Ich verfolge das Thema Alzheimer/Demenz seit einiger Zeit
mit großem Interesse. Einen konkreten Anlass im familiären oder persönlichen
Umfeld gibt es dazu nicht. Dennoch mache ich mir bewusst, dass das Schicksal
früher oder später jeden trifft, mehr oder minder schwer.
In der ZDF-Doku "Hartmut, Krista und das
Vergessen" rührt mich einerseits die Fürsorglichkeit des liebenden
Ehegatten, andererseits frage ich mich, ob die infantilisierende Art und Weise
der pflegedienstlichen Praxis das Krankheitsbild der Betroffenen nicht sogar
noch verstärkt. Wenn ein Hilfsbedürftiger permanent wie ein Kleinkind
umhätschelt wird, muss er sich irgendwann zwangsläufig damit abfinden, da er entweder
nicht mehr oder nicht schnell genug reagieren kann. Krankheitsbedingt braucht
der Betroffene etwas, vielleicht viel länger für seine Antwort. Müsste man ihm nicht
die Chance (einfach etwas mehr Zeit) geben, anstatt ihn sofort mit weiteren
"Verniedlichungen" vollzutexten? In der erwähnten Doku wurde das an
etlichen Stellen deutlich, insbesondere aber am Beispiel der Tagesbetreuerin
Kristina. Sie mag es ja gut oder liebenswürdig meinen, aber der Betroffene wird
offensichtlich kommunikativ nur noch „verniedlicht“ - und erhält keine echte
Chance, sich tatsächlich zu äußern. Der/die Betroffene ist als intellektuelles
Wesen offenbar bereits abgeschrieben, wird durch nichts mehr gefordert. In der
Doku wird Krista (der Betroffenen) sogar die banale Beurteilung des Wetters
schon in den Mund gelegt, bevor sie auch nur das Geringste selbst dazu sagen
kann. Ihr wird jegliche eigene Einschätzung, jede Möglichkeit eines Vergleichs abgenommen.
Statt eines Versuchs, das „Verlernen“ und Vergessen irgendwie aufzuhalten, wird
es auf diese Weise noch begünstigt, ergo muss ich folgern: „Wenn niemand meine
Antwort abwartet, ist es ja sowieso egal, was ich zu sagen hätte. Also muss ich
auch gar nichts dazu sagen...“ Es bleibt die Wut im Bauch, später folgt die
Resignation.
Ich denke, die Hilfsbedürftigkeit alter Menschen sollte nicht
benutzt werden, um die eigene Infantilität in ein humanitäres Gewand zu kleiden.
Vielleicht resultieren aggressive Ausprägungen der Demenz nicht zuletzt aus der Ohnmacht
gegen diese entwürdigende Behandlung. Ich meine: Da hat ein Mensch vielleicht
den größten Teil seines Lebens in einer verantwortungsvollen Tätigkeit
verbracht und muss sich dann auf seine alten Tage wie ein Kuscheltier aus dem
Streichelgehege des Zoos behandeln lassen. Wenn man in einer derartigen
Situation nicht mehr verbal reagieren kann, was bleibt dann anderes als eine
körperliche Mitteilung der Wut über diese Behandlung? Ich habe sehr große
Achtung vor jeder pflegedienstlichen Arbeit, möchte aber hier einen Anstoß
geben, darüber nachzudenken,
inwiefern die gar zu „liebkosende“ Zuwendung die Demenz
möglicherweise verstärkt, und ob es nicht hilfreicher wäre, den Betroffenen mit echter, seriöser Würde zu begegnen.