Liebe Eva,
- Amelu schrieb:
- Wie oft und bei bei wievielen Gelegenheiten hab ich gesagt: "Mutter, ich kann das net allein, ich brauch' Hilfe". Und so hat sie das in mindestens 3/4 aller Fälle auch angenommen.
bei solchen Zeilen von Dir denke ich manchmal, hätte ich Dich doch schon früher gekannt. Meine Mutti war soooooooooooooo ablehnend Medikamenten und Ärzten gegenüber ...
... und zum Teil habe ich erst aus meinen Fehlern gelernt.
Den schlimmsten machte ich Anfang 2012, als ich mich völlig naiv auf die Führung durch meine Schwägerin einliess, die eine Vorsorgevollmacht für Mutti forderte. Damals sollte die dann auf meinen grossen Bruder ausgestellt sein. Zu der Zeit glaubten wir alle, er sei derjenige, der infrage kam.
Und diese Schwägerin tat so, als sei sie die "Auskennerin" überhaupt. Arbeitete in einem Palliativ-Krankenhaus, kannte die Formulare (ich selbst hatte zu der Zeit noch keine Ahnung) und so fuhr ich mit ihr zu Mutti ins Krankenhaus.
Dort eskalierte dann die Situation, weil Mutti sich komplett überrollt fühlte, das Vorsorgevollmachts-Formular nicht unterschreiben wollte und von dieser Schwägerin dann angeschrien wurde: "DANN STIRB DOCH!"
Darauf schnappte sich Mutti das Blatt, unterschrieb höchstzornig und schmiss uns beide aus dem Zimmer. Ich selbst stand nur da, mit hängenden Armen wie Klein-Doofi ... und glaubte noch auf dem Rückweg, es sei doch zu Muttis Bestem ...
Wenigstens kam ich zur Besinnung und besagte Schwägerin retournierte die Vollmacht nach 14 Tagen mit einem Entschuldigungsschreiben. Und ich machte mich auf den mühevollen Weg, Muttis Vertrauen zurück zu gewinnen...
Ich habe grosse Fehler in meinem Leben gemacht, aber diesen halte ich für meinen grössten! Zu meiner Entschuldigung könnte ich sagen, ich hatte Todesangst um Mutti und wollte ihr helfen. Aber das war der völlig falsche Weg.
Mutti und ich vertrugen uns wieder und im Laufe der kommenden Jahre bin ich dann ihre engste Vertraute geworden. Oberste Prämisse ist für mich, Muttis Recht auf Selbstbestimmung.
Ob sie nun zum Arzt will ... oder nicht. Ob sie Medikamente einnehmen will ... oder nicht. Ob sie sich einer (nötigen) Op unterziehen will ... oder nicht.
Ihr Körper - ihre Entscheidung. Hier könnte ich jetzt einen Punkt machen und die Geschichte ist aus.
Aber in Folge schritt ihre Demenz fort. Und ich kam an die Punkte, wo ich spürte, jetzt muss ich für sie entscheiden...
In obigem Artikel gibt es diesen schönen Absatz:
- Zitat :
- Es gibt kein Patentrezept!
Meines Erachtens gelingt die Begleitung auf dem Weg zur Diagnosestellung am besten über Verständnis und Vertrauen. Zunächst sollte jedoch auch die Frage aufgeworfen werden, ob denn wirklich jeder Mensch mit dementiellen Veränderungen zum Arzt muss? Haben die Betroffenen nicht auch ein Recht auf Selbstbestimmung? Haben sie nicht auch ein Recht darauf, eine Untersuchung mit anschließender Behandlung zu verweigern? So schwer diese Entscheidung für Angehörige auch auszuhalten und mitzutragen ist, so ist sie m.E. doch eine Überlegung wert.
Woher weiss ich, in welchem Fall ich "über Muttis Kopf hinweg" entscheiden sollte? Solche Situationen waren die schlimmsten für mich, denn es ging da nicht um einen abgebrochenen Fingernagel sondern um lebensbedrohliche Situationen...
Nein, ich hatte kein Patentrezept. Rückblickend kann ich sagen, unser spezielles, sehr sehr enges Verhältnis UND das über Jahre gewachsene Vertrauen haben mir geholfen, Mutti bei ihrer ärztlichen Behandlung zu helfen.
Aber es war immer schwer. Letztlich habe ich mich auf mein "Bauchgefühl" verlassen und - alle Götter dieser Welt sei Dank - hat es mich nicht getrogen. Aber für einen geliebten oder einfach nur für einen anderen Menschen die Last der Gesundheitsfürsorge in Händen zu halten ist schon krass.
Bei Mutti ging es nachher letztendlich auch nicht mehr darum, ob ich sie - wie hier im Thread steht - selbst zum Arzt bekomme, aber wenigstens hatte ich ihr Vertrauen gewinnen können, dass ich immer mit ihr besprechen konnte und sie einverstanden war, wenn ich für sie den Hausarzt aufsuchte. Das war dann unsere Lösung. Aber der Weg dahin war steinig - weil Mutti der Typ war, der allzu tiefste Urängste vor Tabletten und Ärzten hatte. Kommentare von Seiten des grossen Bruders und besagter Schwägerin: "Sie ist zu blöd." waren da nicht hilfreich. Es geht nur über Vertrauen.
LG,
Aggi