Heute morgen habe ich bei meinem alltäglichen Wachwerdprocedere – am Computer sitzen und in Ruhe Kaffee trinken – eine PN von einer lieben Menschin die ich sehr schätze, eine PN bekommen. Da ich lange nix mehr von mir hab hören lassen, fragte sie mich wie es meiner Mutter die seit 2 Wochen in einem Heim ist geht und wie es mir damit geht. Um zu schreiben, brauchts immer einen „Anstoß“. Ob Innerer Druck oder Schmerz, oder wie in dem Fall eine PN, der Prozess der Schreiben ist ein Vorgang des Werdens das in einer Geburt seinen Abschluß findet. Eines ist jedoch unabdingbar: Es braucht immer seine Zeit.
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Morgen, am Montag den 7. August sind es 2 Wochen her, als meine Mutter in ihr neues, ja wie nenne ich es, einIhr „Zu Hause“ ist es beileibe nicht, in ihre „Unterkunft“, eingezogen ist. Die ersten Tage waren fürchterlich für sie. Mittlerweile hat sie sich eine Taktik zurechtgelegt mit der sie das JETZT, jeden Tag, das Leben in dem Heim erträgt.
„Es ist ja nur vorübergehend“ sagt sie zu sich und den Schwester.
„Meine Wohnung wird renoviert“. „In 4 Wochen bin ich ja wieder zu Hause.“Morgen werde ich zum 3. Mal zu ihr fahren. Für sie, so kommt es mir vor bzw stelle ich es mir vor muß es sich wie eine Ewigkeit anfühlen. Seit 2 Wochen an einem Ort zu sein wo sie nie leben wollte. Und nur 3 mal von mir, ihrem Sohn besucht worden zu sein. Als ich sie das letzte Mal besuchte, =rart_ou]fühlte ich mich wie Falschgeld. Immer wieder stand ich aus dem Stuhl der in ihrem Zimmer steht auf, ging aus ihrem Zimmer lief auf dem Flur auf und ab. Ich fühlte mich unruhig und unwohl. Da war nichts von wegen zur Ruhe kommen, oder dieses berühmte „angekommen sei“. Da kann ich nur ahnen wie es meiner Mutter geht, wie sich meine Mutter fühlt. Einer der Gründe warum es mir schwer fällt, sie zu besuchen wie auch „Unterwegs zu sein“ liegt in meiner derzeitigen gesundheitlichen Verfassung. Treppen zu steigen bzw nicht die 2 oder 3 Stufen in einen Zug einsteigen können um zum nächsten Arzttermin zu fahren, von einem normalen Stuhl aufzustehen, zu Hause sitze ich auf einem Bürostuhl den ich in der Höhe entsprechend einstellen kann. Von dem Aufsuchen einer normalen Toilette ganz zu schweigen. Dies sind Hürden die zu Überwinden ich im Moment am liebsten vermeiden würde. Wenn die Situation wie sie sich jetzt darstellt wieder zur „Normalität“ des Alltages geworden ist, werde ich mich verstärkt um eine Kur-Rehamaßnahme kümmern damit ich wieder Muskeln auf meine Beine bekomme.
Dazu kommt die Tatsache das wir alle aus unseren entsprechenden Familiensystemen mit unserer ganz individuellen Familiengschichten kommen. Alte Narben von Wunden aus der Vergangenheit werden schmerzhaft berührt. Ich einzigstes Kind – Sohn habe sie, meine Mutter in ein Heim gesteckt. Ihr Schmerz und ihre Wut sind vor diesem Hintergrund nachvollziehbar und verständlich.
Die Tage danach war ich u.a. auf dem Amtsgericht um dem Rechtspfleger des Vormundschaftsgerichtes den Einzug meiner Mutter in das Heim mitzuteilen und einige Formalien im Zusammenhang mit dem Verkauf ihres Hauses, zu besprechen. Zudem war es mir wichtig mich von den Menschen mit denen ich bzw die mit mir während der letzten 10 Jahre seitdem das Gericht mich mit der Betreuung meiner Eltern, meiner Mutter beauftragt hatte persönlich zu verabschieden. Von den üblichen Anfangsschwierigkeiten abgesehen, die in der Sache begründet lagen fühlte ich mich gut aufgehoben.
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Die übrigen Tage der letzten Woche war ich mit der Auflösung, dem Ausräumen der Wohnung meiner Mutter beschäftigt. Ohne die Hilfe der Haushälterin die meine Mutter versorgt hatte, wäre es mir nicht möglich gewesen dies alleine zu bewältigen.
Vor 10 Jahren ist mein Vater verstorben. Seitdem blieb das elterliche Schlafzimmer, meine Mutter ist irgendwann in mein früheres Zimmer umgezogen,
„Er schläft mir zu unruhig“ so wie es zu Lebzeiten meines Vaters war, unberührt. Seine Kleidung, die Schränke mit seiner Wäsche, sein Bett, alles mußte so bleiben wie es war. Nichts durfte verändert werden. Jeden Tag im Rollstuhl ins Schlafzimmer zu rollen, nachzuschauen ob seine Wäsche und seine Anzüge in Ordnung sind und an ihrem rechten Platz liegen, das physische Vorhandensein der Kleiderstücke hält die Erinnerung an meinen Vater, das Leben, die Ehe die sie mit ihm fast 60 Jahren führte, lebendig und wach. Für meine Mutter sind Rituale wichtig. So schmerzhaft die Beerdigung meines Vaters für meine Mutter auch war, der Moment als sein Sarg im Grab verschwand war für sie der Moment wo ihr bewußt wurde das er nicht mehr „Da“ ist, das sie nie wieder mit ihm zusammen Mittag essen würde, das er nie wieder nachmittags um 16 Uhr mit ihr zusammen Kaffee trinken würde.
