sie das Messer nach dem Schälen immer sofort ab und dann kommt es direkt in ihre Handtasche (an ihrem Gehwagen). So.
Ich bin gerührt. Und sag zu ihr, es seien doch immer wieder neue Praktikantinnen im Haus. Wäre doch eine schöne Sache, wenn junge Mädchen hier so eine Ausbildung fürs Leben bekommen, aber wenn sie neu da sind, vieles auch noch gar nicht wissen. War bestimmt nie böse Absicht…
Bei Mutti: Heute haben sie mir die Haare gewaschen. Hat die hartnäckige sich doch durchgesetzt, meint Mutti. Sei aber jetzt ganz gut so, fügt sie hinzu. Ich frag, wo denn, im Bad oder im Bett? Mutti: im Bett, das ganze Bett war geflutet (ihr Bett ist sauber bezogen, trocken, Mutti hat einen schönen Zopf und der Kopf liegt auf einem Handtuch auf dem Kissen). Ich sag, Du siehst gut aus, Mutti und Mutti lächelt.
Heute ist sie klar und redet viel. Schön! Kippt beim Frühstück nur lässig wie die Königin von Saba rechts an das Kopfteil (fahr ich ja immer zum Frühstück komplett hoch als „Lehne“), nicht nach hinten. Schafft die ganze Scheibe Brot. Den ganzen Becher Kaffee. Probiert auch einen Löffel Kirschquark, der aber sichtlich zu sauer ist. „Da würd ich mir jetzt ganz viel Zucker drauf machen.“ – Ich biete ihr an, das für sie zu tun, aber sie will nicht. Ist satt. – Soll ich ne Schale Zucker für solche Fälle mitbringen, Mutti? – Nein, das tut nicht Not.
Natürlich nicht. ^^ (Notiz an mich selbst, Zucker mitbringen, Mutti würde das nie verlangen…).
Heute muss sie nicht. Weiß aber, dass der Nachtstuhl jetzt da ist. Hab ich schon vorher mit Sr. N. vorbesprochen, die meinte, der kann dann aber besser mit ins Bad. Nee, soll ja auch als zusätzlicher Stuhl dienen, außer dem Rollator und dem Heim-Stuhl sind da ja sonst keine Sitzgelegenheiten.
Beim Gehen treffe ich draußen wieder die gute Seele, die mich fragt, ob ich nochmal wieder komme. Ob ich ihr Chiquita-Bananen mitbringen kann, weil ihr Sohn heute nicht kommt? Kein Problem, ich will es auslegen, aber da drückt sie mir schon fünf Euro in die Hand.
Ich fahr weiter in den Heimatort, den zweiten Toilettenstuhl-Eimer und die Sitzauflage für den Stuhl aus dem Elternhaus holen. Geh dann noch rüber zu den lieben Nachbarn. Ich kenne sie von klein auf, sie sind Teil meines Lebens und waren speziell die intensiven letzten zwei Pflegejahre eine seelische Stütze, unbezahlbar!
Mir liegt am Herzen, ob die beiden selbst schon an Dinge wie Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht gedacht haben. Eine wunderschöne Klönstunde in der alten Heimat und ja, sie haben an alles gedacht.
Im Gedächtnis bleibt mir, dass auch sie schon wissen, dass unsere Regierung jetzt 8.000 neue Pflegefachkräfte einstellen will. „Das ist nicht mal eine pro Heim.“ sagen sie dazu. Und zu den Vollmachtsgeschichten, dass man bei Grundstücksübertragungen eine notarielle Vollmacht benötigt, wo ich dann noch anmerke (wir kennen uns gut), dss es bei ihren Kindern doch keine Probleme geben wird, merkt er an, nein, nicht bei den Kindern, aber da sind ja noch die Ehefrauen…
Seinen Satz zum Thema „erben“ habe ich vergessen, aber er hat haargenau dieselbe Richtung wie der, den mir mein Mann neulich gesagt hat: „Erbt ihr schon oder redet ihr noch miteinander?“.
