Man mag von ihm halten, was man will - diesen Text finde ich wunderschön und möchte ihn gerne mit euch teilen.
(wird im Netz mit Google gefunden
)
Gestern Abend. Ich gehe auf Ihn zu. Er liegt auf seiner Couch. Eine seiner letzten Freuden auf dieser Erde. "Chillen". „Schlafen“. Seine Augen sind geschlossen. Seine Hände über der Brust gefaltet, wie zum Gebet. Ich knie neben Ihm nieder, leise, lege meine Hand auf sein Herz. Er zuckt. Schaut mich an. „Hey, Papa...“
Stille. Seine Hand legt sich sanft um meine. Er hält sie fest, und drückt sie sanft. Wir schauen uns in die Augen. Ich spüre pure Liebe und tiefe Verbundenheit zwischen uns beiden.
Die Menschen die ihn sein ganzes Leben kannten sagen, "seit er Demenz hat sei der Josef nicht mehr ansprechbar", man könne nicht mehr mit Ihm kommunizieren.
Ich neige zu Widersprechen!!!
Ich finde mein Vater war noch nie, nicht in 88 Jahren, nicht seit ich ihn kenne, so ansprechbar wie zur Zeit.
Er ist absolut ANSPRECHBAR!
Es braucht jetzt halt eine andere Sprache. Die ist etwas ungewöhnlicher, etwas leiser, etwas sanfter, ohne Worte.
Er ist sehr sehr sehr ansprechbar.
Mit Worten hat das allerdings nichts mehr zu tun.
Er lässt Berührung zu.
Er lässt sich streicheln.
Er berührt.
Er streichelt.
Er macht Augenkontakt.
Er macht wirklichen Kontakt.
Wer meinen Vater kennt, würde sich jetzt wundern. Mein Vater war traumarisiertes Kriegskind, deutsche hartarbeitende Nachkriegsgeneration. Die Generation die das Land aus Schutt und Asche, aus den Trümmern des 2.Weltkriegs wieder aufgebaut hat. Zärtlichkeit, körperliche Nähe, Gefühle zeigen zwischen Vater und Sohn sind definitiv nicht „Dinge“ die zu meinen Kindheitserinnerungen gehören.
Im Gegenteil: Seit ich denken kann, erinnere ich mich an eine strengen, distanzierten, gefühlskalten, angsteinflössenden Mann, der mich nie berührt, nie geküsst, nie verstanden, jedoch ständig kritisiert und eingeschüchtert hat.
Doch jetzt, in diesem Moment, wie so vielen Momenten seit der angeblichen „Krankheit" sind wir hier, Vater und Sohn, Händchen haltend. Uns in die Augen schauend. Im Herzen tief verbunden.
Er lässt die Berührung zu.
Er lässt sich streicheln.
Er berührt mich.
Er streichelt mich.
Ich lächle ihm zu, er lächelt mir zu, während meine Mutter im Hintergrund irgendwas quasselt. Dann höre ich einen Satzfetzen: „Es ist schon schlimm, wer hätte gedacht, dass mal sowenig los ist mit ihm“.
Ich denke „Es ist schon wirklich wundervoll, wer hätte gedacht, dass mal so viel los ist mit ihm“.
Ich lächle ihm zu, er lächelt mir zu, als ob er mich versteht, meine Gedanken lesen kann, während meine Mutter weiter quasselt. Wir blenden sie aus. Wir hören nicht mehr hin.
Stattdessen:
Augenkontakt.
Wirklicher Kontakt.
Wirkliche Kommunikation.
Mein Vater konnte sein Leben lang denken, sprechen, reden, aber so echt, so tief, so wahr wie jetzt hat er niemals kommuniziert. Über die Augen, über das Herz. Die Liebe fliesst zwischen uns Beiden.
Ich flüstere ihm zu: „Na du Schlawiner, bald gehts Nachhause.“ Er sagt mit wissenden klaren Augen: „Ja.“
Ich flüstere ihm zu: „Wenn ich nachkomme, holst du mich ab auf der anderen Seite? Das ich mich nicht verirre.“ Er lächelt, und sagt mit klaren wissenden Augen: „Ja.“
Wir lachen beide, still. Ich küsse ihm auf die Stirn. Dieser Augenkontakt... Die Energie fliesst zwischen den beiden Seelen. Vater. Sohn. Gänsehaut.
Wie gesagt. Josef und Mirko waren sich nicht immer so vertraut, nah und koscher. Im Gegenteil, das hier ist völlig Neu. Er weicht auf. Die Demenz weicht ihn auf, weicht sein Ego auf.
Es ist herrlich.
Aus einem unberechenbaren stolzen rechthaberischen negativen nörgelnden arroganten gefühlskalten Mann, wurde dann innerhalb von 3 Jahren ein sanfter demütiger weicher Mensch...
Danke Demenz.
Danke Alzheimer.
Danke Gehirn und Körperzellen und Gott und Vergänglichkeit…
Danke Tod.
Danke Leben.
Danke Josef.
Ich bleibe noch ein bisschen hier, wenn es okay für dich ist…
Bis gleich
Bis gleich
Bis gleich
Amen
(auf Facebook gelesen am 14. Februar 2020)