Hallo zusammen,

meine Mutter ist körperlich noch sehr fit und hat nichts zu tun. Alles worum man sie um Hilfe bittet, und sie auch noch könnte, macht sie nicht wirklich. Sie hilft ab und zu beim Abtrocknen, aber meistens hat sie keine Lust.

Jetzt klingelt sie mehrmals täglich an meiner Tür und will irgendetwas, was selbst aus ihrer Sicht nicht eilig ist (wer ihr irgendwann die Nägel schneidet, ob ich mit ihr zur Ergotherapie gehe (was ich noch nie getan habe) etc.). Ihr ist natürlich sehr langweilig. Mir aber ganz und gar nicht. Ich merke wieder meinen Tinitus und meine Bandscheibe. Für mich ein eindeutiger Hinweis, dass ich kürzer treten muss.

Ich weiß, dass es ungerecht ist, aber mir gehen die Besuche meiner Mutter auf die Nerven. Sie hat eine Pflegerin, sie ist besser versorgt als ich, mehr geht nicht. Vielleicht auch deshalb, weil sie immer alle Sozialkontakte entweder nicht aufgebaut, oder abgebrochen hat, weil eben alle blöd, dumm, böse etc. waren. Im übrigen war ich heute schon 1,5 Stunden bei meiner Mutter und habe mich mit ihr unterhalten. Für sie nicht viel, für mich aber mehr als genug.

Ich weiß nicht, was ich tun soll. Mit der Pflegerin kann man Sozialkontakte nicht auffangen.

Gruß, Ildiko

Liebe Ildiko,
kann die Pflegerin nicht mal mit ihr raus zum Spazieren oder sonstiges? Das Wetter bietet sich doch dazu an.

Was hat sie denn früher gerne gemacht?

LG Biggi

Meine Mutter geht mehrmals täglich spazieren. Alleine, mit der Pflegerin, mit meiner Tante. Bei schönem Wetter geht sie bestimmt 4-5 mal täglich, trifft auch viele Menschen, mit denen sie sich unterhält. Aber die sind alle blöd, auch jetzt noch. Gerade heute hat sie mir erzählt, dass sie einen Mann mit Hund getroffen hat, mit dem sie sich unterhalten hat. Meine Mutter ist eine ganz hübsche Frau und trotz Demenz manchmal noch ganz ironisch. Der Herr wollte sich morgen mit ihr wieder verabreden, aber er ist laut Aussagen meiner Mutter "nichts für sie". Meinen Einwand, dass es doch nett ist, sich im schönen Wetter auf der Bank sitzend zu unterhalten, neue Menschen zu treffen, hat sie abgeschmettert.

Gerne gemacht hat meine Mutter eigentlich schon früher gar nichts außer spazieren gehen. Mit der Gruppe haben wir es probiert. Sie hat davor gemeckert, dann haben wir sie trotzdem hingebracht, aber sie wollte partout nicht hingehen. Nach 3-4 Treffen haben wir aufgegeben, da sie es so schrecklich fand.

Alles was wir ihr sonst noch vorschlagen ist total blöd. Wir reden uns schon seit Jahren, fast seit 2 Jahrzehnten den Mund fusselig, dass sie etwas tun muss. Haben schon diverse Dinge rausgesucht, Termine gesichet. Aber sie wollte nie etwas. Schon im gesunden Zustand hat meine Mutter ganz klar gemeint, dass wir für ihre Unterhaltung zuständig sind. Wir haben damals viele Kämpfe ausgefochten, die damit geendet haben, dass sie mich als egoistische, böse Tochter beschimpft hat und ich nachgegeben habe.

ildiko schrieb:

Alles was wir ihr sonst noch vorschlagen ist total blöd. Wir reden uns schon seit Jahren, fast seit 2 Jahrzehnten den Mund fusselig, dass sie etwas tun muss.

"Ja, Mama, stimmt, der Mann ist bestimmt nichts für dich. Das wird echt schwierig, jemanden in deiner Klasse zu finden." "Da stimme ich dir zu: Frau Soundso ist eine fade Partie, die erzählt eh immer dasselbe!" "Hm, wenn du das sagst, muss wohl was dran sein: die Leute in der Gruppe sind nix für dich!" "Ich glaube auch, es ist besser, du bleibst zuhause. Wer weiß, wer dir sonst heute noch begegnet und etwas von dir will!" "Nein, Frau Soundso kann dir echt nicht das Wasser reichen!" "Wie du schon sagst: Herr Soundso ist einfach nur schrecklich!"

Ildiko, solange du deiner Mutter etwas vorschlägst, hat sie genug Stoff, um dagegen zu halten und das hält sie buchstäblich am Leben und euren Mund fusselig. In dem Moment, wo du ihr zustimmst, muss sie die Gegenrichtung einschlagen, sonst würde sie sich untreu werden. Na, in welche Richtung wird sie dann gehen?.... :;-zwinkernd;-:

Üben und testen. Ohne üben und ehrlicher Anteilnahme wird's aber nix.

Liebe Grüße
Jelly

Liebe Jelly!



So krass haben wir es noch nicht ausprobiert. In etwas abgeschwächter Form hat mein Schwager es vor Jahren, als sie noch gesund war, mehrmals ausprobiert, da er genau Deine Idee hatte. Die Konsequenz war: Sie hat noch mehr vom Leder gezogen, weil sie in uns wieder Verbündetete gesehen hat. So nach dem Motto: Meine Familie ist meine beste Freundin und wir machen uns gemeinsam über die bösen, unterbelichtetenn anderen lustig. Meine Mutter wollte ihre Sozialkontakte ausschließlich in mir und der Familie meiner Schwester haben, damit hatte sie sich ein Stück weiter an ihrem Ziel gesehen. Wir hätten den Kontakt zu ihr damals abbrechen müssen, damit sie gezwungen gewesen wäre, sich mit anderen anzufreunden.

