Nele Erstellt: 11.10.08, 20:56

Am Freitag abend ist mein Vater friedlich eingeschlafen.

Er war in den letzten Wochen mehrfach gestürzt und hatte Kopfverletzungen und eine Gehirnerschütterung. Die Ärzte im Klinikum Frankfurt-Höchst (dazu könnte ich mittlerweile einen Roman schreiben) wollten ihn noch am Kopf operieren, was wir aber - auch im Hinblick auf die Patientenverfügung, die mein Vater gemacht hatte - verweigert hatten. Ebenso die Magensonde, die die Hausärztin noch legen lassen wollte.

Durch die Stürze und die damit verbundenen Verletzungen ist die Demenz zum Schluss so schlimm geworden, dass er nicht mehr sprechen konnte und nur noch gelegentlich ansprechbar war. Gestorben ist er letztendlich an einer Ateminsuffizienz, er konnte kaum noch schlucken und hatte eine Lungenentzündung. Es war uns eigentlich klar, dass es nun zu Ende geht. Und niemand von uns hatte vor, ihn noch weiter zu quälen, zumal uns jeder Arzt gesagt hat, dass sich an seinem Zustand nichts mehr ändern wird.

Was mich persönlich bedrückt ist, dass ich in der letzten Woche dienstlich im Ausland war und erst Freitag nacht zurückgekommen bin. Ich wollte ihn unbedingt noch einmal sehen und mich von ihm verabschieden. Leider hatte ich diese Reise nicht verschieben können. Nach einem längeren Telefonat mit meiner Mutter wollte ich wenigstens früher zurückkommen, habe aber keinen Rückflug bekommen. Als er starb, habe ich mich gerade im Anflug auf Rhein-Main befunden. Die Pflegerin hat uns erzählt, dass er noch nach mir gefragt hat. Wir haben uns immer gut verstanden, irgendwie war ich wohl auch so ein bißchen sein "Liebling", auch wenn er meine Schwester und mich immer gleich behandelt hat. Aber das wird mir wohl lange nachhängen.

Mein erstes und hauptsächliches Gefühl war Erleichterung. Er hat sich so sehr quälen müssen, und es ist ihm massiv schlechter gegangen, dass der Tod eine wirkliche Erlösung war. Ihn leiden zu sehen, habe ich als extrem schmerzhaft empfunden. Alle anderen Gefühle kommen wahrscheinlich erst noch. Im Moment haben wir mit der ganzen Organisation viel zu tun und müssen Dinge entscheiden, die uns eigentlich völlig überfordern. Aber vielleicht ist es auch ganz gut, dass wir jetzt viele Dinge erledigen müssen. Ich weiß es selbst nicht. Ich weiß nur, dass wir erst einmal gar nicht wußten, was zu tun war. Die Pflegerin meines Vaters hat sich dann mit dem Bestattungsunternehmer in Verbindung gesetzt und der hat uns gesagt, was jetzt zu erledigen ist, was davon wichtig und was davon weniger wichtig ist.

Er war in seinem Zimmer im Heim aufgebahrt, wir haben uns von ihm verabschieden können. Ich war nicht darauf vorbereitet, dass er noch dort liegt und habe erst einmal einen ziemlich Schreck bekommen, fand das aber dann sehr beruhigend. Wenigstens konnte ich mich noch bei ihm entschuldigen, dass ich nicht da war, auch wenn er es nicht mehr hören kann.

LillNalle Erstellt: 12.10.08, 09:54

Liebe Nele

Ich möchte dir meine herzlichste Anteilnahme aussprechen

Ich kann deine Erleichterung, als dein Vater entlich gehen durfte sehr gut nachvollziehen. Es gibt ein Punkt wo der Tod wirklich zur Erlösung wird. Von dem her war es auch gut, das ihr laut Patientenverfügung eine weitere (sehr fragwürdige) Operation und die Magensonde verhindern konntet.

Leider wird es dich vermutlich noch länger beschäftigen, das es dir zu deinem gewünschten, letzten Abschiedsbesuch nicht mehr reichte. Aber ich bin auch fest davon überzeugt das dir dein Vater dies nicht übel nimmt. Ich bin mir auch sicher das er dich, gerade auch in diesem Moment sieht und deine Not versteht. In deinem Herzen darf er weiterleben und das ist es was die Liebe, eure Liebe ausmacht.

Das Vermissen wird ebenfalls sicher noch lange an dir schmerzhaft nagen. Aber gleichzeitig ist das Vermissen auch ein Zeichen das etwas ganz Wertvolles, Unbezahlbares dem voraus gegangen ist. Was dir/euch niemend nehmen kann und ein bleibendes Geschenk eures Vaters an euch ist. Ich bin mir sicher das er einfach möchte das ihr daran festhaltet und so mit ihm tief im Herzen verbunden bleibt.