Dann noch zu Famila, Chiquita-Bananen. Finde bei den kleinen nur ein 6er-Bündel. Kosten 1,94 Euro. Rückfahrt zum Heim. Mit Eimer, Sitzauflage und Bananenbeutel rein, seh ich am Stützpunkt schon die gute Seele stehen und mit einer Schwester reden. Pack ich mein Gedöns auf nen Sessel, wühl in meiner Tasche nach dem Portemonnaie. Die gute Seele strahlt von einem Ohr zum andern, als sie die Bananen sieht. Während ich das Wechselgeld raussuche, wehrt sie mit Händen und Füßen und Nase, Mund und Ohren ab und schlägt zum Schluß vor meinem Gesicht ein Kreuz und sagt, das ist jetzt der heilige Segen, laß das Geld stecken! – Keine Chance, ich hab’s ehrlich versucht. Also greif ich ihre Hand und sag, dann muß sie mir wenigstens zuhören. Ich würde oft mal traurig hier rausgehen, wenn ich sie dann aber treffe, ginge es mir gleich wieder gut. (Keine Lüge!). Sie lächelt und meint, dann sei sie ja doch zu etwas gut. Wir grinsen beide.
Dann mit dem Eimer weiter zu Sr. D. – Hier, für Euch, soundso, müßte bloß nochmal desinfiziert werden, nicht dass ich noch ein auf den Deckel krieg wegen Hygiene-Dings. Sr. D. lacht und nimmt den Eimer direkt mit zur „Eimer-Spülmaschine“ und scherzt, wär ja noch schöner, wenn ich wegen sowas verklagt würde. Ich erzähl auch ihr (im Gehen) kurz von Muttis „Fortschritten“ morgens beim Frühstück und dass der Stuhl im Raum bleiben soll, Mutti aber weiß, dass sie Klingeln muß, wenn sie auf den Nachtstuhl möchte. Die Geschwister würden den Anblick kennen und wer sich an dem Anblick stören würde, hätte selbst ein Problem. Sr. D. dreht sich (wir gehen ja) spontan zu mir und macht diese zustimmende Geste mit dem Zeigefinger und sagt, so ist es! – Ich freu mich total.
Es bleibt für mich immer anspannend, mit den Schwestern zu reden. Ich weiß längst, wie hart ihr Job ist, wie wenig Zeit sie über haben. Denk halt, das dergl Infos aber wichtig sind und möchte trotzdem nicht unnötig stören. Ich geb mir redlich Mühe, nicht anzuecken, außer damals, wo ich mit den Schmerzmitteln an den Punkt kam, rechtschaffen sauer zu sein – aber sonst versuche ich immer, mich möglichst kurz zu fassen und vor allem höflich und freundlich zu sein, denn ich bin mir darüber im Klaren, dass alle Schwestern neben allen Bewohnern auch noch alle Angehörigen zufrieden stellen müssen – wie sie DAS schaffen und immer so freundlich und zuvorkommend bleiben ist das ewige Wunder!
Aber so weiß ich jetzt auch, dass Mutti inzwischen seit dem Sturz auch tags schon immer öfter erfolgreich mit den Schwestern zum Nachtstuhl war und der Stuhl stört nicht in dem Zimmer.
Und grade ruft mich mein kleiner Bruder an, morgen kommt er mit zu Mutti – da wird die sich aber freuen!!!