Vielleicht sollte ich es wirklich so machen, wie Du es vorgeschlagen hast. Obwohl ich seit sie krank ist, wirklich Skrupel habe. Sie fühlt sich so leicht verletzt. Ich kann es mal probieren, mal schaun, ob es jetzt klappt. Danke auf jeden Fall für die Idee.

Gruß, Ildiko

Liebe Ildiko,

ja, deine Mutter spielt die Klaviatur der Erpressung formidabel - hüstel!

Wie gesagt: nur mal so probieren wird in die Hose gehen.
Denk über das System, über das, was dahinter steckt, nach.
Übe an dir selber und mit deinen Freunden bzw. Schwester - BEVOR du es bei deiner Ma anwendest.
Wenn du es nur mal so anwendest, dann wird deine Ma es durchschauen.
Hast du es als Haltung angenommen (= Meine Mutter weiß am Besten, was sie braucht und ich stimme ihr zu), dann ist es authentisch und du hilfst ihr damit, die gut gekonnten Abwehrstrategien (= ich bin grundsätzlich gegen alles, was DIE mir vorschlagen) zu überwinden.

Vorsicht - das ist keine Methode, jemanden über das Ohr zu hauen, sondern eine Möglichkeit,
ihm und sich selber zu helfen, die Dinge anders zu sehen und anders zu lösen.

Gut Ding braucht Weile.... wenn sie die ersten gefühlten 128 Mal nicht adäquat in deinem Sinne und Wunsch reagiert, nicht aufgeben... steter Tropfen höhlt auch die Muttermauer!

Ist übrigens eine Supermethode, um schlaflose Nächte sinnvoll zu füllen.
Üben! Üben! Üben! Du kennst die Sätze deiner Ma, überlege dir passende Zustimmungen dazu aus,
ohne Schiss zu haben, dass sie dich vereinnahmt... und wenn du Schiss hast, dann erst recht:
"Oh mein Gott, meine Mutter ist ein Körperfresser. Ich werde bis zu ihrem letzten Tag nicht einen Jota Freiheit mehr haben. Wahrscheinlich wird sie mich als Wiedergeher bis ans Ende meines Lebens begleiten und sogar noch im Jenseits ihre Zeit mit mir verbringen wollen! Halleluja!"

....chchchchchch... gibt es eigentlich eine Art Knoblauch gegen Klettenmütter?

grinst Jelly - die sich gerade sagt: Oh mein Gott, mein Vater wird bis ans Ende seines Lebens nicht einen Funken mehr an Humor zeigen, der nicht Pupsen, Kacken und Pieseln betrifft.... ieeeek!

Liebe Jelly,

es klingt sehr interessant und einleuchtend, was Du sagst. Ich bin mir noch nicht sicher, ob ich es wirklich durchhalte, weil ich ein extrem "lösungsorientierter Mensch" bin. Aber dies hat ja die letzten Jahrzehnte nichts bewirkt. Gar nichts. Das muss ich mir vor Augen halten, wenn es nicht gleich von Erfolg gekrönt ist.

Ich habe Skrupel das anzuwenden und auch irgenwie Angst. Denn meine Mutter hat schon immer leicht zu weinen begonnen. Und jetzt mit dieser fürchterlichen Erkrankung hat sie auch allen Grund dazu. Sie meint oft: "jetzt will natürlich keiner mehr etwas mit mir zu tun haben, weil ich nicht mehr so gut (im Sinne von klug und eigenständig) wie früher bin". Sie weint und es tut mir dann fürchterlich leid für sie. Wenn ich ihr zustimme, befürchte ich, dass sie noch viel mehr weint. Ich höre sie schon sagen:"Siehst Du, jetzt lerne ich nur noch dumme Menschen kennen, andere wollen nichts mehr mit mir zu tun haben".

Fürchterlich, ich werde selbst zum absoluten Bedenkenträger!!!!!! Ich werde es probieren Jelly. Vielen Dank für den Hinweis. Ich hoffe, dass meine Mutter ganz viele Menschen in den nächsten Monaten trifft, damit ich ein weites Betätigungsfeld habe.

Gruß, Ildiko

ildiko schrieb:

Sie weint und es tut mir dann fürchterlich leid für sie. Wenn ich ihr zustimme, befürchte ich, dass sie noch viel mehr weint.

Auch hier kannst du immer weiter zustimmen. Nichts tut in der Seele mehr gut, wenn die eigene Trauer angenommen wird vom Gegenüber. "Du fühlst dich nicht mehr so fit wie früher, stimmt's?"
"Da hast du Angst, dass die anderen komisch über dich reden..." "Da hast du Angst, dass keiner mehr was mit dir zu tun haben will?" (= das sind nur so mal schnell ausgedachte Sätze... man braucht Zeit, die richtigen Worte zu finden!).

Vielleicht ist das ja ihre Grundangst, sooo abgelehnt zu werden, dass sie von vorne herein alle anderen ablehnt, um ihnen zuvor zu kommen. Vorsicht - das ist jetzt eine saublöde kurz gedachte Interpretation... aber ich stimme dir voll zu: Habe Skrupel! Denn nichts tut mehr weh, als wenn dir einer ein paar kluge Sätze um die Ohren haut, nur um eine Reaktion von dir zu provozieren.

Deswegen betone ich noch mal: Üben! Nachdenken! Üben! und erst dann zur Mutter damit.
Du hast alle Zeit der Welt dafür. Und was das Weinen betrifft: das wird sie so oder so, das gehört ja zu der Scheissdemenz, dass sie nicht in den Knochen weh tut, sondern in der Seele, im Herzen und im Hirn. Statt zu bluten, weinen wir. Und manchmal wissen wir gar nicht mehr, warum wir weinen.

Find's cool, dass du schon ihre Antworten jetzt schon hörst - prima Stoff zum Üben!
Ildiko, es geht nicht darum, den richtigen Satz zum rechten Zeitpunkt zu platzieren,
sondern um Anteilnahme. Und das geht nur, wenn DU das willst...