Ich wünsche dir viel Kraft und fühle dich ganz lieb umarmt.

In Gedanken verbunden

Ursula

Sylvia Erstellt: 12.10.08, 10:57

Liebe Nele mein herzliches Beileid. Glaub mir er hört und sieht bestimmt mehr, als wir uns ausmalen können.

Es tut weh, aber ist auch eine Erleichterung. Ich hab es ja erst im Aug. erfahren müssen. Nun hat er keine Schmerzen mehr.

Bin oft auf dem Friedhof und rede mit ihm.

Viel Kraft und sein lieb umarmt

Nele Erstellt: 13.10.08, 19:15

Ich möchte Euch all für Eure Worte danken.

Irgendwie habe ich die letzten beiden Tage nur funktioniert, weil so viel zu erledigen war. Aber langsam kommt das alles hoch, und es wird mir bewußt, dass er nie wieder zurückkommt.

Zum Glück ist die Beerdigung schon nächste Woche. Meine Mutter wollte Trauerfeier und Urnenbeisetzung unbedingt zusammen haben, das kann aber durchaus dann auch dauern. Bei meiner Großmutter waren damals zwischen Tod und Trauerfeier vier Wochen, was ich als ziemlich belastend empfunden habe.

Ich war heute beim Bestatter, er hat mir die Urne gezeigt. Da ist mir eigentlich erst richtig die Endgültigkeit zu Bewußtsein gekommen.

Mein Vater wird mir sehr fehlen.

LillNalle Erstellt: 14.10.08, 08:52

Liebe Nele

Dieses "nur funktionieren" ist ganz normal und gleichzeitig ein persönlicher Schutz für einen. Es wäre für die eigene Psyche einfach zuviel, alles auf einmal zu fasssen, zu verstehen und geschweige noch zu verarbeiten. Selbst wenn man weiss, das bei unseren Lieben schlussentlich der Tod eine Erlösung war, so will es bei uns nicht wirklich so richtig ankommen. Zu stark ist das Vermissen.

Auch ich habe die Beerdigung als sehr belastend empfunden, weil gerade dann soviel hoch kommen will, wo einen nochmals zu überfordern droht. Wer will da für die Vorbereitungen schon wirklich Entscheidungen treffen müssen.....Und dennoch muss es sein, ohne das man gefragt wird, ob man bereit dazu ist. Ich wollte es auch, so wie du, so schnell wie möglich hinter mich bringen, um entlich Zeit für meine eigene Trauer zu bekommen. Erst recht, da ich, wie in unserem Fall, verständlicherweise nicht allen Trauergästen nochmals begegnen wollte - aber dennoch musste. Aber wir sind stärker als man glaubt und der persönliche Schutz, wie nur funktionieren zu können, oder Geschehnisse nur gedämpft wahr zu nehmen, hat mich schon öfters vor einem Zusammenbruch bewahrt.

Du wirst es schaffen und die Symbolik der Beerdigung, wird dir im Nachhinein helfen, mit deinen eigenen Sorgen besser zurecht zu kommen. Ich hoffe ihr werdet euch gegenseitig umarmen und trösten können, das schenkt viel Kraft um den Schmerz des Vermissens ein bisschen erträglicher werden zu lassen.

Alles braucht seine Zeit auch der Schmerz des Abschieds. Die Beerdigung ist nur die Symbolik dazu. Ich wünsche dir deine Zeit wo du brauchst und auch die Gespräche dazu.

Fühle dich lieb Umarmt

Ursula

Sylvia Erstellt: 14.10.08, 08:54

Liebe Nele,

so geht es uns wohl allen.

Ich hab alles im kleinen Rahmen gehalten und mußte fast 6 Wochen auf die Urne warten.

Aber, wie heißt es so schön: Zeit heilt alle Wunden. Er schaut von oben auf euch und paßt auf. Er muß nicht mehr leiden. Für uns, die zurück bleiben ist es hart. Aber denken wir an die schönen Zeiten mit unserem Papa. Ich hab viele schöne Bilder von ihm und mir und die schaue ich mir an, wann immer mir danach ist oder ich fahre zum Friedhof und rede mit ihm. Auch rede ich viel mit meinen Jungs über ihren Opa, das hilft mir.

Viel Kraft und bleib gesund.

maxmoritz Erstellt: 15.10.08, 20:18

Liebe Nele auch von mir Aufrichtiges Beileid. Ich wünsche Dir Kraft, Trost und Zuversicht wenn Du an Eure Gemeinsame Zeit zurück denkst.