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim Sa 03 Feb 2018, 10:37 © Aggi | |
| 20180203 Samstagmorgen: Um viertel vor sieben schon eine SMS von meinem Bruder: „Bin wach…“ - . – Bin um viertel vor acht bei ihm, wir sind um acht bei Mutti. Ich geh vor: „Hallo Mutti. Ich hab Dir ein Geschenk mitgebracht!“ – Sie hat sich so gefreut!!! Mein kleiner Bruder hatte die letzten zwei Wochen eigene Probleme, die ihn verhindert hatten. Mutti gegenüber behauptete er, ich hätte ihm den Marsch geblasen, aber ich hab ihm bloß ne Mail geschickt, daß Mutti nach ihm fragt. Und zwei Tagebucheinträge… Ein wunderschöner Morgen, wie in alten Zeiten, das eingespielte Terzett! Nach wenigen Minuten kommt eine fröhliche Schwester mit dem Essenstablett, ich steh gleich auf und nehm die Decke vom Tisch und bedanke mich. Sie begrüßt zärtlich erstmal Mutti, Mutti grüßt sie zärtlich zurück (ich freu mich, ich kenn auch die „skeptische“ Mutti) und dann geht die Sr. wie zufällig ans Fußende, schlägt die Decke über Muttis Füßen zurück und fragt, wie es Muttis Zehe geht. Gleich steh ich neben ihr. Der große Zeh vom rechten Fuß ist heut arg dunkel. Die Schwester lächelt, Mutti hätte immer die Füße draußen. Ich bin schon an der Sockenschublade. Mutti will keine Socken anziehen, die Sr. hat ihre schönen dicken Bettsocken erwähnt, also nehm ich ein paar von ihren dünnen. „Guck mal, Mutti“ (zeigen und anfassen lassen), „Die sind doch schön dünn. Was meinste?“ Nein, Mutti hat keine kalten Füße. Ich geh ans Fußende und massier ihren Zeh, sag, Mutti, der ist ganz dunkel gefärbt und kalt, was meinste, wenn ich Dir einmal fürs Frühstück diese Socken anziehe? Wenn’s Dir zu warm wird, zieh ich sie dir sofort wieder aus?! – Ist in Ordnung. Mutti hat jetzt Socken an und ich bin der Schwester dankbar. So helfen wir uns gegenseitig! Später erwähnt Mutti die Socken mit keiner Silbe mehr. Ich lass sie an. Ein andermal hat sie sehr warme Füße, oft auch kalte, aber heute die Zeh sah superdoof aus. Früher hat Mutti im Winter im Bett immer Socken anhaben wollen. Ich hab ihr an allen Socken die Bündchen abgeschnitten, damit nichts einschneidet. Aber scheinbar spürt sie jetzt ihre Füße gar nicht mehr. Auch kalte Hände nimmt sie gar nicht mehr wahr. Leider ist oft auch die Heizung unten. Kontrollier ich auch jeden Tag. Aber zwischendurch wird auch gelüftet und die Heizung runtergestellt und vergessen, wieder hochzudrehen. Kein Vorwurf. Ich versuch mir hier nur grad beim Schreiben, auch mit daran zu denken. Das Frühstück heut mit Bruder ist herrlich. Er hat so viele schöne Geschichten zu erzählen. Mutti vergisst fast das Essen. (achte ich halt drauf) Und kippt nicht viel und setzt sich gut wieder auf. Nach einer knappen Stunde merk ich dann aber doch ihre Ermüdungserscheinungen. Ihr oberes Gebiss klappt dann z.B. nach unten, kann sie dann nicht mehr im Kiefer halten. Dann ist sie müde. Ich lenk das Gespräch in Richtung Aufbruch. Gemütlich. Will die beiden nicht brutal trennen. Geht gut. Mutti ist glücklich. Mein Bruder ist glücklich. Ich bin im siebten Himmel. Als ich meinen Bruder wieder heim bringe, fragt er mich, ob ich mittags wieder bei Mutti bin. Da hör ich mich sagen: Nein, z.Z. komm ich nur morgens. Ich habe festgestellt, wenn ich öfter komme, werde ich notfalls zu kritisch. Das ist nicht gut für mich, nicht für Mutti und schon gar nicht fürs Pflegepersonal. Hast doch gesehen, die sind wirklich gut. – Ja, hat er gesehen. Fand das Verhalten der Schwester heut morgen auch toll. Und meint, ich hätte viel erreicht. Er hätte durchaus meine ganzen Handgriffe gesehen, die ich so nebenbei bis hin zum Zuckerdose mitbringen so mache. Sagt er mir: „Chapeau vor dem, was Du für Mutti tust!“ Touchdown
