Mein Vater ist inzwischen in einem sehr fortgeschrittenen Stadium der Demenz. Meistens schweigt er. Er wird nur dann etwas gesprächig, wenn ihn etwa sehr berührt. Das ist zum Beispiel meistens dann der Fall, wenn eines seiner beide Kinder zu Besuch kommt. Die Fähigkeit, sich in vernünftigen Sätzen zu artikulieren, hat er allerdings meistens nicht mehr. Wenn eines seiner Kinder kommt und er das merkt, dann stöhnt er zumeist erleichtert und laut auf, freut sich erkennbar und ruft dann den Namen des Kindes in den Raum.
Manchmal sagt er allerdings unvermittelt erstaunlich klare Sätze. Das kommt ganz plötzlich. Ansonsten schweigt er die meiste Zeit.
Ich habe inzwischen ein sehr offenes Verhältnis zu meinem Vater, was nicht immer so war. In den Jahren, bevor die Demenz da war, erzählte er mir erstaunlich viel über sich und sein bisheriges Leben, teilweise sehr intime Dinge, die noch nicht einmal meine Mutter wusste. Diese Offenheit hat zu einem sehr vertrauensvollen Umgang zwischen uns geführt, sodass ich umgekehrt auch sehr offen zu ihm wurde. Es gibt eigentlich nichts, was wir einander nicht sagen könnten.
Trotz seiner Erkrankung schone ich ihn nicht. Ich erzähle ihm auch unangenehme Dinge, die er erfahren hätte, wäre er nicht krank. Dazu gehört zum Beispiel, wenn jemand, den er sehr gerne hatte, stirbt.
Mir fällt dabei auf, dass die Fähigkeit, Informationen aufzunehmen, durchaus noch stärker ausgeprägt ist, als es den Anschein hat. Er lässt zwar nicht alles an sich heran, auch weil manches an Bedeutung für ihn verliert.
Aber vor allem bei bestimmten, eher schmerzhaften Informationen reagiert er schon. Manchmal zeigt sich das nur, indem eine Träne an seinen Wangen herunterrinnt. Manchmal trauert er ein paar Wochen, mag nichts essen und nur im Bett liegen, bis die Zeit der Trauer wieder vorbei ist und er wieder alltäglich wird, ausreichend isst und das Bett verlassen will.
Wäre da kein Angehöriger, der ihn gut kennt, so hätte man ihn sicher schon an eine Magensonde angeschlossen und mit Medikamenten vollgepumpt.
Demgegenüber ist die Fähigkeit, sich zu artikulieren, deutlich geringer ausgeprägt.
Die Impressionsfähigkeit scheint also durchaus vorhanden zu sein, während die Expressionsfähigkeit zunehmend verkümmert.