Guten Abend miteinander!

Ich habe länger nichts von Uwe und mir geschrieben, nun weiß ich nicht weiter und wende mich an euch.

Mein Uwe ist nun seit Ostern in einem Pflegeheim.
Ich habe einfach keine Kraft mehr gehabt, nachdem ich ihn 14 Jahre betreut und gepflegt habe und sein Zusatnd immer einwenig schlechter wurde. Körperlich und auch geistig
.
Nun ist also der Tag X schon gewesen und nachdem wir in den ersten Tagen und Wochen geweint
und uns gegenseitig getröstet haben,
ist nun eine Zeit angebrochen, die ich einfach nicht einordnen kann.

Er ist ja man grade 6 Wochen dort, aber er hat sich schon jetzt das dritte mal verliebt   .
Ich kenne meinen Mann so gar nicht. 
Wir waren eng miteinander verbandelt und eine solche Frage stellte sich uns nie. Wir haben uns auch erst spät kennengelernt,
also an Nachholbedarf kann es nicht liegen.

Er träumt sich da was zusammen und vermischt Realität und Traum.
Die eine Frau, die gibt es wirklich, bei den anderen weiß ich es nicht.
Er ist total auf Frauen aus...
Ich glaube, er denkt immer an Frauen.

Ich bin erschrocken  !
Wie kann das angehen!!
Wenn ich IHM das vor 2 Monaten erzählt hätte, wie er sich heute aufführt, er hätte sich geschämt.
Er hätte das nicht für möglich gehalten.

Ich frage mich - will er sich (unbewusst) an mir rächen, weil er nun im Heim ist?
Oder ist es vielleicht eine Strategie seine Situation besser zu verarbeiten?
Oder spürt er sich dadurch?

Ich bin so traurig.
So wie ich ihn in der letzten Zeit erlebt habe, ist es gar nicht mehr mein Uwe....
Doch, er ist es schon, aber nicht so wie sonst.

Kennt ihr sowas???
Und wie kommt man damit klar?
Gibt sich das wieder? Vielleicht nach einiger Zeit?

Es grüßt Euch,
Bettina

20 % der Demenzerkrankten zeigen sexuelle Verhaltensauffälligkeiten.

Solche "Symptome" werden bei Männern beobachtet.
Patienten mit vaskulären, frontotemporalen und parkinsonartige Demenzen scheinen häufiger betroffen zu sein als Alzheimer-Patienten.

Auch können verschiedene Medikamente enthemmend wirken.

Ich denke mit Dir und Eurer Beziehung hat dieses Verhalten wenig zu tun.

Ich würde das Thema beim Arzt der Pflegeeinrichtung ansprechen.
Meißtens haben Ärzte, die mit geriatrischen Erkrankungen arbeiten
viel Erfahrung mit diesem Thema.

Liebe Grüße Christina

...ja aber dann wäre das doch schon früher mal aufgetaucht und nicht erst im Heim.

Liebe Bettina,

auch wenn ich keine Erfahrung mit ähnlichen Erscheinungen gemacht habe, denke ich, daß es zwei Möglichkeiten gibt:

Entweder ist Dein Mann erst jetzt in dem Stadium der Krankheit, wo ähnliches auftritt oder er ist davor einfach nicht ständig mit so vielen Frauen zusammen gekommen wie jetzt. Ich vermute eher ersteres.

Ich denke aber auch, daß Christina Recht hat: Es hat nichts mit Dir zu tun.

liebe Bettina
ja........es gibt Phasen innerhalb der Demenz, wo solche phänomäne auftauchen. ich erlebe dies im arbeitsalltag nicht selten.
ein freundliches lächeln eines gegenüber, ein Hand halten lösen oft Gefühle bei demenzkranken aus, dabei ist es dann nicht wichtig, ob einem das gegenüber bekannt ist oder nicht.
bei mir auf der Station hat sich ein päärchen gefunden (wobei die initiative hier von der frau ausging) und für die Lebensgefährtin des mannes war diese Situation anfangs auch sehr sehr schwer zu ertragen.
für den mann war es aber nicht wichtig, WER sich um ihn kümmerte, sondern nur DAS sich jemand um ihn kümmerte.
ebenso hatte ich zwei demente Frauen, die jeweils in ihrem gegenüber ihren Ehemann gesehen haben. beide waren unzertrennlich und küssten sich auch.ebenfalls für die kinder schwer zu ertragen, da sie sofort sagten "wie kann meine mutter nur eine frau küssen"
die gefühlswelt steht bei dementen menschen eindeutig im Vordergrund.
nein...........dein mann will sich nicht an dir rächen...........solche komplexen gedankengänge sind für demente menschen nicht möglich.
für dich ist dies schwer zu ertragen, das glaub ich, aber sei dir sicher, er will dir nichts böses.

lieben gruß
gisela

Danke. Diese Sicht erleichtert es mir etwas!