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim So 04 Feb 2018, 10:21 © Aggi | |
| 20180204 Sonntagmorgen: Kurz vor acht geh ich den Flur im Heim entlang zu Muttis Zimmer, da seh ich schon die gute Seele da stehen, Muttis Zimmernachbar hat versehentlich die Klingel gedrückt. Ist mir auch schon passiert. Wir fühlen beide mit, weil jetzt eine Schwester laufen musste – tut keiner von uns aus Schabernack… Die Schwester zieht grinsend weiter und die gute Seele zupft an meinem Ärmel, was sie Gutes für meine Mutter tuen könnte? Ob sie sich an einem schönen Bild erfreuen könnte? – Ich bin baff und gerührt. So eine gute Seele. Muß ihr aber dankend erklären, daß Mutti aufgrund ihrer Sehschwäche dergl gar nicht sehen könnte, deshalb auch gar keine Bilder oder Zeitschriften hat, das aber auch gar nicht vermisst. Aber es sei doch schon ein schöne Hilfe, wenn ich Mutti immer von unseren Begegnungen erzähle. Das würde Mutti immer total schön finden! Als ich Mutti dann von dieser wunderschönen Begegnung erzähle, reißt Mutti erst erschrocken die Augen weit auf – ist wohl die Vorstellung, eine Fremde würde ihr was schenken und sie kann nichts zurückschenken, aber ich kann ja gleich entwarnen. Alles gut, Mutti, die Freundin hat das schon verstanden, aber war doch lieb von ihr, wo sie Dich nicht mal kennt?! – Ja, da freut sich Mutti dann doch. Im Gespräch ist Mutti heute streckenweise superklar. Mir wird wieder bewußt, wie unmöglich es für Gutachter sein kann, Demenz zu erkennen, wenn sie nur 10 Minuten mit Betroffenen zusammen sind. Mal antwortet mir Mutti heut so klar und in ganzen Sätzen, als würde ihr nie was gefehlt haben. Und folgt auch komplexen Fragen. Dann unvermittelt ein Satz wie: „Ich bin schon länger nicht mehr dazugekommen, Kohlrouladen zu machen.“ (Ich hatte grad das Mittagessen beschrieben, dass mein Mann und ich vortags hatten, Kohlrouladen.) Da ist Mutti urplötzlich wieder in ihrer Küche, in ihrem Haus und fragt sich, wieso sie schon lange keine Kohlrouladen mehr gemacht hat. Ich antworte, es sei ja immer viel praktischer, wenn man gleich für sieben Mann kocht als wenn es z.B. nur zwei sind so wie mein Mann und ich. Da ist sie wieder bei mir. Kein Tag, den ich nicht auch von meinem Mann was erzähle. Und sie mit Geschichten von ihm zum Lachen bringe oder heute mit den Kohlrouladen zum Erinnern. Und jeden Tag fragt sie auch immer nach ihm, wie es ihm geht, weiß seinen Namen und läßt ihn grüßen. Das bedeutet mir viel. Zum Frühstück steht heute wieder eine Frucht-Jogurt-Schale dabei. Ich frag, ob ich direkt mal Zucker drauf streuen soll, damit er schon mal einziehen kann. „Wenn Du nachher magst, kannst Du dann ja probieren?“ – Jo, ist in Ordnung. Mutti hat immer schon gerne viel Zucker gegessen. Notfalls einen Löffel durch die Margarine und dann in den Zuckerpott und so in den Mund. Ihr „Energieriegel“. Oder Rest-Vollmilch in den Suppenteller. Im Sommer in der Küche draußen stehen lassen, dass es andickt. Dann dick Vollkornbrotkrümel drüber und noch dicker Zucker drauf. Wir Kinder mochten das nicht. Aber ich seh jetzt noch Mutti’s genießerisches Gesicht, wenn sie den Teller leer gelöffelt hat. Heute gibt es dieses besondere Vollkornbrot nicht mehr… Heute würde ich mir selber sowas gerne mal machen… Mutti schafft problemlos die Scheibe Brot und als alle, nehm ich die Jogurt-Schale und sag, ich rühr mal den Zucker unter. „Möchtest Du probieren, Mutti?“ – Sie möchte und sagt nach dem ersten Löffel: „DER ist mal richtig lecker!