Mein Vater und ich waren uns in vielen Dingen ähnlich.
„Weißt Du“ sagte er zu mir während einer unserer Spaziergänge,
„macht Euch bloß keine Umstände mit einem Grab wenn ich gestorben bin. Verbrennt mich und streut meine Asche in den Main oder in den Wald. Ich in dann eh nicht mehr da. Ausserdem macht so n Grab nur Arbeit und kostet zudem eine Menge Geld. Und Mutti wird ja auch nicht jünger.“Wenn es nach mir gegangen wäre dann hätte ich auch dem Wunsch meines Vaters entsprochen. Aber es ging hier nicht um mich. Es ging nicht um meine Auffassung und meinem Verständnis von einer – seiner Beerdigung. Es ging um das Bedürfnis und dem Wunsch meiner Mutter. Für sie war das
Ritual der Beerdigung, des entgültigen Abschied nehmen von meinem Vater am Grab lebens notwending.
Die Wäsche meines Vaters, Socken, Unterwäsche, Bettwäsche, Handtücher, Pullover, Jacken, alles was abgenutzt, verwaschen, geflickt oder zerrissen waren, in blaue Müllsäcke zu verstauen die später entsorgt wurden war ein leichtes, fiel mir nicht schwer. Anzüge und Hemden die alle gereinigt und von einer guten Qualität waren, blieben vorerst an ihrem Platz da ich vorhabe sie an ein Sozialkaufhaus zu spenden. Ob mein Plan, verwertbare Kleidung als Entlohung gegen den Abau und Abransport/Entsorgung des Schlafzimmers/Wohnung durch Mitarbeiter einer solchen Einrichtung aufgehen würde, wird sich in den nächsten Tagen herausstellen.
Das Ausräumen, Aussortieren der Schränke meines Vaters geschah rational und war mit vielen Erinnerungen verbunden. Da war der Norwegerpullover den er trug als wir in den 60gern Jahren über Weihnachten/Sylvester nach Riezlern im Kleinwalsertal gefahren sind, seine Schlafanzüge die ich ihm in den letzten Jahren vor seinem Tod gekauft habe. Erinnerungen bei denen ich lächeln mußte.
Anders sah es aus als ich die Kleiderschränke meiner Mutter ausräumte. Meine Mutter war eine begeisterte Schneiderin. Anfang der 50ger Jahre war das Gehalt das mein Vater nach Hause brachte äußerst gering. In der 3. Woche eines jeden Monats mußte meine Mutter „anschreiben“ lassen. Da beschloß meine Mutter sich ein Zubrot mit dem Nähen von Abendkleider zu verdienen. Ohne es gelernt zu haben, Nähen lag ihr im Blut. Sie brauchte ein Kleid nur auf einem Foto oder später in den 60ger Jahren in der Auslage einer der angesagten Kostümgeschäfte in Frankfurt zu sehen und schon wußte sie wie die Schnittmuster auszusehen hatten um das Kleid zu nähen.
Da gab es Stoffe die sie sich sich während eines Urlaubes Anfang der 70 ger Jahre in Thailand oder dem heute nicht mehr existierenden Kaufhaus M. Schneider auf der Zeil kaufte. Zu den Stoffen – Kleidern in spe lagerten in Tüten verpackt, Handschuhe die bis zu den Ellenbogen reichten und die man damals als Accessoire zu einem Abendkleid trug. Schuhe nie getragen und unzählige Handtaschen, auf den Stil und die Farbe eines Kleides abgestimmt lagerten in Plastiktüten verpackt auf den Böden und Regalen ihres Kleirderschrank. Angefangene, zurechtgeschnittene Einzelteile für Kleider sorgfältig verpackt, nichts wurde weggeworfen. Man weiß ja nie ob man nicht Irgendwann noch einmal Verwendung dafür haben könnte.
Neugierig, fasziniert und mit staunendem Blick nahm ich jede Tüte in Empfang die mir unsere Haushälterin reichte. Bettwäsche, neue Handtücher, sie waren „im SonderAngebot günstig“ zu erwerben, Tischdecken, Servietten, zum Teil noch neu, zum größten Teil jedoch verschlissen. Langsam füllte sich das elterliche Schlafzimmer mit Mülltüten deren Inhalt nicht mehr zu verwenden war.
Die meisten der Stoffe, Kleider, Handtaschen und Schuhe, der Dinge über die ich eine Entscheidung zu treffen hatte was damit geschehen wird, waren mir unbekannt. Mit fast allen Gegenständen wurden Erinnerungen in mir wach gerufen. Es tauchten Bilder meiner Mutter auf, wie sie aufgeregt ein Abenkleid die dazugehörigen Schuhe und die entsprechende Handtasche für den Besuch der Oper oder eines Ball auf das Bett legte. Ihre Freude auf den bevorstehenden Abend die sich in ihrem Gesicht wiederspiegelte und dem sie mit glänzenden Augen entgegenfieberte.
50 Jahre gelebtes Leben hielt ich im Laufe dieser Woche in meinen Händen . . . .