Alles Liebe Moni

frisbee Erstellt: 18.10.08, 09:29

Liebe Nele,
ich wünsche Dir viel Kraft und ganz viel Liebe die nächsten Schritte zu überstehen. Meine Vorrednerinnen haben bereits alles gesagt und ich kann mich nur anschliessen. Wenn es Dir sehr zu schaffen macht, dass Du Dich nicht mehr richtig verabschieden konntest, dann hilft es manchmal einen Brief zu schreiben. Hier kannst Du nochmal alle sagen, was Du nicht sagen konntest und Dir doch auf dem Herzen liegt. Anschliessend kannst Du den Brief entweder an seinem Grab vergraben, oder verbrennen oder dem Wasser übergeben (Fluss, Meer usw).

Alles Liebe
Marion

Nele Erstellt: 18.10.08, 18:49

Euch allen vielen Dank für Euer Mitgefühl und eure tröstenden Worte.

Ich habe ein paar alte Fotos meines Vaters herausgekramt, und ich rede viel mit ihm. Ich habe immer versucht, ihn an meinem Leben teilhaben zu lassen, auch wenn er es mit seiner Demenz nicht mehr wirklich mitbekommen hat. Und - wie ich schon geschrieben hatte - habe ich ihn noch einmal sehen dürfen und konnte mich zumindest bei ihm entschuldigen.

Wir haben jetzt die Trauerfeier geplant, es wird doch relativ spirituell (da stand es 2:1), aber letztlich ist das für die (Über-)Lebenden und nicht für den Toten. Im Gegensatz zu meinem Vater und mir sind meine Mutter und meine Schwester recht religiös und spirituell, sie brauchen das. Ich habe meinem Vater aber schon versprochen, dass ich an sein Grab komme und noch die "Internationale" für ihn singe. Und vielleicht ein Gedicht von Brecht für ihn lese. Das ist dann auch für mich.

Es kommen jetzt so viele Sachen hoch, die ich ihn nicht mehr fragen konnte bzw. nicht mehr tun konnte. Ich hatte mir ein paar Monate "Sabbatical" gegönnt, weil ich seine Lebensgeschichte aufschreiben wollte - der Schlaganfall und die Demenz haben das verhindert. Ich will mich aber jetzt noch durch seine Tagebücher lesen. Ich denke, dass mir das auch hilft. Und Schreiben hilft mir in jeder Lebenslage.

Sylvia Erstellt: 18.10.08, 19:06

Liebe Nele,

dann wünsch ich Dir dafür viel Kraft und das Du das mit dem singen schaffst.

Ich würde kein Wort rausbekommen - heule heute noch immer, wenn ich an seinem Grab stehe. Bin auch deswegen in diesem Forum, weil man alles niederschreiben kann und die Mitglieder nett sind und ich auch manches als Hilfe beisteuern kann.

Nele Erstellt: 19.10.08, 14:35

Für die Todesanzeige haben wir uns einen Spruch aus der Bibel ausgesucht, der auf uns sehr gut passt - trotz fehlender Spiritualität wäre ich die Letzte, die behaupten würde, dass in den religiösen Werken der Welt nicht auch ein paar schlaue Sachen zu finden wären:

Alles hat seine Zeit

es gibt eine Zeit der Freude

eine Zeit der Stille eine Zeit des Schmerzes, der Trauer

und eine Zeit der dankbaren Erinnerung

Ich denke, dass nicht nur alles seine Zeit hat, sondern auch seine Zeit braucht. Diese Zeit sollte man sich nehmen können und dürfen, auch wenn Unbeteiligte gerne der Meinung sind, so etwas ginge "schnell" vorbei.

Obwohl ich erst seit kurzer Zeit dabei bin, ist dieses Forum wichtig für mich geworden, und ich werde auch in Zukunft daran Anteil nehmen. Ich hoffe, ich kann Euch etwas von dem zurückgeben, das ich in den letzten Wochen hier erfahren durfte.

Vielen Dank für alles.

Sylvia Erstellt: 19.10.08, 16:07

Nele, das ist ein schöner Text.

Unbeteiligte haben keine Ahnung, wollen sie nicht haben oder können nicht. Mach das was Dein Herz Dir sagt - alles braucht Zeit.

LillNalle Erstellt: 19.10.08, 19:49

Liebe Nele

Möchte mich Sylvia anschliessen. Der Text ist sehr schön. In wenigen Worten beinhaltet dieser doch so viel. Gerade da er auch "nur" aussagt das alles seine Zeit hat und nicht wielange die jeweilige Zeitspanne zu dauern hat, sagt er auch aus wie individuell diese für einen jeden Menschen zutrifft. Genau so darf auch die Trauer individuell erlebt und durchgelebt werden. Die Trauer hat ihre Zeit, deine Zeit, wo es dazu braucht. In Gedanken werden wir dich begleiten und dich auf diesem Wege mal ganz lieb Umarmen.

Ursula