“ Whow und wie schön! Sie schafft fast die ganze Schale!!! Am Ende, als sie wieder liegt, ist sie zufrieden und kauderwelscht noch. Aber heute hat sie auch mega viel geredet. Irgendwann ist gut. Sie fragt mich: „Hast Du denn alles soweit verrichtet zum Tanken?“ – Ich hab keine Ahnung, was sie meint und sag, och, es ist noch so früh am Morgen, da laß ich es ganz ruhig angehen. Scheint die richtige Antwort zu sein, denn Mutti nickt. Ich frag ganz bewußt, Mutti, reicht Dir das eigentlich, wenn ich nur einmal am Tag zu Besuch komme oder ist Dir lieber, wenn ich zweimal am Tag komme? – Mutti guckt mich ganz erstaunt an, als hätte ich was Dummes gesagt. „Nein, das brauchst Du wirklich nicht. Hier im Krankenhaus ist die Patientenversorgung (kauderwelsch)“ auf jeden Fall bringt sie zum Ausdruck, daß ich nicht öfter kommen brauche, ich konnte mir die Worte nicht auswendig merken, aber ihre Mimik und die Worte waren eindeutig. Jetzt ist nur noch die Frage, an welchem Tag ich mir das selber erlaube, mein schlechtes Gewissen bleibt, obwohl mir mein Verstand sagt, es sei gut so. Worüber ich mich nebenbei noch sehr gefreut hab, ist das der Brief von der Volksbank an Mutti im Postfach einen Haftzettel trug, drauf mein voller Name. Das fühlt sich so an, als würde ich respektiert werden und das fühlt sich gut an. Erstmal hab ich Angst, was die Volksbank schreibt. Zuhause jetzt seh ich, die schreiben zum Glück nur Belangloses wegen derzeitiger Umbauarbeiten… Angst … schlechtes Gewissen … da gibt es keine Pillen gegen, nur die Zeit und Verständnis.
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim Mo 05 Feb 2018, 12:31 © Aggi | |
| 20180205 Montagmorgen: Kurz vor acht am Haupteingang vom Seniorenzentrum treff ich die gute Seele. Gestern hat’s in ihrem Heimatort richtig dolle geschneit. Ihr Sohn hat angerufen: 5-Mark-Stück große Schneeflocken. Ist aber nichts liegen geblieben. Ich freu mich mehr über den 5-Mark-Vergleich - ich vermisse die DeeMaag... Mutti wirkt matt. Ich frag, wie ihr Sonntag war. Ja, sie war im Krankenhaus unten auf Station und dann … verliert Mutti den Faden. Sag ich, hauptsache, ist nichts doofes passiert?! – Nein, wie oft meint Mutti, sie döst ja viel, nichts doofes. Heute erzähl ich mehr. Beim Frühstück kommts mir immer wieder vor, als würd Mutti das Essen vergessen, aber mit meiner Animation schafft sie die ganze Scheibe Brot. Greift aber oft bei den Stücken daneben. Ich schieb die mundgerechten Brotstücke schon immer „griffbereit“ an den Tellerrand. Und sie schafft den ganzen Becher Kaffee. Mir fällt immer öfter auf, dass sie „schwer schluckt“, hab auch schon öfter nachgefragt. Sieht so aus so wie wenn einer einen kratzigen Hals hat und deshalb mühsam nachschlucken muss. Weh tut ihr aber nichts, das sagt sie jedesmal. Meint dann nur, geht eben nicht mehr so gut. Nachher kommt noch die liebe Reinigungsfrau. Weil die erst ins Bad geht, fragt Mutti mich, wer da ist. „Die liebe Reinigungsfrau, Mutti.“ Mutti fragt mich, aus welchem Land sie sei. Ich frag nach. Russland. Mutti lächelt. Sie hat öfter Probleme, die nette Frau zu verstehen. Was ich der lieben Dame kurz erkläre. Die freut sich immer, wenn ich sie lieb anspreche. Erzählt uns, sie kommt aus Sibirien, aus der Nähe von Omsk. Ich freu mich, von da kommt mein eigener Nachbar, der immer lustig findet, wenn ich im Winter friere. Darüber muß sie auch lachen. Mutti gefällt das auch. Ich mag die Vorstellung, dass alle vom Personal mit einem Lächeln in Muttis Zimmer gehen… Dann muß ich weiter, einkaufen. Erst zur Bank, Geld abheben. Und wieder kein Loch im Boden, dass sich auftut und mich verschlingt: 3 x die Geheimzahl falsch. „Bitte wenden Sie sich an den Kundenbetreuer.