Dass das bei dem Kartoffelpratzen von deiner Ma nicht immer ganz gleicht ist,
ist gelinde gesagt - ein Untertreibung... Mei, sie ist deine Meisterin! Oooohm!

Eine erfüllte Nacht wünsche ich dir - hihi

Jelly

Hallo Ildiko,

vielleicht habe ich noch nicht alle alten Beiträge von Dir gelesen???
Aber ich weiß, daß Deine Mama im großen und ganzen noch recht fit ist!
Wie sieht es aus, sie im Haushalt mehr mit einzubinden, daß hat sie doch sicherlich früher auch machen müssen - oder??
Gemüse putzen, Kartoffel schälen, Salat waschen, die Schnitzel klopfen...Staub saugen, und was es sonst noch alles so gibt!
Daß wird in den Tageszentren doch auch so gemacht, daß ein Klientel, welches noch einigermaßen kann, mit rangenommen wird!
Und hier kannst Du auf jeden Fall auch mal etwas provokativ reagieren, wenn sie es z.B. ablehnt - ja, ja ich weiß, daß kannst Du nicht mehr....!
Ein Versuch wäre es wert!
Wie wäre es mit Kreuzworträtsel? Stricken? Handarbeiten? Garten????
Wie hat Deine Mama früher gelebt?

Wünsche Dir viele Ideen, Gabi

Liebe Gabi, ich antworte dir mal so:
Schnitzelfleisch und Kartoffeln wehren sich nicht, wenn man sie schält und auf ihnen herumkloppt.
Ildikos Ma ist grundsätzlich abgeneigt, bespaßt und aktiviert zu werden. Ihr fehlt die Lust - zu allem.
Außer - und das ist des Pudels Kern: ihre Töchter sind anwesend und geben Feedback.

Da Ildiko aber nicht 24 Stunden am Tag und vor allem Nerven hat, die Unlust ihrer Ma auszutreiben,
gilt es einen Weg zu finden, der abseits vom Wäschefalten liegt.
Ich hätte meine Ma auch 48 Stunden am Tag in den Haushalt einbinden können,
es wäre ihr sicherlich super ergangen dabei, nur ich wäre spätestens nach 48 Stunden am Boden gelegen,
weil ich kein Ergotherapeut mit einem 8 Stunden Tag bin, der dann nach Hause gehen kann.

Würde man Ildokos Mutter nämlich vorschlagen, morgen die Königin von Saba zu besuchen,
würde sie antworten: "Wieso soll ich mich selber besuchen - kann mir das mal einer erklären?".

Also - Ildikos Ma ist es nicht fad, es ist ihr superfaaaad, weil sie alleine auf sich selber zurückgeworfen ist.
Genauso wie meine Mutter mit Alzheimer alle paar Minuten gefragt hat, und? was machen wir jetzt? ist Ildikos Ma noch super in der Lage, dieses Fragen in perfekt ausgetüftelte tatsächlich vorhandene Bedürfnisse und Ansprüche zu kleiden - von Fußnägelschneiden über Trallalalalalaaa und solllalalala...

Es gibt nun mal so Sonnenscheine unter uns, die strahlen am meisten, wenn sie in der Mitte stehen,
nicht, Louis?

Alsooo... räusper, korrigiert mich, wenn ich daneben liege:
Es geht mehr darum, einen Weg für Ildiko mit dieser Pracht zu finden,
als einen Weg für die Ma bespaßt zu werden (DENN sie WILL nicht, ausschlussbasta).
Du könntest ihr den Weg zur Tagesstätte mit Diamanten und Lieblingsessen belegen,
sie würde trotzdem sagen: paah, ich mag aber lieber Rubinen und Grütze...

am Kopf sich kratzend und nachdenklich
Jelly

Ich habe die Wachzeit in der Nacht - danke, liebe Verdrängung - genutzt und nachgedacht.
Wie wir alle wissen, gibt es so viele Arten von Demenzen wie es Demenzkranke gibt.
Jeder hat seine ganz persönliche Ausformung. Allen zusammen ist, dass sie unterschiedlich lange Phasen
haben, in denen es zu völlig unterschiedlichen "Verhaltensänderungen" kommen kann.
Das macht es für uns Angehörig so unbandig schwer, mitzuhalten.

Viel zu viel zu viel zuuuu lange hatte ich gehofft, dass meine Ma nur ein paar Anstösse braucht,
um sich selber zu beschäftigen. In dem Sinne: gib ihr was, was sie kennt und passt schon.
Das hat ziemlich früh nicht funktioniert, eigentlich schon seit Diagnosestellung nicht mehr.
Davor war sie auch schon ordentlich depressiv. Sie hat zwar hier und da geräumt und zusammengelegt,
aber das war mehr "Energieumsetzen" als tatsächlich logisches Tun mit einem Ziel.

Was ich sagen will: Ein demenzkranker Mensch kann sich in der Regel nicht mehr selbst beschäftigen.
Ihm fehlt der Sinn und Zweck dazu. Er kann nicht mehr auf Dauer ein Ziel verfolgen (meine Ma hat oft nur eine Kartoffel schälen können und dann war sie schon wie ein Falter von der nächsten "Blüte" abgelenkt, hat das Messer hingelegt und weg war sie). Einen Demenzkranken bei der Stange halten geht nur, in dem ich 100% auf ihn konzentriere und seinen Rhythmus mir zu eigen mache.

Mal ehrlich: ich konnte das nicht. Ich konnte das vielleicht mal ein paar Minute am Tag. Dann hat mich der Alltag schon wieder voll in den Klauen gehabt: meine Arbeit, meine Kunden, Haushalt, Termine, etc.

Das ständig schlechte Gewissen, meine Mutter nicht genügend zu fördern, war auch immer dabei.

