Lieber John,
ehrlich gesagt, weiß ich nicht, ob ich Dir mit meinen Worten hier helfen kann, aber Deine Frage ist wichtig und verdient Antworten.
- Musikant schrieb:
- Man liest oft von sexuellen Überreaktionen, bei meiner Frau ist es umgekehrt, schlagartig war alles vergessen.
Alle Bemühungen sind umsonst, es gibt nur noch oberflächliche Liebesbezeugungen.
Ich selbst bin keine von Demenz Betroffene. Ich kümmer mich um meine demente Mutter.
Aber, falls Dir das weiterhilft, erzähle ich Dir hier von mir als Depressionsbetroffene:
Hinter mir liegen harte Jahre, die davon gekennzeichnet waren, das jedes Jahr ein noch härterer Schlag kam, der mir zusetzte.
Als mein Vater noch lebte, und die Staatsanwaltschaft das Elternhaus "stürmte" bis hin zu seinem Zusammenbruch, Krankenhaus
und Tod. Das schleppende Insolvenzverfahren und der stete Kontakt zu meiner Mutter, von der ich heute weiß, dass sie mehrere
unerkannte Schlaganfälle in dieser Zeit hatte - und ich in der Ferne in NRW in Sorge erst um beide, dann um sie.
Die eigenen Probleme - als Spitze nur der Krebs meines Mannes - Hölle auf Erden wird wahr: Der Tag, wo ich mich völlig plemmplemm
selber aus dem Haus ausschließe und unfähig, noch wen um Hilfe zu bitten, eine Scheibe einschlage, um so schnell es geht wieder
zu meinem Hund zurück ins Haus zu kommen, während mein Mann operiert wird...
Mehr mag ich nicht erzählen, aber Jahr um Jahr um Jahr kommt auf Nackenschlag ein härterer Nackenschlag und heute,
John, kann ich mich nicht mehr erinnern, wann ich das letzte Mal mit meinem Mann geschlafen habe.
Ich glaube, letztes Jahr einmal. Aber ich weiß nicht, ob das auch Wunschdenken ist. Im Jahr davor nicht öfter. Im Jahr davor genauso.
Und davor ...
Schon lange, bevor Du hier an Board gekommen bist, habe ich mich rumgequält und mich gefragt, ob ich hier einen Thread eröffnen
kann mit der Frage, ob mein eigener Libidoverlust mit der Sorge um meine Mutter zusammen hängt? - Dann denke ich, mei, meine
Sorgen sind doch viel älter ... hmm ... und kann ich sowas überhaupt posten, wenn das wer liest, was denkt der dann von meinem
Mann?
Er ist der beste auf der ganzen Welt! (Und ich hoffe,
jede glückliche Frau hier im Forum denkt an dieser Stelle: Kann nicht,
das ist doch MEINER?? ^^). Er weiß, was ich durchgemacht habe, was ich durchmache, er bedrängt mich nicht, er ist verständnis-
voll - was er alles auf sich genommen hat, damit ich Mutti pflegen kann, auf was er alles verzichtet ... manchmal denk ich sogar,
er hätte was Besseres als mich verdient, aber ich würde sterben, würde er mich verlassen und zum Glück hat er das nicht vor!
Aber, John, ich fühle jeden Tag, was er sich wünscht! Und das quält mich. Es belastet mich. Manchmal würde ich gern zum Arzt und
Viagra-für-die-Frau für mich verlangen - bloß wär das keine Lösung ...
Was ich sagen will, John: Es gibt Gründe, warum ein Mensch keinen Sex mehr "kann". Bei mir sind es meine Depressionen, die mich
blockieren. Ich wünschte, es wäre anders, aber dagegen - für mich - gibt es keine Pillen. Ich hoffe, nur die Zeit wird mich wieder zu
der Frau machen, die ich mal war. Oder ich werde eine andere, die es wieder kann. Wie auch immer...
Wie es mit Deiner Frau weitergeht ... John, Du hast die beste Formulierung gefunden ... als hätte sie es vergessen.
- Musikant schrieb:
- Fluch oder Segen ? Wer kann was dazu sagen ?
Das liegt im Auge des Betrachters. Ich denke, Deine Frau vermisst z.Z. keinen Sex. Und Du?
Ich hab von mir selbst lange geglaubt, ich wäre krank, mindestens nicht normal (am besten finde ich dann noch ein Heft, wo drin steht,
wie oft es deutsche Paare in der Woche tun - dann möchte ich mich kreischend am Boden wälzen...) ... jo ... bis es irgendwann in mir
Klick machte und ich akzeptierte: Isso. Mit Gewalt geht nicht.
Und ich hab das enorme Glück, einen verständnisvollen Partner zu haben. Und so, wie ich Dich lese, hat Deine Frau dasselbe Glück.
LG,
Aggi