.....ich hab auch schon gedacht, das es ihm vielleicht hilft, diese schwierige und 
neue Situation im Heim zu meistern.

Er sagte auch einmal :"....also bin ich doch noch ein Mann...." oder "...das ich noch so gut ankomme...!"

Ach, ich weiß es nicht.... es so alles so viel im Moment....
Er lässt mich hier mit dem ganzen Kram hier, mit der großen Wohnung und den finanziellen Unklarheiten allein
und flüchtet sich in eine völlig andere Welt.....!

Liebe Bettina,

fühl dich einfach mal ganz lieb gedrückt. Du hast so wahnsinnig viel geleistet und so viel Schlimmes mitgemacht die letzte Zeit.  

Kann es sein, das er bisher seine Gefühle kopfgesteuert unter Kontrolle hatte und mit Zunahme der Demenz die Kopfsteuerung über über seine Gefühle verliert?

Ich denke hierbei an den Kontrollverlust und die Enthemmung welche unter Alkoholeinfluß auftreten kann und das analog bei Demenzzunahme der gleiche Effekt auftreten kann.

Bettina schrieb:

Er lässt mich hier mit dem ganzen Kram hier, mit der großen Wohnung und den finanziellen Unklarheiten allein
und flüchtet sich in eine völlig andere Welt.....!

Glaub' das bitte auf gar keinen Fall! Man kann sich zwar "in eine Krankheit flüchten", aber in eine Demenz ganz bestimmt nicht. Eine Demenz nimmt niemand als Vorwand, um etwas zu erreichen. Dein Mann wäre sicher der Froheste, wenn er die Krankheit nicht bekommen hätte. Die bewußte Entscheidung Dich auch nur zu ärgern, kann er sicher nicht mehr treffen.

https://www.youtube.com/watch?v=RAD0p6W1uAg

Das Thema wird mittlerweile von vielen Autoren aufgegriffen.
Dennoch ist es sicherlich anders wenn man selbst in einer ähnlichen
Situation ist.

Vorstellen kann sich das sicherlich niemand, wie sich das anfühlt,
und was man in der Situation durchmacht.

Allerliebste Grüße Christina

http://www.welt.de/vermischtes/article1382284/Wenn-55-Jahre-Ehe-ploetzlich-vergessen-sind.html

Tja, wie kann man damit umgehen, ohne daß es verletztend ist
oder weh tut ?

Ich schätze mal, daß es ohne Schmerz und Trauer nicht funktionieren wird.

Wie wird es leichter zu ertragen?

Ich weiß es nicht.

Als Außenstehender kann man sich das einfach nicht vorstellen,
wie es sich anfühlt, wenn man in diese Situation gerät.....

Allerliebste Grüße Christina

Ich danke für eure Antworten!

Bin gespannt, wie ich ihn heute erlebe.

Ich hab in all den Jahren schon so viel Abschied von Uwe nehmen müssen und immer und immer wieder und 
dann noch von einer anderen Seite und von widerum einer anderen Seite...
Diese hier ist neu für mich.

Seit er dort in der Einrichtung ist, hat er sich einfach verändert....
Er sagte neulich zu mir "irgendwie ist es schlechter mit meinem Kopf geworden..."

tränende schrieb:

Ach, ich weiß es nicht.... es so alles so viel im Moment....
Er lässt mich hier mit dem ganzen Kram hier, mit der großen Wohnung und den finanziellen Unklarheiten allein
und flüchtet sich in eine völlig andere Welt.....!

Es ist wie es ist - und es ist normal, das kann ich dir versichern. Auch wenn unsere Angehörigen dement sind, bleiben viele gesunde Anteile erhalten
und einer davon ist, dass sie nach wie vor Liebebedürftig sind wie wir auch. Dass ist weder eine Charakterstörung noch böse Absicht und geplante Gemeinheit. 
Das "alte" Leben geht in die Vergessenheit, das momentane ist das, was zählt - und dazu auch die neuen Kontakte, die vielleicht nur Minutenlang anhalten,
sich aber noch tief einprägen können. Weil alles, was uns emotional berührt, eher haften bleibt als....