Hinzu kam, dass meine Ma wirklich verunsichert war und ständig zu mir Kontakt gesucht hat. Sie hatte ja schon keine Worte mehr aus "was machen wir jetzt?" oder "Maeken hat gesagt". Sie war wie ein frisch geschlüpftes Entlein immer hinter mir, oder besser gesagt: ihr heißer Atem hing schon in den frühen Morgenstunden in meinem Nacken.

Was ich damit sagen will: man braucht schon den Willen, sich mit dem demenzkranken Menschen zu beschäftigen (wie z.B. mit diesen tollen Büchern, die Angel und Astrid vorgeschlagen haben). Dann auch die Zeit. Im Grunde ist es phasenweise ein Dauerjob. Ich war um jede Stunde froh,
in der ich meine Ma in andere Hände geben konnte. Sie war aber auch im Gegensatz zu Ildikos Mutter leicht handelbar und hat jeden Kontakt gerne angenommen. Es gab Tage, wo ich nur frustriert war, weil sie keinerlei Zeitvertreib von mir angenommen hat.

Die Demenz von Ildikos Mutter verläuft momentan noch ganz anders als die meiner Mutter.
Sie überblickt noch sehr gut ihr Können und vor allem ihre Defizite. Dass sich ihr nicht gerader fordernder Charakter noch mehr verstärkt hat, macht es Ildiko alles andere als leicht.

Ihre Mutter wird sie nicht mehr ändern können.
Nur den Umgang mit ihr und die Haltung ihr gegenüber.

Ich schreibe das alles, weil so oft empfohlen wird, den Demenzkranken doch im Haushalt mit einzubeziehen.
Das geht in gewisser Weise schon, aber auf Dauer ist diese "Therapieleistung" von Angehörigen kaum zu schaffen.

Liebe Grüße
Jelly

Da gebe ich dir vollkommen Recht, Jelly!!!

Herzliche Grüße Lena

ildiko schrieb:

"Siehst Du, jetzt lerne ich nur noch dumme Menschen kennen, andere wollen nichts mehr mit mir zu tun haben".

Der Satz ist schon Hammer! Wenn meine Ma den gesagt hätte, dann wären mir die Äuglein rausgeflogen und ich hätte sie wahrscheinlich z'samgeschissen und das Streiten mit ihr angefangen, woran sie bemessen kann, wer klüger und wer dummer ist...

Dann ist mir aber eingefallen, dass es tatsächlich so ist, wenn man psychisch krank ist (oder auch Rheuma hat oder Krebs oder oder...), dass man sich ständig selber vergleicht und quasi updatet mit seinen Mitpatienten.
Im Sinne: dem geht's viel schlechter als mir, der kann das nicht mehr oder so wie deeeer werde ich nie und nimmer sein.

Krankheit ist sowas von bedrohlich. Am schlimmsten für kranke Menschen ist es, in einen Topf mit anderen kranken Menschen geworfen zu werden und als Individuum hinter der gemeinsamen Erkrankung zu verschwinden.

Deswegen verstehe ich auch alle alten Leutchen so gut, wenn sie sich am Anfang mit Händen und Füßen gegen die Tagesstätten wehren: Iiiih, ich bin doch nicht so alt wie die... ich bin doch nicht so krank wie die... ich bin doch noch ich selber... ich kann doch noch im Gegensatz zu denen...

Das Problem ist im Gegensatz zu anderen Krankheiten müssen wir Angehörigen die Akzeptanz schaffen und nicht der Betroffene selber (ein Krebskranker muss sich selber durch die ganzen Prozesse durchwurschteln, ein Diabetiker auch... das nimmt ihnen keiner ab).

Ein Demenzkranker kann das nicht und wenn, dann nur im Moment.
Darum wäre eine mögliche adäquate Antwort auf diesen Satz deiner Ma:

"Der Einäugige ist der König unter den Blinden. Siehst du, so kannst du den anderen helfen... "
etc... (was immer auch das Wertesystem deiner Ma hergibt).
oder
"Was bin ich froh, dass es dir so gut geht und du nicht so krank bist."

Wir müssen wegkommen von dem Gedanken, mit ein paar Sätzen bei unseren Angehörigen etwas zu ändern oder eine Lösung zu bekommen.
Nur der Moment der Akzeptanz zählt - und der bereitet den Weg vor, um tatsächlich etwas zu ändern, wie das Positive erleben einer Tagestruktur, das Annehmen von anderen Menschen...

oh mann, seufzt Jelly, die andere Rheumatiker auch totaaaal blöd findet, weil die immer so Jammern tun

Liebe Jelly,

ich bewundere immer wieder deine Menschenkenntnis - und vor allem wie pointiert du die Sachen auf den Punkt bringst.

Ich würde es nicht aushalten, ohne das Tageszentrum in das Mama vormittags geht. Meine Mama ist total lieb und pflegeleicht aber sie hängt an mir wie eine Klette, das ist so. Ich bin ihr Universum. Das Bild mit dem frisch geschlüpften Entlein trifft es genau. Mama braucht ständig Körperkontakt und wenn das nicht geht zumindest Sichtkontakt. Sie ist ständig hinter mir her. Ich hab sie ja lieb und sie ist überhaupt nicht berechnend oder erpresserisch, sie braucht nur ständig jemanden, der sich mit ihr beschäftigt. Drum bin ich ja so froh, dass das mit dem Tageszentrum klappt. Bei ihr funktioniert das Prinzip super, dass sie dort anderen helfen kann. Mama kann nicht sehen wenn es jemandem schlechter geht als ihr; da muss sie helfen und dann geht es ihr besser. Sogar im KH wo sie immer heim wollte hat sie andere getröstet: ich bin ja da, ich bin ja bei Ihnen...