“ (Wenn mein Kopf noch roter wird, krieg ich Gehirnbluten, so peinlich ist mir das…). – Kein Problem, wir schalten Sie frei. – Wieder falsche Geheimzahl. Ich geb auf und fühle mich reif für den Arzt. (Klar haben die mir bei der Bank geholfen, ich krieg jetzt ne Änderungspin, die tacker ich mir dann auf die Stirn... ). Zuhause ruft dann die Frau von der Finanzverwaltung vom Heim an: Muttis Rente ist noch nicht da, ob sie nochmal auf Muttis Konto gegangen sei? - Ich bin kurz vorm Herzinfarkt. Das Konto hatten wir letzten Monat aufgelöst. Ich soll bei der Rentenanstalt anrufen, dem Pflegeheim dürfen die keine Auskunft geben. Da erfahr ich dann, dass Muttis Renten seit Februar jetzt an den Landkreis gehen ... na uff ersma ... Wieder bei der Finanzverwaltung angerufen und geklärt und die ruft jetzt noch beim Landkreis an, wie das nu weitergeht. So eine Kurzinfo per Email hätte bestimmt niemandem weh getan - ich informier alle immer über alles, aber nee... (hatte nur Angst, das Geld hängt jetzt irgendwo im Nirwana, weil Muttis Konto ja aufgelöst ist).
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim Di 06 Feb 2018, 10:02 © Aggi | |
| 20180206 Dienstagmorgen: Beim Betreten des Heims kurz vor acht sitzt am Pflegestützpunkt im Rollstuhl eine Dame, die ich schon öfter gesehen habe. Am Anfang wirkte sie erschreckend teilnahmslos. Katatonisch. Inzwischen hat sie meinen Gruß auch schon mal erwidert (mit einem Nicken oder Murmeln). Heute, als ich sie sehe, schaut sie mir direkt in die Augen und erwidert mein Guten Morgen. Nicht, dass sie laut „Guten Morgen“ sagt, aber es ist schön! Vor Freude vergess ich sogar, die Schwester, die am Pflegestützpunkt sitzt, auch zu grüßen. Mutti liegt matt im Bett und als ich zur Begrüßung sag, ich wollt wohl erstmal das Fenster wieder zumachen, meint sie, dass hätte sie schon den andern gesagt, dass nachher ihre Tochter kommt und das macht. Beim Aufsetzen zum Frühstück gerät Mutti heuer extrem ins Wanken. Ich bleib erstmal so ne Weile neben ihr sitzen, bis sie selber sagt, jetzt geht es. (Meine Angst wegen ihres schwachen Herz steigt von null auf hundert, aber nix anmerken lassen). Frühstück geht dann doch ganz gut. Süß dabei, ich erzähl Mutti, dass meine Erkältung seit gestern wieder zurück ist und Mutti: „Deshalb mußt Du Dich doch nicht entschuldigen?!“ Ich fang an zu lachen: „Nee, Mutti, ich will doch, dass Du mich jetzt tröstest!!“ *gg* Wir lachen beide. Natürlich erzähl ich ihr das nicht, um zu jammern. Es löst bei ihr nachher eine schöne Geschichte über ihren Vater aus. Der sei, meint sie, auch oft erkältet gewesen. Und hätte dann auch immer was nehmen müssen. Ich frag, ob ihre Mutter ihn da nicht auch gut versorgt hätte. „Nee, da hat er sich nichts sagen lassen.“ ( aha, daher hab ich meinen Dickkopf ^^). Sie erzählt, damals auf dem Dorf in Pommern gingen sie dann als erstes immer zu der Lehrerin Frau Vögler, die kannte sich mit solchen Sachen aus. Die wurde auch immer zum Schlachten geholt. Wenn es wirklich mal verordnete Rezepte gab, mussten sie vom Dorf immer weite Wege in den nächsten Ort. Opa (ihr Vater) hätte sich wenn er erkältet war, dann selbstgemachte Tees aufgießen lassen, von Kräutern, die die Frauen noch selbst gesucht haben. Und geraucht dabei. … manchmal wünsche ich mir, ich könnte eine Zeitreise in dieses kleine Dorf nach Pommern machen. Unbezahlbar diese Momente, wo Mutti noch wieder erinnern kann, ein anderes Mal geht das gar nicht.Als ich gehe wünsche ich der Schwester am Pflegestützpunkt noch einen schönen Tag (ist die, die ich ne Stunde vorher vergessen hab zu grüßen). Sie brachte kurz drauf das Frühstückstablett und klönte kurz mit Mutti und mir. Jetzt bedankt sie sich für meine Hilfe. Ich sag "Gerne" und geh lächelnd.