Jetzt los zu lassen, wird nicht leicht sein. Zu verstehen, dass die Krankheit keine Flucht ist und schon gar nicht eine bewusste in eine andere Welt,
wird dir noch lange schwerfallen, weil du dich jetzt im Stich gelassen fühlst. Das fühlt sich alles nicht fair an, vor allem, wo du dich so um ihn kümmerst. 
Was dir helfen kann: versuch großzügig zu sein und stimme ihm in seinem neuen Leben zu. Dazu gehört eine Menge, ich weiß. 
Aber ihm von Mensch zu Mensch ein neues Glück zu gönnen, ist ein Weg, der dich vielleicht ein bisschen heile macht, auch wenn es erst einmal weh tut. 

Liebe Grüße und viel Kraft
Ute

Hallo,
ich finde das was du geschrieben hast sehr traurig und kann mir nicht vorstellen, wie du dich fühlst. 
Aber ich merke bei meiner Großmutter selber, dass sich emotionale Bindungen mit Verlauf der Krankheit immer mehr verändern. Das bedeutet aber natürlich nicht, dass es weniger wird, sondern einfach, dass ich gemerkt habe, dass wenn jemand sich um meine Oma kümmert, dieser Mensch direkt in ihr Herz geschlossen wird. 
Ich habe gelesen, dass sich demente Menschen oft einsam fühlen, auch wenn sie immer jemanden um sich herum haben. 
Vielleicht liegt es wirklich, wie bereits gesagt wurde, daran, dass er in den Frauen einfach weiteren Halt findet.
Das mindert seine Gefühle für dich aber ganz und gar nicht.

Er erzählt es dir ja sogar, das zeigt doch auch, dass er dir vertraut und eventuell dich an seinen Glücksmomenten teilhaben will.
Ist das nicht auch etwas was in einer Ehe wichtig ist? Das man Glücksmomente mit dem Partner teilt?
Ich bezweifle dass er dir weh tun will und vermutlich merkt er nicht mal, wie sehr es dich verletzt.

Versuchen wir mal die Demenz wegzudenken. Es gibt viele Menschen, auch gesunde, die sich in einer Partnerschaft mal in andere Verlieben. Selbst ich mit meinen 27 Jahren habe das mal erlebt. Es ist vergleichbar mit einer Schwärmerei für einen Star. Bei mir war es z.B, Robert Downey jr. dem Schauspieler. Mein Herz hüpfte jedes Mal wie wild wenn ich ihn in Filmen gesehen habe.
Mein damaliger Freund fand das ganz und garnicht toll, was natürlich verständlich ist, aber es hatte nichts mit meiner Liebe zu ihm zu tun, sondern einfach damit, dass man gerne mal träumt.  
Vielleicht hilft dir dieser Gedanke ein wenig über deinen Schmerz hinweg.

Es tut mir aufrichtig Leid, dass du dieses, nennen wir es mal Gefühlsdrama durchleben musst. 

Ganz liebe Grüße,
Vivian

eure Worte tun mir gut und helfen mir. Habt Dank !

Wenn es mir gut geht, dann gönn ich  ihm  das Versliebtsein. Natürlich! Ich liebe ihn ja....
Wenn es mir schlecht geht, weine ich und fühle mich verraten....

Heute war Uwe "ganz normal". Er war wie immer. Hat mir sogar die Grüße von Freunden
ausgerichtet, die ihn besucht hatten.
Trotzdem hatte ich so einen Stachel im Fleisch...
Ich muss das alles erst verarbeiten. Es ist so neu, so fremd.....

tränende schrieb:

Wenn es mir schlecht geht, weine ich und fühle mich verraten....

Das darfst du dann auch mal, liebe Bettina. Niemand kann immer stark und liebevoll und großzügig und selbstlos sein! 

Du hast schon so irre viel geleistet bis hierhin, da ist es doch mehr als klar, dass nun die Nerven völlig blank liegen. 

Wein ruhig, wir sind da! 

Und dann versuch auch wieder, dich ein wenig aufzurichten. Tu jeden Tag was, was dir gut tut. Und wenn es nur eine "Kleinigkeit" ist, wie ein warmes Schaumbad, ein schönes Eis im Straßencafé, ein Stadtbummel, ein Spaziergang im Park, ein gutes Buch.....

Viel viel Kraft für Dich.