Die Sache mit dem Vorlesen ist wirklich schön, aber da handelt es sich ja auch nur um etwa eine Viertelstunde, länger geht einfach nicht und so ist es mit allen Dingen. Wir haben ja gestern probiert "Up" gemeinsam anzuschauen, ungefähr alle 10 Minuten hat Mama gefragt: ist es jetzt aus? Sie kann ja auch keiner Handlung mehr folgen und wenn ich am Nachmittag zuhause arbeite, dann sitzt Mama neben mir und ihr ist fad! Weil ich mich halt nicht ständig mit ihr beschäftige. Dann kommen so fragen wie: wann gehen wir nach hause, wo ist er den jetzt, wo sind sie denn jetzt und wo sind die Kinder, die haben mich nicht mehr lieb, verschwinden einfach so.... und VOR ALLEM: wo ist denn eigentlich die Astrid ? Klar, die Astrid beschäftigt sich immer mit ihr, ich sitz da und arbeite folglich kann ich nicht die Astrid sein.... so sieht es für sie aus. Ist auch verständlich, sie kann sich ja nicht mehr selbst beschäftigen. Dann unterbrech ich, kuschel ein bisschen mit ihr, oder wir gehen halt Blumen gießen, dann arbeite ich weiter - bis zur nächsten Unterbrechung, usw. usw. Das ist anstrengend - echt ! Nach dem Wochenende bin ich fertig und froh wieder für drei Stunden in die Arbeit zu dürfen.

Meine Mama hilft unheimlich gerne im Haushalt. Sie war immer sehr ordentlich und hat gerne gekocht und die Wohnung schön gemacht. Das möchte sie noch, nur sie kann nicht mehr. Sie sagt zwar: ich mach jetzt das und das und das und steht auch auf und macht sich an die Arbeit nur dann ist es vorbei mit Arbeiten für mich. Da muss ich mit, weil sie kann ja nichts alleine, das heißt das ist für mich "Arbeitstherapie mit Mama" und das geht halt nicht den ganzen Tag.

Dabei kann ich schon viel viel besser reagieren als noch vor ein paar Monaten.

Ich versteht dich gut, Ildiko, meine Mama nimmt ja alles an, was man ihr anbietet, deine sträubt sich - um wie viel schwerer muss das sein.

Alles Liebe

Astrid die deine Herangehensweise echt toll findet Jelly (ich hoffe es funktioniert bei dir liebe Ildiko)

Liebe Astrid,

mir ist es ein Rätsel, wie du es auf Dauer mit deiner Ma schaffst.
Vor allem die Arbeit?!! Ich musste zum Schluss die Treppe verbarrikadieren,
sonst wäre meine Ma nur noch rufend und suchend bei mir gewesen.
Das geht bei meiner Arbeit gar nicht, ich muss mich voll konzentrieren,
muss schreiben, gestalten und vor allem mit Kunden telefonieren.
Meine Ma hat jeden Anruf kommentiert und mitgesprochen!!!

Ich konnte zeitweise nicht einen Strich zeichnen oder schreiben,
immer war irgendetwas. Mich hat das echt irre gemacht. Diese Zerrissenheit,
für sie da zu sein und trotzdem einen Job zu machen, um den Lebensunterhalt zu verdienen.
Weil ich das nicht hinbekommen habe, kämpfen wir jetzt regelrecht mit dem Überleben.
Es war eine absolute Notwendigkeit, meine Ma ins Heim zu geben.
Ich habe zwar zig Leute um mich herum organisiert, die sie für mich stundenweise übernommen haben,
aber allein die Orga hat mich 1-2 Stunden am Tag gekostet - weil ja auch nicht immer so können,
wie man es bräuchte.

Jetzt ist es noch schwierig für mich am Stück zu arbeiten,
da mein Vater seine regelmäßigen Mahlzeiten braucht.
Früher konnte ich auch mal einen Tag durcharbeiten, was bei kreativen Sachen eeeeecht gut tut und notwendig ist. Jetzt ist mein Tag verhackstückt durch Mahlzeiten, Arztbesuche, Pa ins Heim zur Mutter fahren und wieder abholen, einkaufen, usw.....

Das ist nicht mein Leben, ehrlich nicht. Ich weiß, dass ich durch mein vorheriges Leben ohne Kinder und nur mit meinem Partner echt verwöhnt worden bin. Aber so kann ich auch nicht mehr lange weitermachen...
Ich frage mich immer, wie Menschen das schaffen, die fest angestellt sind!!! Ich kenne Fälle, die ihre Eltern tagsüber einsperren und sich selbst überlassen... bei uns in der Familie hat das eine Tante gemacht, weil sie sonst nicht anders hätte arbeiten gehen können. Hätte ich das mit Ma gemacht, wäre das Haus in Nullkommanix zerlegt gewesen und sie mehr als ein Häufchen Elend.

Da nutzen 1-2 Stunden Betreuung am Tag nix, wenn du Vollzeit arbeiten musst, um zu überleben.

Aber wem sage ich das! Deine Geduld scheint jedenfalls noch ziemlich groß zu sein.

Liebe Grüße
Jelly

Liebe Jelly,

Oh, da erkenne ich vieles wieder !

jellyamber schrieb:

Meine Ma hat jeden Anruf kommentiert und mitgesprochen!!!

Das macht meine auch, wenn mein Chef anruft, geh ich immer raus telefonieren, weil ja im Wohnzimmer der Fernseher läuft, aber nach zwei Minuten ist sie schon da und redet auf mich ein...
Ich unterbrech dann, sag: Moment Mal...

Mama, ich telefonier doch grad... Mit wem... Mit meinem Chef.... Kann der dich nicht in Ruhe lassen Mama geh voraus ins Wohnzimmer, ich komm gleich.

Entschuldige - meine Mama...und dann geht es weiter - er ist wirklich seeeeehr verständnisvoll (seine Schwiegergroßmutter hatte auch Demenz, er war zwar nicht hauptsächlich mit der pflege beschäftigt, aber er kennt zumindest die Situation)

Zitat :

Ich konnte zeitweise nicht einen Strich zeichnen oder schreiben,
immer war irgendetwas. Mich hat das echt irre gemacht. Diese Zerrissenheit,
für sie da zu sein und trotzdem einen Job zu machen, um den Lebensunterhalt zu verdienen.