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| Thema: Re: Ich entscheide, nicht das Heim Mi 07 Feb 2018, 14:27 © Aggi | |
| 20180207 Mittwochmorgen: Als ich zehn vor acht im Heim ankomme, hängt noch Muttis Becher mit der Magentablette im Postfach. Die soll sie immer vor dem Frühstück nüchtern nehmen und bekommt sie morgens beim Waschen. Die Pflegedienstleiterin Sr. D. kommt um die Ecke, sie sei gleich da. Im Zimmer noch alles dunkel, Mutti döst noch. Freut sich, mich zu sehen, ist aber wie oft erstaunt: „Was machst Du denn schon hier?“ „Mutti, ist so kalt heut, da bin ich ein bißchen früher los.“ – Meine verschlafene Mutti mag aber schon die Magentablette und vor allem dazu was trinken. Ist durstig. Kurz drauf kommt Sr. D. zur Morgenwäsche und fragt, ob heute wohl duschen mit Haarewaschen geht. Mutti verzieht das Gesicht, nicht Haare waschen. Ich sag zu Sr. D., wär doch auch erst grad mit Haare waschen im Bett gewesen. Erklärt mir Sr. D., sie würden das immer Notieren. ( Jo, denk ich, ich auch, letztes Haarewaschen war Freitag, ist doch noch nicht dringend, wozu immer dies Schema F, statt eine Sekunde länger auf Mutti zu schauen? – sag aber nix, weil ich direkt neben Mutti sitze.) Beim Aufsetzen ist Mutti wie gestern wieder krass schwindlig. Ich bleib neben ihr sitzen, stütze sie mit meinem linken Arm. Mutti geht es sichtlich nicht gut. Sr. D. fragt nochmal, ob duschen geht oder lieber im Bett? Mutti sagt gleich, lieber im Bett. Ob Mutti es denn auf den Nachtstuhl schafft, Wasserlassen? Nein. Mutti sagt noch ganz leise, sie war ja grade auf dem Nachtstuhl. Ich hab nicht den Eindruck, dass Sr. D. das gehört hat. Klar war Mutti nicht auf dem Nachtstuhl. Gemeinsam helfen wir Mutti wieder ins Bett. Ich bleib an Muttis rechter Seite. Helfe, wo ich kann. Erzähle Geschichten, um Mutti abzulenken, was gut klappt, Mutti fällt wieder was aus unserer Kinderzeit ein. Vielleicht versuch ich sogar, nicht nur sie sondern auch mich aufzumuntern. Mutti sieht heute nicht gut aus… Beim Waschen sagt Sr. D. nochmal wg. Nachtstuhl undCo. zu Mutti, sie sei ja nicht inkontinent, sonst könne sie nicht so gut auf dem Nachtstuhl Wasser lassen und sie solle Bescheid sagen, dann würden sie ihr auf den Nachtstuhl helfen. … hmm… nicht gut… das ist taktlos Ich sehe, wie bei den Worten sich Muttis Miene versteinert. Das Gesicht kenne ich. Früher wäre ein strenges „Mein liebes Kind!“ gekommen. Die Sorte Tadel, wo jeder im Raum und noch alle draußen auf der Straße den Kopf einziehen. Was soll das von einer gelernten Pflegefachkraft? Erstens besteht kein Zweifel an Muttis Inkontinenz. Zweitens hat noch nie wer behauptet, Mutti würde dazu stehen. Ich habe Jahre gebraucht, bis ich ihr Vertrauen hatte für Hilfen in intimen Dingen und drittens geht’s Mutti heute sichtlich nicht gut. Aber während ich da neben Mutti stehe, kann ich nix korrigieren. Das würde ein über-Muttis-Kopf-hinweg-Gespräch. Wo Mutti am Ende sagt so sicher wie das Amen in der Kirche, laß gut sein, Kind. In mir drinnen beschließe ich, die