Denke es ist ein interessantes Buch, welches nicht nur die Depressionen beschreibt sondern auch wie alles zusammenhängt mit Demenz und Magersucht
IRRE! Wir behandeln die Falschen - Unser Problem sind die Normalen
Dem einen oder anderen mag die Formulierung "heitere Seelenkunde" im
Zusammenhang mit sehr ernsthaften Erkrankungen nicht gefallen.
Allerdings sind Vorbehalte völlig unbegründet: Manfred Lütz macht sich
nicht lustig. Er zieht auch keine psychische Krankheit und kein
Patientenverhalten ins Lächerliche! Er nimmt vielmehr uns vermeintlich
"Normale" auf die Schippe mit all unseren Vorurteilen und all dem
Blödsinn, den wir veranstalten, um möglichst "normal" zu sein. Seine
Kapitelüberschriften sind durchaus humorvoll. Eine heißt "Die
Psychoanalyse: Sie lächeln so, was verdrängen Sie?", eine andere
"Kleine Schläge auf den Hinterkopf erhöhen nicht das Denkvermögen".
Aber:
Die Krankheiten und die Geschichten seiner Patienten stellt Manfred
Lütz tatsächlich sehr feinfühlig dar - ohne hämischen Witz oder
schadenfreudige Lustigkeit!
"Irre!" erklärt zahlreiche psychische Erkrankungen mit ihren
Symptomen und Behandlungsmöglichkeiten. Manfred Lütz verdeutlicht, dass
an Depressionen niemand, wirklich niemand schuld ist, sondern dass es
sich um eine Stoffwechselkrankheit des Gehirns handelt. Er beschreibt
Magersucht und Demenz, und er erklärt uns, dass Schizophrenie nichts
mit gespaltenen Persönlichkeiten zu tun hat. Wir erfahren, wie
Gesprächs- oder Verhaltenstherapien funktionieren, und wir lernen, dass
die Beziehung zu einem Therapeuten immer eine auf Zeit sein sollte!
Manfred Lütz räumt auch auf mit Vorurteilen gegenüber Medikamtenten:
"Antidepressiva und Neuroleptika machen niemals abhängig."Der
Untertitel des Buches lautet "Unser Problem sind die Normalen" und
damit verbindet Manfred Lütz eine ausschweifende und – wie ich finde –
durchaus angebrachte Gesellschaftskritik. Er hält uns den vermeintlich
"Normalen" den Spiegel vor. "Keiner meiner Patienten ist so abgedreht
wie Dieter Bohlen – und so verrückt das auch ist, Dieter Bohlen hätte
niemals die Chance, in der Psychiatrie behandelt zu werden." Neben
Dieter Bohlen gibt es weitere Beispiele über normalen Wahnsinn und
wahnsinnig normale Menschen. Manfred Lütz fragt uns: "Wie wichtig ist
es überhaupt, ob ein außergewöhnlicher Mensch krank oder gesund ist?"
Und er liefert prompt eine Antwort: "Ob jemand als krank oder gesund
gilt, hat sehr viel mit gesellschaftlichen Konventionen zu tun. Es
scheint, dass wir heute weit weniger tolerant sind als die Menschen in
früheren Zeiten."Ein Aspekt, den auch der tragische Tod von
Nationaltorwart Robert Enke verdeutlicht hat. Unsere Gesellschaft ist
nicht tolerant genug, um mit psychischen Erkrankungen souverän
umzugehen. Wir grenzen aus, statt Anteil zu nehmen und uns
auseinanderzusetzen. Das Buch von Manfred Lütz öffnet uns leicht und
gut verständlich Türen zu einer Welt, vor der wir noch immer viel zu
viel Angst haben. Es zeigt aber beispielsweise auch, dass Depressionen
nur in wenigen Fällen so tragisch enden wie bei Robert Enke."Irre!
Wir behandeln die Falschen. Unser Problem sind die Normalen." von
Manfred Lütz ist beim Gütersloher Verlagshaus erschienen, hat 208
Seiten und kostet 17,95 Euro.
Es ist nicht zu wenig Zeit, die wir haben, sondern es ist zu viel Zeit, die wir nicht nutzen.