Kenn ich auch - schlechtes Gewissen in beide Richtungen - IMMER!!

Wenn ich nicht einen sooo verständnisvollen Arbeitgeber hätte, wär ich schon längst arbeitslos. Oder doch nicht - hey, die brauchen mich !!!!

Zitat :

Früher konnte ich auch mal einen Tag durcharbeiten, was bei kreativen Sachen eeeeecht gut tut und notwendig ist. Jetzt ist mein Tag verhackstückt durch Mahlzeiten, Arztbesuche, Pa ins Heim zur Mutter fahren und wieder abholen, einkaufen, usw.....

Hätte auch ich schrieben können, aber ich bin anscheinend jetzt besser organisiert als früher, anscheinend wachse ich mit den Aufgaben (bis ich soooo lang bin dass ich abbrech ).

Was ich natürlich hab, ist KEINERLEI Freizeit. Um meine Arbeit zu schaffen, arbeite ich auch am Wochenende an Feiertagen, zu den unmöglichsten Zeiten etc. Ich kann nur so arbeiten, weil meine physische Anwesenheit nur sehr begrenzt notwendig ist und ich mir die Arbeit selbst einteile. Sicher haben wir Termine und Meetings (morgen ein ganz wichtiges, da bleibt Mama ganztags im TZ) und ich muss wie gesagt derzeit bei Geschäftsessen und Dienstreisen leider meist absagen, bis jetzt hab ich es immer geschafft für die extrem wichtigen Dinge etwas zu organisieren. Ich hab wirklich sehr viel Freiheit in meiner Arbeit, muss aber meine Leistung bringen, wenn der Job stimmt fragt keiner wann und wo ich das mache. Und das mit zurück auf 30 Stunden ist zwar schön und gut, aber das ist keine Frage der Stunden, sondern eine Frage der Arbeit...wer macht die wenn ich sag ich arbeite nur mehr 30 Stunden ????

Zitat :

Das ist nicht mein Leben, ehrlich nicht. Ich weiß, dass ich durch mein vorheriges Leben ohne Kinder und nur mit meinem Partner echt verwöhnt worden bin. Aber so kann ich auch nicht mehr lange weitermachen...

Du kannst dir nicht vorstellen, wie oft ich sag (in mich reinschrei: ICH WILL MEIN LEBEN ZURÜCK!!!). Ist aber nicht. ich war völlig frei, kein Mann keiner Kinder (manchmal zu frei), jetzt kann ich nicht einmal mehr aufs Klo ohne dass meine Mama schauen kommt, wo ich bin.

Ich hatte auch eine Bekannte, die ihre Mutter zuhause eingesperrt hat, um arbeiten zu gehen. Sie musste dort sein, war kein Job den man von zuhause aus erledigen konnte.

Als es begann, dass ich Mama nicht mehr alleine lassen konnte, war sie schon nach ein paar Minuten völlig fertig, am Boden zerstört, ein Häufchen Elend, weil sie dachte, sie wäre schon wochenlang alleine.... das wäre nicht mehr gegangen, no way.

Zitat :

Deine Geduld scheint jedenfalls noch ziemlich groß zu sein.

ich bemühe mich, Mama kann ja nichts dafür, aber meine Nerven hängen in Fransen, das kannst du mir glauben.

Alles Liebe
Astrid

Ehrlich, Astrid, wenn ich deine Zeilen lese, könnte ich nur heulen.
So vieles kommt mir bekannt vor und erst wenn jemand anderes das ausdrückt,
was man selber erlebt, merkt man, wie es einem geht.

Schon Wahnsinn, wie du das schupfst!
Hältst du das so noch lange durch?

Und, Ildiko, wie geht es dir nach der letzten Nacht und diesem Tag?

Liebe Grüße und so
Jelly

Liebe Jelly,

Ich muss ja durch, noch geht es aber ich bin schon sehr nah am Wasser gebaut (und bin Frustnascher). Ich hoffe, ich merk dass es nicht mehr geht bevor es WIRKLICH NICHT MEHR GEHT. Jetzt gerade hängt Mama an meinem linken Arm und ich tippe mit dem Zeigefinger der rechten Hand...

Als ich gelesen hab, was du geshrieben hast hab ich so wahnsinnig viel wiedererkannt, das meiste hätte genauso ich geschrieben haben können.

Ich hoffe Ildiko kann mit deinen Tipps etwas anfangen...laß dich bloss nicht fertigmachen Ildiko !

Alles Liebe

Astrid

Ihr Lieben,

euer Schreiben berührt mich sehr. In vielem finde ich mich wieder ...
Unsere Nonna war auch eine Frau, die sich die letzten Jahre kaum mehr zu etwas animieren liess - und es bestens verstand, sich durch irgend welche Bemerkungen, Brechreiz beim Essen, "alte Geschichten" etc. in den Mittelpunkt zu stellen. Unsere Mädels können da Geschichten erzählen ... und mein Mann hat sich oft sehr heftig mit ihr gestritten!
Wenn ich heute so zurück denke - hat es mich eine unheimliche Energie gekostet, stets irgendwie den Haussegen und sowohl das Wohlergehen meiner Familie als auch das unserer Nonna "im Gleichgewicht zu halten".
Die letzten ungefähr drei Jahre war sie total von mir abhängig. Wir wohnten zwar nicht ganz im gleichen Haushalt, doch unter dem gleichen Dach. Bei uns war es so, dass Nonna noch sehr lange, auch als sie andere Nummern längst nicht mehr konnte, mit mir telefonieren konnte. D.h. wir haben x-mal am Tag miteinander telefoniert, wegen nichts und allem. Mein ganzer Tagesablauf war mit und um Nonna herum organisiert. Kam ich mal ein paar Minuten später, als abgesprochen, war Feuer im Dach, oder sie jammerte ...
Wenn ich hier eure Zeilen lese, kann ich nur den Hut ziehen vor allen Angehörigen, die zu Hause eine Demenz kranke Person betreuuen
Ich lerne von euch allen sehr, sehr viel.
DANKE
Herzliche Grüsse
Therese

Liebe Ildiko,
Liebe Astrid,
Liebe Jelly,

ihr habt in euren Beiträgen meine Gedanken und das Leben von mir und meiner Mutter beschrieben.