Pflegedienstleiterin das nächste Mal, wenn ich sie auf dem Flur treffe, schon von weitem mit der Frage anzurufen, ob sie noch masturbiert. Mal gucken, ob ihr das dann hoffentlich peinlich ist. Vielleicht lernt sie dann ja was. Mutti ist danach so bedröppelt, daß sie sich auch zum Essen nicht aufsetzen mag. Schafft mit Müh und Not eine halbe Scheibe Brot. Ich zieh alle Erzähl-Register, um sie aufzumuntern. Menno. Am wichtigsten heut mittag ist, dass Mutti etwas mehr isst. Ich fahr heut mittag wieder hin zu ihr. Kaum zuhause geht’s Schlag auf Schlag weiter. Mein Mann ist krank. Wieder die Augen. Ich suche erstmal Augentropfen, die noch nicht abgelaufen sind und finde zum Glück welche. Als er versorgt ist, schau ich kurz in die Emails. Tolle Wurst, die Krankenkasse hat die Fahrtkostenrückerstattung, auf die ich seit Monaten warte (Muttis Transfer von ihrer Wohnung ins Heim, ging nur mit Rettungswagen, vier Sanitätern und Tragetuch, dass geht nicht mit Taxi und schon gar nicht privat, es sei denn, ich hätte sie die Treppe runtergeschupst…). Haben die Fachleute auf Muttis Konto überwiesen. Obwohl ich denen längst geschrieben hab, dass es nicht mehr existiert. Irgendwie ist bei der Krankenkasse seit Dezember mächtig der Wurm drin. Also beim Landkreis/Sozialamt angerufen. Dann beim Pflegeheim. Dann der Krankenkasse gemailt, dass die ans Pflegeheim unter Verwendungszweck soundso überweisen sollen. Neben noch einen Scan für’s Sozialamt machen und eine Waschmaschine aufsetzen ist es schon wieder zwanzig nach elf, also wieder zum Heim, um halb zwölf gibt’s Mittag. ++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++++ 20180207 Mittwochmittag: Nach dem Behördenmarathon und der Sorge um meinen Mann fahre ich mittags zu Mutti. Bei Mutti legt sich mein innerer Schalter um auf: Ruhe. Mutti ist matt. Möchte am liebsten nichts essen. Weiß noch, dass sie morgens schon kaum Appetit hatte. „Wollen wir einfach mal gucken, Mutti?“. Jo. Sie mag sich sogar aufsetzen. Schwankt wie ein Grashalm im Winde… Hab ihr ein Kissenwust in den Rücken gepackt. Seit zwei Tagen liegt noch ein zusätzliches Kissen auf dem Toilettenstuhl, da war wohl schon eine von den Schwestern drauf angewiesen. Ich bin froh, „Stopfmaterial“ zu haben. „Liegst du bequem?“ Jo. Mutti lässt sich eine kleine Weile gut füttern. Möchte es selber so. Trinkt auch zwischendurch auf Aufforderung. Schafft nur wenig, aber besser als nichts. Mag dann auch den Nachttisch probieren. Fragt mich nach dem ersten Löffel, welchem Mitbewohner die Schale gehört? Ich zeig ihr ihr Namensschild vom Tablett. Guck, Mutti, ist Deiner. Sie kann ihren Namen lesen. Sagt, „Steht ja groß drauf.“ Schafft noch einige halbe Teelöffel Apfelmus mit Vanillesoße. Nochmal ein paar Schluck trinken. Dann ist aber gut. Ist rechtschaffen kaputt. Ich leg sie wieder zum Liegen. Sie wirkt ganz zufrieden. Und sagt, ist schön, dass ich nochmal da war. Meine kleine Mutti – ich hoffe, Du hast heuer einfach nur ein blöden Tag!
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