Mir fällt dabei ein Song ein von Roberta Flag (?):
"Killing me softly with his song,
telling my life with his words."

Es hat schon etwas Unheimliches, wenn man die eigenen Gedanken von anderen aufgeschrieben liest. Bestimmt geht es noch Mehreren hier im Forum so und es hilft, zu wissen, dass man nicht alleine in dieser Sch..situation sitzt.

Liebe Jelly, deine Vorschläge sind klasse.
In der Angehörigengruppe der MemoryClinic wurde mir schon ähnliches vorgeschlagen. Du hast ganz Recht. Wir müssen uns und unsere Einstellung anpassen und ändern, die Demenzkranken können es nicht. Und wir müssen akzeptieren, dass wir es unseren Müttern nicht mehr recht machen können.

Danke Jelly, die nächsten schlaflosen Stunden werde ich Antworten ausdenken und üben..... bis


Grüße
felixdottir

Liebe Jelly
Deinen Gedanken, Äusserungen und Beschreibungen habe ich nichts mehr beizufügen. Sie sind einfach super Toll getroffen

Liebe Ildiko
Es lohnt sich wirklich die Worte von Jelly zu verinnerlichen und zu Üben. Es vermag zudem erst noch schlaflosen Nächten einen Sinn zu geben Ich weiss nicht mehr wie viele ich davon mit so Übungen verbracht habe. Aber ja, es lohnt sich wirklich. Zudem tut es erst noch gut, vom eigenen Gedankenmuster mal weg zu schauen und eine andere Perspektive einzunehmen

Liebe Astrid

Zitat :

Ich hoffe, ich merk dass es nicht mehr geht bevor es WIRKLICH NICHT MEHR GEHT.

Das ist ein schweres Unterfangen. Ich hoffe du schaffst es. Wie man aber seine Grenzen erkennt, bevor man diese nicht schon überschritten hat weiss ich echt nicht. Zumindest konnte ich es nicht. Was mir meine Gesundheit danach auch ganz klar aufzeigte. Meist tut sie dies ja auch erst dann am massivsten in der Entspannung, denn solange wir Pflegen funktionieren wir einfach noch zu gut. Schliesslich wurden wir durch die Pflege zum Tintenfisch, der überall Arme hat und ein jeder davon macht gleichzeitig etwas anderes. Zusätzlich entwickeln wir eine Fähigkeit uns z.B beim Telefonieren nicht durch das reinreden ablenken zu lassen und dennoch immer schön beide Ohren offen zu halten. Während eine Hirnhälfte sich also mit unseren Aufgaben beschäftigt, ist die andere Hirnhälfte ganz auf unser Angehöriges gerichtet. Oder während eine Hirnhälfte nachts schläft, bleibt die andere Wach, um im Falle immer Sprungbereit zu bleiben. Kurz gesagt, ein bisschen Schizophren kann auch gesund sein, wenn auch mit der Zeit doch sehr Ermüdend Ist jetzt zwar ein kleiner Trost, aber dennoch ein Fakt. Alles was wir in der Zeit lernen, kommt uns in vieler Hinsicht auch in anderen Situationen später zu Gute. Nur wusste ich das damals noch nicht

Das Verrückte ist auch, das während wir Pflegen uns oft unser eigenes Leben zurück wünschen. Aber wenn wir dieses danach dann wieder haben, dieses erst wieder finden müssen. Nein, nein, nicht nur weil der Freundeskreis geschrumpft ist, oder wir zu lange kein eigenes Leben mehr hatten, sondern weil sich vieles an unserer eigenen Lebenshaltung - teils bemerkt, teils unbemerkt - in der Zwischenzeit verändert hat. Wir uns folglich also selber erst wieder sortieren, ordnen und neu ausrichten müssen. So war es auf jeden Fall bei mir.

Liebe Felixdottir

Zitat :

Es hat schon etwas Unheimliches, wenn man die eigenen Gedanken von
anderen aufgeschrieben liest. Bestimmt geht es noch Mehreren hier im
Forum so und es hilft, zu wissen, dass man nicht alleine in dieser
Sch..situation sitzt.

Es ist tatsächlich Eigenartig, wenn eigene Gedanken von anderen Geschrieben werden. Vorallem berührt es mich dann immer wesentlich tiefer. Gerade darum tut es auch so gut. Einerseits ist es ein Trost, andererseits fühlt man sich damit nicht Einsam und als drittes werden so die eigenen Gedanken oft überhaupt erst richtig deutlich gemacht.

Danke euch allen dafür

Vielen Dank für Eure Antworten. Es ist wirklich lieb, wie intensiv Ihr Euch mit meinen Problemen auseinadersetzt und mir wirklich gute Ratschläge gebt.

Das mit den stärkeren Einbeziehen in den Haushalt ist schwierig. Denn gerade die handwerklichen Dinge fallen ihr noch schwerer als andere. Abtrocknen geht, wenn die Pflegerin stark unterstützt. Saugen geht kaum, dazu hat sie keine Kraft. Kartoffelschälen überfordert sie auch. Eigentlich fast alles. Nicht, dass sie es nicht ordentlich macht. Der Bewegungsablauf leuchtet ihr nicht ein. Und dann mag sie auch nicht, wenn es nicht klappt.

Heute bin ich mit dem festen Vorsatz zu meiner Mutter, meine Mutter in ihrem Meckern zu bestärken. Aber es war wie verhext. Kein einzig schlechtes Wort, sondern nur nette Worte, über eine Frau (die sie kennt), die sie gestern beim Spazierengehen getroffen hat. "So eine nette Frau, es hat mir so gut getan". Gut, diese Variante kenne ich auch, wenn sie mir zeigen will, wie schlecht ich bin. Aber heute hat es irgendwie anders geklungen. Ehrlich.

Als sie gesagt hat, dass es immer schlimmer wird mit der Wortfindung, wollte ich ihr nicht zustimmen, da habe ich sie aufgemuntert und gesagt, dass es gute und schlechte Tage gibt und es im Verlauf des Gespräches immer besser wird. Sie hat aufgehört zu jammern. Dieses Jammern kann ich sehr gut verstehen und es nervt mich auch nicht. Ich heitere sie dann auf, das klappt ganz gut.

Meine Mutter hat schon im gesunden Zustand Menschen für dumm erklärt. Selbst Menschen, die weitaus gebildeter waren als sie. "Das sind wirklich primitive, dumme Menschen" war einer ihrer Lieblingssätze. Aber wie schon erwähnt, lag es vielleicht daran, dass sie nur vordergründig selbstbewusst war. Sie hat sich immer für sehr klug und auch attraktiv gehalten. Ich weiß nicht, wie viele verheiratete Männer sie (ihrer Ansicht nach) angehimmelt haben, weil sie ja so eine unattraktive und dumme Frau an ihrer Seite hatten. Auf der anderen Seite waren auch die Männer in der Regel blöd. Ich glaube, wenn man sich vor Augen führt, dass meine Eltern seit 20 Jahren geschieden sind und meine Mutter keine einzige Beziehung danach hatte, kann man es sich vorstellen, wie schwierig sie ist. Versteht mich nicht falsch, ich bin nicht der Meinung, dass man sich über einen Partner definiert. Ich war auch immer wieder längere Zeit alleine, weil einfach kein passender Partner da war und ich nicht irgendeinen wollte. Aber bei meiner Mutter hat keiner gepasst. Auch hatte sie keinen wirklichen Freundinnen, nicht mal gute Bekannte, mit denen sie sich regelmäßig getroffen hat. Es gab zeitweise einzelen Frauen, mit denen sie etwas unternommen hat, aber sehr sporadisch und nie auf eigene Initiative.

Ich glaube, es ist schon immer die Initiative gewesen, die ihr gefehlt hat. Ich kann mich noch gut erinnern, dass ich alleinerziehend war, gerade eine wirklich schlimme Trennung hinter mir hatte und ich meine Mutter mitreißen musste, mal ein Eis essen zu gehen, mal Shoppen zu gehen etc. Sie war dann schon immer gern dabei, aber eben nur, wenn ich der Animateur war.

Ich bin viel egoistischer als Ihr, denn Ihr wolltet einfach mal einige Stunden Ruhe haben. Mir geht es viel mehr darum komplett Ruhe zu haben. Ich kümmere mich um alles, habe nächste Woche einen Termin beim Betreuungsgericht. Aber ich gehe halt so gar nicht gerne zu ihr. Nicht mal eine Stunde. Ich denke mir dann immer: Super, ich arbeite, die restliche Zeit gehört meiner Familie und ich habe fast Null eigene Freizeit. Und dann noch meine Mutter. Klar, sie kann nichts dafür, sie hat eine schreckliche Krankheit. Aber für mich ist es eben wieder ein moralischer Würgegriff zur Bespaßung.

Es ist wirklich wie verhext: Meine Mutter schimpft in meiner Gegenwart nicht mehr über andere. Ganz im Gegenteil. Vorgestern meinte sie noch, dass es so ein netter Nachmittag war mit meiner Tante und deren Bekannten. Sie hätten so viel gelacht. Selbst über ihre Pflegerin schimpft sie in meiner Gegenwart nicht mehr. Kann meine Mutter Gedankenlesen????

Einen kleinen Übungsgang hatte ich als meine Mutter steif und fest behauptet hat, dass meine Schwester ihre neu gekauften Schuhe mit in den Urlaub genommen hat. Zum einen hat meine Mutter keine Schuhe gekauft, zum anderen hat meine Schwester sie bestimmt nicht genommen. Als ich nicht sofort reagiert habe, hat meine Mutter gemeint, dass meine Schwester es wahrscheinlich aus Versehen gemacht hat. Ich habe gemeint:" Sie bringt sie bestimmt wieder zurück." Damit war meine Mutter zufrieden. Danke Jelly!

ildiko schrieb:

Es ist wirklich wie verhext: Meine Mutter schimpft in meiner Gegenwart nicht mehr über andere. Ganz im Gegenteil. Vorgestern meinte sie noch, dass es so ein netter Nachmittag war mit meiner Tante und deren Bekannten. Sie hätten so viel gelacht. Selbst über ihre Pflegerin schimpft sie in meiner Gegenwart nicht mehr. Kann meine Mutter Gedankenlesen????

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*...nööö...ganzbreitgrins...diese Methode ist die einzige, die auf beide "Parteien" wirkt und die beide entsprechend leben.
Jetzt hast du es gemerkt - hihi, endlich... Ist kein Vodoo - deine Ma spürt einfach deine neue Haltung... Ist übrigens in der Therapie die einzige Form,
wo Therapeut und Klient auf gleicher Höhe sind. Ich find's einfach nur toll und praktikabel, aber habe eben auch darin meine Aussetzer,
wenn's höchst emotional hergeht oder ich mich nicht darauf vorbereiten konnte. Dazu passend ein Zitat, das ich heute zufällig gelesen habe:

"Wir sind auch immer nur so klug, wie der Tag es zulässt." Kai Diekmann, Bild-Zeitung

Freu mich für dich und deine Ma, Ildiko! Danke für das tolle Feedback.

Liebe Grüße
Jelly